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Archiv "Jüdische Ärzte: Schmerzlich vermisst" (21.05.2004)

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irekt mit dem Beginn national- sozialistischer Herrschaft nahm auch die Verdrängung von Juden aus dem Berufsleben ihren Anfang. In der Medizin vollzog sich die Ausschal- tung „nichtarischer“ Kollegen schnell und radikal. Entlassungen, Entzug der Kassenzulassungen und schließlich das totale Berufsverbot nahmen jüdischen Ärzten ab 1933 schrittweise die Exi- stenzgrundlage. So auch in Hamburg.

In der Hansestadt lebten und arbeite- ten vor der Machtübernahme durch Hitler 421 jüdische Ärzte. Nur rund ein Dutzend von ih-

nen erlebte Kriegs- ende und Zusammen- bruch der national- sozialistischen Herr- schaft in Hamburg.

Dass diese Zahlen nun bekannt sind, ist der Historikerin Anna von Villiez zu verdanken. Sie hat in ihrer Magisterarbeit das bisher unerforsch- te Kapitel Hamburger Stadtgeschichte aufge- arbeitet und wird nun, unterstützt durch die Ärztekammer Ham- burg, ihre weitere For- schungsarbeit im Rah- men einer Disserta- tion als Buch ver- öffentlichen. Spenden

von Hamburger Ärztinnen und Ärzten – bisher etwas mehr als 12 000 Euro – ermöglichen die Finanzierung dieses Projekts, das bis Mitte 2005 realisiert werden soll.

„Ich sehe die Institution Ärztekam- mer in der Pflicht, sich diesem düsteren Kapitel deutscher, aber auch speziell Hamburger Geschichte zu stellen. Wir vermissen die jüdischen Kollegen noch

heute, sie haben die medizinische Kul- tur und Wissenschaft Hamburgs ent- scheidend mitgeprägt“, sagte der Ham- burger Ärztekammerpräsident Dr.

med. Michael Reusch anlässlich der Pressekonferenz, auf der das Vorhaben der Öffentlichkeit präsentiert wurde.

Den Anstoß zu dem Buchprojekt gaben die beiden Hamburger Ärzte Dr. med.

Thomas Brinkmann und Dr. med. Jür- gen Zippel. Sie wollten mehr wissen über die jüdischen Mediziner in jener Zeit, lernten bei ihrer Recherche Anna von Villiez kennen und trugen die Bitte

an die Kammer heran, die Erforschung des Themas zu unterstützen.

Von Villiez hat in ihrer Abschluss- arbeit an der Universität Hamburg sorgfältig und ausführlich das Schicksal jüdischer Ärzte in der Zeit des Nationalsozialismus untersucht. Da- nach wurde etwa ein Fünftel der Ärzte in der Hansestadt als „Nichtarier“ Op- fer der Verfolgung. Bereits im April

1933 gab es die erste Entlassungswelle

„nichtarischer“ Ärzte, die an Kranken- häusern, Universität und in der Gesundheitsverwaltung tätig waren. In Folge dieser „Säuberungsaktion“ er- hielten mindestens 53 jüdische Ham- burger Krankenhausärzte ihre Kündi- gungen. Unter ihnen der Internist und Tuberkulosespezialist Prof. Arthur Lippmann, der 26 Jahre in St. Georg tätig gewesen war, sieben Jahre davon als Leiter der Poliklinik. Seit 1923 war er Vorstandsmitglied der Ärztekammer gewesen. Er emigrierte 1939 mit seiner Frau nach Sydney, Australien, wo er bis zu seinem Tod 1950 lebte und arbeitete.

Im April 1933 traf es 78 der 325 in freier Praxis niedergelassenen jüdi- schen Ärzte. Ihnen wurde die Kassen- zulassung entzogen, die anderen konn- ten zunächst weiter praktizieren. In den folgenden Jahren wurden jüdische Ärz- te Opfer von Diskriminierungen und ju- ristischer Willkür. So schrieb 1935 der Leiter des Nationalsozialistischen Ärz- tebundes, Willy Holz- mann, an den Leiter der Gesundheitsbe- hörde, Senator Fried- rich Ofterdinger: „Es ist ja tatsächlich von unseren Parteigenos- sen und SA-Ärzten nicht zu verlangen (und kann keineswegs erzwungen werden), dass sie die Versamm- lung gemeinsam mit jüdischen Vertragsärz- ten besuchen.“ Die Repressalien nahmen zu, und immer mehr Ärzte verließen Ham- burg. Etwa drei Viertel der jüdischen Ärzte emigrierten, viele in die USA, nach Eng- land oder Palästina.

Hohe bürokratische Hürden machten es ihnen im Exil schwer, weiter in ihrem Beruf zu arbeiten – meist erhielten sie nur dann eine Zulassung, wenn sie das medizinische Examen in der fremden Sprache wiederholten. Andere, meist ältere Kollegen blieben. Über sie wurde 1938 das totale Berufsverbot verhängt, viele wurden in der Pogromnacht vom 9. November verhaftet und in das Kon- T H E M E N D E R Z E I T

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A1486 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2121. Mai 2004

Jüdische Ärzte

Schmerzlich vermisst

Historikerin erforscht die Vertreibung jüdischer Ärzte aus Hamburg – finanziert durch Spenden Hamburger Ärzte.

Blick auf das Israelitische Krankenhaus um 1842 (nach einem Stich von Jens Gray).

Eine lange Tradition jüdischer Medizin in Hamburg wurde nach 1933 zerstört.

Foto:Staatsarchiv Hamburg

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T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2121. Mai 2004 AA1487

zentrationslager Sachsenhausen ver- schleppt. Mindestens 39 jüdische Ärzte der Hansestadt wurden in den Vernich- tungslagern ermordet, und „von 16 Ärz- ten ist bekannt, dass sie ihrem Leben selber ein Ende setzten“, so von Villiez.

Die Wissenschaftlerin hat sich auf die Suche nach Zeitzeugen begeben; über die „Werkstatt der Erinnerung“ der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg ist sie auf die Ärztin Dr. med.

Eva Pfeiffer-Haufrect gestoßen, einzige heute noch lebende jüdische Ärztin, die Verfolgung und Krieg in Hamburg mit- erlebte. Die Medizinerin durfte nach ihrem Studium schon nicht mehr das Praktische Jahr absolvieren, fand aber als Operationsschwester am Israeliti- schen Krankenhaus eine Stelle. Da dies renommierte jüdische Krankenhaus die Reisetauglichkeit für die Deportationen feststellen musste, erlebte sie mit, wie jüdische Freunde und Bekannte ver- schleppt wurden. „Sie fragten immer:

‚Schwester Eva, können Sie nicht was für meine Mutter tun?‘ Es war furcht- bar, wir konnten ja nicht, sonst wurde ein anderer ausgewählt“, berichtete die heute 94-Jährige, die nach dem Krieg zunächst als Ärztin am Universitätskli- nikum Eppendorf arbeitete und 1948 in die USA auswanderte, dort als Kin- derärztin tätig war und jetzt in Texas lebt. Für sie war es ein schreckliches Ge- fühl zu wissen, dass sie, als viele schon deportiert worden waren, noch immer geschützt war. „Eines Tages erschien bei uns ein deutscher Soldat, der gleich in der Tür einen Nervenzusammenbruch hatte und anfing zu schluchzen, dass er jüdische Frauen und Kinder hätte er- schießen müssen. Da ging uns auf, dass man vielleicht mehr tut, als sie umzu- siedeln“, so Pfeiffer-Haufrect.

Welche Rolle die nichtjüdische Ärzte- schaft Hamburgs bei der Diskriminie- rung und Ausgrenzung ihrer jüdischen Kollegen spielte, liegt noch weitgehend im Dunkeln. Klar ist, dass mit dem Verfolgungs- und Verdrängungsprozess eine Jahrhunderte währende Tradition hochrangiger jüdischer Wissenschaft und Medizin in der Hansestadt unwie- derbringlich zerstört wurde. Die Ärzte- kammer Hamburg hofft, dass mit dem Buch ein Zeichen gegen das Vergessen und den Opfern ein Denkmal gesetzt werden kann. Dorthe Kieckbusch

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edes Jahr befällt sie, in ihrer epidemischen Ausbreitung Geschlecht, Alter oder Bildungsstand ignorierend, mit schöner Regelmäßigkeit unsere Mit- bürger, die zu Anfallsbeginn genauso zwanghaft wie delirant Wortge- brechen wie „Nachl.f.L-Min.Prosp.anf.“ oder „Kl.Fhs.Meerbl.“ stammeln.

Ignoriert vom Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten, refraktär gegen passive und aktive Impfungen, obwohl, wie auf Mittelmeerinseln zu bestaunen ist, ganze Landstriche verwüstend: die Reiselust. Frühsymptome äußern sich meist in Wünschen nach umfangreicher Verschreibung der Dauermedikation, um im fernen Domizil monatelang über die Runden zu kommen; eher selten richten sich die Fragen nach Übeln, die es vielleicht auch im Paradies der Hochglanzprospekte geben könnte. Wie jedes Jahr sitzt wieder solch eine Patientin vor mir, die Augen glänzen vor ausufernder Vorfreude.

„So ein traumhafter perlweißer Sandstrand, und jeden Tag Sonnenschein, nicht dieses trübe Wetter wie hier, das wunderbare Essen und die freundliche Bedienung; da merkt man erst, in welcher Servicewüste wir in Deutschland leben!“ Pflichtgemäß weise ich darauf hin, dass auf den gelobten südostasiati- schen Stränden sich auch Zerkarien wohl fühlen, die über die intakte Haut in die Blutgefäße des Unterbauches einwandern, wo sie sich als ausgewachsene

Parasiten niederlassen und zu blutigen Durchfällen führen können. Dank ernte ich für diesen Hinweis allerdings nicht: „Das glaube ich Ihnen nicht, dass es da so etwas gibt, das erzählen Sie nur, um mir meinen Urlaub madig zu machen!“

Nun, da habe sie nicht ganz Unrecht, zu chronischen Durchfällen würde auch die Giardiasis führen, die durch zystenhaltige Nahrungsmittel im Trinkwasser, durch Schmierinfektion, aber auch durch Sexualkontakte übertragen wird. Es handele sich dabei aber um einzellige Parasiten, nicht um Maden. Einem Ma- denbefall wäre sie eher in afrikanischen Landstrichen durch die Tumbu-Fliege ausgesetzt, die ihre Eier direkt auf die Haut legt, die schlüpfenden Larven boh- ren sich durch die Haut, wo sie häufig in einer beulenartigen Erhebung sichtbar sind. Abzugrenzen sind solche Hautveränderungen von der Loa-Loa, auch Calabar-Schwellung genannt, bei der drei bis sieben Zentimeter lange faden- förmige Rundwürmer unter der Haut wandern und zu teigigen Schwellungen meistens an Armen und Gesicht führen. Nicht zu einer Hautbesiedlung in Afri- ka, dafür aber weltweit vertreten führt der Hakenwurm, dessen erwachsene Formen sich im Dünndarm festkrallen und Blut saugen, zu . . . Bevor ich meine differenzialdiagnostische Erörterung gängiger Tropenkrankheiten beenden kann, verlässt die Patientin wortlos das Sprechzimmer.

So ungerecht ist die Welt. Kann ich etwas dafür, dass sich in fernen Gesta- den Dracunculi und Leptospiren herumtreiben? Ich muss doch meiner Sorg- faltspflicht nachkommen, indem ich auf die Haken in den Würmern, pardon, in den Paradiesen, insbesondere auf die Infektionspro- phylaxe hinweise! Unter uns: Die beste Prophylaxe ist immer noch das Niedergelassenendasein. In den letzten drei Jahren hatte ich zwei Wochen Urlaub, und die lang- ten gerade für einen Trip ins plasmodienfreie Frank- reich, mehr war nicht drin. Wir Ärzte müssen nun mal in der trüben Servicewüste Deutschland die Fahnen hoch- halten. Damit aber nicht zu viel Neid auf die vielen fröh- lichen Urlauber aufkommt, berate ich ganz gerne in Sachen Parasitologie. Dr. med. Thomas Böhmeke

Epidemie

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