D
epressionen bei Ärzten sowie die Besorgnis erregende Inzidenz von Suiziden waren Hauptthemen bei der diesjährigen Konferenz für Ärzte- gesundheit in Chicago, veranstaltet von der American Medical Association (AMA) und der Canadian Medical As- sociation. Dr. Sherwin Nuland, ein Chir- urg mit einer überstandenen schweren depressiven Episode, berichtete – sehr persönlich und intensiv – über die sub- jektive Aussichtslosigkeit seines dama- ligen emotionalen Zustandes, über die immer stärkere Abkapselung, seine Versuche, die chirurgische Praxis trotz Stimmungstief und Antriebslosigkeit zu führen. Er machte den Teilnehmern deutlich, welches Erleben hinter den Statistiken steht und wie die Depressi- on für den Arzt und seine Angehörigen existenzbedrohende Auswirkungen ha- ben kann.Persönliche Niederlage
Einig waren sich die Referenten aus den USA, Australien und Europa (Nor- wegen) darin, dass sowohl niedergelas- sene Ärzte als auch Ärzte in Kranken- häusern eine Depression als persönli- che Niederlage erleben, die sie scham- voll vor Kollegen verstecken. Die Grün- de dafür sind vielfältig: falsche Rol- lenannahmen, Angst, ausgegrenzt zu werden, oder die Befürchtung juristi- scher Konsequenzen. Nur wenige Ärz- te, die bei sich eine Depression vermu- ten, suchen fachkompetente Hilfe unter anderem aus Angst, stigmatisiert zu werden. Viele betreiben Selbstmedika- tion; die meisten erlauben sich keine Krankschreibung.
Dr. Linda Logsdon, eine mutige Ärz- tin mit einer lebenslangen Zyklotomie,
beschrieb ihr Erleben, mit Stimmungs- schwankungen zu studieren, in mani- schen Phasen nächtelang umherzustrei- fen, ihre Mitmenschen über die Krank- heit zu täuschen aus Angst, nicht appro- biert zu werden. Auch in der Assistenz- arzt-Zeit offenbarte sie sich nieman- dem, selbst an Tagen, an denen sie schwerstdepressiv und suizidal war.
Carla Fine, eine Arztwitwe aus New York, berichtete von ihrem Mann, der sich vor einigen Jahren in seiner erfolg- reichen Praxis für Urologie mit einer Überdosis Thiopenthal suizidierte. Er hinterließ keinen Abschiedsbrief und behandelte den letzten Patienten zwei Stunden (!) vor der suizidalen Hand- lung. Zurück blieb seine Witwe, die Jah- re brauchte, um wieder zum Leben zurückzufinden.
Noch immer liegt die Zahl der Suizi- de für Ärzte und insbesondere für Ärz- tinnen weit über den Vergleichszahlen alters-/geschlechtsentsprechender Ver- gleichsgruppen der Allgemeinbevöl- kerung. Allerdings zeigten neueste Umfragen bei US-Ärztinnen, dass die besondere suizidale Gefährdung von Ärztinnen langsam rückläufig ist. Un- klar sind bislang die Gründe hierfür.
Die Ursachen für Ärztesuizide sind: af- fektive Störungen, Suchtkrankheiten und Partnerschaftsprobleme, erst an zweiter Stelle werden Probleme im Beruf genannt. Ärzte unter Anklage (Kunstfehler, unethisches Verhalten) bilden eher eine Ausnahme. Prof. Dr.
Michael Myers, der sich seit Jahren für erkrankte Ärzte einsetzt, berichtet über ein Projekt, das Leben von Ärz- ten zu retten. Er stellte seinen Film
„When physicians commit suicide“, der von der American Psychiatric As- sociation preisgekrönt wurde, vor. Der Film zeigt Interviews von Ärzten nach
Suizidversuchen sowie Interviews mit überlebenden Angehörigen. Mit die- sem Film sollen Ärzte in Ausbildung auf vertrauliche Hilfen hingewiesen werden und darauf, dass die Suizid- handlungen zugrunde liegenden Krank- heiten gut behandelbar sind. Zugleich soll die Barriere aus Scham und Schuld herabgesetzt werden.
Die American Medical Association und andere Organisationen haben eine Konsensus-Konferenz „Depression und Suizid bei Ärzten“ initiiert. Die Ergeb- nisse: Aufklärung, Prävention, kurzfri- stiger Zugang zu Spezialisten, hohe Ver- traulichkeit und längerfristige Medika- tion sollten kombiniert werden. Wichtig erscheint der Hinweis, dass sich nicht nur Ärzte mit unterdurchschnittlicher Karriere suizidieren. Im Gegenteil: Bei Ärzten, die auf dem Gipfel ihrer Karrie- re als Lehrstuhlinhaber oder Forscher sind, ist die Suizidrate hoch.
Ethische Verantwortung
Die ethische Frage, ob ein Arzt, der we- gen eines Suizidversuches stationär be- handelt wird, den Aufsichtsbehörden gemeldet werden sollte, um eine Thera- pie anzuordnen, löste eine lange Dis- kussion aus. Wie auch beim Umgang mit suchtkranken Ärzten, die im Rah- men des „impaired physician pro- grams“ seit langem in den USA Aufla- gen erhalten und kontrolliert werden, argumentierte Dr. Dudley Stuart für die AMA, gegenüber der Öffentlichkeit und den Betroffenen eine ethische Ver- antwortung zu haben.
Bei dem Thema Vernetzung von Hilfsangeboten für Ärzte zeigte sich, dass Deutschland weit hinter dem zurückliegt, was die Ärzteorganisatio- nen in anderen Ländern tun. Es gibt Komitees für Ärztegesundheit in den USA, Kanada, Australien, England und Neuseeland. Die British Medical Asso- ciation hat eine nationale Telefon-Hot- line, exklusiv für Ärzte in Not. Sie un- terstützt ein Hilfe-System, damit Ärzte in Krisen kurzfristig von Spezialisten behandelt werden.
Dr. med. Bernhard Mäulen
Institut für Ärztegesundheit, Vöhrenbacher Straße 4 78050 Villingen-Schwenningen
E-Mail: docmaeulen@t-online.de T H E M E N D E R Z E I T
A
A32 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 1–2⏐⏐10. Januar 2005