Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 8|
26. Februar 2010 A 309 KOPFPAUSCHALEDas große Rechnen
In dieser Woche soll die Reformkommission eingesetzt werden, die ein
Finanzierungsmodell für die Kopfpauschale finden muss. Es wird Zeit. Denn die widersprüchlichen Aussagen zum Sozialausgleich stiften nur Verwirrung.
M
ehr als 26 000 Unterschrif- ten gegen die Kopfpauscha- le in zwei Tagen“, jubelte Campact kürzlich. Dahinter steckt ein Netz- werk, mit dessen Hilfe sich Bürger über das Internet in politische De- batten einmischen können. Zu den Unterstützern der Kampagne gegen die Kopfpauschale zählt neben der Gewerkschaft Verdi der Verein de- mokratischer Ärztinnen und Ärzte.Einen Vorteil haben solche Vo- ten: Sie kosten praktisch nichts.
Ganz im Gegensatz zur Kopfpau- schale für alle, die bislang ein - kommensabhängige Beiträge an die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zahlen, also circa 51 Millio- nen Bürger, oder die beitragsfrei mitversichert sind wie 19 Millionen Menschen. Wie teuer die rasche Umstellung auf ein Kopfpauschalen- system mit Sozialausgleich kommen könnte, rechnete der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium (BMF), Hartmut Koschyk, Mitte Februar in einer Antwort auf eine Kleine An- frage vor.
Horrend hohe Steuertarife Die gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Birgitt Bender, hatte angefragt. Dabei ging sie auf Berech- nungen des IGES-Instituts sowie des Instituts für Gesundheitsökonomie der Universität zu Köln ein. Deren Fachleute hatten errechnet, dass eine Kopfpauschale von 140 bis 150 Euro anstelle des heutigen Arbeitnehmer- beitrags realistisch ist, sofern ledig- lich Mitglieder sie zahlen und Kinder sowie Ehepartner beitragsfrei versi- chert bleiben. Um einen Sozialaus- gleich herzustellen, brauche man jährlich 22 Milliarden Euro aus Steuergeldern, so die Prognose des IGES. Die Kölner rechnen sogar mit 35 Milliarden Euro.
Nach einhelliger Meinung lässt sich so viel Geld nur über eine Er- höhung der Lohn- und Einkommen- steuer oder der Umsatzsteuer her - einholen. Die Rechnung von Staats- sekretär Hartmut Koschyk für die Einkommensteuer war ein wohlkal- kulierter Schock. Denn der Bundes- finanzminister zweifelt an der Um- setzbarkeit der Prämie.
„Im Tarif 2010 führt eine Anhe- bung der Grenzsteuersätze um je- weils einen Prozentpunkt zu Steuer- mehreinnnahmen von sieben Milli- arden Euro“, schrieb Koschyk. Mit Grenzsteuersatz ist der Einkom- mensteuersatz gemeint, der theore- tisch auf den letzten Euro Einkom- men gezahlt werden muss; die durchschnittliche Belastung ist auf- grund der Tarifverläufe und als Fol- ge von Freibeträgen niedriger.
Aus der Antwort des BMF soll man folgern: Wenn man einen So- zialausgleich von 35 Milliarden Euro finanzieren will, muss man die Grenzsteuersätze um jeweils fünf Prozentpunkte erhöhen – auch die für Niedrigverdiener. Würde man hingegen den Sozialausgleich allein bei Besserverdienern herbei- führen, müsste man für 22 Milliar- den Euro einen Spitzensteuersatz von 73 Prozent für alle festsetzen, die mehr als 120 000 Euro jährlich verdienen. Für 33 Milliarden Euro müsste dieser Steuersatz weiter er- höht werden – auf bis zu 100 Pro- zent für Einkommen ab 180 000 Euro.
Das BMF rechnete wunschge- mäß noch andere Varianten durch:
Finanzierte man einen Sozialaus- gleich im Umfang von 22 Milliar- den Euro durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, müsste diese 21,5 statt 19 Prozent betragen, bei einem Ausgleichsvolumen von 35 Milliar- den Euro wären es 23 Prozent.
„Der von der Koalition geplante steuerfinanzierte Sozialausgleich ist illusorisch“, kommentierte Ben- der diese Berechnungen. Ausgewo- gen wäre er nur, wenn die Einkom- mensteuer für hohe Einkommen wie berechnet erhöht würde. Das dürfte kaum möglich sein, auch wenn die durchschnittliche Ein- kommensteuerlast um einiges nied- riger ist, als es der Grenzsteuersatz suggeriert. Sonst aber würde „etwa ein Drittel der Steuerpflichtigen, die auf den Sozialausgleich ange- wiesen sind, diesen teilweise selbst finanzieren“, ist Bender überzeugt.
Bundesgesundheitsminister Phi- lipp Rösler (FDP) sieht das anders.
Es gehe um die schrittweise Einfüh- rung einer Kopfpauschale, ein so- zialer Ausgleich werde bei unter zehn Milliarden Euro liegen, sagte ein Sprecher. Dies ist offenbar die Schmerzgrenze für die Regierungs- kommission. Bei der Anfrage handele es sich um ganz andere Annahmen, so der Sprecher weiter. Ob sie zutref- fend wären, wenn weitere „Schrit- te“ anstünden – dazu schweigt das Bundesgesundheitsministerium. ■
Sabine Rieser
Dass bei der Diskussion um den Sozialausgleich für Kopf- pauschalen die Lohn- und Einkommensteuer sowie die Umsatzsteuer im Vordergrund stehen, hat seinen Grund:
Beides sind die mit Abstand ertragreichsten Steuereinnah- mequellen des Staates. Wenn man zusätzliche Steuerein- nahmen erzielen will, lohnt es sich, hier anzusetzen.
2007 flossen Bund, Ländern und Gemeinden circa 155 Milliarden Euro aufgrund der verschiedenen Einkom- mensarten von Steuerpflichtigen zu, etwa ein Drittel der Steuereinnahmen. Noch etwas höher waren die Einnah- men aus der Umsatzsteuer. Von beiden Steuern profitiert der Bund nennenswert: Von der Einkommensteuer erhält er 42,5 Prozent, von der Umsatzsteuer 31,5 Prozent.