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Archiv "Zentrale Augenbewegungsstörungen und Nystagmus" (25.03.2011)

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ÜBERSICHTSARBEIT

Zentrale Augenbewegungsstörungen und Nystagmus

Blick in Hirnstamm und Kleinhirn

Michael Strupp, Katharina Hüfner, Ruth Sandmann, Andreas Zwergal, Marianne Dieterich, Klaus Jahn, Thomas Brandt

ZUSAMMENFASSUNG

Hintergrund: Augenbewegungsstörungen und Nystagmus finden sich bei vielen neurologischen, HNO-ärztlichen und ophthalmologischen Erkrankungen. Eine systematische klinische Untersuchung der Augenbewegungen ermöglicht eine Differenzierung zwischen zentralen und peripheren Störungen. Der Schwer- punkt dieser Übersicht liegt auf zentralen Augenbewegungsstörungen. Diese können die langsame Blickfolge, die Sakkaden (schnelle Blicksprünge) und die Blickhaltefunktion beeinträchtigen und mit zentralen Nystagmusformen einher- gehen.

Methoden: Publikationen zur Diagnose und Therapie von Augenbewegungsstö- rungen und Nystagmus auf der Basis einer aktuellen Literaturrecherche mit se- lektiver Aufarbeitung unter Berücksichtigung der Leitlinien der Deutschen Ge- sellschaft für Neurologie.

Ergebnisse: Die Untersuchung von Augenbewegungen ist bei der Differenzie- rung zwischen peripheren und zentralen Läsionen und der Diagnose akuter vestibulärer Syndrome sensitiver als die Magnetresonanztomographie. Auf- grund der genauen Kenntnisse der Anatomie und Physiologie von Augenbewe- gungen erlaubt die Art der Augenbewegungsstörung auch eine genaue topo- grafisch-anatomische Diagnose im Bereich von Hirnstamm und Kleinhirn. Zum Beispiel sprechen isolierte Störungen horizontaler Sakkaden für eine pontine Läsion, isolierte vertikale Sakkadenstörungen für eine mesenzephale Läsion.

Ein rein vertikaler Blickrichtungsnystagmus beruht auf einer mesenzephalen Läsion, ein rein horizontaler auf einer ponto-medullären Läsion. Ein allseitiger Blickrichtungsnystagmus kann verschiedene Ursachen haben. Leitsymptom der internukleären Ophthalmoplegie ist eine einseitige Adduktionshemmung, die die Seite der Läsion des medialen Längsbündels anzeigt. Die häufigsten pa- thologischen zentralen Nystagmusformen sind Downbeat- (DBN) und Upbeat- nystagmus (UBN). Der DBN beruht meist auf einer Störung im Kleinhirn, zum Beispiel durch eine neurodegenerative Erkrankung.

Schlussfolgerung: Die Übersicht beschreibt die klinischen Charakteristika, Pa- thomechanismen und mögliche medikamentöse Therapie zentraler okulomoto- rischer Syndrome.

►Zitierweise

Strupp M, Hüfner K, Sandmann R, et al.: Central oculomotor disturbances and nystagmus: a window into the brainstem and cerebellum. Dtsch Arztebl Int 2011; 108(12): 197–204. DOI: 10.3238/arztebl.2011.0197

V

iele Patienten stellen sich in Klinik und Praxis mit den Symptomen Verschwommensehen,

„laufende Bilder“ (Oszillopsien), Doppelbilder, Schwankschwindel, Drehschwindel, Fallneigung oder Gangstörungen vor. Diese Beschwerden gehen oft mit Augenbewegungsstörungen einher. Bei akutem Be- ginn ist die wichtigste Differenzialdiagnose eine Ischämie im Bereich von Hirnstamm oder Kleinhirn.

Bei chronischem Verlauf reicht das Spektrum der Ur- sachen von neurodegenerativen oder entzündlichen Erkrankungen bis hin zu Tumoren. Zur topografisch- anatomischen Einordnung ist eine genaue klinische Untersuchung der verschiedenen Augenbewegungen notwendig, insbesondere zur Unterscheidung zwi- schen zentralen und peripheren okulomotorischen und vestibulären Störungen (1). Eine aktuelle Publi- kation zeigt, dass die Untersuchung von Augenbewe- gungen bei der Diagnose akuter vestibulärer Syndro- me und der Differenzierung zwischen peripheren und zentralen Läsionen sensitiver ist als die Magnetreso- nanztomographie (MRT) (inklusive diffusionsgewich- teter Sequenzen) (2). Die Diagnose einer akuten zen- tralen Störung erfordert eine rasche Klinikeinwei- sung, da diese zum Beispiel durch eine Hirnstamm - ischämie bedingt sein kann.

Die Untersuchung von Patienten mit Augenbewe- gungsstörungen stellt für viele Kliniker eine besondere Herausforderung dar. Dafür gibt es drei Gründe:

die Anatomie und Physiologie der beteiligten oku- lomotorischen, vestibulären und cerebellären Sys- teme sind komplex

die neurologische und neuro-ophthalmologische Untersuchung bedarf eines systematischen Vorge- hens und „versierten diagnostischen Blicks“

die Interpretation erfordert eine Bewertung der Schnittmenge aller Untersuchungsbefunde.

Aufgrund der klinischen Relevanz dieses Themas für verschiedene Fachrichtungen (im Besonderen Neu- rologie, HNO, Augenheilkunde, Innere Medizin, Pädia- trie) erscheint eine Zusammenfassung des aktuellen Kenntnisstands sinnvoll.

In dieser Übersicht werden zunächst der Unter - suchungsgang und die verschiedenen Augenbewe- gungsstörungen mit ihrer topografisch-anatomischen

Neurologische Klinik und Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum für Schwindel, Gleichgewichts- und Augenbewegungsstörungen (IFBLMU), Institut für Klinische Neurowissenschaften, Ludwig-Maximilians-Universität, München: Prof. Dr. med. Strupp, Dr. med. Hüfner, Dr. med. Sandmann, Dr. med. Zwergal, Prof. Dr. med. Dieterich, PD Dr. med. Jahn, Prof. Dr. med. Dr. h. c. Brandt, FRCP

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Bedeutung dargestellt. Der zweite Teil befasst sich mit den häufigsten Nystagmusformen. Dabei kommt es bewusst zu Wiederholungen und zwar aufgrund unterschiedlicher Betrachtungsweisen: vom klini- schen Symptom zur funktionellen Anatomie und vice versa.

Klinische Bedeutung

Störungen der Augenbewegungen oder ein Nystagmus – periodische, meist unwillkürliche Augenbewegungen – sind insbesondere bei Patienten mit Läsionen im Bereich des Hirnstamms (hier häufig zusätzliche Hirnstamm- symptome) oder Kleinhirns von topodiagnostischer Be- deutung. Dies gilt auch für Patienten mit Dreh- oder Schwankschwindel, verursacht zum Beispiel durch einen akuten einseitigen Labyrinthausfall, einen Hirnstammin- farkt oder Kleinhirnerkrankungen. Bei einem systemati- schen Vorgehen ist in den meisten Fällen – auch ohne ap- parative Zusatzuntersuchungen – eine korrekte topogra- fisch-anatomische Diagnose möglich, da wir über ge- naue anatomische und neurophysiologische Kenntnisse verfügen (3–6) und sich relevante Funktionsstörungen bei der körperlichen Untersuchung erkennen lassen.

Vor dem Blick auf krankhafte Augenbewegungen, zunächst eine Auflistung der sechs physiologischen Formen:

Blickfolge, Auge folgt bewegtem Blickziel

Sakkaden, das heißt rasche Blicksprünge von ei- nem Fixationspunkt zum anderen

Fixation

Vergenzbewegungen, das heißt Bewegungen, bei denen sich die Augen nicht parallel, sondern rela- tiv zueinander bewegen

vestibulo-okulärer Reflex (VOR, Signal zur Aus- lösung der Augenbewegungen kommt aus den La- byrinthen) und

optokinetischer Reflex (besteht aus langsamen Blickfolgen und Sakkaden).

Diese Augenbewegungen dienen alle dazu, das Blickziel auf der Macula stabil zu halten und so Schein- bewegungen und Unscharfsehen zu vermeiden.

Anamnese und klinische Untersuchung Patienten mit Augenbewegungsstörungen geben in Ab- hängigkeit von der Ursache die folgenden Beschwer- den isoliert oder in Kombination an:

Verschwommensehen

Doppelbilder

laufende Bilder, sogenannte Oszillopsien

Schwankschwindel

Drehschwindel

Fallneigung und/oder

Symptome von Seiten des Hirnstamms (zum Bei- spiel Schluck- oder Sprechstörungen), des Klein- hirns (zum Beispiel Koordinationsstörungen der Extremitäten) oder des Innenohrs (zum Beispiel Hörminderung oder Tinnitus).

Im Folgenden werden die wichtigsten Aspekte der klinischen Untersuchung (Tabelle 1) dargestellt.

Bei der Inspektion des Patienten ist auf die Stellung der Augen sowohl beim Geradeausblick als auch beim einseitigen und alternierenden Abdecktest zu achten, das heißt Parallelstellung oder horizontale/vertikale Fehlstellung, mit der Frage nach einem latenten Schie- len (Phorie) oder manifesten Schielen (Tropie).

Danach sollte man die Augenstellung in den acht Hauptblickrichtungen mit der Frage nach Positionsde- TABELLE 1

Untersuchungsgang Okulomotorik und vestibuläres System Art der Untersuchung

Inspektion

– Körper- und Kopfhaltung – Stellung der Augenlider Augenposition/-motilität – Stellung der Augen beim

Geradeausblick – Abdeck(Cover)-Test

– Untersuchung der Augen in den acht Endpositionen (bin- und monokulär), d.h. rechts, links, oben, unten und in den vier Diagonalen

Blickhaltefunktion – Blick nach etwa

10bis 40 horizontal bzw.

10 bis 20 vertikal und zurück nach 0 langsame Blickfolge – horizontal und vertikal Sakkaden

– horizontal und vertikal beim Umherblicken und bei gezielter Aufforderung

optokinetischer Nystagmus (OKN) – horizontal und vertikal

mit OKN-Trommel oder Streifenband

periphere vestibuläre Funktion – klinische Testung des vestibulo-

okulären Reflexes (VOR) rasche Kopf drehung und Fixation eines stationären Punktes visuelle Fixationssuppression des VOR – Fixation eines Blickziels während der

Drehung des Kopfes und des Blickziels jeweils mit derselben Winkelgeschwin- digkeit

Untersuchung unter der Frenzelbrille – Blick geradeaus, nach rechts,

links, unten und oben – Kopfschütteltest – Lagerungsmannöver

Frage nach

Kopfverkippung Ptose

primärer Fehlstellung, Spontan-, Fixationsnystagmus

horizontaler oder vertikaler Fehlstellung, latentem Nystagmus

Bestimmung des Bewegungsausmaßes Frage nach Endstellnystagmus

Blickrichtungsnystagmus horizontal und vertikal

Rebound-Nystagmus

sakkadiert

Latenz, Geschwindigkeit, Zielgenauigkeit und nicht konjugierten Bewegungen

Auslösbarkeit, Schlagrichtung und Phase (Umkehrung?)

ein- oder beidseitiger peripherer vestibulärer Läsion

fehlender Unterdrückung des VOR;

dies ist Zeichen einer zentralen, meist cerebellären Störung

Spontannystagmus

(wird typischerweise durch Fixation unterdrückt)

Kopfschüttelnystagmus

Lagerungsschwindel beim benignen peri- pheren paroxymalen Lagerungsschwindel (BBPV)

Lagenystagmus (selten, meist zentral)

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Abbildung 1: Klinische Untersuchung der Augenposition und Augenbewegungen mit der Stablampe. Diese hat den Vorteil, dass man die Hornhautreflexbilder beobachten und so Augenfehlstellungen erkennen kann. Dabei ist es wichtig, dass der Untersucher die Horn- hautreflexbilder aus der Beleuchtungsrichtung betrachtet und man den Patienten dazu an- hält, das Blickziel aufmerksam zu fixieren. Ein allseitiger Blickrichtungsnystagmus ist meist bedingt durch Medikamente (zum Beispiel Antiepileptika, Benzodiazepine) oder Into- xikationen (zum Beispiel Alkohol). Ein Downbeat-Nystagmus nimmt im Seitblick sowie beim Blick nach unten zu.

Abbildung 2: Klinische Untersuchung der Sakkaden. Zunächst sollte man spontane Sakkaden, die durch visuelle oder akustische Reize ausgelöst werden, beobachten.

Anschließend wird der Patient gebeten, zwischen zwei horizontalen beziehungsweise zwei vertikalen Blickzielen hin und her zu blicken. Man achtet auf die Geschwin- digkeit und die Zielgenauigkeit der Sakkaden sowie darauf, ob diese konjugiert sind. Bei Gesunden wird das Blickziel unmittelbar oder mit einer Korrektur-Sakkade er- reicht. Allseits verlangsamte Sakkaden, die meist mit hypometrischen Sakkaden einhergehen, kommen zum Beispiel bei neurodegenerativen Erkrankungen vor.

Verlangsamte horizontale Sakkaden beobachtet man meist bei pontinen Hirnstammläsionen, verlangsamte vertikale Sakkaden bei Mittelhirnläsionen. Hypermetrische Sakkaden, die an einer Korrektursakkade zurück zum Blickziel zu erkennen sind, findet man bei cerebellären Läsionen. Für die Internukleäre Ophthalmoplegie ist eine Verlangsamung der adduzierenden Sakkade ipsilateral zur Schädigung des medialen Längsbündels pathognomonisch.

Abbildung 3: Klinische Untersuchung mittels Frenzel-Brille. Die von innen beleuchteten und vergrößernden Linsen (+16 dpt.) verhindern zum einen die visuelle Fixation, die zum Beispiel einen peripheren vestibulären Spontannystagmus unterdrücken kann, und er- leichtern zum anderen die Beobachtung der Augenbewegungen des Patienten. Bei der Un- tersuchung mittels Frenzel-Brille sollte man auf einen möglichen Spontannystagmus, Blickrichtungsnystagmus, Kopfschüttelnystagmus (dazu bittet man den Patienten, seinen Kopf 20-mal schnell nach rechts und links zu drehen, anschließend Beobachtung der Au- genbewegungen), Lagerungs- oder Lagenystagmus sowie hyperventilationsinduzierten Nystagmus achten. Der Spontannystagmus zeigt eine Tonusimbalance des vestibulo-oku- lären Reflexes an; beruht dieser auf einer peripheren vestibulären Läsion – wie zum Bei- spiel bei der Neuritis vestibularis – ist der Nystagmus typischerweise durch visuelle Fixati- on unterdrückbar. Der Kopfschüttelnystagmus zeigt eine latente Asymmetrie des soge- nannten „Velocity storage“ an; diese kann sowohl auf peripheren als auch auf zentralen vestibulären Funktionsstörungen beruhen.

a b

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fiziten eines (zum Beispiel bei Augenmuskelparesen) oder beider Augen (zum Beispiel bei supranukleärer Blickparese) untersuchen; dabei kann man gleichzeitig einen sogenannten Blickhaltedefekt in Form eines Blickrichtungsnystagmus (die schnelle Phase des Nys- tagmus schlägt in Richtung der Blickrichtung) erken- nen (Abbildung 1). Ein weit verbreitetes klinisches Pro- blem stellt die Untersuchung auf einen sogenannten Endstellnystagmus dar. Ein Endstellnystagmus ist pa- thologisch, wenn er mehr als 20 Sekunden anhält (uner- schöpflicher Endstellnystagmus), deutlich asymme- trisch ist und/oder mit anderen Okulomotorikstörungen einhergeht.

Bei den langsamen Augenfolgebewegungen prüft man, ob diese glatt oder sakkadiert sind; letzteres spricht für zentrale Okulomotorikstörung. Eine vertikal nach unten leicht sakkadierte Blickfolge findet sich häufig auch bei Gesunden. Die physiologische visuelle Fixationssuppression des VOR ist ebenfalls ein wichti- ger Test für das Blickfolgesystem und bei zentralen Lä- sionen im Bereich des Kleinhirns beeinträchtigt. Zur Prüfung der visuellen Fixationssuppression des VOR fixiert der Patient ein Blickziel, das sich mit derselben Winkelgeschwindigkeit wie der Kopf bewegt.

Bei den Sakkaden ist auf deren Geschwindigkeit und Zielgenauigkeit zu achten (Abbildung 2) und da- rauf, ob sich beide Augen parallel bewegen (siehe dazu internukleäre Opthalmoplogie). Hypermetische Sakka- den finden sich bei cerebellären Störungen, hypometri- sche meist bei Hirnstammläsionen und neuro-degene- rativen Erkrankungen. Bei der progressiven supranu-

kleären Blickparese (PSP) – einer wichtigen Differen- zialdiagnose zum idiopathischen Parkinson-Syndrom – findet sich meistens zunächst eine Verlangsamung der vertikalen Sakkaden, dann im Verlauf der Erkran- kung auch der horizontalen Sakkaden und schließlich eine allseitige Blickparese. Diese Einschränkung der Augenbewegungen lässt sich durch den VOR (Testung mittels Halmagyi-Kopfimpulstest [1]) überwinden, weil dieser nicht über die supranukleären Blickzentren verläuft.

Schließlich lassen sich mit der Optokinetiktrommel durch Auslösung des optokinetischen Nystagmus (OKN) sowohl die langsamen als auch schnellen Au- genbewegungen untersuchen. Dies stellt eine hilfreiche Untersuchungsmethode insbesondere bei Patienten mit Vigilanzminderung, unzureichender Mitarbeit und bei Kindern dar. Ein horizontal und vertikal intakter OKN spricht für eine intakte Hirnstammfunktion.

Klinische Untersuchung bei Nystagmus Die Bezeichnung Nystagmus kommt aus dem Grie- chischen: „nystázein“, was „in den Schlaf nicken“ be- deutet. Darunter versteht man rhythmische, in der Re- gel unwillkürliche Augenbewegungen, die meist aus ei- ner langsamen (ursächlichen pathologischen) Augen- drift und einer schnellen Rückstellbewegung bestehen (3–6). Die Nystagmusrichtung wird nach der schnellen Phase angegeben, da sich diese besser erkennen lässt.

Die meisten der Nystagmusformen kann sich der Leser als Videosequenzen unter (www.Schwindelambulanz- Muenchen.de) ansehen.

GRAFIK 1

Darstellung der supranukleären Zentren für die Steuerung von Augenbewegungen. Diese erlauben eine genaue topografische Zuordnung: Lä- sionen im Bereich des interstitiellen Nucleus Cajal (INC) führen zu einem vertikalen Blickhaltedefekt, Läsionen im Bereich des rostralen inter- stitiellen Nucleus des medialen Längsbündels (riLMF) zu Beeinträchtigungen vertikaler Sakkaden, Läsionen der paramedianen pontinen For- matio reticularis (PPRF) bedingen Störungen der horizontalen Sakkaden, Läsionen des Nucleus präpositus hypoglossi (NPH) sind durch einen horizontalen Blickhaltedefekt gekennzeichnet (modifiziert nach [5, 6]).

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Patienten mit Verdacht auf Nystagmus sollten wie folgt untersucht werden:

In der sogenannten Primärstellung, das heißt beim Blick geradeaus, mit der Frage nach einem Fixations- oder Spontannystagmus. Ein Fixati- onsnystagmus wird durch Fixation nicht wesent- lich unterdrückt, nimmt dabei häufig sogar zu und beruht auf einer zentralen Störung, meist im Hirnstamm/Kleinhirn (eKasuistik). Der horizon- tal-torsionelle Spontannystagmus bei peripheren vestibulären Störungen wird durch Fixation un- terdrückt; die Unterdrückung setzt eine intakte Funktion von Hirnstamm und Kleinhirn voraus.

Ein rein horizontaler, rein vertikaler oder rein tor- sioneller Nystagmus hat meist eine zentrale Ursa- che.

Frenzel-Brillen reduzieren die visuelle Fixations- suppression, so dass ein Spontannystagmus sicht- bar wird. Alle Patienten sollten deshalb mit der Frenzel-Brille (Abbildung 3) oder dem Ophthal- moskop untersucht werden. Die typische Schlag- richtung eines peripheren vestibulären Spontan- nystagmus ist zum Beispiel bei der akuten Neuri- tis vestibularis horizontal-rotierend zur nicht be- troffenen Seite.

Im Seit-, Auf- und Abblick mit der Frage nach ei- nem Blickrichtungsnystagmus oder einer Verstär- kung/Abnahme der Intensität eines Fixations- oder Spontannystagmus (Abbildung 1). Typi- scherweise kommt es zur Zunahme beim Blick in die Richtung der schnellen Phase des Nystagmus.

In Seitlagerung des Patienten mit der Frage nach einem peripheren Lagerungsnystagmus (wie bei der häufigsten Schwindelform, dem benignen pe- ripheren paroxysmalen Lagerungsschwindel [BPPV]) oder einem seltenen zentralen Lage- oder Lagerungsnystagmus. Ein Lagerungsnystag- mus tritt während oder kurz nach der Lageände- rung auf; ein (zentraler) Lagenystagmus hält nach der Lageänderung länger an. Wie lässt sich der häufige BPPV von dem seltenen zentralen Lage- rungs- oder Lagenystagmus unterscheiden? Beim BPPV entspricht die Richtung des Nystagmus der Ebene des durch die frei im Bogengang bewegli- chen Otokonien erregten oder gehemmten, meist posterioren Bogengangs. Beim zentralen Lage- rungs- oder Lagenystagmus lässt sich in unter- schiedlichen Kopfpositionen ein jeweils sehr ähnlicher Nystagmus auslösen.

Schließlich mit dem Kopfschütteltest: Hierbei soll der Patient den Kopf etwa zwanzigmal mit geschlossenen Augen schnell hin und her drehen.

Anschließend werden die Augenbewegungen un- ter der Frenzel-Brille beobachtet. Bei einer einsei- tigen peripheren vestibulären Funktionsstörung kommt es zu einem horizontal-torsionellen Kopf- schüttelnystagmus zur Seite des nicht betroffenen Labyrinths. Bei zentralen Störungen kann hori- zontales Kopfschütteln einen vertikalen Nystag- mus auslösen (das sogenannte cross-coupling).

Augenbewegungsstörungen

Topografisch-anatomisch lassen sich Augenbewegungs- störungen wie folgt einteilen:

Periphere Formen betreffen die sechs äußeren und/oder zwei inneren Augenmuskeln oder den Nervus oculomotorius, trochlearis oder abducens.

Patienten mit peripheren Augenbewegungsstörun- gen klagen meist über Doppelbilder, die sich in Zugrichtung des paretischen Muskels/Nervs ver- stärken. Periphere Augenbewegungsstörungen be- treffen in der Regel nur ein Auge (wichtige Aus- nahmen: Myasthenia gravis, chronisch progressi- ve externe Ophthalmoplegie).

Zentrale Formen betreffen in der Regel beide Au- gen. Diese sind Ausdruck von Funktionsstörun- gen von Hirnstamm (Grafik 1), Kleinhirn oder (selten) anderen übergeordneten Zentren. Patienten mit zentralen Augenbewegungsstörungen können TABELLE 2

a) anatomische Zuordnung von Störungen der Okulomotorik und Nystagmus

b) funktionelle Anatomie des Cerebellum im Bezug auf Okulomotorikstörungen und Nystagmus

klinischer Befund: Okulomotorik - störungen und Nystagmus isolierte vertikale Sakkadenparese

isolierte horizontale Sakkadenparese isolierte einseitige horizontale Sakkadenparese

hypermetrische Sakkaden

isolierter vertikaler Blickrichtungsnystag- mus, d.h. nach oben und unten

isolierter Blickrichtungsnystagmus nach rechts und links

internukleäre Ophthalmoplegie

Downbeat-Nystagmus

Upbeat-Nystagmus

Konvergenzretraktionsnystagmus

Ort der Schädigung Flocculus/Paraflocculus

Nodulus/Uvula

Vermis/Nucleus fastigii

wahrscheinlicher Ort der Schädigung im Hirnstamm und Kleinhirn Mesencephalon (rostraler interstitieller Nucleus des medialen longitudinalen Fasciculus, riMLF)

Pons (paramediane pontine Formatio reticularis, PPRF)

Läsion ipsilateral zur PPRF

Cerebellum

Mesencephalon (interstitieller Nucleus Cajal, INC, d. h. des neuronalen Integra- tors vertikaler [und torsioneller] Augenbe- wegungen)

ponto-medullär/cerebellär (Nucleus präpositus hypoglossi, Vestibulariskerne, Vestibulocerebellum, d. h. des neuronalen Integrators horizontaler Augenbewegungen) MLF-Läsion ipsilateral zur Seite der Adduktionshemmung

meist Cerebellum mit beidseitiger Störung des Flocculus

Medulla oblongata oder Mesencephalon Mesencephalon (Commissura posterior)

typische Befunde sakkadierte Blickfolge,

Downbeat-Nystagmus, Rebound-Nystag- mus, Störung der visuellen Fixation des vestibulo-okulären Reflexes

zentraler Lagenystagmus, periodisch alternierender Nystagmus hyper- oder hypometrische Sakkaden

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über unscharfes oder verschwommenes Sehen berichten. Wenn die Augenbewegungsstörung wie bei der progressiven supranukleären Blickpa- rese langsam progredient sind, bleiben sie unter Umständen lange unbemerkt. Meist hängt das Ausmaß der subjektiven Beeinträchtigungen auch davon ab, wie akut sich die Störungen ent- wickeln.

Zentrale Augenbewegungsstörungen lassen sich ein- teilen in:

Faszikuläre Läsionen, das heißt Schädigungen des (kurzen) Anteils der einzelnen Augenmuskelner- ven innerhalb des Hirnstamms. Diese sind sehr selten, sehen auf den ersten Blick wie einseitige periphere Läsionen aus, gehen aber mit zentralen Okulomotorikstörungen einher.

Nukleäre Läsionen, das heißt Schädigungen des Nucleus oculomotorius (aufgrund der anatomi- schen Nähe praktisch immer beide Kerngebiete betroffen), trochlearis oder abducens

Supranukleäre Läsionen durch Schädigung okulo- motorischer Bahnsysteme oder supranukleärer Kerngebiete (Tabelle 2a). Supranukleäre Okulo- motorikstörungen beeinträchtigen in der Regel die Bewegung beider Augen, zum Beispiel in Form einer Blickparese, Sakkadenverlangsamung, sak- kadierten Blickfolge oder eines Blickhaltedefekts, weil die den Hirnnervenkernen übergeordneten Strukturen betroffen sind. Häufig sind diese Au- genbewegungsstörungen mit anderen neurologi- schen Defiziten assoziiert, so dass die „Schnitt- menge“ der neurologischen Befunde sowohl eine Einordnung der Höhe der Läsion im Bereich des Hirnstamms als auch der Seite erlaubt.

Zerebelläre Störungen führen zu einer Beeinträch- tigung der Blickfolgebewegungen, Blickhalte- funktion und/oder Sakkaden (Tabelle 2b).

Topografische Anatomie

Für die Auslösung und Steuerung von Augenbewegun- gen sind nur wenige Zentren im Hirnstamm von Bedeu- tung, denen man eine genaue Funktion zuordnen kann (Grafik 1, Tabelle 2a). Dies macht die pathologische Anatomie überschaubar. Zunächst gilt folgende einfa- che klinische Regel: horizontale Augenbewegungen werden im Pons generiert und gesteuert, vertikale (und torsionelle) im Mesencephalon.

Mesencephale Zentren: Das Zentrum für vertikale Sakkaden ist der rostrale interstitielle Nucleus des medialen longitudinalen Fasciculus (riMLF), das Zentrum für die vertikale Blickhaltefunktion ist der interstitielle Nucleus Cajal (INC). Klinisch bedeutet dies, dass eine isolierte vertikale Sakka- denparese oder ein isolierter vertikaler Blickrich- tungsnystagmus für eine mesencephale Läsion sprechen.

Pontine und pontomedulläre Zentren: Das Zen- trum für horizontale Sakkaden ist die paramedia- ne pontine Formatio reticularis (PPRF), für die horizontale Blickhaltefunktion der Nucleus prae - positus hypoglossi zusammen mit den Vestibula- riskernen und dem Vestibulocerebellum; diese bilden den „neuronalen Integrator“. Klinisch be- deutet dies: Eine isolierte horizontale Sakkaden- parese spricht für eine pontine Läsion, wobei eine einseitige PPRF-Läsion eine Sakkadenstörung zur Seite der Läsion zur Folge hat; ein rein hori- zontaler Blickrichtungsnystagmus beruht auf ei- ner pontinen Läsion.

Zerebelläre Zentren: Zerebelläre Läsionen gehen oft mit klinisch gut erkennbaren Augenbewegungs- störungen einher. Zum Beispiel sind Schädigungen von Flocculus/Paraflocculus gekennzeichnet durch eine sakkadierte Blickfolge, Downbeat-Nystagmus und Störung der visuellen Fixationssuppression des VOR (Tabelle 2b). Paraneoplastische Erkran- kungen des Cerebellum führen neben den oben ge- nannten Augenbewegungsstörungen oft zu einem Opsoclonus. Hierunter versteht man rasche, irre- guläre Sakkaden in alle Richtungen.

GRAFIK 2

Darstellung der Schädigung des medialen longitudinalen Fasciculus (MLF) mit der Folge einer Störung der VI-zu-III-Projektion (zwischen Nucleus abducens und oculomotorius über Abducens-Interneurone) (Bahn in rot dargestellt) als Ursache der internukleären Ophthalmo- plegie (INO). Dadurch kommt es zu einer fehlenden/gestörten Sig- nalübertragung zum Okulomotoriuskerngebiet, die eine Adduktions- hemmung (diese und nicht der dissoziierte Nystagmus ist pathogno- monisch für die INO) zur Folge hat. Die Seite der Adduktionshem- mung entspricht der Seite der INO und der Schädigung des MLF.

Die direkte Projektion vom Nucleus abducens über Motoneurone zum M. rectus lateralis ist nicht beeinträchtigt.

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Internukleäre Ophthalmoplegie

Die internukleäre Ophthalmoplegie (INO) beruht auf einer Läsion der internukleären Bahn zwischen dem Abducens-Kerngebiet und Oculomotorius-Kerngebiet.

Die von den Interneuronen des Abducenskerns ausge- henden Bahnen kreuzen auf gleicher Höhe, ziehen dann im medialen longitudinalen Fasciculus (MLF) nach rostral und innervieren die Motoneurone des Rectus medialis im Nucleus oculomotorius (Grafik 2).

Klinisch ist die internukleäre Ophthalmoplegie durch eine Störung des konjugierten Seitblicks mit Addukti- onshemmung des Auges auf der Seite der MLF-Läsion gekennzeichnet. Dies ist das pathognomonische Zeichen.

Zusätzlich findet sich ein dissoziierter Nystagmus. Be- weisend für eine internukleäre Ophthalmoplegie ist die Überwindung der Adduktionsparese durch die Nahein- stellungskonvergenz, da diese nicht über den medialen longitudinalen Fasciculus verschaltet ist. Bei einer schwach ausgeprägten INO kommt es lediglich zu ei- ner Verlangsamung der Adduktionssakkade. Die Un- tersuchung der Sakkaden ist deshalb der sensitivste klinische Test. Bezüglich der Ätiologie gilt die einfa- che Regel: INO bei einem Patienten unter 60 Jahre spricht für eine Multiple Sklerose, darüber für eine vaskuläre Läsion.

Wallenberg-Syndrom

Ursache des Wallenberg-Syndroms ist ein Infarkt im Bereich der dorsolateralen Medulla oblongata. Typi- sche vestibuläre und okulomotorische Störungen sind:

„Ocular Tilt Reaction“: Diese ist gekennzeich- net durch eine Auslenkung der subjektiven vi- suellen Vertikalen (SVV), Augenverrollung, vertikale Fehlstellung (skew deviation oder ver- tikale Divergenz), dass heißt ein Auge steht tie- fer als das andere, und/oder eine Kopfneigung, und zwar jeweils zur betroffenen Seite. Die Be- stimmung der SVV ist ein empfindlicher Test für akute Störungen des peripheren oder zentra- len vestibulären Systems und lässt sich mit dem sogenannten Eimertest einfach durchführen (7).

Nystagmus zur nicht betroffenen Seite

hypermetrische Sakkaden zur Seite der Läsion, hypometrische zur nicht betroffenen Seite

horizontaler Blickrichtungsnystagmus. Ferner findet man oft ein zentrales Horner-Syndrom (Ptosis, Miosis und Enophthalmus) auf der be- troffenen Seite.

Zentrale Nystagmusformen

Abschließend sollen die beiden häufigsten Nystag- musformen und deren aktuelle Therapie beschrieben werden: der Downbeat- und der Upbeat-Nystagmus sowie dessen Behandlung mit Aminopyridinen. Es handelt sich dabei jeweils um Fixationsnystagmen, die anders als der periphere vestibuläre Spontannys- tagmus durch visuelle Fixation nicht oder kaum un- terdrückt, teilweise sogar verstärkt werden und zu unscharfem Sehen und Oszillopsien führen.

Downbeat-Nystagmus (DBN)

Der DBN ist die häufigste Form eines persistierenden Nystagmus. Es handelt sich um einen Fixationsnystag- mus, der in Primärposition nach unten schlägt und sich meist bei Seitwärts- und Abblick sowie in Bauchlage verstärkt. Der Nystagmus manifestiert sich bei 80 Pro- zent der Patienten mit einer Stand- und Gangunsicher- heit und bei 40 Prozent mit vertikalen Oszillopsien (8).

Der DBN beruht meist auf einer beidseitigen Schädi- gung des zerebellären Flocculus (3). Ursachen sind de- generative Kleinhirnerkrankungen, cerebelläre Ischä- mie oder Arnold-Chiari-Malformation, in Einzelfällen paramediane Läsionen in der Medulla oblongata (8, 9).

Durch die Störung des Flocculus kommt es zu einer verminderten Freisetzung von Gamma-Aminobutter- säure (GABA) und damit zu einer Disinhibition vestibulä- rer Kerngebiete. Auf der Basis dieses Pathomechanis- mus wurden die Effekte von Aminopyridinen in einer prospektiven randomisierten Placebo-kontrollierten Studie untersucht, die eine signifikante Verbesserung zeigte (10); die Ergebnisse wurden von anderen Grup- pen bestätigt (11, 12). Der stärkste Effekt zeigte sich bei Patienten mit cerebellärer Atrophie (13). Die aktu- elle Therapieempfehlung lautet 4-Aminopyridin 2 × 5 bis 2 × 10 mg/d (individueller Heilversuch); vor und ei- ne Stunde nach der ersten Einnahme ist eine EKG-Kon- trolle notwendig (die QTc-Zeit darf nicht verlängert sein). Da das Medikament nur einen symptomatischen Effekt hat, ist eine kontinuierliche Behandlung notwen-

KERNAUSSAGEN

Die klinische Untersuchung der verschiedenen Augenbewegungen (Blickfolge, schnelle Blicksprünge, Blickhaltefunktion) und Nystagmus (zum Beispiel Spon- tan- oder Fixationsnystagmus) erlaubt in den meisten Fällen eine topografisch- anatomische Diagnose im Hirnstamm und Kleinhirn sowie eine Differenzierung zwischen peripheren und zentralen okulomotorischen und vestibulären Läsio- nen.

Die Diagnose peripherer vestibulärer Störungen ist eine Ausschlussdiagnose, die nur gestellt werden darf, wenn sich keine zentralen Augenbewegungsstö- rungen finden. Bei peripheren ophthalmologischen Störungen wie einer Au- genmuskel- oder Augenmuskelnervlähmung ist in der Regel nur ein Auge be- troffen und man findet ebenfalls keine zentralen Augenbewegungsstörungen.

Isolierte Störungen vertikaler Augenbewegungen (zum Beispiel vertikale Blick- parese, vertikal sakkadierte Blickfolge, vertikaler Blickrichtungsnystagmus) sprechen für eine Läsion im Bereich des Mittelhirns; isolierte Störungen hori- zontaler Augenbewegungen sprechen für eine Läsion im Bereich des Pons.

Störungen im Bereich des Kleinhirns können zu einer Vielzahl von Augenbe- wegungsstörungen führen wie sakkadierter Blickfolge, Blickrichtungsnystag- mus, Störung der visuellen Fixationssuppression des vestibulo-okulären Refle- xes oder Downbeat-Nystagmus.

Der Downbeat-Nystagmus ist die häufigste Form eines persistierenden Nys- tagmus; Ursache ist meist eine beidseitige Störung im Bereich des Flocculus.

Therapie der Wahl ist die Gabe von 4-Aminopyridin.

(8)

dig. Als Wirkmechanismus wird eine Erhöhung der Ru- heaktivität und Erregbarkeit der Purkinje-Zellen ange- nommen, was In-vitro-Experimente bestätigten (14).

Aktuelle tierexperimentelle Arbeiten zeigen, dass durch Aminopyridine die irreguläre Spontanaktivität von Pur- kinje-Zellen synchronisiert wird (15). Dadurch soll sich über eine erhöhte Freisetzung von GABA der inhibito- rische Einfluss von Purkinje-Zellen auf vestibuläre/ze- rebelläre Kerngebiete verstärken.

Upbeat-Nystagmus (UBN)

Der UBN ist seltener als der DBN und ebenfalls ein Fi- xationsnystagmus. In Primärposition schlägt der UBN nach oben. Die Oszillopsien sind beim UBN häufig sehr störend; die Symptomatik ist in der Regel aber nur vorübergehend. Es finden sich meist paramediane Lä- sionen in Medulla oblongata oder im Mesencephalon, zum Beispiel bei Multipler Sklerose, Hirnstammischä- mie oder -tumor oder Wernicke-Enzephalopathie (4). In Anwendungsbeoachtungen konnte ein positiver Effekt von Baclofen (15–30 mg/d) (16) und 4-Aminopyridin (5–10mg/d) gefunden werden (17).

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 10. 8. 2009, revidierte Fassung angenommen: 13. 1. 2010

LITERATUR

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3. Leigh RJ, Zee D: The neurology of eye movements (4th ed.). Oxford, New York: Oxford University Press 2006.

4. Brandt T, Dieterich M, Strupp M: Vertigo – Leitsymptom Schwindel.

Darmstadt: Steinkopff, 2. Auflage, 2011.

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16. Dieterich M, Straube A, Brandt T, Paulus W, Buttner U: The effects of baclofen and cholinergic drugs on upbeat and downbeat nystag- mus. J Neurol Neurosurg Psychiatry 1991; 54: 627–32.

17. Glasauer S, Kalla R, Buttner U, Strupp M, Brandt T: 4-aminopyridine restores visual ocular motor function in upbeat nystagmus. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2005; 76: 451–3.

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Michael Strupp

Neurologische Klinik der Universität München und IFBLMU Klinikum der Universität, Campus Großhadern Marchioninistraße 15

81377 München

E-mail: Michael.Strupp@med.uni-muenchen.de

SUMMARY

Central Oculomotor Disturbances and Nystagmus: A Window Into the Brainstem and Cerebellum

Background: Oculomotor disturbances and nystagmus are seen in many diseases of the nervous system, the vestibular apparatus, and the eyes, as well as in toxic and metabolic disorders. They often indicate a specific underlying cause. The key to diagnosis is systematic clinical examination of the patient’s eye movements. This review deals mainly with central oculomotor disturbances, i.e., those involving smooth pursuit, saccades, gaze-holding, and central types of nystagmus.

Methods: We searched the current literature for relevant publications on the diagnosis and treatment of oculomotor disturbances and nystagmus, and discuss them selectively in this review along with the German Neu- rological Society’s guidelines on the topic.

Results: A detailed knowledge of the anatomy and physiology of eye movements usually enables the physician to localize the disturbance to a specific area in the brainstem or cerebellum. The examination of eye movements is an even more sensitive method than magnetic resonance imaging for the diagnosis of acute vestibular syndromes and for the differentiation of peripheral from central lesions. For example, isolated dysfunction of horizontal saccades is due to a pontine lesion, while isolated dysfunction of vertical saccades is due to a midbrain lesion.

Generalized gaze-evoked nystagmus (GEN) has multiple causes; purely vertical GEN is due to a midbrain lesion, while purely horizontal GEN is due to a pontomedullary lesion. Internuclear ophthalmoplegia involves a constellation of findings, the most prominent of which is impaired adduction to the side of the causative lesion in the ipsilateral medial longitudinal fasciculus. The most common pathological types of central nystagmus are downbeat and upbeat nystagmus (DBN, UBN). DBN is generally due to cerebellar dysfunction, e.g., because of a neurodegenerative disease.

Conclusion: This short review focuses on the clinical characteristics, pathophysiology and current treatment of oculomotor disorders and nystagmus.

Zitierweise

Strupp M, Hüfner K, Sandmann R, et al.: Central oculomotor disturbances and nystagmus: a window into the brainstem and cerebellum. Dtsch Arztebl Int 2011; 108(12): 197–204. DOI: 10.3238/arztebl.2011.0197

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The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de eKasuistik unter:

www.aerzteblatt.de/11m0197

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eKASUISTIK

Ein 65-jähriger Patient mit Diabetes mellitus und arterieller Hypertonie stellt sich notfallmäßig in der Praxis vor. Er berichtet über heftigen Drehschwin- del, der am Morgen desselben Tages plötzlich eingesetzt habe. Zusätzlich klagt er über unscharfes Sehen, laufende Bilder und eine Fallneigung nach rechts. Daneben bestehen Übelkeit und Brechreiz.

Differenzialdiagnostisch kommen bei dieser Anamnese zwei Ursachen in Frage: eine akute einseitige periphere vestibuläre Störung (Ausschlussdiag- nose) oder eine zentrale Läsion. Die klinische Untersuchung erlaubt in den meisten Fällen schon eine Differenzierung.

Bei der klinischen Untersuchung erkennen Sie beim Geradeausblick einen Nystagmus, der nach links schlägt und eine rotierende Komponente hat.

Die Intensität nimmt bei der Untersuchung mit der Frenzel-Brille, das heißt unter „Ausschaltung der Fixation“, nicht zu. Der Abdecktest zeigt, dass das rechte Auge unter dem linken steht (vertikale Divergenz). Zusätzlich hat der Patient einen Blickrichtungsnystagmus nach rechts, das heißt beim Blick entgegen der Richtung der schnellen Phase des Nystagmus. Die Blickfolge ist horizontal deutlich sakkadiert. Die visuelle Fixationssuppression des vestibulo-okulären Reflexes ist gestört.

Diese Okulomotorikstörungen (insbesondere der Fixationsnystagmus und die vertikale Divergenz) sprechen für eine zentrale Läsion im Bereich des Hirnstamms. Der niedergelassene Kollege weist deshalb den Patienten unter dem Verdacht auf einen Hirnstamminfarkt notfallmäßig in eine Klinik ein. In der Computertomographie ergeben sich keine Hinweise für eine Blutung, Doppler/Duplex und EKG sind unauffällig. Der Patient wird auf eine Stroke Unit aufgenommen und mit Aspirin sowie einem Lipidsenker behandelt. Eine diffusionsgewichtete Magnetresonanztomographie (MRT) des Schädels zeigt einen rechtsseitigen Infarkt im Übergangsbereich von Pons und Medulla oblongata im Eintrittbereich des Nervus vestibularis. Die klini- sche Verdachtsdiagnose einer zentralen Pseudoneuritis vestibularis rechts lässt sich mittels MRT bestätigen.

Zentrale Augenbewegungsstörungen und Nystagmus

Blick in Hirnstamm und Kleinhirn

Michael Strupp, Katharina Hüfner, Ruth Sandmann, Andreas Zwergal, Marianne Dieterich, Klaus Jahn, Thomas Brandt

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