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Augen auf bei kalten Händen

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Academic year: 2022

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SUMMER SCHOOL

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ARS MEDICI 14–16 | 2020

Die 61-jährige Patientin stellte sich für eine Routinekontrolle in unserer Praxis vor. Bei der Begrüssung mit Händedruck fielen kalte Hände auf. Auf Nachfrage sagte die Patientin, sie habe schon immer kalte Hände und Füsse gehabt, sogar im Sommer.

Der Blutdruck sei immer tief. Sie klagte über Migräne, es be- stand eine behandelte Dyslipidämie, und die Familienana- mnese bezüglich Glaukom war unauffällig. Die Patientin war sportlich aktiv und erfolgreich in ihrem beruflichen Leben.

Sehstörungen oder andere Augensymptome wurden verneint.

Der somatische Status war unauffällig, der Blutdruck betrug 115/70 mmHg, der Body-Mass-Index 21,6 kg/m2.

Aufgrund der anamnestischen und klinischen Hinweise auf ein Flammer-Syndrom (s. unten) erfolgte eine augenärztliche Untersuchung.

Diese ergab ein beginnendes Normaldruckglaukom beider Augen (Augendruck beidseits 11 mmHg). Es zeigten sich beidseits diskrete Hinweise für Gesichtsfeldausfälle wie er- höhte MD (mittlere Defekttiefe) sowie Graustufendefekte im Bjerrum-Bereich. Die optische Kohärenztomografiemessung (OCT) ergab einen grenzwertig schmalen Rand der Papillen (minimum rim width, MRW) beidseits sowie eine Verdün-

nung der Nervenfasernschichtdicke (retinal nerve fiber layer, RNFL) links (Abbildung 1).

Zur internistischen Ergänzung der Diagnostik erfolgte eine 24-Stunden-Blutdruckmessung, welche tief normale Werte in der Aktivphase zeigte (109/71 mmHg), in der Ruhephase jedoch ein extremes nächtliches Dipping (Ruhephase:

88/42 mmHg, Senkung in Ruhephase 19% systolisch und 41% diastolisch) (Abbildung 2).

Aufgrund der augenärztlichen Befunde, der grenzwertigen arteriellen Hypotonie mit extremem nächtlichen Dipping und eines klinisch sowie anamnestisch bestehenden Flammer- Syndroms konnte der verminderte okuläre Perfusionsdruck als Ursache des beginnenden Normaldruckglaukoms eruiert werden.

Daraufhin wurde vom Ophthalmologen zur Blutdrucksteige- rung eine systemische Mineralokortikoidtherapie mit Flu- drocortisonacetat 0,1 mg (Florinef®) 3-mal wöchentlich be- gonnen, und 2-mal täglich Magnesium 10 mmol (Magnesio- card®) wurde zur Verbesserung der Durchblutungsregulation verordnet.

Drei Monate nach Therapiebeginn war der Blutdruck in der Aktivphase normal (128/81 mmHg). Es bestand weiterhin ein extremes Dipping, mit jedoch insgesamt höheren nächt- lichen Werten (101/53 mmHg, Senkung in Ruhephase 21%

systolisch und 35% diastolisch) (Abbildung 3).

Erblindungsursache Glaukom

Unter dem Begriff Glaukom wird eine Gruppe von Augen- erkrankungen zusammengefasst, welche zu einer progredien- ten und irreversiblen Schädigung des Nervus opticus führen (glaukomatöse Optikusneuropathie, GON). Die dadurch entstehenden Gesichtsfeldausfälle werden aufgrund der Kompensation durch das andere Auge und weitere Adapta- tionsmechanismen durch Patienten häufig erst sehr spät be- merkt. In diesem fortgeschrittenen Stadium ist eine Behand- lung kaum noch möglich. Das Glaukom ist weltweit die häufigste irreversible Erblindungsursache (1).

Man unterscheidet zwischen Glaukom bei erhöhtem Augen- druck und Normaldruckglaukom sowie zwischen Offenwin-

Ophthalmologie

Augen auf bei kalten Händen

Das Glaukom ist weltweit die häufigste irreversible Erblindungsursache. Gesichtsfeldausfälle werden aufgrund der Kompensation durch das andere Auge und weitere Adaptationsmechanismen häufig erst spät bemerkt. Bei Patienten mit Normaldruckglaukom ist das Flammer-Syndrom häufig, das unter anderem durch kalte Hände und Füsse bei sportlichen, schlanken Personen auffällt.

Issa Rasheed Fetian, Isabelle Fuss, Asan Kochkorov

� Das Glaukom ist die häufigste Ursache der irreversiblen Blindheit weltweit und kann bei rechtzeitiger Entdeckung be- handelt werden. Patienten bemerken die sich langsam ent- wickelnden Gesichtsfeldausfälle häufig erst sehr spät.

� Neben dem erhöhten Augendruck (60%) spielt auch die Durchblutung des Sehnervs eine wichtige Rolle.

� Die Diagnose Flammer-Syndrom kann gestellt werden, wenn eine primäre vaskuläre Dysregulation sowie gelistete Fakto- ren gemeinsam auftreten.

� Das Flammer-Syndrom hat häufig keinen Krankheitswert, kann jedoch aufgrund lokaler Minderperfusion, die zeitweise auftritt, zu Organschäden führen.

MERKSÄTZE

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kel- und Engwinkelglaukom. Das seltenere Engwinkelglau- kom kann sich mit einem akuten schmerzhaften Glaukom- anfall bemerkbar machen, der einen ophthalmologischen Notfall darstellt.

Als ein Entstehungsmechanismus des Glaukoms wird ein Missverhältnis von Augeninnendruck und Durchblutung des Sehnervs angesehen (2), weshalb die Verbesserung der Durchblutungsregulation insbesondere bei Normaldruck- glaukom eine wichtige Rolle spielt. Therapiestrategien sind die Regulation des Augendrucks mit medikamentösen und interventionellen Massnahmen sowie die Verbesserung der Durchblutung (inkl. Blutdruckregulation).

Durch rechtzeitiges Veranlassen einer augenärztlichen Unter- suchung bei Vorhandensein von Risikofaktoren kann einer Progression mit möglicher Erblindung vorgebeugt werden.

Flammer-Syndrom

Das Flammer-Syndrom ist nach Prof. Josef Flammer be- nannt, der bis 2013 Chefarzt der Augenklinik am Universi- tätsspital Basel war. Ihm fiel bereits als Assistenzarzt die er- höhte Inzidenz der vaskulären Dysregulation bei Glaukom- patienten auf (3, 4).

Das Flammer-Syndrom bezeichnet das gleichzeitige Auftre- ten einer primären vaskulären Dysregulation mit klinischen Auswirkungen der Durchblutungsstörung sowie weiteren typischen Faktoren. Bei der primären vaskulären Dysregula-

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Abb. 1

Abbildung 1: Optische Kohärenztomografiemessung (OCT); grenzwertig schmaler Rand der Papillen (minimum rim width, MRW) beidseits sowie verdünnte Nervenfasernschichtdicke (retinal nerve fiber layer, RNFL) links (Aufnahmen: Augenzentrum Brugg)

Abb. 2

Abbildung 2: Verlauf der Blutdruckwerte in der 24-Stunden-Messung vor der Behandlung; Ruhephase (grau) sys./dia. 88/42 mmHg (ABD-Report Schiller AG, Baar)

ABD-Report Altgasse 68 6341 Baar Switzerland

Patientenname: Katharina Hartmann Patienten-Nr.: 6096

Aufnahme Datum : 03.04.2019 Fall Nr:

Schiller MT-300 V 3.03.1 BR-102 plus: V2.04 293.0006799 2/7 Gedruckt: 04.04.2019 11:56:17

Zeit [h]: 15 16 17 18 19 20 21 22 23 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 2040

60 10080 120140 160180 [mmHg]

SYS DIA

50 70 90 110 [bpm]

HF

SYS DIA

HF

Zusammenfassung

Basierend auf den Standardwerten legt der ABD nahe:

- 24 Std. SYS normal (119 mmHg) und DIA optimal (72 mmHg) - Aktivphase SYS und DIA normal (128/81 mmHg) - Ruhephase SYS und DIA optimal (101/53 mmHg)

- Senkung in Ruhephase ist 21% SYS und 35% DIA, Extrem-Dipping

Phase Zeit Messungen Mittel SYS Mittel DIA Mittel HF BD-Last SYS BD-Last DIA

[mmHg] [mmHg] [bpm] [%] [%]

(+/- SD) (+/- SD) (+/- SD)

Gesamt 14:31 - 11:30 (20:59) 26 119 (22.2) 72 (25.6) 75 (10.2) 26 15

Aktivphase 07:00-22:00 17 128 (21.5) 81 (26.2) 79 (10.6) 29 18

Ruhephase 22:00-07:00 9 101 (7.8) 53 (10.0) 68 (3.6) 0 0

Senkung Ruhephase SYS Senkung Ruhephase DIA 21 %

35 % Smoothness-Index Morgendlicher Anstieg 0.80

33.00

Abb. 3

Abbildung 3: Verlauf der Blutdruckwerte in der 24-Stunden-Messung nach der Behandlung; Ruhephase (grau) sys./dia. 101/53 mmHg (ABD-Report Schiller AG, Baar)

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tion findet sich im Gegensatz zur sekundären vaskulären Dysregulation keine ursächliche Erkrankung wie zum Bei- spiel Atherosklerose, Multiple Sklerose oder rheumatoide Arthritis. Die Diagnose wird vorwiegend klinisch gestellt. Zu den Symptomen des Flammer-Syndroms gehören kalte Hände und Füsse, eine längere Einschlaflatenz, ein vermin- dertes Durstgefühl, die erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Schmerzen, Medikamenten und Gerüchen, ein Hang zu Per- fektionismus, Tinnitus, Migräne und Muskelkrämpfe. Klini- sche Zeichen sind ein tiefer BMI, ein tiefer Blutdruck mit extremem Dipping, eine stumme Myokardischämie, eine ver- änderte Nagelfalzkapillarmikroskopie, eine erhöhte Varia- balität der Hauttemperatur bei Stress sowie reversible fleck- förmige weisse oder rote Verfärbungen der Haut.

Das Flammer-Syndrom hat häufig keinen Krankheitswert, kann jedoch aufgrund lokaler Minderperfusion klinisch rele- vant werden (5). Bei Patienten mit Normaldruckglaukom (40% der Glaukompatienten) ist das Flammer-Syndrom häu- fig. Es gibt zwei Gruppen unterschiedlicher vaskulärer Dys- funktionen, die zum Glaukom beitragen:

s Menschen mit erhöhtem Risiko für ein Flammer-Syn- drom und damit für eine gestörte Autoregulation der Au- gendurchblutung. Dies wiederum erhöht das Risiko für ein Normaldruckglaukom.

s Menschen mit Risikofaktoren für eine Atherosklerose und okulare Hypertonie und damit auch für ein Hoch-

druckglaukom. Beim Hochdruckglaukom werden die Ge- fässe nach nasal verdrängt. Diese seitliche Verschiebung der Gefässe ist beim Normaldruckglaukom schwächer oder fehlend (3).

Weitere Informationen zum Flammer-Syndrom finden Sie unter: http://www.flammer-syndrome.ch s Dipl. med. Issa Rasheed Fetian

Hausarztpraxis MZ Brugg Fröhlichstrasse 5 5200 Brugg

E-Mail: issa.fetian@hausarztmzb.ch issa.fetian@unibas.ch Literatur:

1. Quigley HA, Broman AT: The number of people with glaucoma world- wide in 2010 and 2020. Br J Ophthalmol 2006; 90(3): 262–267.

2. Gerste RD: Glaukom: eine vaskuläre Neuropathie. Deutsches Ärzteblatt 2008; 105(11): A-562/B-500/C-489.

3. http://www.flammer-syndrome.ch/glaukom

4. Gerste RD: Portrait von Josef Flammer. Wie ein kalter Händedruck Medi- zingeschichte schrieb. Schweiz Ärzteztg 2018; 99(04): 118–120.

5. Middeke M: Die U-förmige Beziehung zwischen nächtlichem Blutdruck und Organschäden. Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(46): 2640–2642.

6. Konieczka K, Gugleta K: Endotheliale Dysfunktionen beim Glaukom.

Ophthalmologische Nachrichten, Juli 2014.

Interessenlage: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte im Zu- sammenhang mit diesem Artikel bestehen.

Abbildung 4: Zwei Gruppen vaskulärer Dysfunktionen tragen zum Glaukom bei. Links: erhöhtes Risiko für ein Normaldruckglaukom (NTG); rechts: erhöhtes Risiko für ein Hochdruckglaukom (HTG); Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Frau Dr. med. Katarzyna Konieczka, Augenklinik Universitätsspital Basel, und des Biermann Verlags, Köln (6).

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