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c)  Vorläufer und Wegbereiter des Gesetzestraktats der Summa Halensis

Im Dokument Summa theologica Halensis Teilband I (Seite 26-30)

Von den Theologen der Alten Kirche waren vor allem Origenes (um 185–254) und Augustin für die Konzeption eines christlichen Gesetzesverständnisses wegweisend.

Sie werden auch im Gesetzestraktat der Summa Halensis eingehend rezipiert, wobei insbesondere die Bedeutung Augustins als ‚Kirchenvater des Mittelalters‘ hier nach-drücklich zur Geltung kommt. Origenes, der ungeachtet seiner posthumen Verur-teilung als ‚Häretiker‘ in der Summa Halensis als theologische Autorität betrachtet wird, begründete mit terminologischen Klärungen im Rahmen seiner Bibelauslegung eine systematische Einteilung des Gesetzes, die dann insbesondere im Blick auf das mosai sche Gesetz Modellcharakter hatte und so auch in der mittelalterlichen Theo-logie Verbreitung fand. Origenes unterschied zwischen ‚Gesetzen‘, denen nur noch eine allegorische Bedeutung beigemessen werden dürfe, weshalb sie von den Chris-ten auch nicht mehr befolgt werden müssChris-ten, und GeboChris-ten, die auch von den ChrisChris-ten zu beachten seien, wobei innerhalb dieser Kategorie der Gebote noch einmal unter-schieden werden müsse zwischen Geboten mit buchstäblicher und mit allegorischer Bedeutung.71

Augustin hat sich an verschiedenen Stellen seines umfangreichen Werkes mit dem Thema des Gesetzes beschäftigt und mit seinem Verständnis des ewigen Geset-zes, wonach dieses „die göttliche Vernunft oder der Wille Gottes [ist], der die natür-liche Ordnung zu bewahren befiehlt und zu stören verbietet“72, so dass in dem ewigen Gesetz „die höchste Ordnung aller Dinge gründet“73, die Lehre vom Gesetz in sein Konzept einer Schöpfungs- und Heilsordnung eingebaut.74 Dieser prinzipielle Ansatz einer Unterscheidung zwischen ewigem und zeitlichem Gesetz wie auch die theolo-gische Verhältnisbestimmung von alt- und neutestamentlichem Gesetz wurde für die scholastische Lehre vom Gesetz prägend.

Für die etymologische Ableitung des lateinischen Gesetzesbegriffs wurde in der Scholastik – vor allem in Decretum Gratiani und so auch im Gesetzestraktat der Summa Halensis – immer wieder auf Isidor von Sevilla (um 560–636) rekurriert, der vor allem mit seinem enzyklopädischen Werk ‚Etymologien‘ (Etymologiarum sive ori-ginum libri XX) dazu beigetragen hat, dass antikes Bildungsgut auch nach dem kultur-geschichtlichen Einschnitt der Auflösung des weströmischen Reiches tradiert werden

71 Vgl. Lubac, Exégèse médiévale, Bd. II/2, 99  f; Pesch, Kommentar zu Thomas von Aquin: Das Ge-setz, 496.

72 Augustinus, Contra Faustum Maniachaeum XXII,27 (CSEL 25/1, 621).

73 Ders., De libero arbitrio I,6,15 (CSEL 74, 15).

74 Vgl. Schubert, Augustins Lex-aeterna-Lehre nach Inhalt und Quellen, 3  ff; Böckenförde, Ge- schichte der Rechts- und Staatsphilosophie, 196  ff.

konnte.75 Im zehnten Kapitel des zweiten Buches sowie im fünften Buch der ‚Etymo-logien‘ befasste sich Isidor mit dem Gesetzesbegriff sowie spezifischen Ausprägungen des Gesetzes.76

Auf Anselm von Canterbury (um 1033–1109), der als bedeutendster Repräsentant der Frühscholastik und als deren Begründer angesehen werden kann, nimmt der Gesetzestraktat der Summa Halensis an vergleichsweise wenigen, jedoch inhaltlich gewichtigen Stellen Bezug. Zu den herausragenden Repräsentanten der Frühscho-lastik, die im Entstehungskontext des Gesetzestraktats der Summa Halensis eine be-deutende Rolle spielten, gehörten neben Petrus Lombardus die Gelehrten der Schule von St. Viktor sowie Philipp der Kanzler (nach 1160–1236), Wilhelm von Auxerre und Wilhelm von Auvergne. Im Sentenzenwerk des Lombarden wird die Gesetzesthematik am Ende des dritten Buches im Übergang von der Tugendlehre zur Sakramentenlehre verortet. So wird zunächst mit dem Verweis auf Mt 22,40 festgestellt, dass an dem Doppelgebot der Liebe „das ganze Gesetz“ hängt77, bevor dann der Dekalog als Ent-faltung dieses Doppelgebotes dargelegt wird.78 Am Ende seiner Ausführungen zum Gesetz erörterte der Lombarde das Verhältnis von Altem und Neuem Gesetz mit der theologischen Unterscheidung von „Gesetz und Evangelium“79.

Hugo von St. Viktor, der im Sentenzenwerk des Petrus Lombardus ausgiebig zitiert wird, hat vor allem im elften und zwölften Abschnitt des ersten Buches seines Haupt-werkes ‚Über die Heilsgeheimnisse des christlichen Glaubens‘ eine Gesetzeslehre entfaltet,80 auf die auch im Gesetzestraktat der Summa Halensis eingehend Bezug genommen wird. Hugo behandelt zunächst relativ kurz das Naturgesetz und widmet sich dann ausführlicher dem ‚geschriebenen Gesetz‘. Charakteristisch für Hugos Ge-setzeslehre und darin prägend für die Summa Halensis war die heilsgeschichtliche Gesamtkonzeption.81 Demnach stellen die Zeit des Naturgesetzes und die Zeit des geschriebenen Gesetzes die beiden ersten Epochen der Heilsgeschichte dar, auf die dann als dritte und abschließende Epoche die Zeit der Gnade folgt.82 Deren

‚Heilsge-75 Vgl. Englisch, Die Artes liberales im frühen Mittelalter, 67  ff; Kindermann, Isidor von Sevilla, 273–

290; Landau, Gratian and the Decretum Gratiani, 33.

76 Isidor von Sevilla, Etymologiae II,10 u. V,1–27 (PL 82, 130  f.197–202; SCBO, Bd. 1; ed. Möller, 92  f.171–

189).

77 Petrus Lombardus, Sententiae III d.36 c.3 (SpicBon 5, 205,6  f).

78 Vgl. ebd., III d.37–40 (SpicBon 5, 206–229); Lluch-Baixauli, Formación y evolución del tratado escolástico sobre el Decálogo, 141–162.

79 Petrus Lombardus, Sententiae III d.40 c.3 (SpicBon 5, 229,11–17); vgl. Marschler, Der Vergleich von Altem und Neuem Gesetz im Spiegel ausgewählter scholastischer Kommentierungen von 3 Sent., d.40, 335.

80 Vgl. Hugo von St. Viktor, De sacramentis christianae fidei I,11–12 (ed. Berndt, 243–269).

81 Vgl. Grabmann, Die Geschichte der scholastischen Methode, Bd. 2, 250  ff.

82 Vgl. Hugo von St. Viktor, De sacramentis christianae fidei I,11,1 (ed. Berndt, 243,8  f).

heimnisse‘83 sind den vorangegangenen nach Hugos Auffassung vorzuziehen, weil sie Zeichen der unsichtbaren Gnade sind und die Heiligung mitteilen, die sie in sich enthalten.84 Zu den Heilsgeheimnissen in der Zeit des natürlichen Gesetzes zählt Hugo den Zehnten, Opfer und Darbringungen, während er im Blick auf das geschrie-bene Gesetz an erster Stelle die Beschneidung nennt, bevor dann die beiden Tafeln des Dekalogs betrachtet werden.85 Den Abschluss bilden noch einmal systematische Überlegungen und Differenzierungen innerhalb der Gesetzeslehre,86 die teilweise von der Summa Halensis aufgegriffen wurden.

Philipp der Kanzler hat mit seinem Hauptwerk, der ‚Summa de bono‘, eben-falls auf den Gesetzestraktat der Summa Halensis eingewirkt,87 wobei er selbst auf eine erste Fassung von Alexanders Sentenzenkommentars zurückgreifen konnte.

Ausführungen zur Gesetzesthematik finden sich in der ‚Summa de bono‘ in unter-schiedlichen thematischen Zusammenhängen, vor allem im Schlussabschnitt dieses Werkes, der sich mit den vier Kardinaltugenden befasst, und hier in dem Abschnitt über die Tugend der Gerechtigkeit.88 Begriffsgeschichtlich fällt auf, dass Philipp nur an wenigen Stellen vom ‚Gesetz‘ (lex) spricht, sondern weitaus öfter den Terminus

‚Gebot‘ (praeceptum) verwendet. Seine Darlegungen hierzu konzentrieren sich auf grundsätzliche Fragen wie die des Geltungsanspruches von Geboten einerseits und konkrete Auslegungen einzelner Gebote wie das der Nächstenliebe andererseits.

Wilhelm von Auxerre, der zeitgleich mit Alexander von Hales an der Pariser Uni-versität lehrte, ist vor allem als Autor der ‚Summa aurea‘ in Erscheinung getreten, ein Werk, das weit verbreitet war und auf das auch im Gesetzestraktat der Summa Halensis ausgiebig Bezug genommen wird.89 Eine systematische Gesetzeslehre findet sich in der Summa aurea allerdings nicht, vielmehr wird die Gesetzesthematik in unterschiedlichen Traktaten behandelt, die sich jeweils mit bestimmten Einzelfra-gen beschäftiEinzelfra-gen. So wird zum einen die Bedeutung des Naturrechts erörtert und in diesem Zusammenhang dessen Abgrenzung zum ‚Göttlichen Gesetz‘ bestimmt;90 zum

83 Der lateinische Terminus ‚sacramentum‘ ist im mittelalterlichen Kontext weiter gefasst als der deutsche Begriff ‚Sakrament‘ und wird deshalb in Peter Knauers Übersetzung von Hugos Werk mit

‚Heiltümer‘ übersetzt (vgl. Berndt, Einleitung, in: Hugo von St. Viktor, Über die Heiltümer des christ-lichen Glaubens, 21  ff), während hier der Vorschlag von Manfred Gerwing aufgegriffen wird, den Be-griff ‚Heilsgeheimnis‘ zu verwenden (vgl. Gerwing, Rezension, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v.

22.07.2010, 32).

84 Vgl. Hugo von St. Viktor, De sacramentis christianae fidei I,11,2 (ed. Berndt, 243,8–15).

85 Vgl. ebd., I,12,6–7 (ed. Berndt, 255,6–264,12); Lluch-Baixauli, Formación y evolución del tratado escolástico sobre el Decálogo, 96–112.

86 Vgl. Hugo von St. Viktor, De sacramentis christianae fidei I,12,8–10 (ed. Berndt, 264,13–269,19).

87 Vgl. Summa Halensis III, Prolegomena (ed. Bd. IV/1, 132  f).

88 Vgl. Philipp der Kanzler, Summa de bono – De bono gratie in homine II C 4 (ed. Wicki, Bd. 2, 942–1126).

89 Vgl. Minges, Die theologischen Summen Wilhelms von Auxerre und Alexanders von Hales, 508  ff.

90 Vgl. Wilhelm von Auxerre, Summa aurea III, tr.18 (SpicBon 18a, 368–385).

anderen wird eine umfangreiche Auslegung des Dekalogs präsentiert, wobei auch die gesellschaftlich relevanten Fragen des Eids und des Zinsnehmens thematisiert werden.91

Im Unterschied zu Wilhelm von Auxerre hat Wilhelm von Auvergne eine in sich geschlossene Abhandlung ‚Über die Gesetze‘ verfasst, die in der Summa Halensis re-zipiert wird, ohne jedoch deren systematischer Struktur zu folgen. Wilhelms Abhand-lung ‚Über die Gesetze‘ ist Teil eines Traktates ‚Über den Glauben und die Gesetze‘, was wiederum dem allgemeinen Aufriss der Summa Halensis entspricht, insofern diese zwischen dem Glauben und der Moral als den beiden Gegenstandsbereichen der theologischen Wissenschaft unterscheidet und den Gesetzestraktat an den Anfang des Abschnittes über die Moral stellt.92 In dem ersten Kapitel seiner Abhand-lung ‚Über die Gesetze‘ widmet sich Wilhelm von Auvergne zunächst einigen Begriffs-klärungen und sachlichen Eingrenzungen.93 Im Anschluss konzentriert sich Wilhelm dann vor allem auf das Thema der Idolatrie.94 Die Gesetze Gottes dienen nach seiner Auffassung in erster Linie der Abgrenzung zu religiösem Fehlverhalten. Dabei entfal-tet Wilhelm eine „Zeichen- und Ritualtheorie“95, die im Vergleich mit der Rezeption der augustinischen Signifikationshermeneutik in der Summa Halensis aufschluss-reich ist. In dieser Perspektive widmet sich Wilhelm von Auvergne nicht nur der alt-testamentlich-jüdischen Gesetzgebung und unterschiedlichen Erscheinungsformen magischer Kulte, sondern er setzt sich auch kritisch mit dem ‚mohammedanischen Gesetz‘ auseinander.96 Dass er dieses als ‚Gesetz des Natur‘ im Unterschied zu dem jüdischen ‚Gesetz des Glücks‘ sowie dem christlichen ‚Gesetz der Gnade‘ bestimmt, wobei der interreligiöse Vergleich darauf abzielt, allein dem christlichen Gesetz eine Relevanz für das Heil zuzusprechen,97 ist im Blick auf grundsätzliche Fragen einer Gesetzeslehre von Bedeutung. Der Gesetzestraktat der Summa Halensis konnte daran anknüpfen und übernahm vor allem auch religions- und kulturgeschichtliche In-formationen aus Wilhelms Abhandlung. Das gilt insbesondere für den Rückgriff auf Moses Maimonides und dessen ‚Führer der Unschlüssigen‘, den Wilhelm heranzog, um die Zeremonialgesetze der Tora zu erklären.98

91 Vgl. ebd., tr.54–58 (SpicBon 18b, 830–938); Lluch-Baixauli, Formación y evolución del tratado escolástico sobre el Decálogo, 176–198.

92 S. u. S. 23.

93 Vgl. Wilhelm von Auvergne, De legibus c.1 (Opera omnia I, 18a–29a).

94 Vgl. Lentes, Idolatrie im Mittelalter, 38  ff.

95 Ebd., 45.

96 Vgl. Wilhelm von Auvergne, De legibus c.18–19 (Opera omnia I, 49b–54a).

97 Vgl. ebd., c. 20–21 (Opera omnia I, 54b–64b).

98 S. o. S. 13.

Im Dokument Summa theologica Halensis Teilband I (Seite 26-30)