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Kunsthistorische Datenverarbeitung

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Academic year: 2022

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Kunsthistorische Datenverarbeitung

enn m a n in der K u n s t g e s c h i c h t e bislang über E i n w i r k u n g e n v o n V V m e d i a l e n V e r m i t t l u n g s f o r m e n auf die M e t h o d i k des Faches re­

flektiert h a t , d a n n konzentrierte sich das meist auf die B e d e u t u n g der ( d o p p e l t e n ) D i a p r o j e k t i o n . N a c h d e m , w a s d a z u bisher geforscht w u r d e ,1 sieht es s o aus, als w ä r e der E i n f l u ß dieser T e c h n i k a u f die K o n s t i t u t i o n des Faches als ein vergleichend angelegtes d u r c h a u s nicht zu v e r n a c h l ä s s i g e n . I m Falle v o n H e i n r i c h W ö l f f l i n , dessen stil­

geschichtlicher G r u n d a n s a t z b i n ä r vergleichend w a r , läßt sich diese T h e s e besonders e i n d r u c k s v o l l belegen.

N u n w a r es vielleicht n ö t i g , d a ß erst e i n m a l ein halbes J a h r h u n d e r t vergehen m u ß t e , bis m e t h o d i s c h b e w u ß t e K u n s t h i s t o r i k e r a u f solche T h e s e n k o m m e n k o n n t e n . Schwieriger w i r d es, w e n n m a n , begleitend zu aktuellen m e d i a l e n E n t w i c k l u n g e n u n d o h n e historischen A b s t a n d , entsprechende E r k e n n t n i s s e erwartet. Beim Digitalen h a n d e l t es sich u m derartige E n t w i c k l u n g e n - der Status der f o l g e n d e n , v o l l k o m m e n impressionistischen Ü b e r l e g u n g e n m u ß v o r diesem H i n t e r g r u n d relati­

viert w e r d e n . D e n n : Bisher sind die E r f a h r u n g e n so begrenzt, d a ß ein Forscher auf d e m internationalen K u n s t h i s t o r i k e r t a g in L o n d o n i m J a h r 2 0 0 0 z w a r eine ausgefeilte e m p i r i s c h e U n t e r s u c h u n g präsentieren

k o n n t e , d a b e i aber z u g e b e n m u ß t e , d a ß über V e r ä n d e r u n g e n in der kunsthistorischen A r b e i t eigentlich so gut w i e nichts in E r f a h r u n g z u bringen w a r .2 W o h l d e s w e g e n , w e i l es s o l c h e V e r ä n d e r u n g e n schlicht u n d ergreifend nicht gegeben hat - o d e r w e i l sie aus der zeitlichen

N ä h e nicht z u e r k e n n e n sind. D e r A k z e n t liegt bisher weitestgehend auf einer elektronischen D a t e n v e r a r b e i t u n g , die zur besseren A u f b e r e i ­ tung u n d V e r b r e i t u n g v o n a u f t r a d i t i o n e l l e m W e g erarbeiteten Ergeb­

nissen dient. H i e r greifen z w a r die M e c h a n i s m e n des neuen M e d i u m s , aber k a u m auf eine kunstgeschichtsspezifische W e i s e .

Einige A n m e r k u n g e n

HUBERTUS KOHLE

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Trotzdem: Bei allen Vorbehalten läßt sich vielleicht doch einiges zur Diskussion stellen. W a s aus der weitgefächerten Datenbanktheorie und -praxis bisher überhaupt in die Kunstgeschichte gelangt ist, ist weiß G o t t nicht viel. D a gibt es beispielsweise die textbasierten Daten- banken, im deutschen Bereich an der Spitze das Marburger H I D A / M I D A S - M o d e l l . Hier ist man bemüht, soviel wie möglich an Ergebnis- sen traditioneller kunsthistorischer Forschung zu absorbieren, was sich besonders in der Schwerpunktsetzung auf den Bereich der Ikonographie niederschlägt.3 M a n kann sich hier des Eindrucks nicht erwehren, daß das weitverbreitete Unbehagen an diesem Datenbanksystem nicht in erster Linie mit dessen technischer Antiquiertheit zu tun hat, sondern w o h l eher mit der Komplexität kunsthistorischer Daten. M a n versucht sich dieser Komplexität zu entziehen, indem m a n sie der Datenbank- technik anlastet, die in der T a t z u einem ansonsten offenbar wenig verbreiteten systematischen Arbeiten zwingt.

Aber wie dem auch sei: Die umfangreiche manpower, die zur Be- stückung einer solchen Datenbank notwendig ist, scheint in Zeiten knapper öffentlicher Mittel zunehmend hinderlich. Es kann kein Z w e i - fel daran bestehen, daß mit dem A u f k o m m e n von Alternativen nicht nur eine Diversifizierung, sondern ein verstärkter Verzicht auf solch komplizierte Modelle zu verzeichnen ist. W e n n ein gerade begonnenes Projekt z u m A u f b a u einer verteilten digitalen Diathek (Prometheus) eine vergleichsweise extrem flache Erschließung der Bilder anstrebt, so hat das nicht nur mit der Tatsache zu tun, daß hier Reproduktionen und nicht Originale Gegenstand der Bearbeitung sind, sondern eben auch mit dem Ungenügen an einer Erschließung, die zwar tief ist, aber selten die Breite erreicht, die für eine praktische A n w e n d u n g - und eben nicht nur für die museale Inventarisierung - ausreicht.4 Darüber hinaus bleibt die H o f f n u n g , daß die Maschinen in Z u k u n f t so »intel- ligent« werden, daß sie vieles v o n dem, was bisher m ü h s a m von der kunsthistorisch versierten Hand eingegeben werden mußte, eigenstän- dig erledigen.

W a s bedeutet es für die kunstgeschichtliche Z u n f t , wenn sie es mit solchen Systemen zu tun bekommt? D a z u wird m a n sich zunächst fragen müssen, was es mit dem Anführungszeichen im Begriff der Intelligenz auf sich hat. W e n n ich es richtig verstehe (als Kunsthisto- riker ist man auf diesem Feld mindestens zur Hälfte Amateur), kann

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KUNSTHISTORISCHE DATENVERARBEITUNG 1 1 1

m a n das Verhältnis v o n content-based und text-based so auffassen wie das v o n image-scan und optical character recognition ( O C R ) bei der

computergestützten Texterfassung. Primär ist der image-scan, sekun- där und nur mit h o h e m programmiertechnischen A u f w a n d zu realisie- ren ist die O C R , weil sie die Vielfalt und Vieldeutigkeit der Erschei-

nungswelt in die Einfalt und Eindeutigkeit des Buchstabens verwandelt, verwandeln muß. D i e Ikonographie als Inbegriff eines text-based-orien- tierten Zugriffs entspricht hier dem O C R . Sie versucht, das Bild auf die Klarheit des Begriffs zurückzuführen, die Erscheinungsweise des Ge- genstandes auf seine Benennung und darüber hinaus auf seine s y m -

bolische K o n n o t a t i o n .

D e r inhaltsbasierte Z u g r i f f als der primäre geht zwangsläufig w e n i - ger rigide mit der Erscheinungswelt u m . Er beläßt ihr die Vielfalt und Vieldeutigkeit, denn er fragt nicht nach Bedeutungen, sondern nach Aussehen. Nach Farbton, Farbhelligkeit und nach Farbsättigung, u m es genau zu sagen. Dies, und nur dies, steht i m Z e n t r u m , d a m i t fällt eigentlich so gut wie alles weg, w a s in den textbasierten Datenbanken aufbereitet wird und w a s dort vollständig auf das schweigende A b -

bildungsfeld verwiesen bleibt, in dem eine digitale K o p i e des W e r k s dem Datensatz angehängt wird.

Interessant scheint mir, daß hier eine Wissenschaft a m H o r i z o n t erscheint, die m a n partiell als Anliegen, letztlich aber auch als Verleug- nung einer » n e w art history« verstehen k a n n , welche die alten

Gewißheiten seit Beginn der 80er Jahre zu beseitigen bestrebt ist. Im K e r n ist diese Wissenschaft antihumanistisch und der platonischen Favorisierung des W o r t e s gegenüber dem Bild, des L o g o s gegenüber dem M y t h o s , entgegengesetzt. V o n hier aus wird m a n auch die er-

staunliche Renaissance der Warburgschen U r f o r m der Ikonologie ver- stehen können, deren (angebliche) R e d u k t i o n auf ein flaches i k o n o - graphisches Wiedererkennungsdenken in der Warburg-Schule v o n den Neuerern allseits beklagt wird. W a r b u r g s tastendes D e n k e n w a r viel stärker an der urtümlichen M a c h t des Bildes orientiert als die seiner Nachfolger, die sich mehr und mehr philologisch gaben. Z u r empha- tischen Manifestation dieses Denkens ist der M n e m o s y n e - A t l a s ge- worden, die K o m b i n a t i o n und R e k o m b i n a t i o n v o n Bildern, deren

gestisch-phänomenologische Affinitäten jenseits aller vordergründigen Gegenstandsidentität ein M o v e n s der Warburgschen Forschung liefer-

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ten.

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Vielleicht kann uns das Modell des Warburgschen Bilderatlas am ehesten einen Eindruck von den Leistungen einer digital gesteuerten Inhaltsanalyse geben, insofern auch diese Strukturen schafft, die auf- grund der Vieldeutigkeit des Bildlichen notwendig offen sind. Nicht

umsonst betonen die Entwickler von content-basierten Datenbanken, daß sie eine Rechercheweise ermöglichen, die nicht subsumierend- kategorisierend, sondern assoziativ-überwindend vorgeht.

Als ein der Sozialgeschichte verpflichteter Kunsthistoriker kann ich die Entwicklung des hier Beschriebenen zwar gespannt erwarten, mich aber auch nicht des Eindrucks erwehren, daß dabei vieles verlorenge- hen wird. Und zwar Entscheidendes, vielleicht gar die Grundlage des Faches, insofern es sich als ein historisches versteht. Hier dürfte dann im übrigen auch ein unüberbrückbarer Unterschied zum Warburgschen Vorgehen liegen. Wenn die bisher praktizierten Versionen einer kunst- wissenschaftlichen Bildinhaltsanalyse vorgeben, alte Verfahren einer Formanalyse ä la Wölfflin oder Morelli zu restituieren, so klingt das nur auf den ersten Blick beruhigend.

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Denn eigentlich historisch orien- tiert waren diese nicht. Bei Morelli sowieso nicht, weil hier reine

Individualstile im Mittelpunkt standen. Aber auch Wölfflin hatte den

Blick auf abstrakte Form-Charakteristika fokussiert, deren Verortung

im Geschichtlichen eigentlich kontingent war. Es bleibt abzuwarten,

ob auch der digital gesteuerte Zugriff in einem ikonologischen Sinn zu

rehistorisieren ist, ob es also möglich sein wird, die Form wieder an die

Bedeutung anzubinden, dem System also eine bedeutungsgeladene Form

vorzugeben und es dazu zu bringen, solche Formen zu produzieren, die

eine entsprechende Bedeutung besitzen. Soweit ich sehe, ist das aber

eine Aufgabe, die noch längst nicht in ein Stadium der Realisierung

eingetreten ist. Und vielleicht ist das auch wieder nur der Versuch, die

Neuigkeit der digitalen auf die Antiquiertheit einer digitalisierten Kunst-

geschichte zurückzulenken.

Referenzen

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