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Archiv "Sterbehilfe: In den Tod pflegen" (31.05.2002)

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K

ann ein Pflegeheim passive Sterbe- hilfe auf Wunsch des Patienten verweigern? Dies ist die Frage, mit der sich seit dem 25. April das Landge- richt Traunstein befasst.

Nach einem Selbstmordversuch liegt der 37-jährige Peter K. im Pflegeheim

„Alpenpark“ in Kiefersfelden. Über drei Jahre ist er bereits mit irreversiblen Hirnschäden im Wachkoma, lediglich durch eine künstliche Sonde ernährt.

Neurologische Gutachten bestätigen diese Schäden. Seit Oktober 2001 will der Vater im Namen seines Sohnes die lebensverlängernden Maßnahmen ein- stellen lassen. Die Pfleger weigern sich, diesem Wunsch und einer Anordnung des behandelnden Arztes nachzukom- men. Es sei nicht ihre Aufgabe, das Ster- ben einzuleiten. Der Vater kämpft als Betreuer vor Gericht, um den Willen seines Sohnes durchzusetzen.

Menschliche Gefühlsregungen

„Bereits viele Jahre vor seinem Selbst- mordversuch äußerte Peter K. den Wunsch, sterben zu wollen, sollte jemals solch eine Situation eintreffen“, sagt Wolfgang Putz, der Rechtsanwalt des Vaters. Beim behandelnden Arzt scheint der Fall unumstritten. Im Einklang mit den Grundsätzen der Bundesärztekam- mer zur ärztlichen Sterbebegleitung (Deutsches Ärzteblatt, Heft 39/1998) habe er angeordnet, die Ernährung über die Magensonde zu reduzieren. In diesen Grundsätzen heißt es, dass bei fortge- schrittener lebensbedrohlicher Krank- heit „die Unterlassung lebenserhalten- der Maßnahmen in Betracht“ komme – allerdings nur dann, wenn sie dem Willen des Patienten entspreche. Bei einwilli- gungsunfähigen Patienten sei die Er- klärung des gesetzlichen Vertreters, zum Beispiel der Eltern, des Betreuers oder Bevollmächtigten maßgeblich, heißt es.

Für Putz besteht damit kein Zweifel an der Pflicht des Pflegeheims.

Der Anwalt des Kiefersfeldener Pfle- geheims, Christian Schungel, bestreitet, dass ein niedergelassener Kassenarzt befugt ist, dem Personal des Pflege- heims anzuordnen, die Ernährung des Patienten einzustellen. Der Vertrag mit dem Heim beziehe sich auf die volle Versorgung im Rahmen der „pflegenot- wendigen therapeutischen und rehabili- tativen Leistungen“ auf ärztliche An- ordnung. Heimleiterin Helga Schützin- ger beruft sich außerdem auf ein ethisch begründetes Leistungsverweigerungs- recht. „Die passive Sterbehilfe ist in die- sem Fall mit unserer Berufsauffassung nicht vereinbar“, verteidigt sie ihre Ein- stellung. „Alle Pflegekräfte der Station weigern sich, das Leben des Patienten zu beenden.“ In der Tat gestaltet sich die Situation für die Mitarbeiter des Heims schwierig. Seit den Verletzungen durch den Suizidversuch liegt Peter K.

zwar im Wachkoma, völlig reaktionslos sei er aber nicht. „Er lächelt und weint.

Er zeigt noch menschliche Gefühlsre- gungen“, erzählt Helga Schützinger.

Deswegen bestreitet sie, dass er wirk- lich sterben will. Die Gutachter spre- chen jedoch von lediglich vegetativen Regungen des bewusstlosen Patienten.

Der „Fall“ wirft die Frage auf, inwie- weit das Pflegepersonal gegen seine ei- gene Überzeugung zur Sterbehilfe her- angezogen werden darf. Können Pfle- ger, die nicht an der Feststellung des mutmaßlichen Willens beteiligt sind, ge- zwungen werden, den Tod eines Men- schen gegen ihre ethischen Prinzipien herbeizuführen? „Hier ist eine Grund- satzentscheidung wünschenswert“, sagt der Vorsitzende Richter des Landge- richts Traunstein, Dr. Horst Radinger.

Ein Arzt, der eine Abtreibung nach Zu- stimmung aller Instanzen aus ethischen Gründen verweigere, dürfe auch nicht zu dem Eingriff gedrängt werden. Doch

auch Radinger bewertet die Situation bei der Sterbehilfe als kompliziert:

„Das ist ein neues Feld, auf dem wir uns bewegen.“ Wenn etwa das Pflegeheim die Sterbebegleitung verweigert, müs- sen sich dann die Angehörigen selbst auf eine häusliche Sterbebegleitung einrichten?

Ein anderes Pflegeheim zu finden, das einen Patienten zum Sterben aufnimmt, dürfte nicht leicht sein, meint Putz. Auch Hospizen oder palliativ-medizinische Stationen in Krankenhäusern stünden in vergleichbaren Situationen nicht zur Verfügung. Die Institutionen nähmen nur Patienten auf, die noch bei vollem Bewusstsein sind und ihre Entscheidung selbst treffen können. Solange die Justiz keine Antwort geben kann, sind alle Be- teiligten in einem rechtsfreien Raum.

Der Prozess könnte Aufschluss darüber geben, ob sich der eingeklagte Anspruch – die Ernährung einzustellen – aus dem geltenden Recht ableiten lässt.

Klare Anweisung des Arztes

Ein weiteres Kernproblem beschäftigt Richter Radinger, für das der Bundes- gerichtshof bisher keine klare Entschei- dung getroffen habe: Ein Antrag auf Sterbehilfe wurde von den Anwälten des Vaters beim Vormundschaftsgericht bisher nicht gestellt. Das sei auch nicht notwendig, meint Putz, denn auf eine Anzeige des Heims hätten Vormund- schaftsgericht und Staatsanwaltschaft bestätigt, dass kein Missbrauch vorlie- ge. Es gebe die klare Anweisung des Arztes. Doch gehen die Meinungen aus- einander. So ist die Heimleiterin der Auffassung, dass hierfür eine konkrete Genehmigung des Vormundschaftsge- richts eingeholt werden müsse.

Wolfgang Putz sieht das Selbstbestim- mungsrecht infrage gestellt. Das Lei- stungsverweigerungsrecht des Heims könne keinen Vorrang gegenüber dem grundsätzlich geschützten Selbstbestim- mungsrecht des Patienten haben, erklärt er. Schließlich erkenne selbst das Pfle- geheim den Wunsch zu sterben an. „Es handelt sich nicht um aktive strafbare Sterbehilfe, sondern um erlaubte passive Sterbehilfe – nämlich das natürliche Ster- ben durch Einstellung der Ernährung zuzulassen“, sagte Putz. Edda Grabar P O L I T I K

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A1482 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 22½½½½31. Mai 2002

Sterbehilfe

In den Tod pflegen

Vor Gericht soll in Traunstein über das Leben

oder Sterben eines Menschen entschieden werden.

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