[116] Deutsches ÄrzteblattJg. 104Heft 4723. November 2007
S C H L U S S P U N K T
V
or geraumer Zeit unternahm ich mit meinem Sohn eine Deutschlandreise, wobei wir auch in die schöne Stadt Marburg kamen und dort die Treppe zum Landgrafenschloss emporstiegen. Alte, verwitterte Treppenstufen, die zu unserer Überraschung viele, teil- weise kaum noch lesbare (medizinische) Inschriften bargen: Schwäche – Ennuie – Sucht – Fußpilz – Luft- mangel – Blähung – Zerrung – Schwarze Galle – Pus- teln – Verstimmung – Hitze – Blasenstein – Brechreiz – Not – Blutstau – Geschwüre – Hysterie – Furunkel – Völlerei – Star – Schlag – Halsweh – Diarrhö – Gicht.Ein Kaleidoskop menschlicher Beschwerden, ein Aus- druck unserer Kreatürlichkeit, eine Mahnung zur Be- scheidenheit für uns Ärzte, die wir diese Übel oft nur lindernd begleiten können.
Wobei seit Urzeiten hierfür auch das Schachspiel empfohlen wurde. Als Ibn Masawaihi, der Leibarzt des Kalifen Harun al-Rashid (welch Letzterer selbst dem
„königlichen Spiel“ zugetan war), gefragt wurde, ob das Schachspiel auch während einer Krankheit empfehlens- wert sei, antwortete er, dass es im Allgemeinen erlaubt und nur in besonderen Fällen nicht ratsam sei. Und Ibn al-Mu’taz meinte gar: „Das Schachspiel ist immer da, wenn wir es brauchen. Es lindert den Schmerz, es hält ab den Trinker vom Exzess, und droht uns Gefahr, be- drückt uns die Angst, so ist es ein Freund in unserer Ein- samkeit.“
An all das musste ich denken, als mir wieder ein Ge- dicht von Gottfried Keller vor Augen kam:
Die Hoffnung, das Verlorensein Sind gleicher Stärke in mir wach, Die Lebenslust, die Todespein, Sie ziehen auf meinem Herzen Schach.
Ich aber, mein bewusstes Ich, Beschau’ das Spiel in stiller Ruh, Und meine Seele rüstet sich Zum Kampfe mit dem Schicksal zu.
So beschaulich war es sicher nicht, als beim letzten Ärzteturnier Dr. med. Ulrich Schulze-König aus Müns- ter (laut Theodor Heuss neben Bamberg – ausnahms- weise diesmal kein weiteres Wort über Letzteres – die schönste Stadt Deutschlands) gegen Dr. med. Reinhard Kennemann aus Essen (dessen Schönheit zu künden in- zwischen unnötig ist) antrat, denn unter dem unerbittli-
chen Diktat der Schachuhr mussten die Züge schnell ge- funden werden. Was beide nicht daran hindert, sich selbst immer wieder das Heilmittel „Schach“, auch un- ter diesen erschwerten Umständen, zu verschreiben.
Hier dachte Dr. Schulze-König als Weißer mit sei- nem letzten Springerzug nach e6, der schwarze Dame und Turm gleichzeitig aufspießte, wertvolle Beute zu erobern. Doch dabei hatte er eine tückische Antwort Dr. Kennemanns als Schwarzer übersehen, wonach plötzlich sogar er Material einbüßte. Wie kam’s?
ÄRZTE-SCHACH
Schach zur Schmerzlinderung
Dr. med. Helmut Pfleger
Die angegriffene sc hwarze Dame hatte das Feld d5 er-
späht, 1..
..
Dd5!,von w o aus sie nic ht nur 2..
..
Dxg2
matt,sonder n auch die Eroberung des k
eck en Springers,
2..
..
Dx e6, drohte. So gingen der Springer und natürlic h
auch die Partie verlor en.
Lösung:
Foto:Dagobert Kohlmeyer