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Archiv "Berufspraxis: Wir laufen dem Flugsand hinterher" (17.02.2012)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 7

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17. Februar 2012 A 325

Das Leser-Forum

Beiträge im Deutschen Ärzteblatt sollen zur Diskussion anregen. Deshalb freut sich die Redaktion über jeden Leserbrief. Wir müssen aus der Vielzahl der Zuschriften aber auswählen und uns Kürzungen vorbehalten. Leserbriefe geben die Meinung des Autors, nicht die der Redaktion wieder. E-Mails richten Sie bitte an leserbriefe@aerzteblatt.de, Briefe an das Deutsche Ärzteblatt, Ottostraße 12, 50859 Köln.

BERUFS PRA XIS

Primärtugenden des Arztberufs – das Zu- hören und das Bera- ten – sind in Gefahr (DÄ 1–2/2012: „Arzt- Patienten-Bezie- hung: In falsches Fahrwasser geraten“ von Marianne Koch).

Im Elfenbeinturm

So sehr man Frau Koch auch in ih- rer ethischen Sichtweise vom Elfen- beinturm aus verstehen möchte – vielen ihrer Statements werden wohl fast alle Kollegen zustimmen –, so sehr muss man leider auch sagen , dass eben diese Art der menschlichen Medizin von den „big playern“ im Gesundheitsmarkt nicht mehr gewünscht wird.

Man muss sogar leider feststellen, dass wir genau damit dieser tragi- schen Entwicklung in Richtung Ökonomisierung Vorschub leisten.

Die wirklich „guten“ Ärzte wer- den die ersten sein, die im Strudel von RLV, QZV, DRG, Case-mix- Index, Regress, Insolvenz, innerer Kündigung und Frustration unter- gehen!

Dr. med. Matthias Krick, 47441 Moers

Was Aufmerksamkeit verhindert

Zwei Gedanken aus dem Artikel sind mir zunächst erwähnenswert:

„Worauf bezieht sich alternativ?

. . . auf das Alter Ego, das andere Ich, . . . dem das Funktionieren- müssen in einer rücksichtslosen Welt stärker zusetzt, als wir ahnen?“

„Eine homöopathische Erst - anamnese dauert bis zu anderthalb Stunden. Die ungeteilte (sic!) Auf-

merksamkeit über 90 Minuten zu genießen . . .“

Vor kurzem las ich Michael Winter- hoff („Lasst Kinder wieder Kinder sein“). Herr Winterhoff, Kinderpsy- chotherapeut, wurde an der Masse der gestörten Kinder stutzig und fragte sich, wo angesichts der Häu- figkeit statt individueller „Erzie- hungsfehler“ systemische Ursachen am Wirken sind. Er vermutet die

„Multitaskingsituation des Eltern- hirns“, überschwemmende Informa- tionsflut, nicht abreißende Negativ- schlagzeilen, immer auf Stressmo- dus gestellter Organismus. Der El- tern! Beim Lesen des Artikels nun fiel’s mir wie Schuppen von den Au- gen! Die Situationen der Eltern und des Arztes, des Kindes und des Pa- tienten sind identisch! Wie viel un- geteilte (!, s. o.) Aufmerksamkeit steht einem multitask-überschwemmten Hirn oder Seele zur Verfügung?

Null. Nicht für das Kind, nicht für den Patienten! Die kindliche Seele verweigert die Reifung, die Patien- tenseele die Gesundung.

Management, DMP entindividuali- sieren per definitionem die Bezie- hung, ehrlicherweise wird expressis verbis gesagt, dass diseases oder cases gemanagt werden – und nicht der Patient behandelt. Die Haus- arztprogramme haben für jede Kas- se „kleine Abweichungen“, ganze Seminare darüber werden angebo- ten. Jetzt kommen die ersten Ma- nagementprogramme zur hausarzt- zentrierten Form der Depressions- behandlung. Wird da der Bock zum Gärtner?

Vorschriftendschungel immer „resi- dent“ im Arzthirn, Regressgefahr als permanente Negativmitteilung, permanentes „Du-musst-an-dies- und-das-Denken“, permanentes

„Du-darfst-dies-und-das nicht-Ver-

gessen“ . . . die Liste ist endlos! Al- les resident im Hirn als Bremse für ungeteilte Aufmerksamkeit . . .

Dr. Alexander Ulbrich, 70599 Stuttgart

Aus dem kassenärztlichen Abseits

Dieser Artikel spricht mir direkt aus der Seele und drückt das aus, was ich schon seit vielen Jahren zuneh- mend bei meiner täglichen Arbeit als niedergelassener Augenarzt empfinde! . . .

Der Autorin gebe ich recht, wenn sie ausführt, dass die Ärzte eine Mitschuld am Sterben der „spre- chenden Medizin“ haben, indem sie sich nicht gegen die zunehmende Honorarmisere gewehrt haben.

Stattdessen wird der politisch vor- gegebene finanzielle Rahmen der ambulanten medizinischen Versor- gung fatalistisch hingenommen und die Arzt-Patienten-Kontaktzeit durch Verkürzung dem geminderten Honorar angepasst, als sei es ein Naturgesetz zur Erhaltung des Um- satzes (22 Euro/Schein = acht Mi- nuten/Patient, 18 Euro/Schein = fünf Minuten/Patient, 16 Euro/

Schein = drei Minuten/Patient).

Ich habe in meiner Kassenpraxis immer versucht, die patientenorien- tierte „sprechende“ Medizin zu er- halten, trotz fortlaufender Honorar- minderungen, trotz Streichung der Gesprächsziffern 17 und 18 des al- ten EBM 2000+, weil mir mein Be- ruf nur so Freude bereitet. Nachdem die finanziellen Rücklagen aufge- braucht waren und die Insolvenz drohte, habe ich die Kassenzulas- sung zurückgegeben und meine Praxis als Privatpraxis für GKV- Versicherte als Selbstzahler und für Privatversicherte fortgeführt, um

„sprechende Medizin“ weiterhin

U S

P A h t ( P h Fahrwassergeraten

B R I E F E

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A 326 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 7

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17. Februar 2012 praktizieren zu können. Der Ter-

minkalender ist jetzt nur noch halb voll und ernährt meine Familie auch nicht, aber in der frei gewor- denen Zeit verdiene ich mit zwei zusätzlichen augenärztlichen Tätig- keiten gerade eben so das fehlende Geld. – Und schließlich ernähre ich mich ja auch noch vom Lob und der Zufriedenheit meiner Patienten, die ich stressfrei behandeln kann.

Ich bin überzeugt, dass in den Randbereichen eines Systems die Keime für ein neues System liegen.

Dr. med. Harald Knigge, 60389 Frankfurt am Main

20 000 Formulare

Vielen Dank an Frau Dr. Koch für ihren Artikel, der in sehr netter Wei- se endlich ein Thema anspricht, das wegen seiner Bedeutung für die Zu- kunft der Ärzte völlig unterschätzt wird. In über 30 Jahren ärztlicher Tätigkeit habe ich erleben müssen, wie die Arzt-Patienten-Beziehung immer mehr von Bürokratie und immer weniger von persönlicher Begegnung bestimmt wird.

In unserer Zweierpraxis mit vier Helferinnen sind wir gezwungen, zu Beginn des Quartals täglich circa 500 Formulare auszufüllen und über 100-mal die Praxisgebühr zu kassieren beziehungsweise Befrei- ungen einzutragen. Pro Quartal kommen in unserer Doppelhaus- arztpraxis gut 20 000 Formulare zu- sammen.

Zusätzlich kodiert jeder Arzt circa 3 000 Diagnosen pro Quartal neu und kontrolliert 3 000 auf ihre Ak- tualität. Diese Entwicklung finde ich dramatisch.

Jeder Arzt in jeder Position sollte versuchen, hier gegenzusteuern.

Sonst hat unsere zukünftige ärztliche Tätigkeit mit Vorstellungen, die uns unseren Beruf haben ergreifen las- sen, bald nichts mehr zu tun. Wir ha- ben uns ohne Gegenwehr zu Verwal- tungsangestellten degradieren lassen.

Dr. med. Ulrich Hasler, 79395 Neuenburg

Wir laufen dem Flugsand hinterher

Wenn Kliniken heute wie Unterneh- men geführt werden, darf man sich nicht wundern, dass wirtschaftliche

Aspekte die Philosophie bestim- men. Die monothematische Aus- richtung auf Bilanz und Gewinn treibt seltsame Blüten, so sind Kranke inzwischen zu Costliern und Profitliern degeneriert worden, um nur ein einziges Beispiel zu nennen. Da die Sprache bekanntlich das Denken verändert, ist es vom Krankenhaus zur Kommerzmaschi- ne nur ein kleiner Schritt. Bioethi- sche Grundprinzipien werden dabei sozusagen exekutiert, da sie von Fi- nanzlern und artverwandten Spezies als kostentreibende Störfaktoren qualifiziert und wahrgenommen werden. Das Verhältnis von Arzt und Patient ist nicht angeboren oder fällt einfach wie Manna vom Him- mel, sondern muss bilateral entwi- ckelt werden. Der innere Kern der Medizin ist bei näherer Betrachtung überraschenderweise ein zeitgebun- dener Vorgang. Wir befinden uns nicht nur in falschem Fahrwasser, sondern in einer Situation, die unse- rem Beruf via Ökonomisierung zu- nehmend Ursprung und Basis nimmt. Maß und Mitte sind verlo- ren gegangen, wir laufen dem Flug- sand hinterher. Letztlich haben wir die Wahl, die normative Kraft des Faktischen zu akzeptieren oder den Sumpf trockenzulegen. Dann darf man allerdings nicht die Frösche fragen.

Dr. med. Christoph Schöttes, Chefarzt der Medizinischen Klinik, Klinikum Emden, Hans- Susemihl-Krankenhaus gGmbH, 26721 Emden

Einfühlsame Supervision für alle Geplagten

Dass es dem homo patiens guttut, wenn er einem kompetenten und einfühlsamen Arzt begegnet, zeigt die Erfahrung, aber auch das Wis- sen um die Psychologie der Begeg- nung. Sie zeigt, dass sich freundli- che Zuwendung auf die Psyche und über die Psyche auf den Körper po- sitiv auswirkt. Insofern ist die Art der „Arzt-Patienten-Beziehung“ tat- sächlich von entscheidender Bedeu- tung für die Gesundheit der Patien- ten. Und ich gehe, solange mir kei- ner der Kandidaten widerspricht, davon aus, dass alle, die den ärztli- chen Beruf anstreben und nicht nur Mediziner werden wollen, die Be-

reitschaft zur empathischen Zuwen- dung grundsätzlich mitbringen.

Dass diese Bereitschaft im Verlauf der Zeit auf eine harte Probe ge- stellt wird und dadurch die Zuwen- dung zu den Patienten tangiert ist, sollte freilich nicht überraschen.

Denn die Herausforderungen durch das berufliche, aber auch durch das private und familiäre Umfeld, in ih- rer bisweilen nagenden Wucht, kön- nen existenziell gravierend frustrie- ren. In nicht unbedingt nur gravie- renden Fällen ist den Geplagten ei- ne einfühlsame Supervision zu wünschen . . .

Pater Vinzenz Ganter, 67405 Neustadt

Zuwendung wird nicht bezahlt

In Wirklichkeit wissen wir doch al- le: Schon immer hat die Zuwen- dung zum Patienten in unserer

„Freizeit“ stattgefunden. Wir haben uns doch schon immer nach offi- ziellem Dienstschluss an das Pa- tientenbett gesetzt und mit ihm und seinen Angehörigen gesprochen.

Wir haben es gern getan. Aber im- mer war es in Wirklichkeit unsere Sonderleistung außerhalb der Ar- beitszeit, in unserem dann später stattgefundenen Feierabend. Wir haben dafür in Kauf genommen, dass der Partner, die Kinder und der Freundeskreis sich über zu wenig Zeit beschweren, der Chef uns auch noch rüffelt, wir würden wohl zu langsam arbeiten, wenn wir erst spät die Klinik verlassen.

In der Praxis des Niedergelassenen wird die eigene Existenz und damit auch der Erhalt der Praxis mit Ver- sorgung seiner Patienten bedroht durch Zuwendung, die wir gern ent- gegenbringen, aber leider nicht be- zahlt wird.

Verschärft wird das Problem durch Zeitmangel der jungen Kollegen:

Da hält kaum noch eine Ehefrau dem hart arbeitenden Hausarzt den Rücken frei, da muss die Alleiner- ziehende das Kind aus der Kita ho-

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