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Archiv "PIP-Brustimplantate: Skandal ohne Folgen" (13.12.2013)

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A 2410 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 50

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13. Dezember 2013

PIP-BRUSTIMPLANTATE

Skandal ohne Folgen

Auch zwei Jahre nach dem Skandal um die Implantate der Firma Poly Implant Prothèse sind noch viele Fragen offen. Nach wie vor gibt es keine verlässlichen Daten zu Implantaten.

Die Politik geht das Thema Qualität von Medizinprodukten nur zögerlich an.

A

uch vor Gericht zeigte sich Jean-Claude Mas nicht ein- sichtig. Der Firmengründer von Po- ly Implant Prothèse (PIP) machte zum Ende des Strafprozesses im französischen Marseille von seinem Recht Gebrauch, sich noch einmal zu äußern. Sein Gel sei „nicht gif- tig, nicht gefährlich“, sagte er. PIP hatte weltweit Hunderttausende Im- plantate verkauft, die mit Industrie- silikon gefüllt waren. Die Urteilver- kündung stand bei Redaktions- schluss noch aus.

Tatsächlich sind die Brustim- plantate nach jetzigen Erkenntnis- sen nicht krebserregend. Wohl aber

reißen sie häufiger und können Ent- zündungen hervorrufen. Das Bun- desinstitut für Arzneimittel und Me- dizinprodukte empfiehlt seit Januar 2012 eine vorsorgliche Explantati- on. Diese wurde auf Produkte der Hersteller Rofil Medical und GfE Medizintechnik (Produkt „TiBree- ze“) ausgeweitet. Diese enthielten ebenfalls PIP-Silikon.

Genaue Zahlen gibt es nicht Allein in Deutschland waren mehr als 5 000 Frauen betroffen. Exakte Daten gibt es allerdings nicht. Denn Implantate werden in der Bundesre- publik nicht zentral erfasst. Erfolgt

eine Operation aus ästhetischen Gründen, trägt die Frau die Kosten selbst. Dann taucht die Behandlung in keiner Krankenkassenstatistik auf.

Wird eine Prothese aus medizini- schen Gründen implantiert – also als Brustaufbau nach einer Krebsopera- tion –, wird sie bei den Kassen zwar erfasst. Doch aus den Abrechnungs- daten geht nicht hervor, welches Me- dizinprodukt verwendet wurde.

Vor einem anderen Hintergrund ist die Unterscheidung ästhetisch/

medizinisch aber relevant. Bei einer medizinischen Indikation überneh- men die Krankenkassen die Explan- tation der minderwertigen PIP-Im- plantate und das Einsetzen neuer Prothesen. Anders bei den Frauen, die sich die Implantate aus rein äs- thetischen Gründen haben einsetz- ten lassen. Sie können von den ge- setzlichen Krankenkassen an den Kosten beteiligt werden.

Kommt es zu Folgeschäden nach Schönheitsoperationen, Tätowie- rung oder Piercing, haben Kranken- kassen Patienten in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen (§ 52 Absatz 2 SGB V). Das kon- krete Vorgehen war bei den PIP- Implantaten unterschiedlich. Die In Deutschland sind bei 5 224 Frauen insgesamt

9 205 Brustimplantate mit PIP-Silikon eingesetzt worden. Das geht aus Daten der Bundesländer hervor, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gesammelt hat. Das BfArM geht von einer Dunkelziffer von zehn bis 20 Prozent aus. Die Behörden konnten bei der Abfrage nicht alle Kliniken und Ärzte erreichen, die möglicherweise die Implantate verwendeten.

Das BfArM hat 1 565 Meldungen zu Explantatio- nen von PIP-Implantaten erhalten. Bei 48 Prozent lag eine Ruptur oder ein „Bleeding“ mindestens eines Silikonkissens vor. Ob die restlichen nicht explantiert wurden oder keine Meldung erfolgte, ist unklar.

Die Risikomeldungen zu Medizinprodukten stie- gen 2012 an – auch durch Explantationen der PIP-Produkte. Rückschlüsse auf eine höhere Mel- debereitschaft kann man laut BfArM nicht ziehen.

TAUSENDE FRAUEN BETROFFEN

P O L I T I K

Foto: dpa

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13. Dezember 2013 A 2411 Was hat der PIP-Skandal

verändert?

Liebau: Wir bemerken, dass die Patientinnen häufiger nach der Beschaffenheit und Sicherheit von Implantaten fragen. Die Qualität spielt im Aufklärungs- gespräch heute eine viel größe- re Rolle. Eine grundsätzliche Zurückhaltung gegenüber Brustimplantaten gibt es aber nicht. Die Anfragen und die Zahl der Eingriffe haben sich nicht verringert.

Was sagen Sie denn den Pa- tientinnen zur Qualität? Ärzte müssen sich bei Medizinpro-

dukten auf das CE-Zeichen verlassen. Das hatten die PIP-Implantate aber auch.

Liebau: Das ist genau das Pro- blem. Die Zulassungs- und Prüfbedingungen von Medizin- produkten sind diskussionsbe- dürftig. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass das CE- Zeichen kein Qualitätssiegel ist, für das es eine übergeordnete Kontrollinstanz gibt, sondern dass verschiedene Institutionen das Zertifikat an Industriepro- dukte vergeben. Bei den neuen EU-Regelungen kann ich da ehrlich gesagt keine großen Fortschritte erkennen.

Union und SPD haben im Koalitionsvertrag ein Register für Implantate vereinbart.

Was halten Sie davon?

Liebau: Das ist absolut zu be- grüßen. Für die Qualitätssiche- rung, Langzeitbeobachtungen und mögliche Rückrufaktionen wäre das äußerst hilfreich. Was im Koalitionsvertrag steht, ist zunächst einmal eine Absichts- erklärung. Die Frage wird sein, wie die konkrete Ausgestaltung aussehen soll und wie es finan- ziert wird. Aber ich denke, die Fachgesellschaften – so auch die DGPRÄC – sind sicherlich bereit, sich einzubringen.

3 FRAGEN AN . . .

Prof. Dr. med. Jutta Liebau, Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC)

Techniker-Krankenkasse (TK) über- nahm die Kosten der Explantation zunächst komplett, beteiligte dann aber die Patientinnen mit bis zu 50 Prozent. Die anschließende Implan- tation einer neuen Prothese sei in diesen Fällen grundsätzlich keine Kassenleistung, teilte die TK mit.

Es gebe aber immer eine Prüfung der individuellen Konstellation. Die Barmer-GEK beteiligte die Patien- tinnen im Schnitt zu einem Drittel.

„Wir wollen die Frauen nicht im Regen stehenlassen und prüfen je- den Einzelfall“, sagte ein Sprecher der Barmer-GEK.

AOK Bayern verklagt TÜV Dass die Krankenkassen die Kosten klaglos übernehmen, ist unwahr- scheinlich. Vielmehr werden sie ver- suchen, sich das Geld an anderer Stelle wiederzuholen. Bei der insol- venten Firma PIP und deren Gründer Jean-Claude Mas besteht keine Aus- sicht auf Erfolg. Deshalb geraten an- dere Ansatzpunkte in den Fokus. So hat die AOK Bayern den TÜV Rheinland verklagt. Dieser fungierte bei der Firma PIP als „Benannte Stelle“, also als Zertifizierer. Die Krankenkasse verlangt 50 000 Euro für die Behandlung von 26 Patien- tinnen, die PIP-Implantate trugen.

Der Anwalt der AOK Bayern rech- net sich gute Chancen aus. „Der Be- trug war mehr als offenkundig“, sagt Jörg Heynemann. Seiner Meinung nach hätten die Unregelmäßigkeiten allein durch Prüfung der Unterlagen auffallen müssen. Wichtige Daten für die Rückverfolgbarkeit hätten gefehlt. Heynemann spricht von ei- nem „Eindruck der Kumpanei“.

Der TÜV Rheinland hingegen sieht sich selbst als Opfer des Be- trugs. Man habe seine Aufgaben verantwortungsvoll und in Ein- klang mit den geltenden Gesetzen wahrgenommen, teilte TÜV-Spre- cher Hartmut Müller-Gerbes mit.

„Es war unmöglich, diesen Betrug mit den uns als benannte Stelle zu- stehenden Mitteln aufzudecken.“

Der Prozess dürfte von vielen mit Spannung verfolgt werden. Je nach Ausgang könnten weitere deutsche Krankenkassen klagen.

Ein französisches Gericht hatte den TÜV Rheinland bereits zu Schadensersatzzahlungen verur- teilt. Betroffene Frauen und Händ- ler waren zivilrechtlich gegen den TÜV vorgegangen. Nun wollen auch die französischen Sozialkas- sen klagen. Eindeutig ist die Rechtslage aber nicht. In Deutsch- land gibt es bereits eine rechtskräf-

tige Entscheidung zugunsten des TÜV. So hatte das Landgericht Nürnberg die Schadensersatzklage einer betroffenen Frau abgewiesen.

Der PIP-Skandal hat auch eine Debatte um die Sicherheit von Me- dizinprodukten ausgelöst. Das Eu- ropäische Parlament hat dazu im Oktober eine neue Richtlinie be- schlossen. Demnach soll es schärfe- re, auch unangekündigte Kontrollen durch die „Benannten Stellen“ wie den TÜV geben. Nach wie vor ge- nügt aber ein CE-Zeichen, um Me- dizinprodukte zu vermarkten. Eine zentrale Zulassung wie bei Arznei- mitteln gibt es weiterhin nicht.

Register soll kommen

Union und SPD haben sich unter- dessen darauf geeinigt, ein ver- pflichtendes Implantateregister ein- zuführen. Konkretes zur Ausgestal- tung und zum Zeitplan findet man im Koalitionsvertrag jedoch nicht.

„Es wäre sinnvoll, auf bestehende Strukturen zurückzugreifen“, sagt Dr. med. Carolin Nestle-Krämling von der Arbeitsgemeinschaft für äs- thetische, plastische und wiederher- stellende Operationsverfahren in der Gynäkologie (AWOgyn). Die AWOgyn ist eine Arbeitsgemein- schaft in der Deutschen Gesell- schaft für Gynäkologie und Ge- burtshilfe und hat 2011 ein freiwil- liges, webbasiertes Register für Brustimplantate ins Leben gerufen.

Unter www.awogyn-implantatre gister.de können Operateure neben Implantaten auch das Einsetzen von Netzen und anderen Materialien zur Brustrekonstruktion eingeben. 118 Kliniken beteiligen sich, mehr als 3 000 Meldungen sind allein zu Brustimplantaten eingegangen. Das Register ist für alle Operateure of- fen – ob Gynäkologen oder plasti- sche Chirurgen.

Ein Ausbau des AWOgyn-Regis- ters sei möglich. „Wir wären dazu auf jeden Fall bereit“, betont Nest- le-Krämling. Ob der PIP-Skandal mit einem umfassenden Register hätte verhindert werden können?

Zumindest hätte man die Probleme früher erkannt, wenn man die Qua- lität systematisch erfasst hätte, meint Nestle-Krämling.

Dr. med. Birgit Hibbeler

P O L I T I K

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