DAS ALTER DER BABYLONISCHEN ASTRONOMIE
Von f. Cornelius, München
Seit der Zeit Sargons sind uns Vorzeichen überhefert, die an ein Ereignis
am Himmel anknüpfen. Insbesondere ist schon aus akkadischer Zeit eine
Mondfinsternis überliefert, die einen sonst friedlich verlaufenden Regierungs¬
wechsel angekündigt haben soll. In dem großen Vorzeichenwerk Enuma
Anu Enlil sind systematisch für jeden Monat je eine Mondfinsternis be¬
schrieben, die sich über eine Zeit von ca. 700 Jahren verteilen. Die letzte
ist mit dem Sturz der Amurru-Dynastie verknüpft. Die Zusammenstellimg
fällt also frühestens in die Anfänge der Kassitenzeit.
Aber das Ausspähen nach Vorzeichen ist noch keine astronomische Wis¬
senschaft. Das älteste Zeugnis echter systematischer Beobachtungen eines
Gestirns sind die bekannten Aufzeichnungen über siderischen Aufgang und
Untergang der Venus unter Ammisaduqa. Auch sie aber sind in unserer
Überlieferung mit den Ereignissen dieser Regierung als Omina verknüpft.
Der Beobachter wollte also nicht den Lauf der Venus feststellen, sondern
ergründen, welche politischen Folgen das Aufscheinen und Verschwinden
dieses Gestirns nach sich ziehe. Es sind uns sehr wichtige geschichtliche
Ereignisse dadurch überhefert, von denen wir sonst nichts erfahren würden.
Aber eine eigentlich astronomische Zielsetzung lag dem Beobachter fern.
Doch wußte er, daß Abendstern und Morgenstern dasselbe Gestirn sind .
Das war schon der Akkad-Zeit bekannt, da Istar durch Gleichsetzung mit
dem Gotte des Morgensterns mann weiblich wmde.
Dagegen ist eine astronomische Zielsetzung deutlich in dem sogenannten
Astrolab 12^. Dieses zeichnet für jeden Monat drei Sterne auf, die bezeich¬
nend für ihn seien. Der Beobachter war noch so unwissend, daß er unter
diese Monatssterne vier Planeten aufnahm. Er ahnte also noch nicht (oder
nicht mehr), daß diese Planeten in anderen Jahren mit ganz anderen Stern¬
bildern verschwistert erscheinen würden. Andererseits gibt das Astrolab
1 Veröffenthcht zuerst von T. G. Pinches JRAS 1900 S. 573 nach teilweise
heute verlorenen Tafeln. Kurz bearbeitet: F. X. Kugleb, Sternkunde und
Sterndienst mBabel I S. 232. ParaUeltexte Schroeder KAV 1920 (= 35 WVDOG)
Nr. 218, wo zu jedem Stern nooh ein astrologischer Kommentar zugefügt ist;
H. Zimmer ZA 32, 1918/9 S. 72. Zusammenfassend: Schott ZDMG 88, 1934
S. 310 ff. Van der Waeeden JNES VIII 1949 S. 6 ff ; Hubeb bei Van der
Waerden, Die Anfänge der Astronomie, 1966, S. 56 ff.
Das Alter der babylonischen Astronomie 171
32 Namen von Fixsternen oder Fixsterngruppen, setzt also die Einteilung
des gestirnten Himmels in Sternbilder, wie sie seither üblich geblieben ist,
voraus, und ist damit wirklich ein erster Schritt zm wissenschaftlichen
Sternkunde - so phantastisch diese Einteilung msprünglich ist, sie hat sich
bewährt. Von den Sternbildern des Tierkreises fehlen Widder (bab. Bauer)
und Schütze: der Tierkreis war also noch nicht festgelegt.
Je drei Sterne oder Sterngruppen sind jedem Monat zugeordnet. Die
Monatsnamen sind die babylonischen: Nisan usw. Wie sie zum Sternjahr
lagen, sagt uns die Einordnung des Sirius in den Monat Dumuzi. Sirius
wurde damals um den 15. Juli julianisch in Babylon sichtbar (im ganzen
dritten und zweiten Jahrtausend unveränderlich, wie wir aus Ägypten alle
wissen). Tag- und Nachtgleiche war um 1500 der 7. April. Da das Jahr der
Aufzeichnung keinen Schaltmonat hatte, wird man den Nisan eher nach
diesem Termin als vorher beginnen lassen müssen. Somit fiel der Sirius-
Frühaufgang in den Monat Dumuzi, und die Aufzeichnungen sind zu deuten
als Sterne und Sternbilder, die in dem jeweils bezeichneten Monat ihren
Frühaufgang hatten. Das ist auch in einer Abschrift ausdrücklich ausgesagt.
Dieser Schluß wird weiter dadurch bestätigt, daß mehrfach Gestirne, die
weit von der Ekliptik entfernt stehen, einen Monat früher eingetragen sind,
als die Tierlvrcisbilder des gleichen Meridians - weil eben die Helligkeit der
Sonne, die dio Sterne boi Tage überstrahlt, nach vSonnenuntergang in kon¬
zentrischen Kreisen abnimmt, und also der Sternhimmel zunächst in halb¬
kreisförmigem Ausschnitt überstrahlt bleibt. Die Eintragung des Sirius in
den Tamuz sagt nun umgekehrt, daß der 1. Nisan im Jahr der Beobachtung
zwischen 20. März imd 20. April jui. gefallen ist.
Für 22 von den eingetragenen Sternbildern, also etwa zwei Dritteln der
32 Fixsterngruppen, stimmt der heliakische Frühaufgang ohne Vorbehalt.
Auch die Einordnung des großen Bären mit Zwillingen und großem Hund
zusammen im Ab ist passend. Hat er auch eigentlich keinen heliakischen
Aufgang, so steht er doch in diesem Monat so am morgendlichen Osthimmel,
daß er als charakteristisch für den Monat gelton darf. Bei anderen Stern¬
bildern scheint die Bezeichnung gewechselt zu haben: so ist MUL U.RA
(in der Brüsseler Fassung: Ur.GU.LA) offenbar nicht das Sternbild, das
wir als Löwen bezeichnen, sondern entweder Aldebaran oder Fuhrmann
mit Capella : dieser auffallend helle Stern kann doch nicht wohl im Verzeich¬
nis gefehlt haben. Unser Löwe oder wenigstens Regulus, sein Stern erster
Klasse, muß vielmehr der MUL BIR sein, der im Ulul seinen Frühaufgang
hatte (in einer Abschrift ist ,, sarru" als Korrektm erst im Arahsamna ein¬
gesetzt, das ist zwei Monate zu spät.
Ich übergehe die anderen Gleichsetzungen, die sich für Sternnamen er¬
geben, die bisher nooh nicht sicher identifiziert werden konnten. Was uns
chronologisch interessiert, sind die vier Planeten, die eingeordnet sind, als
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ob sie Fixsterne wären : Venus im Nisan, Mars im Kislew ; Jupiter als MUL
Ug.AL.TAR im Tammuz, und ein Stern Marduk, in dem man zunächst auch
Jupiter verstehen würde, im Adar. Saturn fehlt, was ein weiteres chrono¬
logisches Merkmal ergibt : er hat nur alle zwei Jahre einen Frühaufgang.
Natürlich suchte ich ein so primitives Himmelsbild zunächst in möglichst
früher Zeit. Ich habe daher die ganze Zeit von 2500 an bis 1100, wo die
assyrische Abschrift des Astrolabs datiert ist, nach den neuen Tafeln von
Stahlman und Gingerich^ dmchgesehen. Man muß dabei berücksichtigen,
daß die Gestirne erst in einem gewissen Zeitabstand von der Konjunktion
tatsächlich sichtbar werden, und dieser beträgt für Mars im Spätherbst fast
zwei Monate.
Es ergab sich : Venus und Mars hatten im Lauf der 1400 Jahre nur 22 mal
die geforderte Stellung zugleich, wobei ich als mögliche Lage des Nisan alle
Daten von März bis Mai berücksichtigt habe. Nm einmal tritt Jupiter im
Tammuz hinzu: nämlich im Jahre 1450/49 v. Chr. Und in diesem Jahr er¬
scheint Saturn nicht am Frühhimmel, und Merkm im Adar. Der erste Nisan
ist in diesem Jahre der 27. März julianisch, und gleichzeitig der Frühaufgang
der Venus. Da Jupiter nicht zweimal Frühaufgang haben kann, bestätigt
sich damit, daß mit Marduk im Astrolab Merkm gemeint sei, wie Schott
unterstellt hat.
Aber man könnte einwenden: Marduk müsse Jupiter sein. Dann müßte
man im MUL UgAL.TAR einen Fixstern, etwa Capella, vermuten. Unter
dieser Annahme bliebe die Wahl zwischen den Jahren 2048/7 und 1514/13.
Aber in beiden Jahren tritt Satmn am Frühhimmel auf. Es ist äußerst un¬
wahrscheinlich, daß er fehlen würde, da er doch ein Stern mehr als erster
Größe ist.
Also nur das Jahr 1450/49 entspricht allen Angaben des Astrolabs. Das
ist ein Jahr der Kassitenzeit, und zwar nach der kurzen Chronologie, der
einzigen astronomisch möglichen, ein halbes Jahrhundert, nachdem die
Kassiten Babylon den Herrschern des Meerlandes abgenommen und das
Mardukbild und Sarpanit aus Chana zmflckgebracht hatten.
Man erwartet eine solche geistige Leistung in der frühen Kassitenzeit
nicht^. Auch mir hätte eine Datierung in die Zeit von Ur III viel besser in
mein Geschichtsbild gepaßt. Gegen sie spricht aber außer der Verwendung
der babylonischen Monatsnamen (die sekundär zugefügt sein könnte), daß
man den damals nooh unbedeutenden Marduk in dieser Zeit nicht mit dem
hellsten Stern des Himmels nach Venus-Istar gleichgesetzt hätte, wie die
Datienmg auf 2048/7 unterstellen müßte.
" Solar and planetary longitudes ... 1961.
' Für die folgenden Überlegimgen bin ich besonders W. v. Soden zu Dank
verpfiichtet, der die Einwände auf dem Orientalistentag zur Sprache brachte.
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Derselbe Einwand gilt aber auch noch für 1514/3. Damals, als Babylon
zerstört lag und das Bild des Marduk verschollen in der Fremde war, war
Marduk noch nicht der all-überragende Gott, den Enuma Elis feiert*.
Zwar hatte er seine Machtwirkung an Mursiiis sohon erwiesen, aber zu all¬
gemeinem Bewußtsein konnte das erst kommen, als sein Standbild nach Ba¬
bylon zurückgekehrt war. So sprechen diese Erwägungen auch gegen
1514/3 - die kurze Chronologie vorausgesetzt.
Der wcltbeherrschende Gott ist Marduk eben erst dmch Enuma Elis tmd
die mit diesem Gedicht zusammenhängende Ausgestaltung der Neujahrs¬
feier geworden. Das Gedicht aber setzt in seiner 5. Tafel unser Astrolab
voraus, wo es Marduk das Jahr durch je drei Sterne für den Monat bestim¬
men läßt. Die offizielle Aufwertung des Marduk fällt also jedenfalls später,
als der Text ,,je 3", tmd damit fällt der Einwand in sich zusammen, daß in
diesem Text Marduk noch den Merkur zu bezeichnen scheint.
Gerado der Rückfall in Primitivität, der sich in der Einordnung der Pla¬
neten in die Monate, als ob sie Fixsterne wären, abzeichnet*, paßt am besten
in die frühe Kassitenzeit. So spät also ist die erste erhaltene systematische
Beobachtung des Sternhimmels. Noch später die Festlegung des Tierkreises.
Viel älter bezeugt sind allerdings einzelne Bilder des Tierkreises, namentlich
der unverwechselbare Ziegenfisch, ferner der Skorpion der Ishara; auch der
Stier des Adad kann astral gemeint sein. Aber das Bild des Schützen, der
meines Wissens immei- als Kentaur (mit Pferdoleib) abgebildet wird, weist
für die Vollendung des Tierkreises wieder in die Kassitenzeit. So sehr uns
die Zuweisung der ersten astronomischen Forschung an diese Periode wider¬
streben mag, an astronomischen Tatsachen läßt sich nicht deuteln.
* Vgl. H. Schmökel, RA LIII 1959 S. 183 ff.
^ Van der Waerden, 1966 S. 70 meint allerdings, daß die Planeten vorweg
den vier Jahreszeiten zugeordnet wären. Aber warum fehlt darm Saturn? Und
warum ist ,, Marduk" dem 12. Monat, dem letzten seiner Jahreszeit, zugeordnet,
die anderen jeweüs dem ersten Monat des Quartals ? Und wie könnten sie über¬
haupt als charakteristische Sterne bestimmter Monate eingeordnet sein, werm
der heliakische Aufgang für sie nicht wie für dio Fixsterne beobachtet wäre, ja
in anderen Monaten tatsächlich stattgefunden hätte? Ich muß diose Annahme
für denkbar unwahrscheinlich halten.
EINIGE BEITRÄGE ZUR ENTWICKLUNG
DES HETHITISCHEN RECHTS
Von V. Korosec, Ljubljana
Die Zeitschrift „Historia" hat ihre Einzelschrift Nr. 7 der ,, Neueren He¬
thiterforschung" gewidmet^. Das in den letzten Jahrzehnten Erreichte ist
darin von den für die einzelnen Teilgebiete zuständigen Spezialisten dar¬
gelegt und kritisch gewürdigt worden. Immerhin ließe sich zu den ,, Hethi¬
tischen Gesetzen", unserer Hauptquelle für die Kenntnis des hethitischen
Zivil- und Strafrechts, vielleicht noch einiges hinzufügen und zugleich der
derzeitige Stand der Erforschung von einzelnen Problemen näher kennzeich¬
nen.
I. DER HEUTIGE QUELLENSTAND
Wie bereits allgemein bekannt, setzt sich die rund 190 Bestimmungen
(davon etwa 13 völlig, 14 stark beschädigt) umfassende hethitische Rechts¬
sammlung (= HRS), die wir meist als die ,, hethitischen Gesetze" zu be¬
zeichnen pflegen, aus zwei Teilen zusammen. Diese wurden von den He¬
thitern nach den Anfangsworten in den entsprechenden Tafelunterschriften als „die Tafel ,wenn cin Mann'" und ,,die Tafel ,wenn ein Weinstock' " be¬
nannt. Die bisherige moderne Bezeichnung der beiden Teile als ,,die erste", bzw. „die zweite Tafel" dürfte insofern anfechtbar erscheinen, als die Ab¬
schriften des einzelnen Teiles bald auf einer einzigen Tafel niedergelegt,
bald auf zwei Tafeln verteilt erscheinen. Deshalb tritt die neueste Text¬
kritik für die Bezeichnung der beiden Teile als ,, Serien" ein^.
In Autograpliie wurde der Text der einzelnen Abschriften der HRS im
sechsten Heft der Keilschrifttexte aus Boghazköi (= KBo VI) von Fried¬
bich (Bedrich) Hkozny als die 36. Wissenschaftliche Veröffentlichung
1 Historia, Einzelschriften, Heft 7: Neuere Hethiterforschung, herausgegeben
von Gerold Walser, Wiesbaden 1964.
2 Vgl. Annelies Kammenhuber, Besprechung von ,, Johannes Fried¬
rich, Die hethitischen Gesetze", in Bibhotheca Orientalis (= BiOr), XVIII, 1961, S. 77-82; Zur Textüberlieferung der II. Tafel der Hethitischen Gesetze,
BiOr. XVIII, 1961, S. 124-127. - Hans Gustav Güterbock, Besprechung
von ,,J. Friedrich, Die hethitischen Gesetze" (nebst einem Exkurs) im Journal of Cuneiform Studies (= JCS), XV, 1961, S. 62-78; Further Notes on the Hittite Laws, JCS, XVI, 1962, S. 17-23.