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Archiv "Hodenhochstand" (26.09.2014)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 39

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26. September 2014 647

M E D I Z I N

EDITORIAL

Hodenhochstand: Ist die Umsetzung

der Leitlinie im klinischen Alltag gelungen?

Kai O. Hensel, Stefan Wirth

Editorial zum Beitrag:

Hodenhochstand:

„Operations - zeitpunkt bei Hodenhochstand – Retrospektive multizentrische

Auswertung“

von Hrivatakis et al.

auf den folgenden Seiten

heblich unterschätzt zu werden, was einen wahr- scheinlichen Erklärungsansatz für die hohe Rate an spät durchgeführten Orchidopexien bei Hodenhoch- stand darstellt.

Operationszeitpunkt

Bei Betrachtung repräsentativer internationaler Stu- dien wird deutlich, dass der angestrebte Operations- zeitpunkt im ersten Lebensjahr ein ehrgeiziges Ziel ist. Aufgrund des unerklärt fortgeschrittenen Alters der Knaben zum Zeitpunkt der Überweisung zur Operation bei nicht-skrotal gelegenem Testis mehren sich in den letzten Jahren die Publikationen, die das

„Enigma“ der späten Orchidopexie zu erklären ver- suchen (9, 10). Das Durchschnittsalter liegt bisher zwischen 2 und 6 Jahren, so dass Anstrengungen un- ternommen werden müssen, diesen Zeitpunkt vorzu- verlegen.

Hrivatakis et al. haben retrospektiv Fälle der Jahre 2009 und 2012 aus kinderchirurgischen Therapieein- heiten in Baden-Württemberg untersucht. In dieser Zeit sollte die geänderte Therapieempfehlung Beach- tung gefunden haben. Von 1 850 Jungen mit primä- rem Hodenhochstand wurden 81 % nach dem vollen- deten ersten Lebensjahr, also nicht leitliniengerecht, operiert. Es wird deutlich, dass damit das erklärte Ziel spürbar verfehlt wird, und man kann mit diesem Ergebnis nicht zufrieden sein.

Da nicht in allen publizierten Studien zwischen primärem und sekundärem Hodenhochstand unter- schieden wurde, lässt sich bezüglich des Operations- zeitpunktes eine gewisse Unschärfe feststellen.

Trotzdem kann man nicht davon ausgehen, dass dies der alleinige Grund für den durchschnittlich späten Operationszeitpunkt ist.

In einer eigenen retrospektiven Analyse bei 3 587 Jungen mit Maldescensus testis, die in den Jahren 2003 bis 2012 in 13 Kliniken bundesweit operiert wurden, wurde dokumentiert, dass vor Änderung der Leitlinie 79 % der Kinder zum Operationszeit- punkt älter als 2 Jahre waren und immerhin noch 45 % über 5 Jahre. Nach verbreiteter Publikation der Änderung der Leitlinie, also etwa ab dem Jahr 2010, ging der Anteil von Kindern über 2 Jahre auf 72 % und über 5 Jahre auf 38 % zurück. Auch dieses Ergebnis ist trotz einer tendenziellen Verbesserung nicht überzeugend. In dieser Untersuchung konnte allerdings nicht zwischen primärem und sekundärem

D

ie Erstellung einer Leitlinie ist die eine Sache, die entsprechende Umsetzung in der täglichen klinischen Praxis allerdings eine andere (1, 2). Die erste Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kin- derchirurgie zur Behandlung des Hodenhochstands aus dem Jahr 1999 behielt lange Gültigkeit und wur- de im Januar 2009 überarbeitet auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Me- dizinischen Fachgesellschaften (AMWF) publiziert.

Der entscheidende Unterschied zur Vorgängerversi- on bezüglich der Therapie war, dass der empfohlene Abschluss der Behandlung des Hodenhochstands (Orchidopexie) vom vollendeten 2. auf das vollende- te 1. Lebensjahr vorgezogen wurde. Das erklärte Be- handlungsziel war, Sekundärschäden am Hoden durch die frühzeitige Verlagerung ins Skrotum zu verhindern und damit Fertilitätsstörungen und mali- gnen Entartungen im Erwachsenenalter vorzubeugen (3, 4). International hatte sich aufgrund neuer Kennt- nisse das Ende des ersten Lebensjahres als Behand- lungsabschluss durchgesetzt (5). Im April 2013 wur- de die erneut überarbeitete, aktuell gültige Leitlinie auf der AMWF-Homepage publiziert. Hier wurden keine weiteren grundsätzlichen Änderungen vorge- nommen. Die klinisch relevante Frage nach der leit- liniengerechten Umsetzung wird nun in dieser Aus- gabe des Deutschen Ärzteblattes von Hrivatakis et al. beantwortet (6).

Häufigkeit des Hodenhochstands

Der Maldescensus testis stellt das häufigste kinder- chirurgische Krankheitsbild der westlichen Welt und einen Risikofaktor für maligne Entartungen und Subfertilität dar. Bis zu 5 % der reif geborenen Jun- gen weisen einen primären Hodenhochstand auf; bei Frühgeborenen wird die Häufigkeit mit bis zu 30 % angegeben (7). Etwa 10 % der Fälle sind bilateral.

Bis zum 6. Lebensmonat tritt bei 70 % der Betroffe- nen ein Spontandescensus auf (8); danach ist er un- wahrscheinlich und der Maldescensus betrifft noch etwa 1 bis 1,5 % der Jungen. Bei konservativer Berechnung, von einer jährlichen Geburtenzahl von ca. 680 000 ausgehend, betrifft dies etwa 3 500 Kna- ben pro Jahr in Deutschland. Neben dem primären gibt es den sekundären Hodenhochstand, der nach Angaben einiger Studien bis zu drei Mal so häufig auftritt wie die kongenitale Form (9). Die Bedeutung des sekundären Hodenhochstands scheint noch er-

Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, HELIOS-Klinikum Wuppertal, Universität Witten/Herdecke:

Prof. Dr. med. Wirth, Dr. med. Hensel

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Maldescensus testis differenziert werden. Interessant ist, dass der Anteil leitliniengerecht operierter Kna- ben in Kliniken mit einer kinderchirurgischen Abtei- lung sowohl vor (29 % vs. 17 %) als auch nach Än- derung der Leitlinie signifikant größer war als bei Kliniken ohne ausgewiesene kinderchirurgische Ex- pertise (17 % vs. 3 %).

Es stellt sich unverändert die interessante Frage, warum der Operationszeitpunkt bezogen auf die von den Fachgesellschaften konsentierte Leitlinie nach wie vor so spät gewählt wird. Liegt es an mangelnder Weiterbildung der Kolleginnen und Kollegen oder ist möglicherweise die Haltung der Zuweiser aufgrund von eigenen Vorbehalten gegen eine frühe Operation bewusst zu großzügig? Haben die Eltern Sorge vor einer frühen Narkose und/oder einem operativen Eingriff oder werden Hodenhochstände im klini- schen Alltag übersehen? Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten und bedürfen weiterer konti- nuierlicher Evaluation.

In einer von uns durchgeführten bundesweiten Umfrage bei niedergelassenen Kinder- und Jugend- ärzten war über die Hälfte der Auffassung, dass der Operationszeitpunkt zu spät gewählt wird. 45 % die- ser befragten Ärzte waren sich des verzögerten Ope- rationsmanagements bei Maldeszensus testis jedoch nicht bewusst und 38 % dokumentierten nicht, dass die Therapie im ersten Lebensjahr abgeschlossen sein soll.

Aufgabe der Versorgungsforschung

Die publizierten Studien und aktuellen Daten zeigen, dass die Behandlung von Jungen mit einem Hoden- hochstand weiter optimiert werden muss. Die Anzahl von leitliniengerecht bis zum vollendeten ersten Le- bensjahr abgeschlossenen Behandlungen zeigt offen- bar eine steigende Tendenz, liegt aber insgesamt noch deutlich zu niedrig. Die Ergebnisse von Hriva- takis et al. haben dies auch für Süddeutschland ein- drucksvoll dargestellt. Um die Prognose der Patien- ten hinsichtlich Fertilität und maligner Entartung zu verbessern, müssen behandelnde Ärzte und Eltern über die Vorteile der frühen Orchidopexie kontinuier- lich informiert werden. Weitere prospektive Studien in Anlehnung an die hier präsentierte sind notwendig, um die Fakten zu objektivieren und auch um Häufig- keit und Zeitpunkt des Auftretens eines sekundären Hodenhochstands vom kongenitalen Maldescensus testis abzugrenzen.

Wichtig ist die kontinuierliche aktive Dokumenta- tion der Hodenuntersuchungen in den ersten Lebens- jahren im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen und die damit verbundene Aufklärung der Eltern.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

LITERATUR

1. Kopp IB: Perspectives in guideline development and implementation in Germany. Z Rheumatol 2010; 69: 298–304.

2. Karbach U, Schubert I, Hagemeister J, Ernstmann N, Pfaff H, Höpp HW. Physicians’ knowledge of and compliance with guidelines: An exploratory study in cardiovascular diseases. Dtsch Arztebl Int 2011; 108: 61–9.

3. Murphy F, Paran TS, Puri P: Orchidopexy and its impact on fertility.

Pediatr Surg Int 2007; 23: 625–32.

4. Hutson JM, Hasthorpe S, Heyns CF: Anatomical and functional aspects of testicular descent and cryptorchidism. Endocr Rev 1997;

18: 259–80.

5. Ritzen EM: Undescended testes: a consensus on management. Eur J Endocrinol 2008; 159 (Suppl 1): 87–90.

6. Hrivatakis G, Astfalk W, Schmidt A, Hartwig A, Kugler T, Heim T, Clausner A, Frunder A, Weber H, Loff S, Fuchs J, Ellerkamp V:

The timing of surgery for undescended testis—a retrospective multicenter analysis. Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 649–57.

7. Virtanen HE, Bjerknes R, Cortes D, et al: Cryptorchidism: classifica- tion, prevalence and long-term consequences. Acta Paediatr 2007;

96: 611–6.

8. Wenzler DL, Bloom DA, Park JM: What is the rate of spontaneous testicular descent in infants with cryptorchidism? J Urol 2004; 171:

849–51.

9. Hack WW, Meijer RW, Van Der Voort-Doedens LM, Bos SD, De Kok ME: Previous testicular position in boys referred for an undescen- ded testis: further explanation of the late orchidopexy enigma? BJU Int 2003; 92: 293–6.

10. Lamah M, McCaughey ES, Finlay FO; Burge DM: The ascending testis: is late orchidopexy due to failure of screening or late ascent?

Pediatr Surg Int 2001; 17: 421–3.

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Stefan Wirth

Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin HELIOS-Klinikum Wuppertal Universität Witten/Herdecke Heusnerstraße 40 42283 Wuppertal

stefan.wirth@helios-kliniken.de

►Zitierweise

Hensel KO, Wirth S: Undescended testis guideline—

is it being implemented in practice? Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 647–8. DOI: 10.3238/arztebl.2014.0647

@

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de

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