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Archiv "Das Janusgesicht moderner Geburtshilfe: Erster Bericht vom Gynäkologenkongreß in München" (26.10.1978)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

31. Bayerischer Ärztetag

nischen Daten an Nichtärzte streng- ste Maßstäbe für die ärztliche Schweigepflicht anzulegen. Außer- dem wird die Kassenärztliche Selbstverwaltung gebeten, zu prü- fen, ob man für die Weitergabe von ärztlichen Diagnosen an die gesetz- liche Krankenversicherung eine Ver- schlüsselung finden kann, aus der nicht ohne weiteres die präzise Dia- gnose ablesbar ist."

Datenspeicherung und Schweigepflicht

Der Bayerische Ärztetag beauftragte die Landesärztekammer ferner zu prüfen, ob § 319 a RVO und die im Rahmen des Forschungsprogram- mes der Bundesregierung („450- Millionen-Ding") geforderten Maß- nahmen zur Erfassung, Speicherung und Auswertung medizinischer Da- ten verfassungsgemäß seien. Der Vorstand der bayerischen Landes- ärztekammer wurde beauftragt,

„aufgrund der Ergebnisse dieser Prüfung verwaltungsrechtliche Schritte, gegebenenfalls bis zur Kla- ge beim Bundesverfassungsgericht, einzuleiten und Empfehlungen den Kollegen zu geben, wie sie sich in dem vorliegenden Interessenkonflikt zwischen Schweigepflicht und ge- setzlichen Bestimmungen verhalten sollen."

Auch dem Vorsitzenden der CSU, Franz Josef Strauß, ist offensichtlich nicht wohl hinsichtlich der Daten- speicherung. In einem Grußwort an den Ärztetag erklärte er jedenfalls, man müsse sich „im Interesse des Schutzes des Patienten und des Ver- trauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient gegen die personenbe- zogene Speicherung von Intimdaten in zentralen Großdatenbanken we- gen der Gefahr des Mißbrauchs aus- sprechen."

Mit zwei Appellen wandte sich der Ärztetag ausdrücklich an die Öffent-

lichkeit. Einmal rief er erneut dazu auf, die gesetzlich eingeführten Früherkennungs- und Vorsorgeun- tersuchungen wahrzunehmen. Eine ähnliche Forderung hatte auch die Vertreterversammlung der Kassen- ärztlichen Vereinigung Bayern erhoben

Bitte um Organspenden

Zum anderen appellierte er an die Bevölkerung, sich freiwillig zur Spende von Organen, vor allem Nie- ren, bereitzuerklären. Dieser Appell ist im Zusammenhang mit dem von der Bundesregierung geplanten Transplantationsgesetz zu sehen.

Darauf ging auch Sewering vor dem Ärztetag ausführlich ein: „Dem Bür- ger soll dabei Gelegenheit gegeben werden, bei Ausstellung eines Per- sonalausweises oder seiner Verlän- gerung den ,Widerspruch' in den Personalausweis eintragen zu las- sen, wenn er nicht damit einverstan- den ist, daß aus seinem Leichnam ein Organ entnommen wird." Sewe- ring glaubt, daß eine Eintragung in den Ausweis schwersten Bedenken begegnen muß. Denn: „Wenn der Bürger gezwungen ist, vor der aus- stellenden Behörde eines Personal- ausweises zu bekennen, daß er ent- weder einverstanden ist oder nicht, dann kommt er damit unter eine un- erträgliche und meines Erachtens für unsere Gesellschaftsordnung unzumutbare Gewissenspression.

Denn er läuft Gefahr, daß er entwe- der dann der Gruppe der human Denkenden oder der Egoisten zuge- ordnet wird. Ich frage mich, wenn wir diesen Weg eröffnen, wo geht er weiter, und wo findet er sein Ende."

Auch der Bayerische Ärztetag lehnte eine solche Eintragung der persönli- chen Entscheidung des Bürgers in den Personalausweis ab.

Arztdichte 1:487

Eingehend beschäftigten sich die Teilnehmer des Ärztetages mit Nachwuchsproblemen. Bereits vor der Vertreterversammlung hatte Se- wering dazu eine Fülle von Statistik ausgebreitet. Daraus einige wenige kennzeichnende Zahlen: 1960 nah- men an der kassenärztlichen Versor- gung in Bayern 7470 Ärzte teil, 1977 bereits 10 847. Die Arztdichte erhöh- te sich in Bayern von Jahr zu Jahr.

Lag sie 1973 noch bei 1:546, so be- trug sie 1977 schon 1:487. Wohlver- standen, berufstätige Ärzte!

Beunruhigend ist allerdings auch in Bayern die ungünstige Entwicklung

des Verhältnisses Allgemeinärzte/

Fachärzte. Heute sind 53 Prozent der bayerischen Kassenärzte Fach- ärzte und nur mehr 47 Prozent Allge- meinärzte. Sewering bezeichnete dagegen ein Verhältnis von zumin- dest 50:50 als wünschenswert. Dem- entsprechend gelte es, die Allge- meinmedizin und die Niederlassung von Allgemeinärzten in freier Praxis verstärkt zu fördern, zumal das Durchschnittsalter der Allgemein- ärzte bei 53,9 Jahre liegt, das Durch- schnittsalter der Fachärzte jedoch bei 49,6 Jahre. Immerhin, in beiden Gruppen zeigt sich mittlerweile eine Verjüngung.

Dennoch, der Nettozugang in die freie Praxis ist nach wie vor bei den Fachärzten deutlich größer als bei den Allgemeinärzten. So gab es in Bayern bei 1352 Neuzulassungen in der Zeit vom 1. Juni 1977 bis 30. Juni 1978 843 Abgänge, mithin netto ein plus an Neuzulassungen von 469.

Die Zahl der Fachärzte nahm dabei um 443, die der Allgemeinärzte le- diglich um 26 zu.

Verständlich, wenn sich der Bayeri- sche Ärztetag daher um die Allge- meinmedizin besonders sorgte. In einer Entschließung wird der Vor- stand gebeten, „Vorschläge zu erar- beiten und mit den kompetenten In- stitutionen zu beraten, wie eine qua- lifizierte allgemeinärztliche Versor- gung auch in der Zukunft sicherge- stellt werden kann. Dazu gehört auch die finanzielle Absicherung der Allgemeinärzte, die junge Kollegen in ihren Praxen weiterbilden wollen.

Dazu gehört auch, daß im Hinblick auf die kommende Ärzteschwemme nur qualifiziert weitergebildete Ärzte in die Praxis gehen sollen."

Mehrfach angesprochen wurde auch die belegärztliche Versorgung.

Minister Pirkl war sehr an dem Nachweis gelegen, daß es damit in Bayern besser als in allen anderen Bundesländern bestellt ist. Der Ärz- tetag erkannte das auch an. Dieser Status müsse aber erhalten und ver- bessert werden, heißt es in einem einstimmig angenommenen Be- schluß. Dabei solle — so die erneute Empfehlung — ein kooperatives Be- legarztsystem angestrebt werden. NJ

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

2516 Heft 43 vom 26. Oktober 1978

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen

TAGUNGSBERICHT

Möglichkeiten und Grenzen moder- ner Intensivgeburtshilfe wollte Prof.

Dr. Josef Zander als Präsident der 42. Tagung der Deutschen Gesell- schaft für Gynäkologie und Geburts- hilfe in Referaten und Diskussionen gründlich ausgeleuchtet sehen. Das schloß eine Abwägung natu rwissen- schaftlich-apparativer, ökonomi- scher und menschlich-familien- orientierter Aspekte ein. Prof. Zan- der machte auf das in den letzten Jahren zu verfolgende deutliche und kontinuierliche Absinken der perina- talen Mortalität und der Säuglings- sterblichkeit aufmerksam: Von 1972 bis 1976 ist die perinatale Mortalität von 23,9 Promille auf 17,1 Promille gefallen. Damit liegt die Bundesre- publik zwar immer noch höher als andere vergleichbare Länder, die Di- stanz hat sich jedoch deutlich ver- ringert. Wenn man die wesentlich niedrigeren Zahlen einzelner Klini- ken mit hohem geburtshilflichem Ri- sikokrankengut betrachte, so zeige sich, wie Zander betonte, „daß die Ergebnisse in der Bundesrepublik durch rein ärztliche Maßnahmen noch wesentlich zu verbessern sind."

Der gelegentlich zu vernehmende Vorwurf, daß eine moderne Intensiv- geburtshilfe die Senkung der Morta- lität unter Umständen mit einer Er- höhung der Morbidität erkaufe, wur- de auf der Tagung ausführlich dis- kutiert. Der Pädiater Prof. Klaus Rie- gel wies aufgrund der Erfahrungen mit der Münchner Perinatalstudie

darauf hin, daß die Kinderärzte auf- grund moderner Geburtshilfe nicht nur einen merklichen Rückgang der Mortalität der ihnen zugewiesenen Neugeborenen registrieren könnten

— von rund 20 Prozent auf etwa 6 Prozent in fünf Jahren —, es zeichne sich auch ein außergewöhnlicher Rückgang bleibender Defekte unter den Neugeborenen ab. Die Zahl der Kinder, die maschinell beatmet wer- den müssen, ist nach seinen Beob- achtungen rückläufig, und auch die durchschnittliche Beatmungsdauer ist kürzer geworden. Die Frage in- dessen, ob die Neugeborenenmorbi- dität insgesamt abgenommen habe, sei deshalb nicht zu beantworten, weil es bisher keine verbindliche Umschreibung des Begriffes Neuge- borenenmorbidität und somit keine Vergleichsmöglichkeit gebe. Riegel sieht als wesentlichen Faktor die Überweisung von Risikoschwange- ren vor der Gebärt in ein Perinatal- zentrum an, was den entsprechen- den Ausbau eines neonatologischen Holdienstes voraussetze: „Der beste Transportinkubator ist immer noch der Uterus!"

Der Pädiater möchte die Primärbe- handlung gefährdeter Neugebore- ner noch weiter verbessert sehen.

Auf intrauterine Mangelentwicklun- gen — eventuell gehäuft durch die Tokolyse — sollte intensiver geachtet werden. Vor der 36. Woche gebore- ne Kinder gehörten umgehend in fachneonatologische Betreuung.

Andererseits könne ein Teil der an-

passungsgefährdeten Risikoneuge- borenen nach Stabilisierung ihres Zustandes wieder zu ihren Müttern zurückverlegt werden; davon sollte mehr Gebrauch gemacht werden.

Als kritikwürdig stellte Riegel die Handhabung des Pflegesatzes für Neugeborene heraus. In der ge- burtshilflichen Abteilung habe das Kind bei einem Tagessatz von 40 DM

„schlicht gesund zu sein", vermerk- te er. Sei es krank, so werde es in die Kinderklinik überwiesen, wo der Ta- gessatz bei 160 DM liegt. Diese „ar- chaische Regelung", so Riegel, sei absurd und fordere Kosten am fal- schen Platz: Sie zwinge zur — oft unnötigen — Kliniküberweisung oder verursache hohe Folgekosten, weil der richtige Behandlungstermin bei sogenannten Bagatellerkrankungen versäumt wurde.

Das problematische Kapitel der Ko- sten-Nutzen-Analyse der Intensivge- burtshilfe handelte Prof. Dr. Fred Kubli, Direktor der Universitätsfrau- enklinik Heidelberg, ab. Die Effizienz auf diesem Gebiet ergibt sich aus dem Vergleich von Qualität der Ge- burtshilfe — die sich in Zahlen von Mortalität und Morbidität spiegelt — und Quantität der eingesetzten Mit- tel. Entsprechende Studien gibt es hierzulande nur ansatzweise; es be- steht, wie Kubli vermerkte, in der Bundesrepublik ein „Defizit an intel- lektueller Auseinandersetzung mit den perinatalen Kosten-Nutzen-Pro- blemen".

Die perinatalen Mortalitätsziffern haben Deutschland im internationa- len Vergleich noch 1975 auf dem 14.

Platz und damit in schlechter Posi- tion gesehen. Die Situation hat sich verbessert, abzulesen an der im Jah- re 1977 auf 14,8 Promille gefalle- nen Mortalität. Kubli zog daraus den Schluß: „Die Geburtshilfe in Deutschland ist nicht schlecht, aber gegenüber vergleichbaren Ländern um drei, vier oder mehr Jahre retar- diert." Dem stehe ein vergleichswei- se hoher Aufwand an Ausgaben für das Gesundheitswesen insgesamt — der Anteil für Geburtshilfe ist nicht bekannt — von 6,8 Prozent eines ab- solut hohen Bruttosozialproduktes

Das Janusgesicht

moderner Geburtshilfe

Erster Bericht vom Gynäkologenkongreß in München

Auf der 42. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in München wurden medizinische, ökonomische und humane Aspekte der Intensivgeburtshilfe erörtert. In einem zweiten Bericht vom Münchner Gynäkologenkongreß soll auf die dort eben- falls eingehend behandelten familienorientierten Aspekte der Geburtshilfe eingegangen werden.

Heft 43 vom 26. Oktober 1978 2517

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Gynäkologenkongreß

gegenüber. Auch die apparative Ausstattung für eine technisierte In- tensivgeburtshilfe sei in der Bundes- republik verhältnismäßig gut, kon- statierte Kubli. Insbesondere der Be- stand an Kardiotokographen sei hier

— neben der Schweiz — am höchsten.

Er würde durchaus genügen, um 60 bis 70 Prozent aller Geburten in der Bundesrepublik intrapartal intensiv zu überwachen.

Kubli ging auf die sogenannte

„Münsterlinger Studie", seines Wis- sens die „einzige ernsthafte Unter- suchung über Kosten-Nutzen-Rela- tionen der Intensivgeburtshilfe", ein, deren Autoren Eberhard, Hochhuli und Schaffner zum Schluß gekom- men sind, daß auf 1000 Geburten beim Kostenaufwand von 500 000 Schweizer Franken ein Nutzeffekt von 1,5 Millionen, somit ein Gewinn von einer Million erzielt wird. Der Nutzeffekt beruht auf der Annahme, daß vor allem kostenträchtige Zere- bralparesen und psychomotorische Retardierungen — jeweils ein Fall auf 1000 Geburten — durch Intensivge- burtshilfe vermieden werden kön- nen. Für die Sonderschulausbildung eines psychomotorisch retardierten Kindes werden 250 000 Franken ver- anschlagt, für die Pflegekosten ei- nes Zerebralparetikers, der 45 Jahre alt wird, 800 000 Franken zuzüglich 500 000 Franken Produktionsausfall.

Die Münsterlinger Untersuchungen weisen eine Reduzierung der peri- natalen Mortalität um 10 pro 1000 nach. Auf dieser Basis wäre mit 10 bis 20 vermiedenen Zerebralschädi- gungen zu rechnen, also einer 5- bis 10mal höheren Zahl, als von Hoch- huli und Mitarbeitern tatsächlich an- geführt. Epidemiologische Studien sprechen ebenfalls dafür, daß die in der Studie geschätzte Zahl von zwei vermiedenen Zerebralschädigungen pro 1000 Geburten eher unter- schätzt ist. Das gleiche gilt nach Kubli für die Schätzung der Pflege- kosten.

Perinatale Mortalität deutlich gesunken

Durchschnittliche deutsche Univer- sitätskliniken brauchen den interna- tionalen Leistungsvergleich nicht zu

scheuen, machte Kubli mit Zahlen aus Heidelberg deutlich, wo die peri- natale Mortalität von 1972 bis 1977 von 24 auf 14 Promille gefallen ist.

Das ließe sich allein durch den Ef- fekt der perinatalen Intensivüberwa- chung erklären. Kubli stellte daher fest: Intensivgeburtshilfe, wenn rich- tig eingesetzt und durch Intensiv- neonatologie ergänzt, ist „kosten- deckend bis gewinnbringend".

Unbefriedigend bleibt nach Kubli bis heute die Tatsache, daß die Zahl der Frühgeburten über die Jahre hinweg konstant geblieben ist. Das deutet seiner Ansicht nach darauf hin, daß nichtgeburtshilfliche Faktoren und die Inanspruchnahme — möglicher- weise auch die Qualität—der Mutter- schaftsvorsorge verbesserungswür- dig seien. Die Frage sei schließlich, ob in der Bundesrepublik die richti- ge Frau auch jeweils am richtigen Ort entbinde. In Ländern wie Schwe- den, Kanada, USA und Frankreich habe man durch konsequente „Re- gionalisierung" — d. h. die Planung und Verteilung geburtshilflicher Betten unter wirtschaftlichen Aspek- ten und unter Sicherung maximaler Versorgung für maximal Gefährdete

— die Qualität der Perinatologie er- heblich verbessern können. Das Konzept beruhte auf verschiedenen Untersuchungen aus früheren Jah- ren, die ziemlich übereinstimmend gezeigt haben, daß geburtshilfliche Abteilungen mit Geburtenzahlen von weniger als 1000 bis 2000 Ge- burten relativ unwirtschaftlich arbei- ten. In den USA werden solche Klini- ken oder Abteilungen rigoros ge- schlossen, in Frankreich ist man fle- xibler, in Schweden finden 77 Pro- zent aller Geburten in Kliniken mit mehr als 1500 Entbindungen jähr- lich statt.

Auch wenn man die Verhältnisse in Deutschland nicht gleichsetzen kön- ne mit denen in den genannten Län- dern, müsse man sich dennoch mit dem Problem auseinandersetzen, vor allem unter dem Aspekt der Ko- stendämpfung an Krankenhäusern.

Wenn man hier nicht mit einem

„funktionell verknüpften Konzept"

agieren und reagieren könne, beste- he die Gefahr einer „globalen Sen-

kung des Standards der stationären Perinatologie und Geburtshilfe". Zur Mindestforderung erhob in dem Zu- sammenhang Kubli die Auseinan- dersetzung mit dem Problem der Regionalisierung und die gemeinsa- me Erarbeitung eines Konzeptes auf der Ebene der Fachgesellschaften, Standesorganisationen und Ge- sundheitsbehörden.

Zentralisiert oder dezentralisiert?

Ein Anfang wurde damit auf der Gy- näkologentagung bei einem Rund- tischgespräch gemacht, in dem es unter der Leitung von Prof. Dr. G.

Oehlert, Hanau, um das Thema

„Zentralisierte Geburtshilfe, dezen- tralisierte Geburtshilfe oder bei- des?" ging. Die klinische Geburts- hilfe in der Bundesrepublik sei durch eine starke Zersplitterung ge- zeichnet; sie verteile sich auf Abtei- lungen mit Entbindungszahlen, die teilweise unter 300 Geburten pro Jahr liegen, legte Oehlert dar. In der Bundesrepublik fanden 1976 nur 20 Prozent aller Geburten in Abteilun- gen einer optimalen Versorgungs- stufe statt, zu der gehört, daß sich Pädiatrie und Geburtshilfe unter ei- nem Dach befinden. Neben offen- sichtlichen Lücken in der Schwan- gerenbetreuung — in der Bundesre- publik nimmt immer noch nur ein kleiner Teil der Schwangeren alle angebotenen 8 bis 10 Vorsorgeun- tersuchungen wahr — bestehen of- fensichtlich Lücken in der Stufenor- ganisation von der Regelversorgung über das Schwerpunktkrankenhaus bis zur Zentralklinik mit maximaler Versorgung. Auf allen Stufen beste- hen zudem Lücken in der personel- len Leistungsfähigkeit.

Übereinstimmend wurde betont, daß die Zusammenarbeit zwischen Klinik und Praxis auf dem geburtshilfli- chen Sektor noch verbessert werden müßte. Die gesetzlichen Vorausset- zungen für die Schwangerenvorsor- ge in der Bundesrepublik gehörten

„zum Besten, was es in der Welt gibt", erklärte Prof. Kubli, der sich ebenso wie der Vertreter der nieder- gelassenen Gynäkologen, Dr. Edu- ard Koschade, Dachau, für eine bes- sere Nutzung der Vorsorgeuntersu-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 2518 Heft 43 vom 26. Oktober 1978

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Seit Inkrafttreten des neuen Arznei- mittelgesetzes (AMG), das vom Bun- desgesundheitsminister neue Richt- linien zur klinischen Prüfung ver- langt, haben Fälle Aufsehen erregt, in denen neuentdeckte Indikations- bereiche von Arzneimitteln (AM) vor- erst nicht genutzt werden können, weil deren kontrollierte Prüfung noch nicht beendet ist (1). Daß diese Methode jedoch strafrechtswidrig sein kann, hat der Verfasser mono- graphisch dargelegt (2). Unter dem Eindruck jüngst — unter anderen von Hasskarl in dieser Zeitschrift

(3)

—erhobener Einwände wird diese These im folgenden Beitrag präzi- siert. Aus Raumgründen kann dabei nicht auf alle Begründungsmängel und unzutreffenden Unterstellungen des Ietzgenannten Beitrages (3) ein- gegangen werden.

Effektivität versus Rechtsmäßigkeit Unstreitig ist der (regelgerecht durchgeführte und ausgewertete!) kontrollierte Doppelblindversuch

die derzeit verläßlichste Methode zur Beurteilung der Wirksamkeit oder Überlegenheit eines AM.

Hasskarl (3) rennt daher offene Tü- ren ein, wenn er zur Begründung meiner angeblichen „Außenseiter- stellung" eine Zitatensammlung pu- bliziert, die diese unstreitige Er- kenntnis erneut belegt (vgl. schon Fn. 2, S. 19-23).

Ebenso unstreitig stößt diese Me- thode jedoch nicht nur auf faktische (unerreichbare Stichprobengröße und andere), sondern auch auf rechtliche Grenzen. Gerade ihre Be- fürworter betonen die Notwendig- keit einer Differenzierung nach dem Einzelfall (3, 4), so daß sich der kon- trollierte Versuch nicht als „die" Me- thode zum Wirksamkeits„nachweis"

vorschreiben läßt. Daß diese Gren- zen aber nicht nur „Ausnahme-", sondern selbst Prinzipiencharakter haben, wird sich alsbald erweisen.

Meine These befaßt sich mit derjeni- gen strafrechtlichen Schranke, die Gynäkologenkongreß

chungen einsetzte; hier gelte es vor allem, die Motivation der Schwange- ren noch zu verbessern.

Der nostalgische Ruf nach Rückkehr zur Hausgeburt, wie er in jüngster Zeit wieder von deutschen Femini- stinnen erhoben worden ist, könne aus ärztlicher Sicht keine Billigung erfahren, hieß es. Sie habe, wie Prof.

Zander vermerkte, „in unserem Lan- de keine ernsthafte Chance", weil sie in jedem Falle für Mutter und Kind mit höheren Risiken verbunden sei als die klinische Geburtshilfe.

Das Beispiel Hollands, auf das im- mer wieder in dem Zusammenhang verwiesen werde, könne nicht zur Nachahmung für die Bundesrepu- blik empfohlen werden. Zudem habe in den Niederlanden die perinatale Mortalität 1976 bei schon erreichten sehr niedrigen Werten einen gewis- sen Anstieg zu verzeichnen gehabt.

Es gehe heute darum, Möglichkeiten und Grenzen der Intensivgeburtshil- fe auszuloten und zu überlegen, wo vielleicht „des Machbaren zuviel"

getan werde. Prof. Zander stellte sich grundsätzlich hinter die Gedan- ken des französischen Geburtshel- fers Frederick Leboyer, der gefor-, dert habe, daß die Zu- und Hinwen- dung der helfenden Personen zur Gebärenden und zum Kind sehr viel intensiver sein müsse, als dies unter den Bedingungen der Intensivge- burtshilfe vielfach der Fall sei. Die klinische Geburtshilfe und das Wo- chenbett in der Klinik sollten, so Zander, wieder zu einem „humanen Familienereignis" gestaltet werden.

Erhöhte Risiken für Mutter und Kind dürften allerdings dafür nicht in Kauf genommen werden. Daher müßten auch „überspannte Vorstel- lungen", die seiner Ansicht nach die Mutter-Kind-Beziehungen auf lange Sicht keineswegs förderten, abge- wehrt werden, vermerkte der Präsi- dent der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Ähn- lich hat sich auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- heilkunde anläßlich deren Jahresta- gung in Freiburg geäußert.

Wilhelm Girstenbrey, München

FORUM

PRÜFUNG VON ARZNEIMITTELN IN DER DISKUSSION (IV)

Strafrechtswidrige Methoden der klinischen Prüfung

Martin Fincke

Innerhalb der in loser Folge erscheinenden Artikelserie unter dem Generaltitel „Prüfung von Arzneimitteln in der Diskussion" sind bisher erschienen: Dr. jur. Horst Hasskarl: Rechtliche Zulässigkeit der klini- schen Prüfung (Hefte 18 und 19/1978); Udo Fiebig MdB: Anforderun- gen des Gesetzgebers an die Prüfrichtlinien (Heft 21/1978); Prof. Dr.

med. Karl-Friedrich Sewing: Vorsätzliche Irreführung (Heft 40/1978).

Als nächstes vorgesehen sind Beiträge von Hugo Hammans MdB:

„Wirksamkeitsnachweis nach dem neuen Arzneimittelgesetz — Zur Absicht des Gesetzgebers" sowie Prof. Dr. med. Walter Kreienberg:

„Wirksamkeitsnachweis nach dem neuen Arzneimittelgesetz — Inter- nationaler Standard". Die Redaktion beabsichtigt, die Veröffentli- chung von Diskussionsbeiträgen zum Thema Arzneimittelprüfung einstweilen fortzusetzen, spätestens jedoch zum Jahresende abzu- schließen.

DEUTSCHES ARZ ELBLATT Heft 43 vom 26. Oktober 1978 2519

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