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Kündigungsschutz und befristete Arbeitsverhältnisse:

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IntervIews und erfahrungsberIchte aus der arbeItswelt In deutschland

Kündigungsschutz und befristete

Arbeitsverhältnisse:

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3 Vorwort

Kündigung und befristung – zAhlen, fAKten und gesetze

6 Kündigungsschutzgesetz ist keine Einstellungsbremse 9 Befristungen am laufenden Band

befristete Arbeit – erfAhrungs- berichte und interviews Aus deutschlAnd

14 Hochqualifiziert, motiviert – befristet beschäftigt 16 Ständiger Druck und keinerlei Sicherheit 18 20 Befristungen in 27 Jahren

20 „Sachgrundlose Befristung streichen“

21 Klagen gegen Kettenbefristungen ohne Sachgrund 22 „Befristungen endlich reduzieren“

24 Von Vertrag zu Vertrag im Schuldienst 25 „Befristungen sind die Regel“

26 Die halbe Zeit für dieselben Aufgaben

27 Hochschulabschluss schützt nicht vor Befristung 28 Zweierlei Maßstab

29 Pläne schmieden? Fast unmöglich!

30 Postzustellung auf Abruf

inhAlt

schutz von Arbeitnehmer/innen – die PolitiK in der verAnt-

wortung

34 Regelungen zu befristeten Arbeitsverhältnissen in anderen europäischen Ländern 35 „Befristete Jobs sind Anti-Familien-Politik“

37 Parteienstimmen zu Kündigungsschutz und Befristungen 38 „Erheblich weniger Kündigungsschutzklagen“

39 „Änderungskündigungen überprüfen lassen!“

40 „Kündigungsschutz wurde systematisch ausgehöhlt“

Kündigungsschutz und

befristung – die forderungen der gewerKschAften

44 Ohne Bestandsschutz verschlechtern sich Arbeitsbedingungen 45 Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften fordern deshalb …

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vorwort

Der Kündigungsschutz ist 2003 im Rahmen der Umsetzung der Agenda 2010 deutlich verschlechtert worden. Trotzdem hat die unbefristete, sozialversicherungspflichtige Voll- zeitbeschäftigung mit angemessener Bezahlung nicht zugenommen. Im Gegenteil: be- fristete Beschäftigung ist für Viele und insbesondere für Berufsanfänger nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Leiharbeit hat in vielen Betrieben und Unternehmen re- guläre Beschäftigung ersetzt. Werkverträge nehmen zu und das sogenannte Jobwunder bedeutet für Viele Minijobs und eine Bezahlung unter dem Existenzminimum.

Der Arbeitsmarkt ist so dereguliert wie noch nie!

Gleichwohl sind immer wieder Stimmen zu vernehmen, die fordern, den Kündigungs- schutz weiter einzuschränken und befristete Beschäftigung noch weiter zu erleichtern.

Dies soll wegen der zu erwartenden Verschlechterung auf dem Arbeitsmarkt infolge der Wirtschaftskrise in Europa notwendig sein, da Beschäftigung nur geschaffen würde, wenn das Arbeitsverhältnis auch einfach wieder aufgelöst werden könne.

Einen Beleg für diese These bleiben ihre Befürworter, wie schon in der Vergangenheit, schuldig.

Tatsache ist, dass Beschäftigung dann aufgebaut wird, wenn die wirtschaftlichen Rah- menbedingungen stimmen. Beispiele aus anderen europäischen Ländern, die in der Wirt- schaftskrise Beschäftigtenrechte abgebaut haben, zeigen, dass dies keineswegs zu mehr Beschäftigung geführt hat. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer rechtlos zu stel- len, sie der Willkür von Entlassungen auszusetzen und damit auch den Druck auf alle anderen Beschäftigungsbedingungen zu erhöhen, bringt nicht mehr Beschäftigung, son- dern lediglich deutlich schlechtere Arbeitsbedingungen. Wer wirtschaftlichen Erfolg will, darf die Arbeitsbedingungen nicht verschlechtern. Nur sichere Arbeitsplätze mit einer angemessenen Vergütung und guten Arbeitszeiten können Kreativität und Innovation fördern. Der richtige Weg, den wir nachdrücklich unterstützen, sollte deshalb sein, den Kündigungsschutz nicht ab-, sondern auszubauen und befristete Arbeitsverhältnisse nicht zu erleichtern, sondern deutlich einzuschränken.

Michael Sommer Vorsitzender des DGB

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Kündigung und befristung

– zAhlen, fAKten und gesetze

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Kündigungsschutzgesetz

ist Keine einstellungsbremse

Von Arbeitgebern wie auch ihnen nahestehenden Politiker/innen wird häufig das bundes- deutsche Kündigungsschutzrecht als Hindernis für – unbefristete – Einstellungen genannt.

Verschiedene Untersuchungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung belegen jedoch etwas ganz anderes: Kündigungen und Neueinstellungen hängen primär mit der wirtschaftlichen Situation eines Betriebes zu- sammen. Und für die Einstellungsentscheidung ist die Frage des Kündigungsschutzes von verschwindend geringer Bedeutung.

Bereits 2005 legte das WSI die Ergebnisse des Projektes „Regulierung des Arbeitsmark- tes“ (REGAM) vor, in das eine Vielzahl von Untersuchungen und Befragungen Eingang ge- funden hatten. Das eindeutige Fazit lautete: „Der Einfluss des Kündigungsschutzgeset- zes auf die Arbeitsmarktdynamik ist statistisch nicht nachzuweisen. Die Annahme, der Ar- beitsmarkt sei aufgrund des KSchG unnötig starr und rigide, ist falsch: Jährlich werden ca. fünf bis sieben Millionen Arbeitsverhältnisse beendet. Den größten Teil hieran machen arbeitnehmerseitige Kündigungen aus.“

Nur bei jeder achten Kündigung wird geklagt

Lediglich rund ein Drittel aller Kündigungen werde von den Arbeitgebern ausgesprochen;

zwei Drittel davon seien wiederum betriebsbedingt, das heißt, in aller Regel ökonomisch begründet. Kündigungsschutzklage werde nur bei jeder achten vom Arbeitgeber aus- gesprochenen Kündigung eingelegt, Abfindungszahlungen würden ähnlich selten verein- bart. „Die Daten belegen auch nicht, dass das KSchG Kündigungen verhindert und not- wendigen Personalabbau stört.“ (Heide Pfarr/Karen Ullmann/Marcus Bradtke/Julia Schneider/

Martin Kimmich/Silke Bothfeld, Der Kündigungsschutz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit: Betriebliche Erfahrungen mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, Mün- chen und Mering 2005).

2007 untersuchte das WSI neuerlich die Beendigung von Arbeitsverhältnissen in der Pra- xis, wobei sich die Zahlen der vorangegangenen Untersuchungen weitgehend bestätigten.

Wiederum machten die arbeitgeberseitigen Kündigungen etwa ein Drittel aller Kündi- gungen aus; zu 62 Prozent waren sie betriebsbedingt, was konkret bedeutete, dass es im Unternehmen nicht mehr genug Arbeit für die vorhandene Zahl an Beschäftigten gab. Lediglich in zehn Prozent aller beendeten Arbeitsverhältnisse wurden Abfindungen gezahlt, und zwar überwiegend in Großbetrieben, an Beschäftigte mit langer Betriebs- zugehörigkeit, dort, wo der Betriebsrat/Personalrat Widerspruch gegen die Kündigung ein- gelegt hatte und dort, wo Klage eingelegt worden war. Allerdings erhoben 2007 nur 12 Prozent der Gekündigten überhaupt Kündigungsschutzklage (Miriam Gensicke/Heide Pfarr/Nikolai Tschersich/Karen Ullmann/Nadine Zeibig, Neue Erkenntnisse über die Be- endigung von Arbeitsverhältnissen in der Praxis, in: AuR12/2008).

Und auch eine weitere, auf Befragungen basierende Untersuchung zeigt auf, dass es sich bei der Behauptung, das Kündigungsschutzgesetz verhindere Einstellungen, eher um eine „gefühlte Wahrheit“ handelt als um eine gesicherte Erkenntnis.

„Arbeitsrecht und Kündigungsschutz scheinen also bei der Gestaltung der betrieblichen Arbeitsbeziehungen keine so große Rolle zu spielen, wie man vermuten könnte“, schreiben Michael Schlese und Florian Schramm in ihrem Aufsatz „Die Rolle des Kündigungsschut- zes: Ergebnisse der qualitativen Analyse“. Für das Einstellungsverhalten und die innerbe- trieblichen Beziehungen sei beides wenig bedeutsam. Jedoch bestätige sich das allge- meine Vorurteil gegen den bestehenden Kündigungsschutz. „Die Kritik am Kündigungs- schutz nimmt wenig Bezug zu eigenen betrieblichen Erfahrungen und wenn ja, dann eher generalisierend.“ (in: Florian Schramm/Ulrich Zachert, Hg., Arbeitsrecht in der betrieb- lichen Anwendung, München und Mering 2008).

Kündigungsschutz ist kein Einstellungshindernis

Gleichwohl blieb es auf Arbeitgeberseite lange bei der gebetsmühlenhaft vorgetragenen Behauptung, der Kündigungsschutz in Deutschland verhindere Einstellungen und sei recht- lich problematisch. So wurde etwa in einem vom Deutschen Industrie- und Handelskam- mertag beim IZA in Auftrag gegebenen Gutachten postuliert, dass der „Kündigungsschutz (…) eine der umstrittensten Arbeitsmarktinstitutionen, in Deutschland wie auch in ande- ren Ländern“ sei. Das Papier wandte sich insbesondere gegen die im Kündigungsschutz- gesetz geregelten Vorgaben der Betriebsratsanhörung im Fall von Kündigungen und der Sozialauswahl. Stattdessen solle die Beteiligung des Betriebsrates bei Kündigungen einge- schränkt werden, die Sozialauswahl entfallen und eine „freiwillige Abfindungsoption“

eingeführt werden (Werner Eichhorst/Paul Marx, Zur Reform des deutschen Kündigungs- schutzes, Gutachten im Auftrag des DIHK, IZA Research Report No. 36, Juni 2011).

Dass dies unzutreffend ist, belegt eine Ifo-Umfrage vom August 2012 im Auftrag der Wirtschaftswoche. Bei der Befragung von etwas mehr als 600 Unternehmen kam heraus, dass „arbeitsmarktpolitische Aspekte wie Kündigungsschutz oder hohe Lohnkosten“

kein Einstellungshindernis seien. Allerdings gaben mehr als 50 Prozent der Befragten an, Minijobber und Leiharbeitnehmer zu beschäftigen. Nach der Anzahl der befristeten Arbeitsverhältnisse im Betrieb wurde nicht gefragt, aber vermutlich wäre auch hier ein hoher Anstieg zu registrieren gewesen, so dass faktisch ein immer größerer Anteil der Belegschaften überhaupt nicht unter das Kündigungsschutzgesetz fällt (Wirtschafts-Wo- che Nr. 33, 13.8.2012).

Zudem fällt auch eine Gruppe von fest Beschäftigten aus dem Kündigungsschutz heraus:

die in Kleinbetrieben. Mit der Änderung des Gesetzes vom 23. Dezember 2003 im Rahmen der „Agenda 2010 im Arbeitsrecht“ wurde die Anzahl der Beschäftigten, die in einem Betrieb beschäftigt sein müssen, damit der Kündigungsschutz greift, von fünf auf zehn heraufgesetzt. Nach dem IAB-Betriebspanel von 2010 haben 71 Prozent der bundes- deutschen Betriebe weniger als zehn Beschäftigte (das entspricht 18 Prozent an der Ge- samtbeschäftigung), so dass hier das Kündigungsschutzgesetz nicht greifen kann.

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befristungen

Am lAufenden bAnd

Die Zahl der befristet Beschäftigten nimmt stetig zu. So hat nach einer Studie des Insti- tuts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2010 jeder fünfte Arbeitnehmer unter 35 Jahren (exakt: 21 Prozent) einen befristeten Arbeitsvertrag. In den ostdeutschen Bundesländern liegt der Anteil sogar bei 28 Prozent, während es im Westen „nur“ 19 Prozent sind.

Über alle Altersgruppen hinweg erhielt nach Angaben des IAB fast jeder zweite neu ein- gestellte Beschäftigte (46 Prozent) lediglich einen befristeten Vertrag. 2001 lag der Anteil der auf Zeit Eingestellten bei 32 Prozent.

In absoluten Zahlen stiegen die befristeten Arbeitsverträge nach Hochrechnungen auf der Basis des IAB-Betriebspanels von etwa 1,7 auf 2,7 Millionen zwischen 2001 und 2011. Damit liegt der Anteil derzeit bei 9,5 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungs- verhältnisse, während er 2001 bei 6,1 Prozent lag, wie Christian Hohendanner vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) Anfang 2012 darlegte. In seinem Aufsatz „Be- fristete Arbeitsverhältnisse – Auch Mann trägt kurz“ für das IAB-Forum 1/2012 kam er zu dem Ergebnis, dass bei Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages „mittlerweile fast jeder zweite Beschäftigte befristet eingestellt“ werde. Dabei seien „Frauen insgesamt häufiger befristet beschäftigt als Männer“, stünden aber nicht systematisch schlechter da, da sie in Branchen und Berufen mit besonders häufiger Befristung überproportional vertreten sei- en. „Generell gilt: Befristete Arbeitsverträge haben auch im Jahr 2011 weiter zugenom- men – sowohl bei Männern als auch bei Frauen“, schreibt Hohendanner, der wissenschaft- licher Mitarbeiter im Forschungsbereich „Betriebe und Beschäftigung“ am IAB ist.

Bundesarbeitsgericht dereguliert sachgrundlose Befristung

2001 schrieb die damalige Bundesregierung im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) fest, dass ein Arbeitnehmer nicht ohne Sachgrund mehrfach hintereinander bei einem Ar- beitgeber befristet beschäftigt werden konnte. Allerdings kann bis zur Höchstdauer von zwei Jahren der sachgrundlos befristete Vertrag dreimal verlängert werden (§ 14 Abs. 2 TzBfG). Eine solche Befristung ist nur möglich, wenn mit demselben Arbeitgeber nicht vorher schon ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat – so die gesetzliche Regelung. Mit dieser Regelung sollten Befristungsketten ohne Sachgrund verhindert werden. Das hat das BAG inzwischen geändert. Im April 2011 hat der 7. Senat des Bundesarbeitsgerichts entschieden, dass in Zukunft ein Arbeitsvertrag auch dann ohne Sachgrund befristet abgeschlossen werden kann, wenn bereits vorher ein Vertrag mit dem gleichen Arbeitgeber bestanden hat (BAG v. 6.4.2011 – Az. 7 AZR716/09, Vor- instanz Sächsisches LAG v. 15.9.2009 – Az. 7 Sa 13/09). Voraussetzung soll lediglich sein, dass zwischen dem früheren und dem neuen sachgrundlos befristeten Vertrag ein Zeit- raum von mindestens drei Jahren verstrichen ist.

Neben dieser grundsätzlichen Regelung zur sachgrundlosen Befristung dürfen nach der Gründung eines Unternehmens ohne Sachgrund sogar bis zu vier Jahre befristete Arbeitsverträge abgeschlossen werden.

Da aber eine Absenkung der allgemeinen Arbeitsbedingungen, insbesondere der Ver- gütung, in engem Zusammenhang mit fehlendem oder eingeschränktem Bestandsschutz steht, diese Entwicklung aber weder sozial noch volkswirtschaftlich sinnvoll ist und hin- genommen werden kann, ist es zwingend notwendig, den Kündigungsschutz zu stärken und seine Umgehung effektiv zu verhindern.

teilzeit- und befristungsgesetz

§ 14 Zulässigkeit der Befristung

(1) Die Befristung eines Arbeitsvertrages ist zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Ein sachlicher Grund liegt insbesondere vor, wenn

1. der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht,

2. die Befristung im Anschluss an eine Ausbildung oder ein Studium erfolgt, um den Übergang des Ar- beitnehmers in eine Anschlussbeschäftigung zu erleichtern,

3. der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird,

4. die Eigenart der Arbeitsleistung die Befristung rechtfertigt,

5. die Befristung zur Erprobung erfolgt,

6. in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe die Befristung rechtfertigen,

7. der Arbeitnehmer aus Haushaltsmitteln vergütet wird, die haushaltsrechtlich für eine befristete Be- schäftigung bestimmt sind, und er entsprechend beschäftigt wird oder

8. die Befristung auf einem gerichtlichen Vergleich beruht.

(2) Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsver- trages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig; bis zu dieser Gesamtdauer von zwei Jahren ist auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines kalendermäßig be- fristeten Arbeitsvertrages zulässig. Eine Befristung nach Satz 1 ist nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbe- fristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Durch Ta- rifvertrag kann die Anzahl der Verlängerungen oder die Höchstdauer der Befristung abweichend von Satz 1 festgelegt werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebunde- ne Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren.

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begründen, warum tatsächlich kein Missbrauch vorliegt. Generell werde durch die Aus- weitung befristeter Arbeitsverhältnisse der Kündigungsschutz „in unangemessener Art und Weise umgangen“, befürchtet Dr. Nadine Zeibig, Leiterin des Referats Arbeits- und Sozialrecht beim Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler- Stiftung. „Der Intention des Gesetzgebers werden die Regelungen der sachgrundlosen Befristung nicht gerecht. Sie führen nicht zu mehr Beschäftigung, sondern sie ersetzen un- befristete Beschäftigung, sie integrieren auch nicht die benachteiligten Beschäftigten- gruppen in den ersten Arbeitsmarkt“, führt die Arbeitsrechtsexpertin weiter aus.

Außerdem verweist sie auf weitergehende negative Folgen für die von Befristungen Be- troffenen: „Sie beeinträchtigen die Gesundheit und die Lebensqualität der Beschäftigten;

sie entziehen jegliche Lebensplanung, führen zu prekärer, existenzbedrohender Beschäf- tigung und sind aus Sicht der Beschäftigten nicht erwünscht.“ Tatsächlich erhöht befristete Beschäftigung das Risiko, arbeitslos zu werden. Zwischen 10 und 15 Prozent der befris- tet Beschäftigten stehen ein Jahr später ohne Arbeit da bzw. sind nicht erwerbstätig. In der Gruppe der unbefristet Beschäftigten liegt dieser Anteil nur bei fünf Prozent. Dies belegt eine Studie des ZEW aus dem Jahr 2006. Der DGB fordert deshalb seit langem die Abschaffung von sachgrundlosen Befristungen.

Strenger Kündigungsschutz ist kein Risiko für Unternehmen

Vielfach wird als Begründung für die erhebliche Zunahme der befristeten Arbeitsverhält- nisse darauf verwiesen, dass wegen des strengen Kündigungsschutzes die Einstellung ge- rade für kleinere Unternehmen zu einem unkalkulierbaren Risiko werde. Deshalb stelle man nur noch befristet ein. Da aber in Betrieben mit bis zu zehn Beschäftigten, bei denen das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, die Zahl der befristet Beschäftig- ten nicht signifikant niedriger ist, als in denen mit einer Beschäftigtenzahl knapp über zehn kann dieses Argument nicht überzeugen. Und: bei nur zehn Prozent Klagen gegen eine Kündigung und nur zehn Prozent Abfindungszahlungen bei Kündigungen (einschließlich solcher auf Grund eines Sozialplanes!) stellen Kündigungen ein durchaus kalkulierbares Risiko dar. Im Übrigen werden auch in vielen Großbetrieben mit eigenen (Arbeits-) Rechts- abteilungen grundsätzlich Arbeitsverhältnisse erst einmal befristet.

Fakt ist: Arbeitgeber bevorzugen deshalb befristete Beschäftigung, weil ohne Bestands- schutz für die Betroffenen die konkreten Arbeitsbedingungen zweitrangig sind. Wegen der Hoffnung auf eine Festanstellung ist es dem Arbeitgeber ein leichtes, Bezahlung, Arbeits- zeit, Urlaub und alle weiteren Beschäftigungsbedingungen zu seinem Vorteil zu diktieren.

Bemerkenswert dabei ist, dass die gesetzlichen Regelungen zu befristeten Arbeitsverhält- nissen auf der europäischen Befristungsrichtlinie beruhen. Diese Richtlinie ist beschlossen worden, um zu verhindern, dass mit befristeter Beschäftigung der Bestandsschutz um- gangen und das unbefristete Beschäftigungsverhältnis ausgehöhlt wird. Angesichts der Praxis in vielen Unternehmen hat der deutsche Gesetzgeber dieses Ziel weit verfehlt.

Und auf fünf Jahre kann die sachgrundlose Befristung bei Arbeitnehmern ausgedehnt werden, die bei Beginn ihrer Tätigkeit 52 Jahre alt sind und zuvor mindestens vier Monate arbeitslos waren. Allerdings ergab die Auswertung einer Befragung des IAB-Betriebs- panels, dass Befristungen mit Sachgrund häufiger sind. In den westlichen Bundesländern wurden 48,6 Prozent auf der Basis eines sachlichen Grundes abgeschlossen, 44,3 Pro- zent ohne Sachgrund und 7,3 Prozent aufgrund einer öffentlichen Förderung. In Ostdeut- schland lag der Anteil der Befristungen mit Sachgrund bei 44,7 Prozent. Eine öffentliche Förderung war Grund für 36,2 Prozent der Befristungen, während nur 18,9 Prozent sach- grundlos befristet angestellt waren.

Missbrauch von mehrfachen Befristungen zulässig

Und auch bei Befristungen mit Sachgrund ist Missbrauch nicht ausgeschlossen: einen traurigen Rekord hält eine Justizangestellte in Nordrhein-Westfalen. Innerhalb von elf Jah- ren wurde ihr befristeter Arbeitsvertrag 13-mal verlängert. Als ihr 2007 keine weitere Verlängerung angeboten wurde, zog die Frau vor Gericht. Anfang 2012 entschied schließ- lich in dieser Angelegenheit der Europäische Gerichtshof, dass die mehrfache Befristung von Arbeitsverträgen zulässig sei – da jeweils Sachgründe vorlagen – und die deutsche Re- gelung nicht gegen europäisches Recht verstoße. Es sei jedoch Aufgabe der Gerichte, darauf zu achten, dass die Befristungsmöglichkeiten nicht ausgenutzt würden. Gebe es dauerhaft einen Mehrbedarf an Arbeitskräften, bedeute die weitere Einstellung von be- fristeten Beschäftigten einen Missbrauch (EuGH, 26.1.2012, Az.: C-586/10).

Nach dieser Entscheidung des EuGHs ist die Rechtslage aber nicht klarer geworden. Das BAG hat am 18.7.2012 sowohl in dem vom EuGH anhängigen Verfahren als auch in einem weiteren Verfahren, in dem es ebenfalls um mehrere befristete Verträge zur Vertretung ging (7 AZR 443/09 und 7 AZR 783/10) unterschiedlich entschieden.

In dem ersten Verfahren (das vorab dem EuGH vorgelegt worden war) hat das BAG die Sa- che an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, da es bei dreizehn Befristungen innerhalb von elfeinhalb Jahren aufgrund der Anzahl und Dauer der befristeten Arbeitsverträge ein- en möglichen Missbrauch gesehen hat. Der Beklagte sollte aber die Gelegenheit bekommen, besondere Umstände vorzutragen, die der Annahme des Missbrauchs entgegenstehen.

Auch vier befristete Arbeitsverhältnisse hintereinander werden legalisiert

Im zweiten Verfahren sah das BAG bei einer Gesamtdauer von fast acht Jahren und vier befristeten Arbeitsverhältnissen keinen Anhaltspunkt für Missbrauch. Es ist also nicht da- von auszugehen, dass sich an der grundsätzlichen Haltung des BAG etwas ändern wird, nur den letzten befristeten Vertrag zu überprüfen und nur in äußersten Extremfällen (Ge- samtbefristungsdauer mehr als zehn Jahre und mehr als zehn befristete Arbeitsverhält- nisse etwa als Grenze) einen Missbrauch anzunehmen. Aber selbst in den Fällen, in denen ein Missbrauch indiziert ist, soll dem Arbeitgeber die Möglichkeit eingeräumt werden zu

(2a) In den ersten vier Jahren nach der Gründung eines Unternehmens ist die kalendermäßige Befris- tung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von vier Jahren zu- lässig; bis zu dieser Gesamtdauer von vier Jahren ist auch die mehrfache Verlängerung eines kalender- mäßig befristeten Arbeitsvertrages zulässig. Dies gilt nicht für Neugründungen im Zusammenhang mit der rechtlichen Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen. Maßgebend für den Zeitpunkt der Gründung des Unternehmens ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, die nach § 138 der Abgaben- ordnung der Gemeinde oder dem Finanzamt mit- zuteilen ist. Auf die Befristung eines Arbeitsvertrages nach Satz 1 findet Absatz 2 Satz 2 bis 4 entspre- chende Anwendung.

(3) Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsver- trages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist bis zu einer Dauer von fünf Jahren zulässig, wenn der Arbeitnehmer bei Beginn des befristeten Arbeits- verhältnisses das 52. Lebensjahr vollendet hat und unmittelbar vor Beginn des befristeten Arbeitsverhält- nisses mindestens vier Monate beschäftigungslos im Sinne des § 119 Abs. 1 Nr. 1 des Dritten Buches So- zialgesetzbuch gewesen ist, Transferkurzarbeiter- geld bezogen an einer öffentlich geförderten Beschäf- tigungsmaßnahme nach dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch teilgenommen hat. Bis zu der Gesamtdauer von fünf Jahren ist auch die mehr- fache Verlängerung des Arbeitsvertrages zulässig.

(4) Die Befristung eines Arbeitsvertrages bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform.

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befristete Arbeit

– erfAhrungsberichte und interviews

Aus deutschlAnd

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Michael W. (Name geändert) ist promovierter Historiker und arbeitet an einem privaten wissenschaftlichen Forschungsinstitut in Brandenburg. Seine Arbeit füllt ihn vollständig aus, und er sagt: „Ich würde nichts anderes arbeiten wollen, mir gefallen die Themen, auch weil ich jetzt die Formen erforsche, in denen ich früher selbst studiert und gearbei- tet habe. Jedes Partygespräch mit Wissenschaftlern wird zur Feldforschung.“ Doch es gibt einen nicht ganz kleinen Wermutstropfen, der W. die Arbeit zeitweise vergällt: Seine Stelle ist projektbezogen, mit dem Ende des Projekts endet auch sein Beschäftigungs- verhältnis.

Und damit gehört der 41-Jährige zu einer wachsenden Gruppe. Immer mehr Geisteswis- senschaftler/innen finden nach ihrem Studienabschluss zunächst keine Festanstellung. Nach einer Studie des Hochschul-Informations-System (HIS) sind davon derzeit etwa 78 Pro- zent betroffen. In einem befristeten wissenschaftlichen Projekt zu arbeiten, wie Michael W. es tut, gehört für viele zu den obligatorischen Beschäftigungsformen. An staatlichen Hochschulen sind sachgrundlose Befristungen aufgrund einer eigenständigen gesetzlichen Vorschrift (Wissenschaftszeitvertragsgesetz) die Regel. Der Historiker empfindet sich so- gar als privilegiert, denn sein zunächst auf drei Jahre befristetes Projekt wurde 2010 um dieselbe Zeitspanne verlängert. „Im Vergleich zu anderen sind wir mit unserer Laufzeit sogar noch sehr gut dran, denn es gibt durchaus Projekte, die nur ein paar Monate laufen.

Eine unbefristete Stelle kann es unter den derzeitigen Umständen bei uns nicht geben.

Im besten Fall kommt nach meinem jetzigen Projekt ein neues Projekt, meine Kollegen und ich arbeiten daran.“

„Ich kämpfe seit Jahren für Verbesserungen im Wissenschaftsbereich“

Obwohl er weiß, dass er besser gestellt ist als so manch anderer Wissenschaftskollege, ist Michael W. mit seinem Beschäftigungsstatus nicht zufrieden. „Dass mein Vertrag be- fristet ist, belastet mich. Unbefristete Arbeitsverhältnisse sind im Wissenschaftsbetrieb selten geworden, sie sind außerhalb der Professur eigentlich gar nicht vorgesehen.“ Der Wissenschaftler schaut weit über den Tellerrand seiner eigenen Situation hinaus und kritisiert den vorherrschenden Trend, Lehre und Forschung zunehmend in befristete Be- schäftigungsverhältnisse zu verlagern. Michael W. versucht, aktiv etwas zu verändern:

„Ich engagiere mich in der Gewerkschaft und kämpfe seit Jahren auf verschiedenen Ebe- nen für Verbesserungen im Wissenschaftsbereich. Was hier allerdings das Streiken an- geht: Wissenschaftler könnten Monate streiken, niemand würde es merken. Andererseits sind es in meinem engeren Umfeld überraschend viele, die sich in der Gewerkschaft en- gagieren. Wenn wir diesen Organisationsgrad überall im Hochschul- und Wissenschafts- bereich hätten, wäre mehr möglich.“

Seine eigene soziale Position schätzt Michael W. realistisch ein: „Prekär beschäftigte Mittelschicht mit realer Abstiegsoption.“ Laufe es gut für ihn, könne er aufsteigen und

„in der Mitte der Gesellschaft“ ankommen. „Wenn nicht, dann ist das nicht so gut, für mich oder auch für die Gesellschaft, das wird sich herausstellen. Ich hänge aber nicht an

hochquAlifiziert, motiviert – befristet beschäftigt

dieser ominösen Mitte. Ich möchte kein schlechtes Leben haben und noch über Hand- lungsoptionen verfügen, egal ob ich nun in der Mitte oder am Rand lebe. Dass dies am Rand kaum möglich ist, ist der Skandal. Das muss sich ändern.“

Die Fallgeschichte ist eine Zusammenfassung eines längeren Interviews mit Michael W., das am 29. August 2012 in der Tageszeitung im Rahmen der Serie „(Über)Leben in Berlin“

erschienen ist.

Promovierter historiKer, PrivAtes wissenschAftliches forschungsinstitut,

brAndenburg

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Robert F. (Name geändert) gehört zu den Menschen, die eher das Gute als das Negative an einer Situation sehen. Und so konnte der junge Berliner seinem Job als Postzusteller eine Menge abgewinnen. Doch allmählich vergehen ihm Freude und Engagement.

„Demnächst werde ich meinen dreißigsten befristeten Vertrag unterschreiben – und das innerhalb von drei Jahren“, berichtet er. Zwischen einem und sechs Monaten beträgt die Laufzeit – und da gilt es, nicht unangenehm aufzufallen. „Sonst kommt sofort die Dro- hung mit dem Ende der Tätigkeit.“ Robert F. wurde so „bestraft“, nachdem er den ihm zustehenden Urlaub nehmen wollte. Er erhielt erst einen Monat später einen neuen Ver- trag, wodurch ihm nicht nur die reguläre Bezahlung während des Urlaubs, sondern auch das tarifvertraglich gesicherte Urlaubsgeld und das 13. Monatsgehalt für dieses Jahr entgingen.

„Es wird enorm viel Druck auf die befristet Eingestellten ausgeübt“, berichtet der 28-Jäh- rige. Bei Bedarf sollen sie auf freie Tage verzichten, Mehrarbeit in nicht besetzten Zustell- bezirken mit erledigen und gegebenenfalls den Urlaub abbrechen. Dass viele der befris- teten Beschäftigten sich Hoffnung auf Übernahme in den Postdienst machen, wissen die Vorgesetzten zu nutzen. Tatsächlich gibt es jedoch so gut wie keine Festeinstellungen in diesem Bereich.

„Planen ist unmöglich, wir sollen jederzeit abrufbar sein“

Selbstverständlich verdient Robert F. deutlich weniger als altgediente Postler. „Das geht auch in Ordnung. Nur dass ich nach dem nicht gegebenen Urlaub im neuen Vertrag auch gleich auf das niedrigste Gehalt zurückgestuft wurde, regt mich dann doch auf.“ Ebenso unbefriedigend ist für ihn, praktisch nie zu wissen, welcher Zustellbezirk ihm zugeteilt wird und wie in der Folgewoche die Einsatzzeiten sind. „Planen ist fast unmöglich, weil wir praktisch jederzeit abrufbereit sein sollen. Wer sich dem widersetzt, bekommt verstärkt Druck zu spüren und die Drohung, dass der laufende Vertrag der letzte sein könnte.“

Interessant ist auch der Trick, mit dessen Hilfe die Post befristete Verträge fortlaufend verlängert: Da das Teilzeit- und Befristungsgesetz diese Möglichkeit nur vorsieht, wenn ein

„Sachgrund“ vorliegt, werden solche Gründe konstruiert. „In jedem Vertrag steht der Name eines Beschäftigten, den ich angeblich vertreten muss“, erzählt Robert F. Ob diese Beschäftigten tatsächlich existieren, weiß keiner der Betroffenen. Stutzig wurde eine befristet Eingestellte, als sie einen Vertrag unterschrieb, in dem ihr eigener Name als zu vertretende Stammkraft eingesetzt war.

Jeden Tag bleibe Post liegen, weil die Zusteller nicht noch mehr Briefe ausliefern könn- ten. „Es ist offensichtlich, dass es an Personal fehlt und längst Neueinstellungen fällig wären.“ Doch das schenkt sich das ehemals bundeseigene Unternehmen, hält die Per- sonalkosten dank der schlechter bezahlten befristeten Kräfte niedrig und fährt im Gegen- zug gute Gewinne ein. „Immerhin hat Anfang des Jahres jeder Beschäftigte – egal ob

ständiger drucK und Keinerlei sicherheit

fest oder befristet eingestellt – eine Prämie von etwa 400 Euro erhalten, weil der Ge- winn so gut ausgefallen war.“ Kurz danach verkündete das Unternehmen einen Einstel- lungsstopp.

Robert F. hat inzwischen genug von unberechenbaren Vorgesetzten, ständigem Druck und fehlender Zukunftsperspektive. „Ich arbeite nach wie vor gerne in der Zustellung, sch- lechtes Wetter macht mir nichts aus, aber ohne Wertschätzung und ein gewisses Maß an Sicherheit geht es nicht.“ Deshalb hat sich der Berliner inzwischen entschlossen, dem- nächst seine Sachen zu packen und ins Ausland zu gehen.

Postzusteller, deutsche Post Ag, berlin

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Es klingt rekordverdächtig, doch auch wenn Sabine W. (Name geändert) tatsächlich einen „Spitzenplatz“ bei der Zahl ihrer befristeten Verträge einnehmen sollte, könnte sie auf einen solchen Rekord gut verzichten. Zwischen 1985 und 2009 arbeitete die Gym- nasiallehrerin für Latein und Französisch an verschiedenen Schulen in der nördlichen Ober- pfalz – mit nicht weniger als 20 Verträgen!

„Darunter waren Jahresverträge, aber auch auf drei oder sechs Monate befristete Beschäf- tigungsverhältnisse, manche mit, die meisten ohne Sachgrund“, berichtet die 56-Jährige, die inzwischen – unfreiwillig – aus dem Schuldienst ausgeschieden ist und stattdessen seit zwei Jahren in einer Nachmittagsbetreuung für Kinder arbeitet.

1985 begann Sabine W. ihre Lehrerinnenlaufbahn mit einem ersten befristeten Vertrag.

Den zweiten Vertrag dieser Art brach sie nach ein paar Monaten ab, weil sie eine ABM-Stel- le an einer Fachhochschule bekam. In den folgenden Jahren ging es dann weiter mit der befristeten Arbeit an verschiedenen Gymnasien in ihrer Heimatstadt. Dabei wurde ihr Vertrag in einem Fall nach der vierten Verlängerung beendet, da sie nach damals gelten- dem Recht sonst Anspruch auf eine Dauerbeschäftigung gehabt hätte.

Nach einer Phase der Arbeitslosigkeit ging es weiter mit den Verträgen auf Zeit.

Gemobbt auf grund einer Klage

Und obwohl an bayerischen Schulen seit langem Mangel an Lateinlehrer/innen besteht, waren ihre Chancen auf eine Festanstellung gleichbleibend schlecht. Der Grund? „Ich habe in Tübingen studiert und dort meinen Abschluss gemacht, so dass ich in Bayern quasi als ‚Ausländerin’ gelte, die sich immer wieder neu bewerben muss. Und in den Auswahlver- fahren wird Absolventen bayerischer Universitäten durchgehend der Vorzug gegeben.“

An dem Gymnasium, das sie von 2003 bis 2009 durchgehend befristet beschäftigt, kam es schließlich zum Eklat: Sabine W., die aktive Gewerkschafterin ist, klagte wegen der Ket- tenbefristungen – und wurde fortan vom Schulleiter gemobbt. „Selbstverständlich hat er die Klage nicht erwähnt, aber der zeitliche Zusammenhang war unübersehbar.“ Und Sabine W. verlor ihren Rechtsstreit, da ihre befristeten Verträge jeweils einen Sach- grund hatten. Das heißt, sie vertrat andere Kollegen/innen, die krank oder im Mutter- schutz waren.

„Lange Zeit habe ich unter starkem psychischen Druck gestanden“

Nach der verlorenen Klage erhielt sie keinen neuen Vertrag mehr an der Schule. Und, schlimmer noch, sie fand auch keine neue Stelle. „Ich habe mich an vielen Gymnasien im näheren und weiteren Umkreis beworben. Doch obwohl mir einige Male Interesse an einer Anstellung signalisiert wurde, scheiterte der Vertragsabschluss an der zustän- digen Bezirksregierung.“ Als Sabine W. schließlich dort das Gespräch suchte, wurde

20 befristungen in 27 JAhren

ihr ganz offen gesagt, sie werde in der Region keine Lehrerstelle mehr bekommen. Der Schulleiter des Gymnasiums, an dem sie zuletzt unterrichtet hatte, habe sich dafür stark gemacht.

„Lange Zeit habe ich unter starkem psychischen Druck gestanden. Erst die Befristungen, die Ungewissheit, ob es nach dem Ende eines Vertrages weitergeht. Und später die uner- freuliche Situation mit dem Schulleiter bis hin zu dem verkappten Berufsverbot.“ Inzwi- schen hat Sabine W. sich stabilisiert. Sie würde immer noch gerne als Lehrerin arbeiten, doch den dafür erforderlichen Umzug in eine andere Region oder am besten in ein an- deres Bundesland erwägt sie mit Rücksicht auf ihre Familie nicht.

gymnAsiAllehrerin, lAtein und frAnzösisch, oberPfAlz

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„sAchgrundlose befristung streichen“

Wer früher für die Deutsche Bundespost Briefe und Päckchen zustellte, musste zwar früh aufstehen und bei jedem Wetter raus. Doch der Arbeitsplatz war sicher, das Entgelt anständig, und der Feierabend begann am frühen Nachmittag. All das ist längst Ge- schichte. Das Privatunternehmen Deutsche Post AG knappst beim Personal und setzt ver- stärkt auf befristete Beschäftigungsverhältnisse, wie Karl-Friedrich Sude, Betriebsrats- vorsitzender in der Kasseler Niederlassung Brief, im Interview berichtet.

Wie hoch ist in Ihrem Zuständigkeitsbereich die Anzahl der befristet Beschäftigten?

Karl-Friedrich Sude: Zurzeit arbeiten in unserer Niederlassung rund 3.000 Menschen.

Davon sind ungefähr 400 befristet beschäftigt. Mehr als 15 Prozent beträgt der Anteil bei der Postverteilung in den Verteilzentren, mehr als 10 Prozent im Bereich der Zustellung.

Inzwischen ist jede Neueinstellung befristet. Lediglich die „geeigneten“ Auszubildenden wurden in den letzten Jahren dauerhaft übernommen.

Gibt es bei Ihnen vorwiegend Befristungen mit oder ohne Sachgrund?

Sude: Genau das hat sich geändert. In der Vergangenheit hatten wir viele Beschäftigte, die über Jahre hinweg einen befristeten Vertrag nach dem nächsten erhielten, zwar jeweils mit einem Sachgrund, der aber zumeist fingiert war. 2007 und 2008 haben wir als Be- triebsrat verstärkt Druck gemacht, dass die Verträge dieser Kolleginnen und Kollegen ent- fristet werden sollten. Das verweigerte der Arbeitgeber und wollte alle Verträge auslau- fen lassen. Die Betroffenen, die Mitglied der Gewerkschaft ver.di waren, haben dann den Klageweg beschritten. Für mehr als 90 Prozent stand am Ende ein unbefristeter Vertrag.

Seitdem ist es aber gängige Praxis in unserer Niederlassung, befristete Verträge in der Re- gel nur noch ohne Sachgrund abzuschließen, die dann mit bis zu vier Einzelverträgen für zwei Jahre laufen.

Wie groß sind die Chancen für die befristet Beschäftigten, nach zwei Jahren dauerhaft übernommen zu werden?

Sude: In den letzten beiden Jahren hatten wir eine hohe Übernahmequote, für dieses Jahr sieht es nicht gut aus. Generell zeigt sich aber, dass in unserer Niederlassung mit der gesetzlichen Regelung zu den sachgrundlosen Befristungen keine dauerhaften Arbeits- plätze geschaffen werden. Stattdessen nutzt der Arbeitgeber die ungesicherte Situation der befristet Beschäftigten aus, um von ihnen Mehrarbeit und Unterordnung zu erzwin- gen. Und wir als Betriebsrat haben auch nur eine eingeschränkte Handhabe gegen die Miss- stände im Zusammenhang mit den Befristungen. Deshalb setze ich mich für die ersatz- lose Streichung der sachgrundlosen Befristungsmöglichkeit ein!

KArl-friedrich sude, betriebsrAtsvorsitzender bei der deutschen Post Ag, niederlAssung brief KAssel, im interview

Martin B. (Name geändert) und Enver C. haben lange Zeit bei einem Automobilzulieferer im Ruhrgebiet gearbeitet – mit befristeten Arbeitsverträgen, die mehrfach verlängert wur- den. „Ich hatte immer die Hoffnung, dauerhaft übernommen zu werden“, sagt Martin B. Nachdem er bereits von 1998 bis 2004 bei der Firma gewesen war, bekam er dort im Frühjahr 2011 wiederum einen befristeten Vertrag, der zweimal verlängert wurde. „Ende September hieß es dann jedoch, dass nun Schluss sei. Ich denke aber, ich hätte Anspruch auf Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis.“

Ganz ähnlich geht es Enver C. Erstmals arbeitete er von 1995 bis 1997 befristet für den Automobilzulieferer; 2011 erhielt er einen neuen Vertrag, der ebenfalls zweimal verlängert wurde. „Da ich insgesamt mehr als 24 Monate für die Firma gearbeitet habe und für die Befristungen kein Sachgrund vorlag, hätte man mich dauerhaft übernehmen müssen.“

Mit Unterstützung der IG Metall und vertreten durch den DGB-Rechtsschutz klagen bei- de Männer nun vor dem Arbeitsgericht auf Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhält- nis. Die Gütetermine in beiden Fällen gingen Ende November 2012 ohne Einigung aus, der Arbeitgeber argumentierte dabei mit der schlechten Wirtschaftslage und Produktions- rückgängen, die einer Festanstellung entgegenstünden. Damit ist aber nichts über den möglichen Rechtsanspruch der beiden Männer auf dauerhafte Übernahme gesagt. Da sie befristete Verträge erhielten, ohne dass ein Sachgrund für die Befristung genannt wurde und außerdem bereits vorher ein Arbeitsvertrag mit dem gleichen Arbeitgeber bestand, war nach dem Wortlaut von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG die erneute Befristung unwirksam und es könnte durchaus eine unbefristete Anstellung entstanden sein. Darüber wird das angeru- fene Arbeitsgericht nun im Lauf des Jahres 2013 zu entscheiden haben.

KlAgen gegen Ketten-

befristungen ohne sAchgrund

beschäftigter in der Automobilindustrie, ruhrgebiet

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Auch dort, wo vor einigen Jahren das dauerhafte Beschäftigungsverhältnis in Vollzeit obligatorisch war, haben sich die Bedingungen längst geändert: im produzierenden Gewer- be. Im Berliner Dynamowerk des Siemens-Konzerns arbeiten derzeit rund 800 Beschäf- tigte, knapp zehn Prozent von ihnen mit befristeten Verträgen.

Warum sich die Einstellungspraxis geändert hat und welche politischen Gegenstrategi- en nötig wären, erläutert im Interview Olaf Bolduan, Betriebsratsvorsitzender im Berliner Siemens-Dynamowerk und GBR-Mitglied in der Siemens AG.

Seit wann werden in Ihrem Werk verstärkt Beschäftigte mit befristeten Verträgen eingestellt?

Olaf Bolduan: Seit der letzten Änderung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes hat diese Praxis deutlich zugenommen. In den zurückliegenden zwei bis drei Jahren sind bei uns praktisch nur noch befristete Anstellungsverträge zustande gekommen. Ausnahmen werden allein bei manchen Spezialisten gemacht, die sehr dringend für den Produktions- ablauf benötigt werden. Die Befristungsmöglichkeiten werden voll ausgeschöpft, wo- bei bei uns in der Regel Verträge über ein Jahr üblich sind. Diese Entwicklung ist an den anderen Siemens-Standorten in Deutschland genauso abgelaufen.

Was konnte der Betriebsrat für die befristet Beschäftigten erreichen? Wie sind ihre Arbeitsbedingungen, wie ihre Chancen auf dauerhafte Übernahme?

Bolduan: Wir haben eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur Leiharbeit, wo auch geregelt ist, dass vorrangig befristet Beschäftigte fest übernommen werden – also noch vor Leih- arbeitnehmern.

Die Bezahlung für befristet Beschäftigte ist identisch mit der der Festangestellten. Doch leben die betroffenen Kollegen in ständiger Ungewissheit, ob sie ihre Arbeit fortsetzen kön- nen, so dass wir als Betriebsrat regelmäßig kontrollieren, wer übernommen werden muss, weil die Zahl der möglichen Verlängerungen ausgereizt ist. Als Erfolg unserer Arbeit werte ich die geltende tarifliche Regelung, dass alle Auszubildenden mit unbefristeten Verträ- gen übernommen werden. Allerdings wird diese Vereinbarung gerade von den Personal- verantwortlichen in Frage gestellt – so wie jede absehbare Konjunktur- oder Absatz- schwäche zum Anlass genommen wird, bewährte Regelungen zur Disposition zu stellen.

Für uns bedeutet das einen ständigen Kampf um die Durchsetzung der Tarifverträge.

Auch der Einsatz für die Übernahme der befristet Beschäftigten kostet eine Menge Kraft und bindet Ressourcen, die uns für andere Aufgaben – etwa die künftige Gestaltung der Arbeit und Ausbildung – dann fehlen.

„befristungen endlich reduzieren“

siemens-betriebsrAt olAf bolduAn im interview

Was müsste aus Ihrer Sicht politisch getan werden, um der Ausweitung prekärer Arbeitsverhältnisse gegenzusteuern?

Bolduan: Wir brauchen endlich einen gesetzlichen Mindestlohn, Leiharbeit muss be- grenzt werden, und die sachgrundlose Befristung sollte gesetzlich ausgeschlossen werden.

Damit wären wichtige Voraussetzungen gegeben, um endlich zu mehr unbefristeten Einstellungen und zu einem Ende des Lohndumpings zu kommen.

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In Deutschland herrscht Lehrermangel. Viele Pädagoginnen und Pädagogen stehen un- mittelbar vor dem Ruhestand; der Krankenstand in den oft überalterten Kollegien ist noto- risch hoch. Da sich junge Lehrer/innen nicht einfach „herbeizaubern“ lassen, werden zunehmend Akademiker/innen ohne pädagogische Ausbildung ermuntert, in den Schul- dienst zu wechseln. Doch wenn sie das dann tun, ergeht es ihnen möglicherweise wie André H. (Name geändert).

Der studierte Betriebswirt entschied sich vor drei Jahren, als Lehrer zu arbeiten. Er fand auch eine Stelle an einer Essener Gesamtschule, in der er im Hauptfach Mathematik und außerdem Gesellschaftslehre unterrichtet. Die Arbeit mit den Schülern macht ihm große Freude, aber mit seinem Status kann er sich nicht anfreunden. Denn André H. erhält nur jeweils auf ein halbes Jahr befristete Anstellungsverträge. Jedes nahende Vertragsende verunsichert ihn.

„Die Schulleitung würde mich gerne dauerhaft übernehmen. Doch die für Einstellungen zuständige Bezirksregierung verwehrt eine Entfristung“, sagt der 31-Jährige. Formale Grün- de werden geltend gemacht, die einer Festanstellung André H.‘s entgegenstünden. Ihm fehle die pädagogische Qualifikation, außerdem habe er seinen Abschluss als Betriebswirt an einer Fachhochschule erworben. „Aber ich vertrete ja mit jedem neuen Vertrag fest- angestellte Lehrer und Lehrerinnen, die eine Planstelle haben und fülle ihre Stelle vollwertig aus“, erklärt der Quereinsteiger. Zudem würde er gerne eine einjährige Zusatzausbildung in Didaktik absolvieren. „Der Zugang zu dieser Bildungsmaßnahme wird mir aber regel- mäßig verwehrt.“

„Ich möchte endlich Sicherheit in der Berufsplanung“

Die Kurzzeitverträge bedeuten für André H. Stress pur. So musste er sich in einem Jahr nach den Sommerferien fünf Tage arbeitslos melden, weil zwar sein nächster befristeter Vertrag beschlossene Sache war, aber wegen der Krankheit einer Sachbearbeiterin nicht rechtzeitig zur Unterschrift vorlag. „Ich habe mehrfach die absurde Situation erlebt, dass ich zum Ende des Halbjahrs offiziell vom Kollegium verabschiedet wurde – mit Blumen- strauß und besten Wünschen, um dann nach den Ferien bei der Lehrerkonferenz als neuer Kollege vorgestellt zu werden.“ Dabei kennt André H. die anderen Lehrer und Lehrerin- nen an der Schule ebenso gut wie sie ihn.

Einen kleinen Erfolg hat er allerdings errungen. Da sein erster befristeter Vertrag pünkt- lich zu den Sommerferien enden und der nächste erst wieder mit Beginn des neuen Schul- jahres starten sollte – in den meisten Ländern gängige Praxis – klagte André H. erfolg- reich auf Anstellung und Bezahlung auch während der unterrichtsfreien Zeit. Zumindest diese die Ferien umfassende Vertragslaufzeit wurde ihm seitdem stets gewährt. Als Dauerzustand kann und mag er die befristete Anstellung im Schuldienst allerdings nicht betrachten. „Ich möchte endlich Sicherheit in meiner Berufsplanung haben, zumal meine Frau und ich gerne Kinder hätten.“ Auf der Basis von Halbjahresverträgen lasse sich weder eine Familie gründen, noch überhaupt eine Zukunft planen.

von vertrAg zu vertrAg im schuldienst

„In unserer Niederlassung arbeiten rund 560 Beschäftigte; 60 Prozent von ihnen mit be- fristeten Verträgen. In den zurückliegenden fünf Jahren ist der Anteil der befristet Beschäf- tigten extrem gestiegen. Und unter der Hand heißt es, dass keiner länger als zwei Jahre hier arbeiten soll. Für uns als Betriebsräte wird die Lage immer komplizierter, denn das Un- ternehmen schert sich herzlich wenig um Mitbestimmungsrechte. Seit zwei Jahren kämp- fen wir darum, unsere Rechte bei Neueinstellungen wahrnehmen zu können. Da der Arbeit- geber vor dem Arbeitsgericht jedoch jeweils geltend macht, dass der – befristet – neu Eingestellte freiwillig den Vertrag unterzeichnet habe, hat auch das Gericht keine Hand- habe, auf diesem Weg unser Mitbestimmungsrecht zu stärken. Faktisch wird so aber das Betriebsverfassungsgesetz ausgehebelt.

Geht die Entwicklung so weiter wie bisher, dann haben wir bald keine unbefristet Ange- stellten mehr. Und die Jüngeren kennen inzwischen nur noch befristete Anstellungen. Die kommen nicht so schnell auf die Idee, sich gegen diese und andere Formen prekärer Be- schäftigungsverhältnisse zu wehren. Deshalb sollte aus meiner Sicht im Teilzeit- und Be- fristungsgesetz festgelegt werden, dass maximal ein Viertel einer Belegschaft befristet beschäftigt sein darf.“

iris sAntoro,

betriebsrAtsvorsitzende beim gebäudereinigungsunter- nehmen PiePenbrocK in

nürnberg

„befristungen sind die regel“

gesAmtschullehrer,

mAthemAtiK und gesellschAfts- lehre, essen

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Krankenzimmer gründlich wischen, Toiletten reinigen, Abfallbehälter entleeren – Ayse B. (Name geändert) hatte nie ein Problem mit ihrer Arbeit als Reinigungskraft in einem Berliner Krankenhaus.

„Das Verhältnis zu Ärzten und Schwestern war gut, ebenso die Arbeitsbedingungen“, erzählt die Mittvierzigerin. Doch seit einigen Jahren haben sich die Konditionen radikal geändert.

Alles fing mit der Gründung einer krankenhauseigenen Reinigungsfirma an. „Das Arbeits- pensum wurde drastisch heraufgesetzt. Hatte jede von uns vorher sechs Stunden täglich für das Putzen, sind es heute noch etwa dreieinhalb.“ In dieser Zeit sind dann beispiels- weise 16 Patientenzimmer, Flure und die Sanitärräume zu schaffen. Machbar sei das nur, sagt Ayse B., wenn sich jede der Reinigungskräfte auf das Nötigste konzentriert. Zwar sei es möglich, bezahlte Mehrarbeit zu leisten, doch müssten das jeweils die Vorarbeiter- innen genehmigen. „Und da gibt es dann Streit und Diskussionen um praktisch jede Minute, die zusätzlich erforderlich ist.“

„Wir stehen unter ständigem Druck“

Die Berlinerin hat 1996 mit der Arbeit als Reinigungskraft begonnen, damals über eine externe Firma und als zunächst befristet Beschäftigte, doch Bezahlung und Arbeitszeiten waren für sie völlig akzeptabel. „Inzwischen ist meine Stelle zwar nicht mehr befristet, doch die Sorge um den Arbeitsplatz ist eher größer geworden.“ Einer Kollegin sei gekün- digt worden, als sie gerade im Urlaub war – und nur dank eines glücklichen Zufalls ha- be sie rechtzeitig davon erfahren, so dass sie fristgerecht Kündigungsschutzklage einrei- chen konnte.

„Wir stehen unter ständigem Druck. Entdeckt die Hygienefachkraft Mängel bei der Rei- nigung werden wir dafür verantwortlich gemacht. Dass die angesetzte Zeit für die Säube- rung der Zimmer, in denen Patienten mit hochinfektiösen Krankheiten gelegen haben, viel zu gering bemessen ist, interessiert sie nicht.“ Jüngere Kolleginnen erhalten befriste- te Verträge. „Um fest übernommen zu werden, ist vor allem ein gutes Verhältnis zur Vorarbeiterin wichtig.“ Das Arbeitsklima leidet unter dem ständigen Druck und unsinnigen Vorgaben, wie etwa der, während der Arbeit nicht mit anderen Kolleginnen zu sprechen.

„Und gegenseitig helfen dürfen wir uns auch nicht“.

Ayse B. hätte gerne die Verhältnisse der Vergangenheit zurück – zumal sie mit 3,5 Arbeits- stunden pro Tag auch nicht genug verdient, so dass sie ergänzende Sozialleistungen benö- tigt. „Ich arbeite wirklich gerne und möchte auch von meiner Arbeit leben können. Doch mit den Vorgaben, die bei uns gelten, ist kein vernünftiges Einkommen zu erzielen. Und es stört mich, dass ich selten das Gefühl haben kann, meine Arbeit in bester Qualität zu leisten.“

die hAlbe zeit für dieselben AufgAben

Der Start ins Berufsleben verlief für Daniel P. (Name geändert) wie für viele Gleichaltrige:

Nach dem abgeschlossenen Politologiestudium fand er keine aussichtsreiche Anstellung, sondern nur einen Praktikumsplatz in der spärlich besetzten Redaktion einer Fachzeit- schrift. „Natürlich bedeutete das vom ersten Tag an ‚Learning by Doing’, erinnert sich der heute 30-Jährige. Immerhin – nach dem zweimonatigen Praktikum wurde ihm eine hal- be Redakteursstelle angeboten, aber nur befristet.

Im ersten Moment fühlte sich Daniel P. geschmeichelt, doch nach einigem Nachdenken erkannte er, dass ihn ein kurzes Praktikum nicht gleich zur Tätigkeit eines Redakteurs be- fähigte.

Er begriff, dass er nach Jahren der theoretischen Wissensaufnahme an der Uni durchaus noch praktisches Rüstzeug für seinen Berufsweg benötigen könnte. „Ich schlug vor, mich nicht als Redakteur, sondern als Volontär einzustellen und mir eine gründliche Ausbil- dung zu ermöglichen.“ Als journalistischer Azubi wurde er zwar eingestellt, doch an der umfassenden Einführung in den Beruf haperte es schnell. Eine kleine Redaktion, Arbeits- abläufe, die regelmäßig auch den vollen Einsatz von Daniel P. verlangten, kaum ein Feed- back für seine Artikel oder Überschriften. „Während der 18-monatigen Ausbildung habe ich zweimal in größeren Redaktionen hospitieren können. Da ist mir klar geworden, wie intensiv eigentlich an Texten gearbeitet werden kann und muss. Doch in meiner Redak- tion fehlt es an Zeit und wohl auch am nötigen Engagement der Vorgesetzten.“

„Vier Monate will man mich zunächst weiterbeschäftigen“

Trotz der mangelnden fundierten Ausbildung hätte er sich nun, kurz vor dem Ende des Volontariats, über das Angebot einer Festanstellung gefreut. Tatsächlich musste er mehr- fach nachhaken und den Betriebsrat einschalten, bis die Verlagsverantwortlichen ihm überhaupt ein Angebot machten. „Vier Monate will man mich zunächst weiterbeschäfti- gen. Darüber hinaus gibt es keine Aussagen.“ Einige Kollegen im Verlag haben ihm Mut gemacht. „Es werde schon weitergehen, sagen die. Andere Volontäre hätten ja auch nach Abschluss ihrer Ausbildung mit befristeten Verträgen weiter im Verlag gearbeitet.“

Doch es gebe auch andere langjährig Beschäftigte, die ihn warnten und darauf hinwiesen, wie ungewiss die Zukunft der Zeitschrift sei, für die er arbeitet.

Daniel P. stellt sich inzwischen noch eine ganz andere Frage: „Ich weiß heute eher weni- ger als vor Beginn des Volontariats, ob der Beruf eines Journalisten für mich der richtige ist. Die Arbeitsweise, die ich in dieser sehr kleinen Redaktion kennengelernt habe, ent- spricht jedenfalls nicht meinen Vorstellungen von professionellem Recherchieren und Schrei- ben.“ Für sich sieht er inzwischen die Berufsperspektive eher im Bereich der Öffentlich- keitsarbeit in einer Pressestelle. Und wenn ihm nach der befristeten Anstellung als Redak- teur ein Anschlussvertrag, eventuell für ein halbes Jahr, angeboten würde? „Dann würde ich vermutlich bleiben. Denn die aktuelle Situation für Journalisten ist insgesamt düster.“

hochschulAbschluss schützt nicht vor befristung

JournAlist,

verlAgsredAKtion einer zeitschrift

reinigungsKrAft,

KrAnKenhAuseigene reinigungs- firmA, berlin

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Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, hat sich wiederholt öffent- lich für die Schaffung von mehr unbefristeten Stellen eingesetzt. Gleichzeitig sind in der Arbeitsagentur selbst tausende von Beschäftigten befristet eingesetzt; 2010 sollen 23.000 Mitarbeiter/innen – in erster Linie Arbeitsvermittler/innen und Sachbearbeiter/innen – temporär in Jobcentern und anderen Bereichen der Arbeitsagentur gearbeitet haben.

Fest steht, dass die Bundesbehörde nicht aus freiem Entschluss zu diesem Mittel greift.

Durch Haushaltspläne werden ihre Mittel politisch gesteuert; insbesondere für die Arbeits- vermittlung stehen seit den so genannten Hartz-Reformen Geld und damit auch Personal immer nur zeitlich befristet zur Verfügung. „Herr“ über den Haushalt der Arbeitsagentur ist der Haushaltsausschuss des Bundestages. Hier wird auch über die Entfristung von Stellen entschieden. 2010 beantragte die Arbeitsagentur 3.200 befristete Stellen in feste Arbeitsverhältnisse umzugestalten.

„Das Gros der Betroffenen bleibt stumm“

Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht zumindest für einen Teil der befristet Beschäf- tigten die vorliegenden Verträge für rechtswidrig erklärt. Dabei fehle die „nachvollzieh bare Zwecksetzung für eine Aufgabe von vorübergehender Dauer“. Nach Angaben des Gerichts könnten bis zu 5.000 auf drei Jahre befristete Anstellungen in diesem Sinne rechts- widrig sein. Letztlich ist es aber Sache der einzelnen Jobvermittlerin oder des einzelnen Sachbearbeiters, sich die Rechtswidrigkeit gerichtlich attestieren zu lassen. Und angesichts der Arbeitsmarktsituation, wo ohne dies fast jedes zweite Arbeitsverhältnis nur noch befristet zustande kommt, bleibt das Gros der Betroffenen stumm und hofft, zu den we- nigen zu gehören, deren Stelle bei der Arbeitsagentur in eine dauerhafte umgewandelt wird.

Auch Bildungsträger, die im Auftrag der Arbeitsagentur Fortbildungen etwa für Jugend- liche ohne Ausbildungsplatz anbieten, erhalten nur befristete Verträge – und reichen die Unsicherheit an ihre Beschäftigten weiter. „Die Ausschreibungsverfahren mit befristeten Laufzeiten führen zwangsläufig zu befristeten Arbeitsverträgen“, zitierte Spiegel online Carsten Breyde, Vorstand des Kolping-Bildungswerks Württemberg. Die Ausschreibungs- zeiträume seien zu kurz und die Planungssicherheit für die Bildungseinrichtungen somit zu gering, um selbst unbefristete Stellen zu schaffen.

(Spiegel online, 17.5.2010)

zweierlei mAssstAb

Sven K. (Name geändert) war sehr froh, als er Ende September 2010 bei Volkswagen in Emden seine erste Stelle antreten konnte. Hatte er doch zuvor als frisch ausgelernter Kfz- Mechatroniker nur für ein halbes Jahr und schlecht bezahlt in seinem Lehrbetrieb weiter- arbeiten können. Doch zwei Jahre nach Beginn seiner Arbeit bei VW sieht der 23-Jährige seine berufliche Zukunft eher skeptisch.

„Eingestellt worden bin ich über die VW-eigene Leiharbeitsfirma ‚Autovision’. Der erste Vertrag lief über drei Monate, danach habe ich 6-Monats-Verträge erhalten. Nach vier Ver- längerungen ist nun aber nur noch eine weitere möglich. Ob ich eine Chance auf Festan- stellung bei VW habe, weiß ich nicht.“

„Leiharbeitskräfte machen über 50 Prozent der Beschäftigten aus“

Er kenne Kollegen, erzählt Sven K., die hätten zu Hause völlig überraschend einen Brief- umschlag von VW vorgefunden, in dem die feste Übernahme zugesagt wurde. Andererseits werde beim Autohersteller geklagt, dass die Produktion rückläufig sei; eine Aussage, die der junge Kfz-Mechatroniker nicht nachvollziehen kann.

„Hier in Emden haben wir ordentlich zu tun. Allein in unserer Produktionslinie laufen jeden Tag pro Schicht 323 Autos vom Band.“ Allerdings habe es in letzter Zeit keine Neu- einstellungen mehr gegeben. Umso wichtiger sind für das Unternehmen die eingearbei- teten Beschäftigten der konzerneigenen Leiharbeitsfirma. „In unserer Produktionslinie ma- chen die Leiharbeitskräfte über 50 Prozent der Beschäftigten aus. Das kann VW gar nicht kurzfristig umstellen.“

„Ständig gibt es kleine Schikanen von der Leiharbeitsfirma“

Sven K. fühlt sich mittlerweile zermürbt durch die andauernde Ungewissheit. „Wie soll ich denn Zukunftspläne machen? Ich würde mich gerne weiterqualifizieren, doch entspre- chende Angebote erhalten nur Festangestellte. Ständig gibt es kleine Schikanen von der Verwaltung der Leiharbeitsfirma. Stundennachweise verschwinden angeblich, viele Fragen bleiben ungeklärt.“ Nur die Lohnzahlung funktioniere erfreulicherweise reibungslos.

Überhaupt ist auch die Bezahlung ein enorm großer Anreiz für den Norddeutschen, auf eine Zukunft bei VW zu setzen. „Ab Januar werden die Entgelte für die Leiharbeitskräfte angeglichen. Doch ich habe wenig davon, falls nach meiner letztmöglichen Befristung die Arbeit bei VW endet.“ Gut bezahlte Arbeitsplätze sind im Norden Mangelware. Sven K.

wäre zu einem Wechsel an einen anderen VW-Standort in Deutschland bereit. „Haupt- sache, die Ungewissheit hört auf.“ Bis dahin hofft er jeden Tag auf einen großen Briefum- schlag mit dem Absender VW im Postkasten.

Pläne schmieden?

fAst unmöglich!

Kfz-mechAtroniKer,

beschäftigter in leihArbeit, volKswAgen, emden

(17)

Eigentlich, findet Monika B. (Name geändert), hat sie ja noch Glück gehabt. Seit No- vember 2010 arbeitet die 44-jährige Ostfriesin als Zustellerin bei der Deutschen Post AG. Und anders als viele ihrer befristet eingestellten Kollegen/innen war sie seitdem durch- gehend beschäftigt.

„Mit der jetzt laufenden Verlängerung meines befristeten Vertrages ist allerdings das Ende erreicht. Im November 2012 läuft die dritte Verlängerung aus, und dann kann ich nur noch mit Festanstellung weiter als Zustellerin arbeiten.“ Mit Unterstützung der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di kämpft Monika B. um die Übernahme. Aber sie weiß auch, dass die Post AG selten jemanden aus der befristeten Beschäftigung dauerhaft einstellt.

„Vielen geht es ganz mies: Die erhalten 11-Wochen-Verträge, haben dann acht Wochen Pause und müssen sich anschließend praktisch wieder neu einarbeiten.“ Zumal das Gros der befristeten Zusteller/innen auf ständig wechselnden Touren eingesetzt wird. Auch in dieser Hinsicht sieht sich Monika B. etwas besser gestellt, da sich zwar auch ihre Zustell- routen von Tag zu Tag ändern, sie aber bisher immer in einem Ort eingesetzt worden ist.

„Mein Einkommen wird dringend für die Familie benötigt“

Das Verhältnis zwischen den langjährigen Stammzusteller/innen und den befristet ein- gesetzten Kräften beschreibt sie als gut. Gleichwohl ist allen bewusst, wie groß die Unter- schiede sind – nicht zuletzt bei der Bezahlung.

Wobei Monika B. sich als angelernte Zustellerin mit einem Stundenlohn von 11,58 Euro brutto annehmbar bezahlt fühlt.

Und sie ist auf den Verdienst angewiesen. Anders als so oft von Arbeitgebern suggeriert wird, gehört sie keineswegs zur Gruppe der „Zuverdienerinnen“. „Mein Mann war lange krank, die Kinder gehen noch zur Schule – das bedeutet für uns, dass mein Einkommen für die Familie dringend benötigt wird!“ Monika B. wird auf jeden Fall weiterarbeiten müs- sen und hat sich vorsichtshalber bereits arbeitssuchend gemeldet. Doch ihre größte Hoffnung ist die feste Übernahme durch die Post. „Bei allem Stress und aller Ungewiss- heit macht mir diese Arbeit tatsächlich auch Spaß.“

Postzustellung Auf Abruf

Postzustellerin, deutsche Post Ag, ostfrieslAnd

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schutz von Arbeitnehmer/innen

– die PolitiK in der verAntwortung

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Auch in anderen europäischen Ländern wurden in den letzten Jahren Befristungsregeln eher gelockert als strenger gefasst. So wurden in Tschechien und Griechenland die Einzel- befristungen von zwei auf drei Jahre ausgeweitet mit der Möglichkeit in Tschechien, die entsprechenden Verträge dreimal zu verlängern, so dass eine Kettenbefristung von insge- samt neun Jahren zulässig ist. In Portugal wurde die Höchstdauer für Befristungen am Stück von sechs Monaten auf drei Jahre heraufgesetzt. Rumänien erlaubt eine Höchstdau- er von 36 statt bisher 24 Monaten sowie drei aufeinander folgende befristete Verträge, von denen der erste 36, die folgenden je 12 Monate gelten dürfen, während zuvor insge- samt drei Verträge mit einer Gesamtdauer von 24 Monaten erlaubt waren. Und in Spa- nien sind ebenfalls Befristungen über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren zulässig; hier gab es zuvor keine Regelung. In den Niederlanden wiederum wurde die Zahl der erlaub- ten befristeten Verträge für Beschäftigte unter 27 Jahren von vier auf fünf heraufgesetzt;

erst danach wird der Arbeitnehmer in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen.

Es ist äußerst zweifelhaft, ob alle diese Regelungen einer Überprüfung durch den Euro- päischen Gerichtshof standhalten würden. Denn die europäische Befristungsrichtlinie ist ja gerade erlassen worden, um befristete Beschäftigung einzudämmen und das unbe- fristete Arbeitsverhältnis zu stärken. Aber wer klagt schon, so lange er noch die Hoffnung hat, vielleicht irgendwann doch noch unbefristet beschäftigt zu werden. Allein der Ge- setzgeber könnte diesen flächendeckenden Missbrauch wirksam eindämmen. Die Einzel- regelungen wie auch die andauernde Praxis machen jedoch deutlich, dass die Ausdeh- nung von Befristungen politisch gewollt ist.

Seit Jahren steigt die Zahl der befristeten Anstellungen. Warum?

Claus Schäfer: Dahinter steckt ein Irrtum der Arbeitgeber. Denn der Grund der steigenden Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse hängt sehr stark mit der öffentlich verlauteten Angst der Arbeitgeber vor dem Kündigungsschutz bei unbefristeten Stellen zusammen und mit ihrem ebenso betonten Wunsch nach mehr Flexibilität. Doch die Angst ist völlig unbe- gründet, und mehr Flexibilität lässt sich mit betriebsinternen Mitteln herstellen.

Das Kündigungsschutzgesetz wird regelmäßig von Arbeitgebern und ihren Verbänden als Hemmschuh für unbefristete Einstellungen genannt. Was ist daran falsch?

Schäfer: Repräsentative Befragungen des WSI bei den Personalverantwortlichen in Be- trieben haben gezeigt, dass viele von ihnen mit den Details des Kündigungsschutzes nicht vertraut sind. Diejenigen jedoch, die sich gut mit dem Gesetz auskennen, haben mit überwältigender Mehrheit angegeben, dass die jeweilige wirtschaftliche Lage Hauptkrite- rium für Einstellungsentscheidungen bei unbefristeten Stellen ist, nicht der Kündigungs- schutz. Und tatsächlich klagen lediglich rund zehn Prozent der vom Arbeitgeber gekündig- ten Beschäftigten. In ähnlicher Größenordnung bewegt sich der Anteil der Abfindungs- zahlungen. Auch das haben die Befragungen belegt. Schaut man sich allerdings die betrieb- liche Praxis an, gibt es bemerkenswerte Abweichungen zu den Antworten der befragten Personalverantwortlichen, die auch als Widerspruch zwischen der intern geäußerten Ein- sicht und der öffentlich geäußerten Arbeitgeberpropaganda zu werten sind: Die Zahl der befristeten Jobs steigt bereits seit 1991 kontinuierlich. Das heißt, dass die Zahl der Be- fristungen sogar in den Aufschwungjahren zugenommen hat, obwohl die wirtschaftliche Situation sehr positiv war.

Angesichts sehr wechselhafter Konjunkturzyklen pochen die Arbeitgeber zunehmend auf mehr Flexibilität beim Personaleinsatz. Wie ließe sich die aus Ihrer Sicht am besten erreichen?

Schäfer: Sinnvoll ist die interne Flexibilität der Arbeitskraft, bei der die Arbeitszeit – je nach Auftragslage – variiert wird. Im Aufschwung kann – in gesundheitsverträglichen und anderen Grenzen – mehr gearbeitet und ein Zeitguthaben angelegt werden. Im Ab- schwung wird dieses Guthaben wiederum abgebaut. Darüber hinaus können Kurzarbeit und andere Formen von Arbeitszeitverkürzung genutzt werden, um Nachfrage- und Produktionsrückgänge abzupuffern. In der Wirtschaftskrise ab 2008 wurden diese Instru- mente erfolgreich eingesetzt. Allerdings setzt interne Flexibilität Vertrauen und Loyali- tät voraus, und das ist nur mit unbefristeter Beschäftigung möglich. Schließlich verzichtet bei dieser internen Flexibilität der Arbeitnehmer im Aufschwung auf Zeit und im Ab- schwung auf Einkommen. Trotzdem soll er leistungsfähig und zuverlässig sein. Nicht nur ich habe Zweifel, dass befristet Beschäftigte diese Motivation und Loyalität aufbringen können.

regelungen zu befristeten

Arbeitsverhältnissen in Anderen euroPäischen ländern

„befristete Jobs sind Anti-fAmilien-PolitiK“

interview mit dr. clAus schäfer,

leiter des wirtschAfts- und soziAlwissenschAftlichen instituts (wsi)

der hAns-böcKler-stiftung

(20)

Dennoch steigt die Zahl der befristeten Arbeitsverhältnisse weiterhin. Welche Auswir- kungen hat das Ihrer Meinung nach?

Schäfer: Da Befristungen junge Menschen überdurchschnittlich betreffen, wird insbe- sondere deren Bereitschaft und Fähigkeit zur Familiengründung belastet. Befristungspoli- tik ist so tatsächlich Anti-Familien-Politik und verschärft letztlich das demografische Problem. Derzeit wird rund die Hälfte der neu abgeschlossenen Arbeitsverträge befristet.

Auf diese Weise wird auch der Kündigungsschutz praktisch ausgehebelt. Deshalb sollte die Politik unbedingt umsteuern: Die Befristungsmöglichkeiten müssen eingeschränkt wer- den. Eine einmalige oder in Maßen wiederholte Befristung mit angemessenem Grund ist genug!

Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP von 2009 heißt es unter der Überschrift

„Befristete Beschäftigungsverhältnisse“: „Das generelle Vorbeschäftigungsverbot für sach- grundlos befristete Einstellungen erschwert Anschlussbeschäftigungsverhältnisse, wenn während Schule, Ausbildung oder Studium bei einem Arbeitgeber schon einmal befristet gearbeitet worden ist. Wir werden die Möglichkeit einer Befristung von Arbeitsverträ- gen so umgestalten, dass die sachgrundlose Befristung nach einer Wartezeit von einem Jahr auch dann möglich wird, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein Ar- beitsverhältnis bestanden hat. Mit dieser Neuregelung erhöhen wir Beschäftigungschan- cen für Arbeitnehmer, verringern den Bürokratieaufwand für Arbeitgeber und verhin- dern Kettenbefristungen.“

Antrag der SPD-Bundestagsfraktion vom 19. Mai 2010 „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Befristung“: Die Fraktion beantragte, die sachgrundlose Befristung von Ar- beitsverhältnissen ersatzlos aus dem Teilzeit- und Befristungsgesetz zu streichen. Damit knüpfte die SPD an ihre Koalitionsvereinbarung mit der CDU/CSU von 2006 an, in der bereits eine entsprechende Streichung vereinbart worden war, die anschließend jedoch nicht umgesetzt wurde. Es habe sich, so heißt es in der Antragsbegründung, längst erwiesen, dass befristet Beschäftigte keine größere Chance auf ein unbefristetes Arbeitsverhältnis hätten als Arbeitslose. Für „einen nicht unerheblichen Teil der befristet Beschäftigten (be- steht) ein Risiko, immer wieder bei verschiedenen Unternehmen nur befristet eingestellt zu werden“.

Das SPD-Wahlprogramm vom 14.4.13 beinhaltet die Forderung die sachgrundlose Befris- tung abzuschaffen und Befristungen mit Sachgrund zu überprüfen. Das Wissenschaftzeit- vertragsgesetz soll Mindeststandards für Befristungen vorsehen. Im Wahlprogramm von Bündnis90/Die Grünen, beschlossen am 26. – 28.4.13, wird festgehalten, dass die Lücken im bestehenden Kündigungsschutz geschlossen werden sollen, Befristungsgründe sollen reduziert, Befristungen ohne Sachgrund abgeschafft werden. Das Programm Der Linken vom 20.2.13 sieht die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung vor ebenso wie Ab- schaffung der Befristungen im Hochschulwesen. Kündigungsschutz für Eltern mit Kindern bis sechs Jahren soll geschaffen werden. Der Entwurf des Wahlprogramms der FDP für den Parteitag am 5./6.5.13 beinhaltet die Meinung, dass flexible Beschäftigungsformen Einstellungsanreize beinhalten. Bezüglich sachgrundlosen Befristungen soll das Vorbe- schäftigungsverbot beim selben Arbeitgeber gelockert werden. Die Altersdiskriminierung bei den Kündigungsfristen soll aufgehoben werden. Ein Entwurf für das Wahlprogramm der CDU war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt; im Parteitagsbeschluss der CDU vom Dezember 2012 waren keine Forderungen zur Änderung von Kündigungsschutz oder Befristungsregelungen enthalten.

PArteienstimmen zu Kündigungs-

schutz und befristungen

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