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Summa theologica Halensis Teilband I

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Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen

Theologie und Philosophie

Münchener Universitätsschriften Katholisch-Theologische Fakultät

Begründet von

Michael Schmaus †, Werner Dettloff † und Richard Heinzmann

Fortgeführt unter Mitwirkung von Ulrich Horst Herausgegeben von

Isabelle Mandrella und Martin Thurner

Band 62

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De legibus et praeceptis

Lateinischer Text, deutsche Übersetzung und Kommentar Herausgegeben von Michael Basse

Teilband I

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ISBN 978-3-11-050134-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-051631-9 ISSN 0580-2091

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 License.

For details go to http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz, Lemförde

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany

www.degruyter.com

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Die Idee, den Gesetzestraktat der Summa Halensis zu übersetzen und dazu einen Kommentar zu verfassen, um so die historische und theologische Bedeutung dieses Textes einer größeren Öffentlichkeit zu vermitteln, hat zunächst Prof. Dr.  Thomas Ruster, mein Dortmunder Kollege, entwickelt. Der Deutschen Forschungsgemein- schaft danke ich für die Förderung des Projektes und die Gewährung des Druckkos- tenzuschusses.

Eine erste grundlegende Übersetzung des Gesetzestraktats hat die wissenschaft- liche Mitarbeiterin Dr.  Annastina Kaffarnik angefertigt. Für die Überarbeitung der Übersetzung bin ich meiner Frau Ute Basse zu großem Dank verpflichtet. Ich danke den wissenschaftlichen und studentischen Hilfskräften Miriam Conrad, Joel Driedger, Veronique Gebhardt, Wiebke Hein, Sarah Jürgens, Mirjam Lange, Martina Marx, Nora Schulte, Clara Tolkemit und Kristin Ulrich für die vielfältige Mitarbeit.

Für ihre Unterstützung danke ich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Universitätsbibliothek in Dortmund, der Bibliothek der Società internazionale di Studi francescani in Assisi, der Openbare Bibliotheek in Brügge, der Bodleian Library in Oxford und der Vatikanischen Bibliothek in Rom.

Wichtige Hinweise bei einzelnen Fragen verdanke ich Prof. Dr. Ludwig Hödl (†), Prof. Dr. Otto Hermann Pesch (†) und Herrn Privatdozent Dr. Görge Hasselhoff.

Frau Professorin Dr. Isabelle Mandrella und Herrn Professor Dr. Martin Thurner danke ich für die Aufnahme des Werkes in die Reihe der ‚Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philoso- phie‘. Frau Kollegin Mandrella danke ich darüber hinaus für die Bereitstellung der finanziellen Mittel, die für die Digitalisierung des lateinischen Textes erforderlich waren. Für die digitale Erfassung des Textes danke ich Herrn Christian Kny.

Dem Verlag De Gruyter danke ich für die redaktionelle Betreuung und die sorgfäl- tige Publikation des vorliegenden Werkes.

Dortmund, im Mai 2017 Michael Basse

DOI 10.1515/9783110516319-001   © 2018, Michael Basse.

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-Non Commercial-No Derivatives 3.0 License.

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Vorwort   V

Teilband I

Abkürzungsverzeichnis   XI

I Einleitung

1 Entstehungskontext   3 a) Die Frühscholastik –

ein Umbruch in der europäischen Kulturgeschichte   3

b) Die Relevanz der Gesetzesthematik im interkulturellen Vergleich   11 c) Vorläufer und Wegbereiter der Summa Halensis   14

d) Alexander von Hales und seine Schule   18 e) Die Summa Halensis als Gemeinschaftswerk   20 2 Der Traktat   22

a) Stellung des Gesetzestraktates innerhalb der Summa Halensis   22 b) Gliederung und Themen   23

c) Philologische Aspekte   24

d) Historische und theologische Bedeutung   26

e) Handschriftliche Überlieferung und Druckfassungen   31

II Lateinischer Text und deutsche Übersetzung

Erste Untersuchung: Das Ewige Gesetz   35 Zweite Untersuchung: Das Naturgesetz   113 Erste Frage: Gibt es ein Naturgesetz?   113 Zweite Frage: Was ist das Naturgesetz?   127

Dritte Frage: Auf welche Weise ist das Naturgesetz?   141 Vierte Frage: Was gehört zum Naturgesetz?   151

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Dritte Untersuchung: Das Gesetz des Mose   211

Erste Abhandlung: Das Gesetz des Mose im Allgemeinen   211 Erste Frage: Die Erlassung des mosaischen Gesetzes   211 Zweite Frage: Der Inhalt des mosaischen Gesetzes   275

Dritte Frage: Die Erfüllung des mosaischen Gesetzes durch Christus   317 Vierte Frage: Die Last der Befolgung des mosaischen Gesetzes   343 Fünfte Frage: Die Rechtfertigung durch das Gesetz   359

Zweite Abhandlung: Das Gesetz des Mose im Speziellen   383 Erste Abteilung: Die Sittengebote des Dekalogs   383

Erste Frage: Die Sittengebote des Dekalogs im Allgemeinen   385 Die Wurzel der Sittengebote   385

Die Anzahl und die Einteilung der Gebote des Dekalogs   411 Zweite Frage: Die einzelnen Sittengebote des Dekalogs    475 Das erste Gebot   475

Das zweite Gebot   545 Das dritte Gebot   653 Das vierte Gebot   705 Das fünfte Gebot   759 Das sechste Gebot   837

Teilband II

Das sechste Gebot   869 Das siebte Gebot   901 Das achte Gebot   939

Das neunte und zehnte Gebot   987

Kurze Erklärung der Gebote zur Unterweisung der Einfachen   999

Zweite Abteilung: Die Rechtssatzungen   1045

Erste Frage: Die Vorschriften zu den Verhandlungen selbst   1047 Die Vorschriften zu den Personen, die bei einer Verhandlung

erforderlich sind   1047 Das Gerichtsverfahren   1225 Das Gerichtsurteil   1279

Zweite Frage: Die Rechtssatzungen zur Wahrung der Gerechtigkeit   1425

Die Rechtssatzungen zu den Personen   1425 Die Rechtssatzungen zum Besitz   1475

Die Rechtssatzungen zum Recht und zur Pflicht bei Handlungen   1493

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Dritte Frage: Die Rechtsvorschriften zu den Zehnten, zu den Erstlingsfrüchten und Darbringungen   1515

Die Zehnten   1515

Die Erstlingsfrüchte   1609 Die Spenden   1617

Dritte Abteilung: Die Kultvorschriften   1627

Erste Frage: Die Bedeutung der Kultvorschriften   1627 Zweite Frage: Der Grund für die Kultvorschriften   1645

Dritte Frage: Die Anzahl und Unterscheidung der Kultvorschriften   1723 Vierte Frage: Die Befolgung der Kulthandlungen hinsichtlich der

Unreinheiten   1737

Fünfte Frage: Der Ritus der gesetzmäßigen Opfer   1767

Teilband III

Fünfte Frage: Der Ritus der gesetzmäßigen Opfer   1777 Sechste Frage: Das Ruhen der Kultvorschriften   1845 Vierte Untersuchung: Das Evangelische Gesetz   1913

Erste Abhandlung: Der Erlass und die Eigenschaften des Evangelischen Gesetzes   1913

Erste Frage: Muss der vernunftbegabten Schöpfung nur ein Gesetz gegeben werden?   1913

Zweite Frage: Ist außer dem Gesetz, das dem Geist eingegeben ist, noch ein geschriebenes Gesetz anzunehmen?   1919

Dritte Frage: Ist über die genannten Gesetze hinaus ein Gesetz des Evangeliums erforderlich?   1923

Vierte Frage: Ist das Gesetz des Evangeliums mit dem Naturgesetz identisch?   1935

Fünfte Frage: Ist das Gesetz des Evangeliums mit dem Gesetz des Mose identisch?   1941

Sechste Frage: Der Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium   1947

Siebte Frage: Das Enthaltensein des Evangeliums im Gesetz   2007 Achte Frage: Die Hinzufügung des Evangeliums zum Gesetz   2015 Neunte Frage: Die Erfüllung des Gesetzes durch das Evangelium   2027 Zehnte Frage: Der Erlass des Gesetzes und des Evangeliums   2027 Zweite Abhandlung: Die Vorschriften des Gesetzes des Evangeliums   2071 Erste Frage: Die Vorschriften zur Bewegung des zornmütigen

Strebens   2075

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Zweite Frage: Die Vorschriften zur Bewegung des begierlichen Strebens   2107

Dritte Frage: Die Vorschriften zur Bewegung des vernünftigen Strebens   2125

Das Verbot des Schwurs   2125 Die Vorschrift der Duldsamkeit   2137 Die Vorschrift der Wohltätigkeit   2159 Die Vorschrift der Liebe   2201

Vierte Frage: Die Vorschriften der Absicht   2225

III Kommentar

Erste Untersuchung: Das Ewige Gesetz   2283 Zweite Untersuchung: Das Naturgesetz   2296 Dritte Untersuchung: Das Gesetz des Mose   2316 Vierte Untersuchung: Das evangelische Gesetz   2476

Quellen- und Literaturverzeichnis

1 Quellen   2519 2 Literatur   2528

Register

1 Bibelstellen   2551 2 Personen   2577

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AKG Arbeiten zur Kirchengeschichte BFS Bibliotheca Franciscana Scholastica

BGPhMA Beiträge zur Geschichte zur Geschichte der Philosophie (und Theologie) des Mittelalters BHL Bibliotheca historica Lundensis

CChr.CM Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis CChr.SL Corpus Christianorum. Series Latina

CICiv Corpus iuris civilis, hg. v. Okko Behrends u.  a.

COD Conciliorum Oecumenicorum Decreta CSEL Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum

DH Denzinger/Hünermann: Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum

DThA Deutsche Thomas-Ausgabe FS Franziskanische Studien

GCS Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte LCL Loeb classical library

LexMA Lexikon des Mittelalters LThK Lexikon für Theologie und Kirche OCT Oxford classical texts

PG Patrologiae cursus completus. Accurante Jacques-Paul Migne. Series Graeca PL Patrologia Latina

PTS Patristische Texte und Studien RGG Religion in Geschichte und Gegenwart SC Sources chrétiennes

SCBO Scriptorum classicorum bibliotheca Oxoniensis SMRT Studies in Medieval and Reformation Thought SpicBon Spicilegium Bonaventurianum

TRE Theologische Realenzyklopädie

VGI NF Veröffentlichungen des Grabmann-Instituts. Neue Folge V Vulgata – Biblia latina

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a)  Die Frühscholastik – ein Umbruch in der europäischen Kulturgeschichte

Die Summa Halensis gehört zu den bedeutendsten Werken, die im Übergang von der Früh- zur Hochscholastik entstanden sind. Die Scholastik initiierte in allen Wissen- schaftszweigen eine intensive Beschäftigung mit der Tradition und so entwickelten sich in der Auseinandersetzung mit Texten, und das hieß mit Sprache und Argumen- tationsstrukturen, einheitliche Untersuchungsmethoden.1 „Am Text entzünden sich die Fragen (quaestio), die dann in gesonderten Traktaten bzw. seit dem 13. Jh. in der disputatio weiter erörtert werden.“2 Das wichtigste Instrument war hierbei die Logik, mit der die Plausibilität von Argumenten und Autoritäten beurteilt wurde. Die Entste- hung und Entwicklung der Scholastik war bildungs- und institutionengeschichtlich eng mit der Gründung von Universitäten verknüpft und ist insgesamt in den Prozess der „Transformationen“ einzuordnen, der das „lange 12. Jahrhundert“ prägte3. Zu den beiden ältesten Universitäten in Paris und in Bologna kamen zu Beginn des 13. Jahr- hunderts die Neugründungen in Oxford, Cambridge und Montpellier hinzu.4 Im geis- tigen und gesellschaftlichen Umfeld dieser Universitäten, die sich aus städtischen Schulen entwickelten, entstand der neue Typus der ‚Intellektuellen‘, „die berufsmä- ßig denken und ihre Gedanken lehren“5. Die Universalität scholastischen Denkens basierte auf der Qualität wie auch der Quantität der Lehrenden und Lernenden.6 Deren Verhältnis untereinander zeichnete sich sowohl durch Tradition und Loyali- tät als auch durch Konkurrenz aus. Damit verknüpft waren allerdings existentielle Unwägbarkeiten, deren Bewältigung oftmals den Eintritt in ein Kloster nahelegte.

Um ihre Unabhängigkeit gegenüber den weltlichen und kirchlichen Autoritäten zu wahren, schlossen sich die Lehrer und Schüler genossenschaftlich zusammen und bildeten eine ‚universitas‘, die Autonomie beanspruchte und Privilegien genoss. Das

1 Vgl. Southern, Scholastic Humanism and the Unification of Europe, Bd. 1, 11.

2 Leinsle, Einführung in die scholastische Theologie, 12; vgl. Grabmann, Geschichte der scholasti- schen Methode, Bd. 2, 13  ff; Leppin, Theologie im Mittelalter, 94; Novikoff, The Medieval Culture of Disputation, 34  ff.

3 Noble/van Engen, European Transformations. The Long Twelfth Century; vgl. Verger, Grundlagen, 49  ff; Leff, Paris and Oxford Universities in the Thirteenth and Fourteenth Centuries, 15  ff; Duby, Die Zeit der Kathedralen, 249f – Umstritten ist, ob angesichts der Entwicklung der Wissenschaften im 12. Jahrhundert von einer ‚Renaissance‘ gesprochen werden kann (vgl. Weimar, Die Renaissance der Wissenschaften im 12. Jahrhundert; Wetherbee, „Philosophy, Cosmology, and the Twelfth-Century Renaissance“, 21  ff; Southern, Scholastic Humanism and the Unification of Europe, Bd. 1, 58–101).

4 Vgl. Verger, Grundlagen, 139  ff; Schwinges, der Student in der Universität, 181  ff.

5 Leff, Die Intellektuellen im Mittelalter, 9; vgl. Borgolte, Europa entdeckt seine Vielfalt, 296  ff.

6 Vgl. Southern, Scholastic Humanism and the Unification of Europe, Bd. 1, 165  ff.

DOI 10.1515/9783110516319-002   © 2018, Michael Basse.

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entsprach durchaus den Tendenzen dieser Zeit, denn auch andere gesellschaftliche Gruppierungen schlossen sich in Interessengemeinschaften wie Zünften und Bruder- schaften zusammen.7 Gerade in der Anfangszeit gab es aber immer wieder Konflikte zwischen dem Autonomiestreben der Universitäten und den Interessen von Kirche und weltlicher Obrigkeit, insbesondere in Paris und in Oxford, die unter kirchlicher Leitung standen. Diese Konflikte verschärften sich dann noch einmal, als es um die Frage ging, ob auch die Bettelorden mit eigenen Lehrstühlen in den Universitäten ver- treten sein sollten.8 Auf der anderen Seite waren die Universitäten – wie die ‚Schulen‘

insgesamt  –, die das Grundgerüst und die Antriebskraft der Scholastik bildeten, mit dem System politischer Herrschaft eng verknüpft, insofern das wirtschaftliche Wachstum und die Zunahme sozialer Komplexität in Westeuropa immer größere Anforderungen an die Organisation von Rechtsprechung und Verwaltung stellten.9 Die Vermittlung der entsprechenden Kompetenzen durch die Ausbildung qualifi- zierten Personals war eine der Hauptaufgaben der Universitäten und eröffnete den Absolventen Chancen des gesellschaftlichen Aufstiegs. Grundlegend war die Beherr- schung der lateinischen Sprache, in der sich die Gebildeten über alle Grenzen hinweg verständigen konnten und die als Sprache der Wissenschaft wie auch der Herrschaft- spraxis fungierte. Da Frauen der Zugang zu den Lateinschulen verschlossen war und sie dementsprechend auch keine Universitäten besuchen konnten, blieb das gesamte Bildungssystem der Scholastik den Männern vorbehalten, die ihr Herrschaftswissen in der Kirche ebenso wie in der Gesellschaft und in der Ausübung politischer Macht zur Geltung bringen konnten.

Das Studium zeichnete sich durch einen strengen Aufbau, einen engen persön- lichen Austausch innerhalb der Wissensgemeinschaft und eine größtmögliche Dif- ferenzierung der Erkenntnisperspektiven aus. Die im Unterschied zu anderen Orten vielfältigeren Möglichkeiten, in wirtschaftlicher und räumlicher Hinsicht zu expan- dieren, ließen Paris zu der „scholastischen Metropole“10 schlechthin werden. Die Pariser Universität gliederte sich in vier Fakultäten, in denen die ‚Freien Künste‘

(artes liberales), das kanonische Recht sowie Theologie und Medizin gelehrt werden wurden. Dabei war das Artes-Studium eine Art Wissenschaftspropädeutik, das sich aus dem ‚Trivium‘ (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und dem ‚Quadrivium‘ (Arithme- tik, Geometrie, Astronomie, Musik) zusammensetzte. Es musste von allen Studieren- den absolviert werden, bevor sie ihr Studium in einer der drei ‚höheren‘ Fakultäten fortsetzen konnten. Grundlegende Bedeutung für das Artes-Studium an der Pariser Universität hatte Hugo von St. Viktor (um 1096–1141), der in seiner ‚Anleitung zum

7 Vgl. Schulz, Zunft, 686  ff; Lalou, Zunft. IV. Frankreich, 696  ff; Hergemöller/Weigand, Bruderschaft, 739  ff.

8 Vgl. Leff, Paris and Oxford Universities in the Thirteenth and Fourteenth Centuries, 103  ff.

9 Vgl. Southern, Scholastic Humanism and the Unification of Europe, Bd. 1, 134  ff.

10 Vgl. ebd., 198.

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Studium‘ (Didascalicon de studio legendi) eine Konzeption für die Zuordnung von theologischem und profanem Wissen entwickelt hatte.11 Mit den Universitätsstatuten, die der englische Kardinal und Universitätskanzler Robert von Courçon († 1219) im Jahre 1215 erließ, war für das Artes-Studium eine Dauer von sechs Jahren vorgeschrie- ben.12 Im Anschluss daran mussten für das Studium des kanonischen Rechts und der Medizin noch mindestens fünf weitere Jahre aufgewendet werden, für das Theologie- studium sogar acht Jahre. Die wenigsten Studenten setzten ihr Studium aber nach dem Bakkalaureat fort, viele absolvierten selbst das Artes-Studium nur zu einem Teil.

Zu den grundlegenden Merkmalen der Scholastik gehört die Rezeption der Phi- losophie des Aristoteles (384 v. Chr.–322 v. Chr.), die seit dem 13. Jahrhundert bestim- mend wurde, während die Wissenschaften sich zuvor noch an Augustin (354–430) und Boethius († 529) orientiert hatten. Mit der Rezeption der II. Analytik des Aristo- teles kam ein neues Wissenschaftsideal auf, das vor allem die Theologie vor große Herausforderungen stellte.13 Bei der Übermittlung der aristotelischen Philosophie in das christliche Abendland spielten orthodoxe, arabische und jüdische Gelehrte eine entscheidende Rolle. Besonders hervorzuheben sind dabei der persische Gelehrte Ibn Sīnā, latinisiert Avicenna (980–1037),14 der spanisch-arabische Philosoph und Arzt Ibn Rušd, latinisiert Averroës (1126–1198)15, sowie der jüdische Gelehrte Moses Maimonides (1135/38–1204)16. Nachdem Boethius bereits zwei der logischen Schriften des Aristoteles – die Kategorienschrift und die Hermeneutik (De interpretatione) – übersetzt und kommentiert hatte und seit dem 9.  Jahrhundert Übersetzungen der aristotelischen Schriften in das Arabische vorlagen, wurden Ende des 12. Jahrhun- derts die bisher fehlenden logischen Schriften – die erste und zweite Analytik, die Topik und die Sophististischen Widerlegungen – aus dem Griechischen wie auch aus dem Arabischen in das Lateinische übersetzt, so dass nun eine breitere Rezeption

11 Hugo von St. Viktor, Didascalicon de studio legendi (FC 27); vgl. Leinsle, Einführung in die scho- lastische Theologie, 82; Berndt, Hugo von St. Viktor, 101; Ivan Illich, Im Weinberg des Textes. Als das Schriftbild der Moderne entstand. Ein Kommentar zu Hugos „Didascalicon“, Frankfurt a. M. 1991.

12 Vgl. Leff, Paris and Oxford Universities in the Thirteenth and Fourteenth Centuries, 138.

13 Vgl. Leinsle, Einführung in die scholastische Theologie, 121  ff; Leff, Paris and Oxford Universities in the Thirteenth and Fourteenth Centuries, 188  ff; Schmidt, Die Zeit der Scholastik, 621  ff.

14 Vgl. Gutas, Avicenna and the Aristotelian Tradition, Leiden/Boston 1988; Goodman, Avicenna, London/New York 1992; Strohmaier, Avicenna, München 1999.

15 Vgl. Leaman, Averroes and his Philosophy, Oxford 1988; Kügelgen, Averroes und die arabische Moderne, Leiden 1994; Khoury, Averroes (1126–1198) oder der Triumph des Rationalismus, Heidelberg 2002; Zanner, Konstruktionsmerkmale der Averroes-Rezeption – ein religionswissenschaftlicher Bei- trag zur Rezeptionsgeschichte des islamischen Philosophen Ibn Ruschd, Frankfurt a. M. 2002.

16 Vgl. Niewöhner, Maimonides. Aufklärung und Toleranz im Mittelalter, Heidelberg 1988; Hassel- hoff, Dicit Rabbi Moyses. Studien zum Bild von Moses Maimonides im lateinischen Westen vom 13.

bis 15. Jahrhundert, Würzburg 22005; Davidson, Moses Maimonides: The man and his works, New York u.  a. 2005; Kraemer, Maimonides. The Life and Work of One of Civilization’s Greatest Minds, New York 2008.

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einsetzen konnte.17 Schon bald wurde unter den Gelehrten wie auch mit der Amts- kirche darüber gestritten, ob die Orientierung am aristotelischen Wissenschaftsideal mit den Grundüberzeugungen des christlichen Glaubens zu vereinbaren war, zumal insbesondere die naturphilosophischen Schriften des Aristoteles, die zum Teil von Gerhard von Cremona (†  1187) aus dem Arabischen übersetzt worden waren, dem christlichen Welt- und Menschenbild zu widersprechen schienen.18

Besondere Aufmerksamkeit schenkten die scholastischen Theologen und Juristen den Regeln sozialen Zusammenlebens in der christlichen Gemeinschaft. Angesichts der sich in dieser Zeit verändernden Lebensbedingungen, wie sie sich im Wachstum von Bevölkerung und Wohlstand widerspiegelten, wurden in der Auseinanderset- zung mit Aristoteles Grundüberzeugungen des frühen Mittelalters revidiert, die ins- besondere das Ideal der Besitzlosigkeit und die Bewertung wirtschaftlichen Handels sowie die Anschauung vom ‚gerechten Krieg‘ betrafen.19 Es entwickelte sich eine Symbiose von schulischer, d.  h. scholastischer, Bildung und Herrschaftsausübung, deren gemeinsames Ziel es war, in rechtlich-administrativer und religiöser Hinsicht Normierungen herbeizuführen.20 Die römische Amtskirche nutzte hierfür vor allem das Instrument der Konzilsbeschlüsse – so wurden von den vier Laterankonzilien, die in den Jahren 1123, 1139, 1179 und 1215 stattfanden, grundlegende Gesetze verab- schiedet, die im Kontext der gesellschaftlichen Veränderungen dieser Zeit und vor dem Hintergrund der politischen Auseinandersetzungen mit den weltlichen Mächten dazu beitragen sollten, die Institution Kirche nach innen und außen zu festigen.21 Mit dem Vierten Laterankonzil, das von Papst Innozenz III. (geb. 1160/61, Pontifikat 1198–1216), einem der bedeutendsten Kirchenrechtler des Mittelalters, einberufen und geleitet wurde,22 erreichte diese Entwicklung ihren Höhepunkt.23

Die gesellschaftliche Akzeptanz der juristischen und religiösen Normen hing nicht allein von der Macht ab, sie durchzusetzen, sondern auch von der Plausibilität, mit der sie begründet und entfaltet wurden. Die Fähigkeit zur rationalen Argumenta-

17 Vgl. Grabmann, Forschungen über die lateinischen Aristoteles-Übersetzungen des XIII. Jahrhun- derts, 1  ff; Dod, Aristoteles latinus, 45  ff; Lohr, The medieval interpretation of Aristotle, 80  ff; Brams, Der Einfluß der Aristoteles-Übersetzungen auf den Rezeptionsprozess, 27  ff. – Eine Analyse der Text- stellen, an denen der Gesetzestraktat der Summa Halensis auf Aristoteles Bezug nimmt, liefert somit auch wichtige Einsichten in die sprach- und philosophiegeschichtliche Rezeption des ‚Aristoteles Latinus‘.

18 Vgl. Dales, Medieval Discussions of the Eternity of the World, Leiden 1990; Leinsle, Einführung in die scholastische Theologie, 124  ff.

19 Vgl. Southern, Scholastic Humanism and the Unification of Europe, Bd. 1, 45  ff.

20 Vgl. ebd., 141  ff; Schmoeckel, Auf der Suche nach der verlorenen Ordnung, 133  ff.

21 Vgl. Duggan, Conciliar Law, 318  ff; García y García, The Fourth Lateran Council and the Canonists, 367  ff.

22 Vgl. Sayers, Innocent III, 94  ff; Schäfer, Innozenz III. und das 4. Laterankonzil, 103  ff; Moore, Pope Innocent III, 228  ff.

23 Vgl. Foreville, Lateran I–IV, 345  ff; Melloni, Die sieben „Papstkonzilien“ des Mittelalters, 214  ff.

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tion implizierte die Auseinandersetzung mit ernst zu nehmenden Einwänden, wie sie im eigenen wissenschaftlichen Referenzsystem oder auch von Seiten der Gesellschaft erhoben werden konnten. Das Abwägen von Pro- und Contra-Argumenten diente der Ergründung komplexer Sachzusammenhänge und trug damit zur Festigung der Nor- mengefüge in Kirche und Gesellschaft bei.24 Die ‚Disputation‘, die diesen Argumenta- tionsstil in literarischer Form wie auch in den institutionalisierten Streitgesprächen der Gelehrten perfektionierte, ließ die Universitäten zu „Parlamenten des mittelalter- lichen Europa“25 werden.

Während die Römische Kirche bei der Gründung von Universitäten eine wichtige Rolle spielte, kam es in der Folgezeit doch zu Konflikten angesichts der Bestrebungen der Universitäten, ein eigenständiges Profil zu gewinnen und das Studienprogramm selbst zu bestimmen. Gerade auch im Entstehungskontext der Summa Halensis ver- schärften sich diese Auseinandersetzungen, insofern es 1229 zum Streit zwischen der Pariser Universität und dem Bischof von Paris, Wilhelm von Auvergne (um 1180–

1249), kam. Dabei ging es zum einen um die grundsätzliche Frage, wie das gegensei- tige Verhältnis ausgestaltet werden sollte, und zum anderen um die inhaltliche Frage, welchen Stellenwert die Schriften des Aristoteles im Studium haben sollten. Als der Streit eskalierte und viele Professoren Paris verließen, wurde eine Delegation zu Papst Gregor IX. (geb. 1167, Pontifikat 1228–1241) nach Rom entsandt, um eine Lösung zu erreichen. Gregor IX. erließ die Konstitution Parens sententiarum, in der die Selbst- ständigkeit der Pariser Universität festgelegt und das Verbot, aristotelische Schriften im Lehrbetrieb zu verwenden, bekräftigt wurde, wenngleich mit der Einschränkung, dieses Verbot gelte, bis diese Schriften „korrigiert seien“26. Daraufhin wurde an der Universität eine Kommission eingesetzt, die unter der Leitung von Wilhelm von Auxerre († 1231) die Überprüfung und didaktische Aufbereitung der aristotelischen Schriften übernehmen sollte. Diese Revision scheiterte aber nicht nur daran, dass Wilhelm von Auxerre noch während des Aufenthaltes in Rom starb, sondern auch an der zunehmenden Bedeutung der Aristoteles-Rezeption, die nicht mehr durch Denk- verbote eingeschränkt und kontrolliert werden konnte.27

24 Vgl. Meyer, Die Distinktionstechnik in der Kanonistik des 12. Jahrhunderts, 63  ff.

25 Southern, Scholastic Humanism and the Unification of Europe, Bd. 1, 145. – Wenngleich Southerns Feststellung zutreffend ist, dass dadurch abweichende Meinungen in den Diskursen präsent blieben, geht es doch zu weit, hier Parallelen zur parlamentarischen Opposition zu ziehen. Die Einwände, die in den Argumentationen zur Sprache kamen, waren in der Regel nicht die von ‚Opponenten‘, sondern von anerkannten Autoritäten, wie sich nicht nur am Gesetzestraktat der Summa Halensis zeigen lässt, sondern auch an anderen klassischen Texten der Scholastik.

26 Denifle, Auctarium Chartularii Universitatis Parisiensis I, 140  f (Nr. 82); vgl. Miethke, Papst, Orts- bischof und Universität, 62  f; Weber, Sünde und Gnade bei Alexander von Hales, 15.

27 Vgl. Heinzmann, Philosophie des Mittelalters, 158  ff; Hödl, Aristotelesverbote, 948  f; Kluxen, Aris- toteles/Aristotelismus V/1, 784.

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Mit den Veränderungen des 11. und 12. Jahrhunderts wurde auch eine Systemati- sierung der verschiedenen Rechtstraditionen und -ansprüche notwendig.28 Dem ent- sprach zum einen der Rückgriff auf das römische Recht, das fortan zusammen mit dem kanonischen Recht das Fundament der europäischen Rechtskultur bildete.29 Zum anderen war es das Verdienst Gratians († vor 1160), der in Bologna Kirchenrecht lehrte, dass ein neues System kirchlichen Rechts entwickelt und damit zugleich eine scholastische Disziplin geschaffen wurde, deren Begrifflichkeit mit der Rechtspraxis verknüpft war.30 Das Decretum Gratiani war fortan die maßgebliche Grundlage des mittelalterlichen Kirchenrechts,31 worauf auch im Gesetzestraktat der Summa Ha- lensis immer wieder Bezug genommen wurde. Ergänzt wurde es im 13. Jahrhundert durch den sogenannten Liber Extra, eine Dekretalensammlung, die Raimund von Peña fort (um 1175–1275) im Auftrag Papst Gregors IX. zusammenstellte.32 Sie wurde 1234 mit einer päpstlichen Bulle promulgiert und den Universitäten Bologna und Paris zugesandt.33 Die Kirchenrechtsgelehrten besaßen damit eine zweite wichtige Quelle an rechtsverbindlichen Kirchengesetzen, die in der Folgezeit von den ‚Dekreta- listen‘ kommentiert und ausgelegt wurden, während die ‚Dekretisten‘ diese Aufgabe in Bezug auf das Decretum Gratiani wahrnahmen.34

Parallel zur Systematisierung und Ausdifferenzierung des Kirchenrechts verlief die Entwicklung im Bereich des Zivilrechts. Nach der Entdeckung des römischen Rechts, d.  h. einerseits des Codex Iustinianus, dem von Kaiser Justinian (geb. um 482, Kaiser 527–565) in Auftrag gegebenen Gesetzeswerk, und andererseits der Zusam- menstellung eines Lehrbuches (Institutiones Iustiniani) und von Schriften (Digesten oder Pandekten) römischer Juristen,35 war es seit der Wende zum 12. Jahrhundert vor

28 Vgl. Southern, Scholastic Humanism and the Unification of Europe, Bd. 1, 235  ff; Bundage, The Medieval Origins of the Legal Profession, 75  ff.

29 Vgl. Stein, Römisches Recht und Europa, 86–109; Lange, Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1, 35  ff; Hoeflich/Grabher, The Establishment of Normative Legal Texts, 1  ff.

30 Vgl. Pennington, Lex and ius in the Twelfth and Thirteenth Centuries, 2  ff; Winroth, The making of Gratianʼs Decretum, 5  ff; ders., The Teaching of Law in the Twelfth Century, 41  ff; ders., Neither Free nor Slave, 153  ff; Landau, Gratian and the Decretum Gratiani, 22  ff; Weigand, The Development of the Glossa ordinaria to Gratian’s Decretum, 55  ff.

31 Vgl. Schmoeckel, Auf der Suche nach der verlorenen Ordnung, 142  ff; Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 270  ff; Helmholz, Kanonisches Recht und europäische Rechtskultur, 8  ff; Brundage, The Teaching and Study of Canon Law in the Law Schools, 98  ff.

32 Vgl. Kuttner, Raymond of Peñafort as Editor, 65  ff; Goering, The Internal Forum and the Literature of Penance and Confession, 421  f.

33 Vgl. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, 287  f; May, Kirchenrechtsquellen, 28  f; van de Wouw, Dekretalen, 655  f; Chodorow, Dekretalensammlung, 656  ff.

34 Vgl. van de Wouw, Dekretalisten, 658  ff; Weigand, Dekretisten, 661  ff; Pennington, The Decreta- lists, 211  ff; Pennington/Müller, The Decretists, 121  ff; Weigand, The Transmontane Decretists, 174  ff.

35 Vgl. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 120  ff; Schmoeckel, Auf der Suche nach der ver- lorenen Ordnung, 145  ff; Hoeflich/Grabher, The Establishment of Normative Legal Texts, 2  ff.

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allem die Rechtsschule in Bologna, die sich der wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem römischen Recht widmete und es in den Kontext der eigenen Zeit auslegte.36 Im Gesetzestraktat der Summa Halensis werden nicht nur einzelne Bestimmungen dieses Zivilrechts rezipiert, vielmehr spiegelt sich in seiner Systematik die Doppel- struktur von Kirchen- und Zivilrecht wider, so dass gerade die rechtsphilosophischen und theologischen Reflexionen dieses Traktates als ein wichtiger Beitrag zur grund- sätzlichen Klärung der Konzeption von ‚Recht‘ und ‚Gesetz‘ wie auch der Beurteilung von Rechtsansprüchen angesehen werden kann. Im Blick auf den „Einfluss der Ka- nonistik auf die europäische Rechtskultur“37 stellt sich so in kirchen- und theologie- geschichtlicher Perspektive die Frage nach der Begründung des Rechts und dessen Rezeption im gesellschaftlichen Alltag.

Das systematisch-theologische Werk der Scholastik schlechthin, das an den Uni- versitäten bis zum Ende des Mittelalters als Schulbuch diente, waren die vier Sen- tenzenbücher des Petrus Lombardus (1095/1100–1160).38 Der Grundgedanke, den der Lombarde mit diesem Werk verfolgte, war es, die theologische Tradition zu bündeln und damit eine Zusammenfassung des katholischen Glaubens darzulegen, um diese in apologetischer Hinsicht gegen Glaubensirrtümer und Häresien zur Geltung zu brin- gen.39 Zu den wichtigsten Quellen der Sentenzensammlung des Lombarden gehör- ten das Werk ‚Über die Heilsgeheimnisse des christlichen Glaubens‘ (De sacramentis christianae fidei) des Hugo von St. Viktor und die ‚Theologie der Schüler‘ (Theologia Scholarium) des Petrus Abaelardus (1079–1142). In der Anknüpfung an die logische Präzision Abaelards wie auch der kritischen Auseinandersetzung mit ihm zeigt sich die Eigenständigkeit des Lombarden.40 Von den Kirchenvätern am häufigsten zitiert wurde Augustin. Von ihm übernahm der Lombarde auch die systematischen Gliede- rungsprinzipien ‚res – signum‘ (‚Sache‘ – ‚Zeichen‘) und ‚uti – frui‘ (‚gebrauchen‘ –

‚genießen‘), die Augustin entwickelt hatte, um damit einen Zugang zum Bibelstudium zu gewinnen und so eine ‚christliche Bildung‘ zu vermitteln.41 Die Unterscheidung von ‚Sache‘ und ‚Zeichen‘ hatte für den Lombarden eine hermeneutische Funktion und war zugleich von ontologischer Bedeutung, denn dadurch wird eine Ordnung der Wirklichkeit erkennbar, während die Unterscheidung von ‚Gebrauchen‘ und ‚Ge- nießen‘ darauf abzielte, die Relationen des Menschen zu Gott, zur geschaffenen Welt

36 Vgl. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 270  ff; Schmoeckel, Auf der Suche nach der ver- lorenen Ordnung, 156  ff; Bitterli, Glossatoren, 1504  ff; Ascheri, The Laws of Late Medieval Italy, 9  ff;

Hoeflich/Grabher, The Establishment of Normative Legal Texts, 12  ff.

37 Condorelli/Roumy/Schmoeckel (Hg.), Der Einfluss der Kanonistik auf die europäische Rechtskul- tur. Bd. 1, Köln 2009.

38 Petrus Lombardus, Sententiae in IV libris distinctae (SpicBon 4/5), Grottaferrata 31971/81.

39 Vgl. ebd., prol. Nr. 4  f (SpicBon 4, 4,15–20); Schmidt, Die Zeit der Scholastik, 592  ff.

40 Vgl. Luscombe, The school of Peter Abaelard, 261  ff.

41 Augustinus, De doctrina Christianae, I,2,2–5,5 (CChr.SL 32, 7–9; CSEL 80, 9–11).

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und zu sich selbst zu analysieren.42 Dogmen- und theologiegeschichtlich interessant ist auch der Rekurs auf Johannes von Damaskus (um 650– um 750), da hiermit die theologische Tradition der Ostkirche Berücksichtigung fand.43 Obwohl das Senten- zenwerk zunächst nicht unumstritten war und Petrus Lombardus selbst häretische Ansichten vorgeworfen wurden, erhielt es dann die Approbation durch die Amtskir- che, als das Vierte Laterankonzil 1215 in seiner dogmatischen Darlegung der Trini- tätslehre die Übereinstimmung mit dem Lombarden hervorhob.44 Die Vorlesung über die Sentenzenbücher gehörte in der Folgezeit zum Pflichtprogramm der Studenten, und zugleich war es für jeden Dozenten, der zum Magister promoviert werden wollte, zwingend erforderlich, als ‚Baccalaureus sententiarius‘ eine zweijährige Vorlesung über die Sentenzen des Lombarden zu halten.45 Die Verknüpfung von systematischer Theologie und Schriftauslegung, die das Sentenzenwerk des Lombarden bestimmte, lockerte sich mit der Zeit, was dazu führte, dass die Sentenzen schließlich im Unter- richt an die Stelle der Bibel traten.46 Es entwickelte sich eine eigenständige Textgat- tung von Sentenzenkommentaren, die für die Beschäftigung mit der mittelalterlichen Theologie- wie auch Philosophiegeschichte von grundlegender Bedeutung sind. Die Sentenzenglossen des Alexander von Hales (um 1185–1245) und die Summa Halensis waren hierbei die Werke, die am Übergang von der Früh- zur Hochscholastik eine wegweisende Rolle spielten.47 Mit dem Aufkommen der Summen sowohl in der Theo- logie als auch der Rechtswissenschaft war das Interesse verbunden, die jeweiligen Basistexte des Zivilrechts, des kanonischen Rechts und der Sentenzenbücher eigen- ständig zu strukturieren und inhaltlich zu akzentuieren, so dass Lehrbücher und Nachschlagewerke entstanden, die gerade auch für den universitären Gebrauch hilf- reich waren.48

Das Bestreben einer Systematisierung des Wissensstoffes in der Theologie be- stimmte auch die Entstehungsgeschichte der ‚Glossa ordinaria‘. Ihre Anfänge liegen im frühen 12.  Jahrhundert, als die Lehrer der Kathedralschule von Laon auf der Grundlage älterer Glossensammlungen eine Kompilation von Kommentaren zur Bibel erstellten, die aus Worterklärungen, Zitaten und Zusammenfassungen zwischen den Zeilen des Vulgatatextes – der Interlinearglosse – sowie jeweils an deren Rändern –

42 Vgl. Ebeling, Der hermeneutische Ort der Gotteslehre bei Petrus Lombardus und Thomas von Aquin, 214  ff.

43 Vgl. Baltzer, Die Sentenzen des Petrus Lombardus, 2  ff; Colish, Peter Lombard, Bd. 1, 22.

44 DH 804; COD3 2, 231,6–233,8; vgl. Leinsle, Einführung in die scholastische Theologie, 92.

45 Vgl. Leinsle, Einführung in die scholastische Theologie, 92; Grabmann, Geschichte der scholasti- schen Methode, Bd. 2, 404  ff.

46 Vgl. Leinsle, Einführung in die scholastische Theologie, 93.

47 Vgl. Brady, The Distinctions of Lambard’s Book of Sentences and Alexander of Hales, 95  ff.

48 Vgl. Grabmann, Geschichte der scholastischen Methode, 23  f; Leinsle, Einführung in die scholasti- sche Theologie, 52; Hoeflich/Grabher, The Establishment of Normative Legal Texts, 12  ff; Pennington/

Müller, The Decretists, 125  ff.

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der Marginalglosse – bestanden.49 Eine „Standardglosse“50 wurde seit dem ausge- henden 12. Jahrhundert von Paris aus verbreitet und insbesondere von den dort wir- kenden Lehrern in den exegetischen Vorlesungen zugrunde gelegt. Auch die Summa Halensis hat ausgiebig auf die Glossa ordinaria Bezug genommen.

b)  Die Relevanz der Gesetzesthematik im interkulturellen Vergleich

Für das christliche Abendland war das Gesetz in seinen mannigfachen Ausprägun- gen und Funktionen von grundlegender Bedeutung für Kirche und Gesellschaft und bildete geradezu das Rückgrat des mittelalterlichen Corpus christianum.51 Damit korrespondierten unterschiedliche und oftmals konträre Ansprüche weltlicher und geistlicher Mächte, Gesetze aufzustellen bzw. auszuführen. Der Grundsatzstreit zwi- schen Papsttum und Kaisertum, der im Investiturstreit des ausgehenden 11. Jahrhun- derts kulminierte und letztlich ein „Kampf um die rechte Ordnung in der christlichen Welt“52 war, lässt sich in dieser Hinsicht vor allem als eine Auseinandersetzung um Rechtsansprüche verstehen.53 Dieser Streit wurde auch mit dem Wormser Konkordat 1122 nicht endgültig beigelegt, vielmehr brach er Ende der 1230er Jahre unter Kaiser Friedrich II. (geb. 1194, Kaiser 1220–1250) erneut offen aus54 und bildete damit im unmittelbaren Entstehungskontext der Summa Halensis den politischen Hintergrund für deren Ausführungen zum Verhältnis von weltlicher und geistlicher Macht.

Das Verständnis des Gesetzes als Garanten der kirchlichen und gesellschaftlichen Ordnung bestimmte auch die Auseinandersetzung der Papstkirche mit der Bewegung der Katharer, die zu dieser Zeit in Südfrankreich großen Zulauf fand.55 Das Interesse, mit dem sich der Gesetzestraktat der Summa Halensis dem Nachweis widmete, dass das mosaische Gesetz „vom guten und einzigen Gott erlassen worden [ist]“56, spiegelt

49 Vgl. Smalley, The Study of the Bible in the Middle Ages, 46  ff; Hamel, Glossed Books of the Bible and the Origins of the Paris Booktrade, 1  ff; Stirnemann, “Où ont été fabriqués les livres de la Glose ordinaire …?”, 257  ff; Froehlich, Glossa ordinaria, 1012.

50 Froehlich, Glossa ordinaria, 1012.

51 Vgl. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 129  ff; Schmoeckel, Auf der Suche nach der ver- lorenen Ordnung, 96  ff; Wesel, Die Geschichte des Rechts in Europa, 179  ff. – In einem weit gefassten historischen Kontext kommt hier auch die Magna Charta in Betracht, die der englische König Johann Ohneland (geb. 1167, König von 1199–1216) im Jahr 1215 besiegelte.

52 Tellenbach, Libertas, 151.

53 Vgl. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 218  ff; Schmoeckel, Auf der Suche nach der ver- lorenen Ordnung, 173  ff.

54 Vgl. Houben, Kaiser Friedrich II., 71  ff; Rader, Friedrich II., 452  ff.

55 Vgl. Lambert, Geschichte der Katharer, 64  ff; Barber, Die Katharer, 71  ff; Thouzellier, Catharisme et Valdéisme en Languedoc à la fin du XIIe et au début du XIIIe siècle, 11  ff; Foreville, Lateran I–IV, 277  ff.

56 Summa Halensis III Nr. 263 (ed. Bd. IV/2, 374a–380b; in dieser Ausgabe S. 242–265).

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die Brisanz und die Aktualität dieses Konfliktes wider. Die Papstkirche hatte zuvor Kreuzzüge gegen die Katharer organisiert57 und deren Lehre auf dem Vierten Lateran- konzil insofern für häretisch erklärt, als die Transsubstantiationslehre wie auch die Ausführungen zum Sakrament der Ehe direkt gegen die Katharer gerichtet waren.58 Dabei sah sich die Papstkirche nicht nur durch den Dualismus der Katharer herausge- fordert, sondern vor allem auch durch deren Ethik, die für viele Zeitgenossen attraktiv war, zumal diese die Lebensform der Katharer im Vergleich mit dem Erscheinungsbild der Amtskirche als die konsequentere Verwirklichung urchristlicher Ideale ansahen.

Der Nachweis, dass es sich bei den Katharern um Häretiker handelte, konnte deshalb weniger überzeugend bei deren Frömmigkeitspraxis ansetzen, vielmehr musste er darauf abzielen, einen grundlegenden Irrtum hinsichtlich des Gesetzesverständnisses aufzuzeigen, und dementsprechend fokussierte sich der Gesetzestraktat der Summa Halensis auf die Frage der ‚Güte‘ des mosaischen Gesetzes. Damit war zugleich für die Inquisitionsverfahren, die nunmehr gegen die Katharer geführt wurden,59 ein inhalt- licher Punkt markiert, an dem die Inquisitoren ansetzen konnten.

Die Gesetzesthematik gewinnt über ihre theologie- und kulturgeschichtliche Re- levanz für das christliche Abendland hinaus noch dadurch an Bedeutung, dass sie auch im Judentum und im Islam dieser Zeit eine zentrale Rolle spielte.60 So liefert die interreligiöse und interkulturelle Perspektive nicht nur wichtige Einsichten in den Entstehungskontext und das erkenntnisleitende Interesse des Gesetzestraktates der Summa Halensis, sondern trägt auch zu grundsätzlichen Reflexionen über die Rele- vanz der Gesetzesthematik bei.61 Im Zusammenhang mit der „Wiederentdeckung von Talmud und Koran“62 wurde in Paris seit den 1220er Jahren eine intensive Debatte über das Thema des Gesetzes gerade auch im interreligiösen Vergleich geführt.63 In

57 Vgl. Drittes Laterankonzil, Canon 27 (COD 23, 224  f); Wakefield, Heresy, Crusade and Inquisition in Southern France 1100–1250, 96  ff.

58 DH 800–802; COD3 2, 230,33–38; vgl. Lambert, Geschichte der Katharer, 116  f; Barber, Die Katharer, 108  ff; Oberste, Krieg gegen Ketzer?, 384  f.

59 Vgl. Lambert, Geschichte der Katharer, 137  ff; Moore, The Formation of a Persecuting Society, 6  ff;

Kolmer, Ad capiendas vulpes, 35  ff.

60 Vgl. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 185  ff; Stow, Alienated Minority, 89  ff; Lorber- baum, Politics and the Limits of Law, 3  ff; Schwartz, Divine Law and Human Justification in Medieval Jewish-Christian Polemic, 121  ff; Campanini, Talmudisten versus Kabbalisten?, 263  ff; Griffel, “… and the killing of someone who upholds these convictions is obligatory!”, 214  ff; Tischler, Lex Mahometi, 527  ff.

61 Vgl. Graf, Moses Vermächtnis, 9  ff.

62 Tischler, Lex Mahometi, 546.

63 Vgl. Schwartz, Divine Law and Human Justification in Medieval Jewish-Christian Polemic, 138;

zur antijüdischen Polemik christlicher Theologen im 12. und 13. Jahrhundert vgl. Abulafia, Jewish- Christian Disputations and the Twelfth-Century Renaissance, 105  ff; Dahan, La polémique Chrétienne contre le Judaїsmeau moyen âge, 13  ff; Cohen, Scholarship and Intolerance in the Medieval Academy, 310  ff; Funkenstein, Changes in Christian Anti-Jewish Polemics in Twelfth Century, 172  ff.

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christlich-jüdischer Perspektive war in diesem Zusammenhang auch die Rezeption des Moses Maimonides im lateinischen Abendland von Bedeutung, dessen herme- neutischen Ansatz der Unterscheidung zwischen einer wörtlich-historischen Erklä- rung und einer allegorischen Auslegung von der Summa Halensis – vermittelt durch Wilhelm von Auvergne – aufgegriffen wurde.64 So konnten die einzelnen Gebote des Alten Testaments in historischer Hinsicht für das Volk Israel als sinnvoll angesehen und ihnen zugleich eine geistliche Bedeutung zugeschrieben werden. Diese christ- liche Rezeption jüdischer Gesetzeslehre bot durchaus die Möglichkeit für einen inter- religiösen Diskurs auf wissenschaftlicher Ebene, sie wurde aber zugleich durch den heilsgeschichtlichen Grundgedanken bestimmt, dass das Judentum durch das Chris- tentum abgelöst worden sei und fortwährend überwunden werden müsse. Dieser theologisch begründete Antijudaismus korrespondierte in der Zeit, in der die Summa Halensis entstanden ist, mit Judenverfolgungen, die im Zuge des Kreuzzuges gegen die Katharer an Intensität zunahmen.65 Der Antijudaismus richtete sich vonseiten der Amtskirche auch – und gerade – gegen den Talmud, da den Juden vorgeworfen wurde, dass sie damit ein „anderes Gesetz“66 neben das mosaische Gesetz stellten.

1240 kam es dann in Paris zu einem Talmudprozess und zwei Jahre später zu öffent- lichen Verbrennungen von Talmud-Handschriften.67

Im Unterschied sowohl zu Wilhelm von Auvergne, der in seinem Gesetzestraktat gegen das ‚Glaubensgesetz‘ Mohammeds polemisiert,68 als auch zum zweiten Buch der Summa Halensis, wo in einer Erörterung, ob Ordensangehörige dazu angehal- ten sind, auf Weingenuss zu verzichten, auf eine entsprechende „Regel“ Moham- meds verwiesen wird,69 geht der Gesetzestraktat der Summa Halensis auf das Thema

‚Gesetz(e) Mohammeds‘ nicht ein,70 sondern konzentriert sich ganz auf den Vergleich von christlichem und jüdischem Gesetzesverständnis.

64 Vgl. Smalley, William of Auvergne, 25  f; Schenker, Die Rolle der Religion bei Maimonides und Tho- mas von Aquin, 188  f.

65 Vgl. Borgolte, Europa entdeckt seine Vielfalt, 259.

66 Gregor IX., Mandat an die Erzbischöfe von Frankreich, England, Kastilien und Leon v. 9. Juni 1239 (ed. Simonsohn, The Apostolic See and the Jews, 172  f [Nr. 163], hier: 172); vgl. Werner, Vernichtet und vergessen?, 157  f; ders., Den Irrtum liquidieren, 610; Borgolte, Europa entdeckt seine Vielfalt, 259.

67 Vgl. Friedman, Anti-Talmudic Invective from Peter the Venerable to Nicolas Donin (1144–1244), 171  ff.

68 Vgl. Wilhelm von Auvergne, De legibus c.18 (Opera omnia I, 49b–50a); Daniel, Islam and the West, 151; Möhring, der Weltkaiser der Endzeit, 336  f; Tischler, Lex Mahometi, 546.

69 Summa Halensis II–II Nr. 607 (ed. Bd. III, 589a–b); vgl. Tischler, Lex Mahometi, 549.

70 Der Name ‚Mohammed‘ kommt im gesamten Gesetzestraktat der Summa Halensis nur an einer einzigen Stelle vor, und zwar in der Auslegung des ersten Gebotes im Rahmen der ‚Unterweisung für die einfachen Gläubigen‘, wo der muslimische Glaube an den Propheten Mohammed – ebenso wie der jüdische Glaube an den kommenden Messias – als ‚Götzenanbetung‘ verurteilt wird (vgl. Summa Halensis III Nr. 401 [ed. Bd. IV/2, 590b; in dieser Ausgabe S. 1010–1017]).

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c)  Vorläufer und Wegbereiter des Gesetzestraktats der Summa Halensis

Von den Theologen der Alten Kirche waren vor allem Origenes (um 185–254) und Augustin für die Konzeption eines christlichen Gesetzesverständnisses wegweisend.

Sie werden auch im Gesetzestraktat der Summa Halensis eingehend rezipiert, wobei insbesondere die Bedeutung Augustins als ‚Kirchenvater des Mittelalters‘ hier nach- drücklich zur Geltung kommt. Origenes, der ungeachtet seiner posthumen Verur- teilung als ‚Häretiker‘ in der Summa Halensis als theologische Autorität betrachtet wird, begründete mit terminologischen Klärungen im Rahmen seiner Bibelauslegung eine systematische Einteilung des Gesetzes, die dann insbesondere im Blick auf das mosai sche Gesetz Modellcharakter hatte und so auch in der mittelalterlichen Theo- logie Verbreitung fand. Origenes unterschied zwischen ‚Gesetzen‘, denen nur noch eine allegorische Bedeutung beigemessen werden dürfe, weshalb sie von den Chris- ten auch nicht mehr befolgt werden müssten, und Geboten, die auch von den Christen zu beachten seien, wobei innerhalb dieser Kategorie der Gebote noch einmal unter- schieden werden müsse zwischen Geboten mit buchstäblicher und mit allegorischer Bedeutung.71

Augustin hat sich an verschiedenen Stellen seines umfangreichen Werkes mit dem Thema des Gesetzes beschäftigt und mit seinem Verständnis des ewigen Geset- zes, wonach dieses „die göttliche Vernunft oder der Wille Gottes [ist], der die natür- liche Ordnung zu bewahren befiehlt und zu stören verbietet“72, so dass in dem ewigen Gesetz „die höchste Ordnung aller Dinge gründet“73, die Lehre vom Gesetz in sein Konzept einer Schöpfungs- und Heilsordnung eingebaut.74 Dieser prinzipielle Ansatz einer Unterscheidung zwischen ewigem und zeitlichem Gesetz wie auch die theolo- gische Verhältnisbestimmung von alt- und neutestamentlichem Gesetz wurde für die scholastische Lehre vom Gesetz prägend.

Für die etymologische Ableitung des lateinischen Gesetzesbegriffs wurde in der Scholastik – vor allem in Decretum Gratiani und so auch im Gesetzestraktat der Summa Halensis – immer wieder auf Isidor von Sevilla (um 560–636) rekurriert, der vor allem mit seinem enzyklopädischen Werk ‚Etymologien‘ (Etymologiarum sive ori- ginum libri XX) dazu beigetragen hat, dass antikes Bildungsgut auch nach dem kultur- geschichtlichen Einschnitt der Auflösung des weströmischen Reiches tradiert werden

71 Vgl. Lubac, Exégèse médiévale, Bd. II/2, 99  f; Pesch, Kommentar zu Thomas von Aquin: Das Ge- setz, 496.

72 Augustinus, Contra Faustum Maniachaeum XXII,27 (CSEL 25/1, 621).

73 Ders., De libero arbitrio I,6,15 (CSEL 74, 15).

74 Vgl. Schubert, Augustins Lex-aeterna-Lehre nach Inhalt und Quellen, 3  ff; Böckenförde, Ge- schichte der Rechts- und Staatsphilosophie, 196  ff.

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konnte.75 Im zehnten Kapitel des zweiten Buches sowie im fünften Buch der ‚Etymo- logien‘ befasste sich Isidor mit dem Gesetzesbegriff sowie spezifischen Ausprägungen des Gesetzes.76

Auf Anselm von Canterbury (um 1033–1109), der als bedeutendster Repräsentant der Frühscholastik und als deren Begründer angesehen werden kann, nimmt der Gesetzestraktat der Summa Halensis an vergleichsweise wenigen, jedoch inhaltlich gewichtigen Stellen Bezug. Zu den herausragenden Repräsentanten der Frühscho- lastik, die im Entstehungskontext des Gesetzestraktats der Summa Halensis eine be- deutende Rolle spielten, gehörten neben Petrus Lombardus die Gelehrten der Schule von St. Viktor sowie Philipp der Kanzler (nach 1160–1236), Wilhelm von Auxerre und Wilhelm von Auvergne. Im Sentenzenwerk des Lombarden wird die Gesetzesthematik am Ende des dritten Buches im Übergang von der Tugendlehre zur Sakramentenlehre verortet. So wird zunächst mit dem Verweis auf Mt 22,40 festgestellt, dass an dem Doppelgebot der Liebe „das ganze Gesetz“ hängt77, bevor dann der Dekalog als Ent- faltung dieses Doppelgebotes dargelegt wird.78 Am Ende seiner Ausführungen zum Gesetz erörterte der Lombarde das Verhältnis von Altem und Neuem Gesetz mit der theologischen Unterscheidung von „Gesetz und Evangelium“79.

Hugo von St. Viktor, der im Sentenzenwerk des Petrus Lombardus ausgiebig zitiert wird, hat vor allem im elften und zwölften Abschnitt des ersten Buches seines Haupt- werkes ‚Über die Heilsgeheimnisse des christlichen Glaubens‘ eine Gesetzeslehre entfaltet,80 auf die auch im Gesetzestraktat der Summa Halensis eingehend Bezug genommen wird. Hugo behandelt zunächst relativ kurz das Naturgesetz und widmet sich dann ausführlicher dem ‚geschriebenen Gesetz‘. Charakteristisch für Hugos Ge- setzeslehre und darin prägend für die Summa Halensis war die heilsgeschichtliche Gesamtkonzeption.81 Demnach stellen die Zeit des Naturgesetzes und die Zeit des geschriebenen Gesetzes die beiden ersten Epochen der Heilsgeschichte dar, auf die dann als dritte und abschließende Epoche die Zeit der Gnade folgt.82 Deren ‚Heilsge-

75 Vgl. Englisch, Die Artes liberales im frühen Mittelalter, 67  ff; Kindermann, Isidor von Sevilla, 273–

290; Landau, Gratian and the Decretum Gratiani, 33.

76 Isidor von Sevilla, Etymologiae II,10 u. V,1–27 (PL 82, 130  f.197–202; SCBO, Bd. 1; ed. Möller, 92  f.171–

189).

77 Petrus Lombardus, Sententiae III d.36 c.3 (SpicBon 5, 205,6  f).

78 Vgl. ebd., III d.37–40 (SpicBon 5, 206–229); Lluch-Baixauli, Formación y evolución del tratado escolástico sobre el Decálogo, 141–162.

79 Petrus Lombardus, Sententiae III d.40 c.3 (SpicBon 5, 229,11–17); vgl. Marschler, Der Vergleich von Altem und Neuem Gesetz im Spiegel ausgewählter scholastischer Kommentierungen von 3 Sent., d.40, 335.

80 Vgl. Hugo von St. Viktor, De sacramentis christianae fidei I,11–12 (ed. Berndt, 243–269).

81 Vgl. Grabmann, Die Geschichte der scholastischen Methode, Bd. 2, 250  ff.

82 Vgl. Hugo von St. Viktor, De sacramentis christianae fidei I,11,1 (ed. Berndt, 243,8  f).

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heimnisse‘83 sind den vorangegangenen nach Hugos Auffassung vorzuziehen, weil sie Zeichen der unsichtbaren Gnade sind und die Heiligung mitteilen, die sie in sich enthalten.84 Zu den Heilsgeheimnissen in der Zeit des natürlichen Gesetzes zählt Hugo den Zehnten, Opfer und Darbringungen, während er im Blick auf das geschrie- bene Gesetz an erster Stelle die Beschneidung nennt, bevor dann die beiden Tafeln des Dekalogs betrachtet werden.85 Den Abschluss bilden noch einmal systematische Überlegungen und Differenzierungen innerhalb der Gesetzeslehre,86 die teilweise von der Summa Halensis aufgegriffen wurden.

Philipp der Kanzler hat mit seinem Hauptwerk, der ‚Summa de bono‘, eben- falls auf den Gesetzestraktat der Summa Halensis eingewirkt,87 wobei er selbst auf eine erste Fassung von Alexanders Sentenzenkommentars zurückgreifen konnte.

Ausführungen zur Gesetzesthematik finden sich in der ‚Summa de bono‘ in unter- schiedlichen thematischen Zusammenhängen, vor allem im Schlussabschnitt dieses Werkes, der sich mit den vier Kardinaltugenden befasst, und hier in dem Abschnitt über die Tugend der Gerechtigkeit.88 Begriffsgeschichtlich fällt auf, dass Philipp nur an wenigen Stellen vom ‚Gesetz‘ (lex) spricht, sondern weitaus öfter den Terminus

‚Gebot‘ (praeceptum) verwendet. Seine Darlegungen hierzu konzentrieren sich auf grundsätzliche Fragen wie die des Geltungsanspruches von Geboten einerseits und konkrete Auslegungen einzelner Gebote wie das der Nächstenliebe andererseits.

Wilhelm von Auxerre, der zeitgleich mit Alexander von Hales an der Pariser Uni- versität lehrte, ist vor allem als Autor der ‚Summa aurea‘ in Erscheinung getreten, ein Werk, das weit verbreitet war und auf das auch im Gesetzestraktat der Summa Halensis ausgiebig Bezug genommen wird.89 Eine systematische Gesetzeslehre findet sich in der Summa aurea allerdings nicht, vielmehr wird die Gesetzesthematik in unterschiedlichen Traktaten behandelt, die sich jeweils mit bestimmten Einzelfra- gen beschäftigen. So wird zum einen die Bedeutung des Naturrechts erörtert und in diesem Zusammenhang dessen Abgrenzung zum ‚Göttlichen Gesetz‘ bestimmt;90 zum

83 Der lateinische Terminus ‚sacramentum‘ ist im mittelalterlichen Kontext weiter gefasst als der deutsche Begriff ‚Sakrament‘ und wird deshalb in Peter Knauers Übersetzung von Hugos Werk mit

‚Heiltümer‘ übersetzt (vgl. Berndt, Einleitung, in: Hugo von St. Viktor, Über die Heiltümer des christ- lichen Glaubens, 21  ff), während hier der Vorschlag von Manfred Gerwing aufgegriffen wird, den Be- griff ‚Heilsgeheimnis‘ zu verwenden (vgl. Gerwing, Rezension, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v.

22.07.2010, 32).

84 Vgl. Hugo von St. Viktor, De sacramentis christianae fidei I,11,2 (ed. Berndt, 243,8–15).

85 Vgl. ebd., I,12,6–7 (ed. Berndt, 255,6–264,12); Lluch-Baixauli, Formación y evolución del tratado escolástico sobre el Decálogo, 96–112.

86 Vgl. Hugo von St. Viktor, De sacramentis christianae fidei I,12,8–10 (ed. Berndt, 264,13–269,19).

87 Vgl. Summa Halensis III, Prolegomena (ed. Bd. IV/1, 132  f).

88 Vgl. Philipp der Kanzler, Summa de bono – De bono gratie in homine II C 4 (ed. Wicki, Bd. 2, 942–1126).

89 Vgl. Minges, Die theologischen Summen Wilhelms von Auxerre und Alexanders von Hales, 508  ff.

90 Vgl. Wilhelm von Auxerre, Summa aurea III, tr.18 (SpicBon 18a, 368–385).

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anderen wird eine umfangreiche Auslegung des Dekalogs präsentiert, wobei auch die gesellschaftlich relevanten Fragen des Eids und des Zinsnehmens thematisiert werden.91

Im Unterschied zu Wilhelm von Auxerre hat Wilhelm von Auvergne eine in sich geschlossene Abhandlung ‚Über die Gesetze‘ verfasst, die in der Summa Halensis re- zipiert wird, ohne jedoch deren systematischer Struktur zu folgen. Wilhelms Abhand- lung ‚Über die Gesetze‘ ist Teil eines Traktates ‚Über den Glauben und die Gesetze‘, was wiederum dem allgemeinen Aufriss der Summa Halensis entspricht, insofern diese zwischen dem Glauben und der Moral als den beiden Gegenstandsbereichen der theologischen Wissenschaft unterscheidet und den Gesetzestraktat an den Anfang des Abschnittes über die Moral stellt.92 In dem ersten Kapitel seiner Abhand- lung ‚Über die Gesetze‘ widmet sich Wilhelm von Auvergne zunächst einigen Begriffs- klärungen und sachlichen Eingrenzungen.93 Im Anschluss konzentriert sich Wilhelm dann vor allem auf das Thema der Idolatrie.94 Die Gesetze Gottes dienen nach seiner Auffassung in erster Linie der Abgrenzung zu religiösem Fehlverhalten. Dabei entfal- tet Wilhelm eine „Zeichen- und Ritualtheorie“95, die im Vergleich mit der Rezeption der augustinischen Signifikationshermeneutik in der Summa Halensis aufschluss- reich ist. In dieser Perspektive widmet sich Wilhelm von Auvergne nicht nur der alt- testamentlich-jüdischen Gesetzgebung und unterschiedlichen Erscheinungsformen magischer Kulte, sondern er setzt sich auch kritisch mit dem ‚mohammedanischen Gesetz‘ auseinander.96 Dass er dieses als ‚Gesetz des Natur‘ im Unterschied zu dem jüdischen ‚Gesetz des Glücks‘ sowie dem christlichen ‚Gesetz der Gnade‘ bestimmt, wobei der interreligiöse Vergleich darauf abzielt, allein dem christlichen Gesetz eine Relevanz für das Heil zuzusprechen,97 ist im Blick auf grundsätzliche Fragen einer Gesetzeslehre von Bedeutung. Der Gesetzestraktat der Summa Halensis konnte daran anknüpfen und übernahm vor allem auch religions- und kulturgeschichtliche In- formationen aus Wilhelms Abhandlung. Das gilt insbesondere für den Rückgriff auf Moses Maimonides und dessen ‚Führer der Unschlüssigen‘, den Wilhelm heranzog, um die Zeremonialgesetze der Tora zu erklären.98

91 Vgl. ebd., tr.54–58 (SpicBon 18b, 830–938); Lluch-Baixauli, Formación y evolución del tratado escolástico sobre el Decálogo, 176–198.

92 S. u. S. 23.

93 Vgl. Wilhelm von Auvergne, De legibus c.1 (Opera omnia I, 18a–29a).

94 Vgl. Lentes, Idolatrie im Mittelalter, 38  ff.

95 Ebd., 45.

96 Vgl. Wilhelm von Auvergne, De legibus c.18–19 (Opera omnia I, 49b–54a).

97 Vgl. ebd., c. 20–21 (Opera omnia I, 54b–64b).

98 S. o. S. 13.

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d) Alexander von Hales und seine Schule

Alexander von Hales wurde um 1185 in der Grafschaft Shropshire geboren.99 Sein phi- losophisches und theologisches Studium absolvierte er an der Universität von Paris.

Eine Zeit lang war er in seiner Heimat tätig, zunächst als Kanoniker der Kirche St.

Paul in London und dann als Kanoniker und Archidiakon von Coventry. Den Groß- teil seines Lebens verbrachte er aber an der Pariser Universität und trug dort zu den bahnbrechenden Entwicklungen bei, die für die Kulturgeschichte Europas von grund- legender Bedeutung waren. Alexander war es, der die Kommentierung der Senten- zenbücher des Petrus Lombardus in den Mittelpunkt der universitären Ausbildung rückte.100 Zudem führte er die Einteilung der Sentenzen in Distinktionen ein und schuf damit eine systematische Struktur, an der sich fortan die scholastische Theo- logie und Philosophie orientierten.101 In dem Konflikt zwischen der Universität und dem Bischof von Paris gehörte Alexander zu der Delegation, die sich in Rom um eine Lösung bemühte, sowie auch zu der Kommission, die dann die Aufgabe der Überprü- fung und didaktischen Aufbereitung der aristotelischen Schriften übernahm.

1236 trat Alexander in den Franziskanerorden ein, ohne dass sich genau rekons- truieren lässt, was ihn zu diesem Schritt veranlasst hat.102 Es bedeutete jedoch einen Einschnitt in seinem Leben, weil die Ideale dieser noch relativ jungen Ordensgemein- schaft einen tiefgreifenden Wandel in der Lebensgestaltung nach sich zogen.103 In theologischer Hinsicht änderte sich für Alexander jedoch nichts Grundlegendes, denn „das Leben als Minderbruder, wie er es bei seinen Schülern kennenlernen konnte, stand für ihn im Einklang mit seinen theologischen Grundprinzipien“104. Für die Stellung der Franziskaner an der Pariser Universität war Alexanders Ordensein- tritt von großer Bedeutung, weil sie nunmehr ebenso wie die Dominikaner einen theologischen Lehrstuhl besetzten und damit ihr Interesse an einer theologischen Ausbildung zur Geltung bringen konnten, was innerhalb des Ordens nicht unumstrit- ten war.105 Die herausragende Rolle, die Alexander fortan als Theologe des Franziska- nerordens einnahm, lässt sich daran ablesen, dass er 1239 an einem Generalkapitel in

99 Vgl. zum Folgenden Marcolino, Das Alte Testament in der Heilsgeschichte, 9  ff; Weber, Sünde und Gnade bei Alexander von Hales, 12–29; Osborne, Alexander of Hales, 3–17.

100 Vgl. Landgraf, Einführung in die Geschichte der theologischen Literatur der Frühscholastik, 45;

Leppin, Theologie im Mittelalter, 101.

101 Alexander von Hales, Glossa in Libri IV Sententiarum Petri Lombardi, 4 Bde., Quaracchi 1951–57 (BFS 12–15); vgl. Brady, The Distinctions of Lombard’s Book of Sentences and Alexander of Hales, 90  ff; Hödl, Petrus Lombardus, 298.

102 Vgl. Huber, Alexander von Hales, 354  f.

103 Zu den Anfängen des Franziskanerordens vgl. Feld, Die Franziskaner, Stuttgart 2008.

104 Weber, Sünde und Gnade bei Alexander von Hales, 17; vgl. Osborne, Alexander of Hales, 22.

105 Vgl. Berg, Armut und Wissenschaft, 74; Asztalos, Die theologische Fakultät, 363  ff; Schulthess/

Imbach, Die Philosophie im lateinischen Mittelalter, 234.

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Rom teilnahm, das ihn zusammen mit zwei weiteren Theologen beauftragte, eine In- terpretation der Franziskusregel zu erarbeiten. Alexander widmete sich dieser Arbeit zusammen mit seinen Schülern und legte drei Jahre später die Expositio in Regulam S. Francisci vor.106 Auch an dem Konzil von Lyon, das 1245 tagte, nahm Alexander teil und gehörte dort gemeinsamem mit anderen bedeutenden Theologen und Bischöfen einer Kommission an, die in einem Heiligsprechungsverfahren eingesetzt wurde.107 Nach seiner Rückkehr starb Alexander im August 1245 an den Folgen einer Epidemie, die in Paris ausgebrochen war.

Unter Alexanders Schülern ist – gerade auch im Blick auf den Gesetzestraktat der Summa Halensis – Johannes von La Rochelle († 1245) an erster Stelle zu nennen, zumal er der erste Theologe des Franziskanerordens war, der von Alexander von Hales an der Pariser Universität zum Magister der Theologie promoviert wurde.108 Sein Tractatus de legibus et praeceptis bildete die Vorlage für den Gesetzestraktat der Summa Halensis.109 Darüber hinaus verfasste er Kommentare zu biblischen Schriften und weitere Traktate, von denen die Abhandlung ‚Über die Laster‘ auch inhaltliche Parallelen zu einzelnen Abschnitten des Gesetzestraktates aufweist. Die theologische Eigenständigkeit des Johannes von La Rochelle gegenüber seinem Lehrer Alexander von Hales wird im Gesetzestraktat dort besonders deutlich, wo er kritische Abgren- zungen bzw. inhaltliche Präzisierungen vorträgt.110

Zu den bekanntesten Mitarbeitern der Summa Halensis zählte zudem Odo Ri- galdus (1200/05–1275), der selbst bei Alexander von Hales und Johannes von La Ro- chelle studierte und nach Alexanders Tod von 1245 bis 1248 auch den theologischen Lehrstuhl inne hatte.111 Sein Sentenzenkommentar ist nicht nur von herausragender theologischer Qualität, sondern bildet zusammen mit dem Sentenzenkommentar Bonaventuras (1221–1274) auch einen wichtigen Markstein der Rezeption und Weiter- entwicklung des Ansatzes der Summa Halensis in der Theologie des Franziskaner- ordens.112

106 Expositio quattuor magistrorum super regulam Fratrum Minorum (1241–1242), ed. Livarius Oliger (Storia e letteratura 30), Rom 1950.

107 Vgl. Spätling, Der Anteil der Franziskaner an den Generalkonzilien des Spätmittelalters, 308  ff.

108 Vgl. Hödl, Johannes von La Rochelle, 541.

109 S. u. S. 31  f; vgl. Henquinet, Ist der Traktat De legibus et praeceptis in der Summa Alexanders von Hales von Johannes von Rupella?, 1  ff; Grabmann, Das Naturrecht der Scholastik von Gratian bis Thomas von Aquin, 75  f.

110 Vgl. Summa Halensis III Nr. 251 zu III (ed. Bd. IV/2, 356b; in dieser Ausgabe S. 178  f). – Dass Jo- hannes sich an dieser Stelle, wo es um die Frage der natürlichen Gotteserkenntnis geht, auf Richard von St. Viktor beruft, unterstreicht den Augustinismus seines theologischen Ansatzes (zur Theologie des Richard von St. Viktor vgl. Coulter, Per visibilia ad invisibilia. Theological Method in Richard of St. Victor; Grabmann, Geschichte der scholastischen Methode, Bd. 2, 310  ff).

111 Vgl. Knoch, Odo Rigaldus, 1117.

112 Vgl. Summa Halensis III, Prolegomena (ed. Bd. IV/1, 77  f.248  ff); Henquinet, Les manuscrits et l’influence des écrits theologiques d’Eudes Rigaud, 324  ff; Knoch, Odo Rigaldus, 1118. – Zum Verhält-

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