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Zu dem zweiten Gegenargument über die Synderesis ist zu sagen, dass das Gesetz eigentlich wie eine Richtschnur vorschreibt, die Synderesis eigentlich wie die

Im Dokument Summa theologica Halensis Teilband I (Seite 153-162)

QUO MODO SIT LEX NATURALIS

II. 1. Zu dem zweiten Gegenargument über die Synderesis ist zu sagen, dass das Gesetz eigentlich wie eine Richtschnur vorschreibt, die Synderesis eigentlich wie die

Natur vorschreibt, und darum regt sie nur zum Guten an.

2. Das Gesetz bewegt eigentlich nach dem Antrieb, so wie Isidor es will, das Gewissen aber nach dem Urteil, die Synderesis aber gemäß dem natürlichen Streben nach dem wahren Guten.212 Oder, wie gesagt wurde, weil der Antrieb des Gesetzes auf die Fähigkeit bezogen wird, der des Gewissens auf die Vernunft, der der Syndere-sis aber auf den Willen, wird daraus gefolgert, dass das Naturgesetz die beigegebene Richtschnur der Fähigkeit dessen ist, was zu tun ist, mit der Lenkung der Vernunft und dem Antrieb des Willens.

|346| Dritte Frage: Auf welche Weise ist das Naturgesetz?

Nach der Einsicht, dass das Naturgesetz existiert und was es ist, ist als Nächstes zu untersuchen, auf welche Weise es ist.

Zuerst wird gefragt, auf welche Weise es hinsichtlich seines Wesens ist, ob es zum Beispiel zerstörbar ist oder nicht;

zweitens, hinsichtlich seiner Gebote, ob es wandelbar ist oder nicht.

Kapitel 1: Ist das Naturgesetz zerstörbar oder nicht? [Nr. 246]

Hinsichtlich des Ersten wird Folgendes eingewendet: 1. Röm 2,14: Wenn die Heiden usw., die Glosse: „Nicht weil vonseiten der Natur, wie gesagt wurde, die Gnade ver-weigert worden wäre, sondern vielmehr durch die Gnade die Natur wiederhergestellt wurde, durch welche Gnade der innere Mensch erneuert wurde und das Gesetz der Gerechtigkeit geschrieben wird, welche die Schuld zerstört hatte“213, und sie nennt das natürliche Gesetz hier Natur. Es wurde also durch die Schuld zerstört; also ist es zerstörbar.

2. Mal 2,15: Gebt acht auf euren Geist, und verachte nicht die Frau deiner Jugend, die Glosse: „die Frau, das ist das natürliche Gesetz, das ins Herz geschrieben ist, das auch die Ungläubigen zu sagen treibt: Gott soll urteilen, Gott soll schauen, und ich erlaube ihm, alles zwischen mir und dir zu entscheiden. Diese Frau ist ein Grund-bestandteil unseres Geistes, weil sie stets eng mit unserem Geist verbunden ist, und wenn sie sich zurückzieht, beleidigen wir sofort Gott.“214 Sie zieht sich also zurück, und daher ist sie von der Seele zerstörbar.

212 Vgl. Isidor, Etymologiae V,4,1 (PL 82, 199; SCBO, Bd. 1; ed. Möller, 173).

213 Petrus Lombardus, Collectanea in epistolam ad Romanos 2,14 (PL 191, 1345).

214 Glossa ordinaria zu Mal 2,15 (ed. Froehlich/Gibson, Bd. 3, 455a).

3. Tertia ratio. Quod potest in id quod maius est potest in id quod minus est. Si ergo culpa potest delere legem gratiae, quae plus est quam lex naturae, ergo potest delere legem naturae, et ita delebilis est.

Ad oppositum: a. Augustinus, II Confessionum: «Furtum, Domine, punit lex tua et lex scripta in cordibus hominum, quam nec ulla quidem delet iniquitas. Quis enim fur aequo animo alium patitur furem?» Ex quo patet quod non est delebilis, quoniam, si delebilis esset, hoc esset propter iniquitatem aliquam.

Solutio: Dicendum quod aliquid dicitur deleri dupliciter: vel quantum ad essen-tiam vel quantum ad effectum, sicut patet in eclipsi solis: lux enim solis ibi non deficit quantum ad essentiam, sed quantum ad effectum quem habet in nobis, qui est illu-minare, lucet autem semper in se. Eodem modo est in hac parte, quia lex natura-lis, quae est sicut sol in anima, quantum ad essentiam nunquam deletur ab ea, sed semper ibi lucet in se; deletur tamen aliquando quantum ad effectum, scilicet quia non semper ipsam animam illuminat, sicut cum anima avertitur a Deo et obtenebra-tur per peccatum. Unde tenebra peccati, interposita inter animam et Deum, prohibet istum effectum legis. Unde Rom. 2, 14: Cum gentes etc., Glossa: «Non ergo usque adeo in anima imago Dei terrenorum affectuum labe detrita est, ut nulla in ea lineamenta remanserint. Non omnino deletum est quod ibi per imaginem Dei, cum crearetur, impressum est». Unde semper manet scriptura legis naturalis in anima. Nam per ima-ginem impressa est ipsa lex, et propter hoc, si deletur quantum ad lectionem propter terrenum affectum, non tamen quantum ad essentiam. Et ad hoc potest haberi ratio ex Glossa praedicta Malach. 2, 15, quia dicit ibi quod lex naturalis «semper spiritui nostro copulatur»; ergo non est delebilis ab eo. Et hoc intelligendum est quantum ad essentiam legis naturalis.

|347| [Ad obiecta]: 1. Ad primam ergo rationem, quae ostendit quod simpliciter sit delebilis, dicendum quod est scriptio legis quantum ad essentiam et est scriptio legis quantum ad manifestationem. Quod ergo dicitur quod «lex iustitiae naturalis inscribitur», hoc non est quantum ad essentiam, sed quantum ad manifestationem, ut scilicet luceat quod obtenebratum erat per peccatum.

3. Was in Größerem etwas vermag, vermag etwas in Kleinerem. Wenn also die Schuld das Gesetz der Gnade zerstören kann, das mehr ist als das Gesetz der Natur, kann es folglich das Gesetz der Natur zerstören, und daher ist es zerstörbar.

Auf der Gegenseite: a. Augustinus in Buch II der Bekenntnisse: „Den Diebstahl, Herr, bestrafen dein Gesetz und das Gesetz, das in die Herzen der Menschen geschrie-ben ist, welches keine Sündhaftigkeit irgendwie zerstört. Welcher Dieb nämlich erträgt mit Gleichmut einen anderen Dieb?“215 Daher ist offensichtlich, dass es nicht zerstörbar ist, da ja, wenn es zerstörbar wäre, es dies wegen irgendeiner Ungerechtig-keit wäre.

Lösung: Auf zwei Weisen wird ausgesagt, dass etwas zerstört wird: entweder hinsichtlich seines Wesens oder hinsichtlich seiner Wirkung, so wie es in einer Son-nenfinsternis deutlich ist: Das Licht der Sonne nimmt dort nämlich nicht hinsichtlich seines Wesens ab, sondern hinsichtlich seiner Wirkung, die es in uns hat, nämlich zu erhellen, in sich aber leuchtet es stets. Auf dieselbe Art verhält es sich bei dieser Sache, weil das Naturgesetz, das sich wie die Sonne in der Seele verhält, hinsichtlich seines Wesens niemals von dieser zerstört wird, sondern in sich stets dort leuchtet; es wird dennoch bisweilen zerstört hinsichtlich seiner Wirkung, nämlich weil es nicht stets die Seele selbst erhellt, zum Beispiel wenn die Seele sich von Gott abwendet und von der Sünde verdunkelt wird. Daher verhindert die Finsternis der Sünde diese Wirkung des Gesetzes, wenn sie sich zwischen die Seele und Gott schiebt. Daher Röm 2,14:

Wenn die Heiden usw., die Glosse: „Nicht also solange, bis in der Seele das Abbild Gottes durch die Schande der irdischen Neigungen abgeschliffen ist, sodass in ihr keine Konturen mehr davon übrigbleiben. Es ist nicht ganz zerstört, was dort durch das Abbild Gottes eingeprägt wurde, als es geschaffen wurde.“216 Deswegen bleibt die Schrift des natürlichen Gesetzes stets in der Seele. Denn durch das Abbild ist das Gesetz selbst eingeprägt, und deswegen wird es, wenn es hinsichtlich des Lesens aus irdischer Neigung zerstört wird, dennoch nicht hinsichtlich seines Wesens zerstört.

Und dazu kann das Argument aus der genannten Glosse zu Mal 2,15 herangezogen werden, weil sie dort sagt, dass das Naturgesetz „stets eng mit unserem Geist verbun-den ist“; also ist es nicht von ihm zerstörbar. Und das ist hinsichtlich des Wesens des natürlichen Gesetzes aufzufassen.

|347| [Zu den Einwänden]: 1. Zu dem ersten Argument, das zeigt, dass es schlecht-hin zerstörbar sei, ist zu sagen, dass es ein Schreiben des Gesetzes schlecht-hinsichtlich seines Wesens gibt und ein Schreiben des Gesetzes hinsichtlich seiner Offenbarung. Dass gesagt wird, dass „das Gesetz der natürlichen Gerechtigkeit eingeschrieben wird“, gilt nicht hinsichtlich des Wesens, sondern hinsichtlich der Offenbarung, sodass zum Beispiel leuchtet, was durch die Sünde verdunkelt worden war.

215 Augustinus, Confessiones II,4,9 (CSEL 33, 35).

216 Petrus Lombardus, Collectanea in epistolam ad Romanos 2,14 (PL 191, 1345).

2. Ad secundum dicendum quod lex naturalis dicitur recedere quantum ad officium vel effectum, non tamen quantum ad essentiam, sicut dicitur dominus reces-sisse quando non habet imperium in domo.

3. Ad tertiam dicendum quod non sequitur quod, si gratia potest deleri, quod maius est, quod possit deleri illud quod minus est, quia non sequitur: ‘gratia delet peccatum mortale, quod maius est; ergo delet peccatum veniale, quod minus est’.

Similiter non sequitur: ‘culpa delet legem gratiae, quae maior est; ergo et legem naturae, quae minor est’. Culpa enim naturaliter opponitur legi gratiae et non legi naturae, et ideo ipsam delet et non istam, nisi quantum ad effectum. Et iterum, licet lex gratiae plus sit quantum ad virtutem quam lex naturae, non tamen quantum ad diuturnitatem in subiecto, quia naturaliter indita est animae illa ratio, et ita non est delebilis per culpam sicut illa.

[Nr. 247] CAPUT II.

UTRUM LEX NATURALIS SIT MUTABILIS.

Secundo quaeritur de modo essendi legem naturalem quantum ad mandata. Et quae-ritur utrum sit mutabilis quantum ad praecepta iuris naturalis.

Ad quod sic: a. In Decretis habetur, dist. 5, quod naturale ius, ab exordio rationalis creaturae incipiens, manet immobile, per hoc volens assignare differentiam eius ad legem scriptam. Ergo ius naturale quantum ad sua praecepta immobile est.

b. Secunda ratio. In eadem dist. 5: «Naturale ius coepit ab exordio rationalis crea-turae; nam nec variatur tempore, sed immutabile manet».

c. Tertia ratio. Lex posita ab aliquo, manente voluntate positoris et illo cui impo-sita est, semper dicitur manere. Ergo, cum maneat voluntas ponentis legem natura-lem et maneat rationalis creatura cui imposita est, et ipsa lex naturalis manet immu-tabilis.

Ad oppositum: 1. Isidorus, IV Etymologiarum: «Ius naturale commune est omni nationi»; hoc iure «communis est omnis possessio et omnium una libertas». Si ergo

2. Vom Naturgesetz wird gesagt, dass es sich zurückzieht, hinsichtlich der Pflicht oder der Wirkung, nicht aber hinsichtlich des Wesens, so wie von einem Herrn gesagt wird, dass er sich zurückgezogen habe, wenn er nicht mehr die Herrschaft im Hause innehat.

3. Es folgt nicht, dass, wenn die Gnade zerstört werden kann, was größer ist, dass jenes zerstört werden kann, was kleiner ist, weil nicht folgt: ‚Die Gnade zerstört die Todsünde, welche größer ist; also zerstört sie die lässliche Sünde, welche kleiner ist.‘

Ebenso folgt nicht: ‚Die Schuld zerstört das Gesetz der Gnade, welches größer ist; also auch das Gesetz der Natur, welches kleiner ist.‘ Die Schuld nämlich ist von Natur aus dem Gesetz der Gnade entgegengesetzt und nicht dem Gesetz der Natur, und deshalb zerstört sie jenes und nicht dieses, außer hinsichtlich der Wirkung. Und ebenso, wenn auch das Gesetz der Gnade mehr ist hinsichtlich der Tugend als das Gesetz der Natur, so dennoch nicht hinsichtlich der langen Dauer im Subjekt, weil von Natur aus der Seele jene Vernunft beigegeben ist, und daher ist es nicht durch Schuld zerstörbar wie jenes.

Kapitel 2: Ist das Naturgesetz wandelbar? [Nr. 247]

Zweitens wird nach der Seinsweise des natürlichen Gesetzes gefragt hinsichtlich der Gebote. Und es wird gefragt, ob es hinsichtlich der Vorschriften des natürlichen Rechts wandelbar ist.

Dazu so: a. In den Dekreten heißt es in der Distinctio 5, dass das Naturrecht, das vom Beginn der vernunftbegabten Schöpfung seinen Anfang nimmt, unbeweg-lich bleibt,217 wodurch sie [die Distinctio] den Unterschied zwischen ihm und dem geschriebenen Gesetz bestimmen will. Also ist das Naturrecht hinsichtlich seiner Vor-schriften unbeweglich.

b. In derselben Distinctio 5: „Das Naturrecht nimmt seinen Anfang vom Beginn der vernunftbegabten Schöpfung; denn es verändert sich nicht durch die Zeit, sondern bleibt unveränderlich.“218

c. Von einem Gesetz, das von jemandem auferlegt wurde, heißt es, dass es stets fortbesteht, wenn der Wille des Gesetzgebers und der, dem es auferlegt worden ist, fortbestehen. Wenn also der Wille des Gesetzgebers des natürlichen Gesetzes fortbe-steht und die vernunftbegabte Schöpfung, der es auferlegt worden ist, befortbe-steht auch das natürliche Gesetz selbst unwandelbar fort.

Auf der Gegenseite: 1. Isidor in Buch IV der Etymologien: „Das Naturrecht ist allen Völkern gemeinsam“219; nach diesem Recht „ist alles Besitztum Gemeingut und haben alle ein und dieselbe Freiheit.“ Wenn also diese Bestimmung verändert ist,

217 Decretum Gratiani, D.5 (ed. Friedberg, Bd. I, 7).

218 Ebd.

219 Isidor, Etymologiae V,4,1 (PL 82, 199; SCBO, Bd. 1; ed. Möller, 173).

sanctio ista mutata est, ita ut modo iure sit aliquid proprium, patet quod mutabilis est lex naturae quantum ad suas sanctiones et mandata.

2. Secunda ratio. Ierem. 3, 20: Sed quo modo si contemnat mulier, Glossa: Videns eam servire libidini suae, et in se mutatam legem naturae, per quam quondam viro suo subiecta fuerat». Si mutata est lex naturae, ergo est mutabilis.

3. Tertia ratio. Eccli. 17, 9: Addidit eis disciplinam et legem vitae, Glossa: «Legem litterae quantum ad correctionem legis naturalis scribi voluit». Lex ergo naturalis cor-rigibilis est; ergo et mutabilis, quia omne corrigibile mutabile est.

4. Quarta ratio. Tempore Lamech, qui primus habuit plures uxores, fuit peccatum habere plures uxores; unde dicit Glossa ibi quod contra legem «et naturam adulte-rium commisit». Post vero non fuit istud peccatum; unde Iacob plures habuit uxores sine peccato, et dicit Augustinus quod peccatum non erat, quando mos erat; et hoc secundum ius naturale; ergo praecepta iuris naturalis mutata sunt.

5. Item, in Decretis, dist. 8: «Differt ius naturale a consuetudine. Nam iure natu-rali omnia sunt communia omnibus, iure vero consuetudinis et constitutionis hoc meum est, illud vero alterius». Si primum mutatum est, ergo etc.

|348| 6. Sexta ratio. In Decretis, dist. 1: «Ius naturale est quod in Lege et in Evan-gelio continetur». Si ergo in Lege continentur multa iura mutabilia, ius naturale est mutabile.

Solutio: Dicendum quod opinio quorumdam est quod in lege naturali quaedam sunt sicut praecepta et prohibitiones, ut ‘fac aliis quod tibi vis fieri, et non facias aliis quod tibi non vis fieri’; quaedam autem sicut demonstrationes, ut omnia esse com-munia omnibus. Et differt demonstratio legis naturalis a praeceptis sicut consilium a praeceptis; unde demonstratio ibi accipitur loco consilii. Dicunt ergo quod quantum ad praecepta et prohibitiones immutabilis est lex naturalis, sed quantum ad

demon-sodass es heute nach dem Recht Eigentum gibt, ist klar, dass das Gesetz der Natur wandelbar ist hinsichtlich seiner Bestimmungen und Gebote.

2. Jer 3,20: Aber wie wenn eine Frau [ihren Mann] verschmäht, die Glosse: „Sehend, dass sie ihrer Lust dient und das Gesetz der Natur in ihr verändert ist, durch das sie einst ihrem Manne unterworfen war“220. Wenn das Gesetz der Natur verändert ist, ist es also veränderlich.

3. Sir  17,9: Er hat ihnen Weisheit und das lebenspendende Gesetz gegeben, die Glosse: „Das Gesetz des Buchstabens, insofern er wollte, dass es zur Verbesserung des natürlichen Gesetzes aufgeschrieben werde.“221 Das natürliche Gesetz ist also korrigierbar; also auch veränderlich, weil alles Korrigierbare veränderlich ist.

4. Zur Zeit des Lamech, der als erster mehrere Ehefrauen hatte,222 war es eine Sünde, mehrere Frauen zu haben; daher sagt die Glosse hierzu, dass er gegen das Gesetz „und die Natur Ehebruch begangen hat“223. Später aber war dies keine Sünde mehr; daher hatte Jakob mehrere Frauen ohne Sünde224 und sagt Augustinus, dass es keine Sünde war, als es Sitte war;225 und dies dem natürlichen Recht gemäß; also sind die Vorschriften des natürlichen Rechts verändert worden.

5. In den Dekreten in der Distinctio 8: „Das natürliche Recht unterscheidet sich von der Gewohnheit. Denn durch das natürliche Recht ist alles allen gemeinsam, durch das Recht der Gewohnheit aber und Festsetzung ist dies meins, jenes das eines anderen.“226 Wenn das erste sich geändert hat, dann usw.

|348| 6. In den Dekreten in Distinctio 1: „Das natürliche Recht ist das, welches im Gesetz und im Evangelium enthalten ist.“227 Wenn also im Gesetz viele veränderliche Rechte enthalten sind, ist das natürliche Recht wandelbar.

Lösung: Die Meinung einiger228 lautet, dass im natürlichen Gesetz einige [Teile]

wie Vorschriften und Verbote sind, so wie ‚Tue anderen, was du willst, das dir getan wird, und tue anderen nicht, was du nicht willst, das dir getan wird‘; einige aber sind wie Hinweise, wie dass alles allen gemeinsam ist. Und der Hinweis des natür-lichen Gesetzes unterscheidet sich von den Vorschriften wie der Ratschlag von den Vorschriften; daher wird ‚Hinweis‘ hier als Synonym von ‚Ratschlag‘ aufgefasst. Sie sagen also, dass hinsichtlich der Vorschriften und Verbote das natürliche Gesetz unwandelbar, hinsichtlich der Hinweise aber wandelbar ist, weil die Hinweise keine

220 Glossa ordinaria zu Jer 3,20 (ed. Froehlich/Gibson, Bd. 3, 106a).

221 Glossa ordinaria zu Sir 17,9 (ed. Froehlich/Gibson, Bd. 2, 761a).

222 Vgl. Gen 4,19.

223 Glossa ordinaria zu Gen 4,19 (ed. Froehlich/Gibson, Bd. 1, 33a).

224 Vgl. Gen 19; 30.

225 Vgl. Augustinus, Contra Faustum Manichaeum XXII,47 (CSEL 25/1, 639).

226 Decretum Gratiani, D.8 (ed. Friedberg, Bd. I, 12).

227 Ebd., D.1 (ed. Friedberg, Bd. I, 1).

228 Diese Auffassung wird in den Summen der Rechtsgelehrten Rufinus, Stephan von Tournai, Simon von Bisignano und Huguccio von Pisa vertreten (vgl. Lottin, Le Droit Naturel chez Saint Tho-mas d’Aquin et ses prédécesseurs, 13  ff).

strationes est mutabilis, quia demonstrationes non sunt praecepta nec prohibitiones legis naturalis, sed solum demonstrationes, ad quas anima non tenetur sicut nec ad consilium, nisi tempore necessitatis.

Aliter autem est dicendum, secundum B. Augustinum, in libro Confessionum, quod sicut videmus quod medicina est ars immutabilis, tamen medicus quandoque mutat praecepta languentibus, et tamen ratio praecepti artis in se est immutabilis, nec venit mutatio ista ex parte artis, sed ex parte alia, scilicet eius cui ministratur ex arte, ita lex naturalis immutabilis est quantum ad rationem suorum praeceptorum et sanctionum, non tamen quantum ad observantiam omnium sanctionum, sicut medi-cina.

[Ad obiecta]: 1. Ad primam ergo rationem, quae ostendit quod sit mutabilis in se, dicendum quod iure naturali essent omnia communia et omnium una libertas, hoc fuit ante peccatum; post peccatum quaedam sunt quibusdam propria, et haec duo sunt per legem naturalem. Sicut enim ars medicinae dictat vinum esse sanum et eadem ars negat vinum aegro, ita eadem lex naturalis dicet quod sanae naturae omnia sunt communia et quod ita debet esse, et tamen eamdem dabit naturae aegrae proprietatem; nec mutatur propter hoc quantum ad rationem sanctionis, immo eadem ratio, quae dictat omnia esse communia in natura bene instituta, dictat aliqua esse propria in natura destituta per peccatum. Et sic solum est mutatio quantum ad observantiam sanctionum et effectuum et non quantum ad rationes ipsorum.

2. Ad secundam rationem dicendum quod non intendit dicere Glossa illa legem mutari simpliciter, sed solum in uxore illa quantum ad effectum quem habet in illa, et hoc propter interpositionem culpae inter animam et Deum, sicut sol dicitur mutari in nobis vel quoad nos, quando non habet effectum in nobis.

3. Ad tertium dicendum quod correctio quaedam ponit vitium, quaedam vero supplementum. Non dicitur ergo lex naturalis correcta per legem litterae quantum ad aliquod vitium, quia haec correctio ponit mutabilitatem, sed solum quantum ad sup-plementum et hoc non ponit mutabilitatem. Lex enim naturalis dictabat in generali, sicut patet cum dicit ‘non facias alii’ etc. Sub hac autem generalitate comprehendun-tur multa particularia, ut ‘non occidas, non falsum testimonium dices’ etc. Lex autem

Vorschriften oder Verbote des natürlichen Gesetzes sind, sondern nur Hinweise, zu denen die Seele nicht verpflichtet ist, wie auch nicht zu einem Ratschlag, außer in Zeiten der Not.

Auf andere Weise aber ist zu sagen, nach Augustinus in der Schrift der Bekennt-nisse, dass, so wie wir sehen, dass die Medizin eine unveränderliche Kunst ist, der Arzt jedoch bisweilen die Verordnungen für die Kranken ändert und dennoch das Wesen der Verordnung dieser Kunst in sich unwandelbar ist und diese Veränderung nicht vonseiten der Kunst kommt, sondern von anderer Seite, nämlich vonseiten dessen, dem mit der Kunst gedient wird, so das natürliche Gesetz unwandelbar ist

Auf andere Weise aber ist zu sagen, nach Augustinus in der Schrift der Bekennt-nisse, dass, so wie wir sehen, dass die Medizin eine unveränderliche Kunst ist, der Arzt jedoch bisweilen die Verordnungen für die Kranken ändert und dennoch das Wesen der Verordnung dieser Kunst in sich unwandelbar ist und diese Veränderung nicht vonseiten der Kunst kommt, sondern von anderer Seite, nämlich vonseiten dessen, dem mit der Kunst gedient wird, so das natürliche Gesetz unwandelbar ist

Im Dokument Summa theologica Halensis Teilband I (Seite 153-162)