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Archiv "Armut und Gesundheit: Frühzeitig Hilfen anbieten" (10.06.2013)

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A 1138 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 23–24

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10. Juni 2013

1 1 6 . D E U T S C H E R Ä R Z T E T A G

ARMUT UND GESUNDHEIT

Frühzeitig Hilfen anbieten

Armut wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus und führt zu einer geringeren Lebenserwartung.

Die Ärzte fordern daher, sozial Benachteiligte stärker gesundheitlich zu fördern.

Z

um zweiten Mal seit dem Jahr 2005 hat sich der Deutsche Ärztetag mit den gesundheitlichen Auswirkungen von Armut befasst – ein Zeichen für die anhaltende Ak- tualität des Themas. „Es ist eine Schande, dass die Lebenserwartung in unserem reichen Land schichten- abhängig immer noch um zehn Jah- re differiert“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr.

med. Frank Ulrich Montgomery.

Ärzte könnten sozial benachteilig- ten Personengruppen speziell Un- terstützung bei der Identifikation von Belastungsfaktoren und der Er- schließung von Hilfsangeboten bie- ten. „Alleine lösen können wir das Problem aber nicht. Wir brauchen frühzeitige Hilfe durch Sozialarbei- ter, Kindererzieher und Lehrer.

Dies bedingt einen Wandel zum Beispiel in der Jugend- und Bil- dungspolitik und in der kommu - nalen Jugendbetreuung“, erklärte Montgomery.

Besonders häufig von relativer Armut betroffen sind Alleinerzie- hende, kinderreiche Familien, Per- sonen mit Migrationshintergrund, schlecht ausgebildete Personen und Langzeitarbeitslose, ebenso trifft es mehr Frauen und jüngere Menschen als Männer und Ältere. Künftig könnte es jedoch vermehrt auch zu Altersarmut kommen. Darauf ver- wies Prof. Dr. Olaf von dem Knese- beck vom Institut für Medizinische Sozialmedizin und Gesundheits- ökonomie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. In seinem Gastreferat hob er hervor, dass ge- sundheitliche Ungleichheiten sich – in unterschiedlichem Ausmaß – in nahezu allen Ländern, aber auch zwischen Ländern und Regionen nachweisen lassen. Darüber hinaus seien sie auch in allen Lebenspha-

sen, vom Beginn des Lebens bis ins hohe Alter, zu beobachten. Zudem verdichteten sich Hinweise darauf, dass die Unterschiede eher größer würden, sagte von dem Knesebeck.

Einfluss des Einkommens Der Sozialwissenschaftler erläuterte, dass sich die Lebenserwartung ab der Geburt zwischen Männern, die einer höheren Einkommensschicht ange- hörten, und solchen, die in relativer Armut lebten, um 10,8 Jahre zuun- gunsten der niedrigeren Einkom- mensgruppe unterscheide, bei Frau- en betrage diese Differenz 8,4 Jahre.

Nach dem Konzept der relativen Einkommensarmut gilt dabei als arm, wer eine bestimmte Einkom- mensschwelle unterschreitet (Kasten Armutsrisiko).

Dabei erstrecken sich die Unter- schiede in der Lebenserwartung auf das gesamte Einkommensspektrum und folgen einem sozialen Gradien- ten: „Es gibt einen linearen Zusam- menhang zwischen Einkommen und Lebenserwartung“, sagte von dem Knesebeck. „Je niedriger das Ein- kommen, desto niedriger die Le- benserwartung.“ Auch erhöht sich das Risiko von Krankheiten wie Herzinfarkt und Schlaganfall, Adi- positas im Kindesalter und psy- chischen Auffälligkeiten bei ärmeren Bevölkerungsgruppen signifikant.

Die Gründe hierfür sind vielfältig und liegen von dem Knesebeck zu- folge vor allem in den materiellen Lebensbedingungen, in unterschied- lichem Gesundheitsverhalten und in psychosozialen Belastungsfaktoren.

So verhalten sich Männer und Frau- en mit geringem Einkommen und schlechterem Bildungsniveau bei- TOP II: Armut und Gesundheit

FAZIT

Die Delegierten fordern, die vom öffentlichen Gesundheitsdienst durchgeführten Schuluntersuchungen flächendeckend zu erhalten und weiter auszubauen.

Der Ärztetag setzt sich für den Aufbau eines flächendeckenden Netzes medizinischer Hilfe für Wohnungslose und für eine Stärkung präventiver Angebote für ältere Menschen ein.

Olaf von dem Knesebeck:

Die Verringerung gesundheitlicher Ungleichheit – inklusive der gesundheitlichen Auswirkungen von Armut – ist eine der zentralen politischen und gesellschaft - lichen Aufgaben.

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A 1140 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 23–24

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10. Juni 2013 spielsweise häufiger gesundheits-

schädlich, ernähren sich schlechter, treiben weniger Sport, rauchen mehr et cetera. Zudem sind Personen mit niedrigem sozialem Status bezie- hungsweise niedrigem Einkommen häufig von schlechteren Arbeitsbe- dingungen und höheren Arbeitsbe- lastungen betroffen. Hinzu kommen Faktoren der gesundheitlichen Ver- sorgung, etwa beim Zugang und bei der Inanspruchnahme von Leistun- gen. Auch wenn die medizinische Versorgung zweifellos zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheit bei- trage, seien verallgemeinernde Aus- sagen hierzu jedoch kaum möglich, meinte von dem Knesebeck.

Praktische Konsequenzen lägen vor allem im Bereich von Prävention und Gesundheitsförderung, lautete das Fazit des Experten. Prävention könne allerdings auch zur Verschär- fung von Ungleichheiten beitragen, weil diejenigen, die sie am meisten benötigten, sie am wenigsten in An- spruch nähmen. Die Verringerung gesundheitlicher Ungleichheit sei daher „eine zentrale politische und gesellschaftliche Aufgabe“.

Zusammenarbeit erforderlich Die Delegierten des 116. Deutschen Ärztetages teilen diese Einschät- zung. In einem einstimmig verab- schiedeten Beschluss fordern sie unter anderem, die vom öffentlichen Gesundheitsdienst durchgeführten Schuluntersuchungen flächende- ckend zu erhalten und weiter aus - zubauen. „Durch sie kann der Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen sozialschichtüber-

greifend erfasst und an erforderli- che Hilfsangebote weitervermittelt werden.“ Die Angebote der Ge- sundheitsförderung an Kindertages- stätten und Schulen sollten weiter ausgebaut werden, so dass Kinder aller Sozialschichten davon profi- tieren könnten. Rudolf Henke, Prä- sident der Ärztekammer Nordrhein, wies auf ein bereits bestehendes Projekt hin, das von seiner Kammer initiiert worden sei. Das Programm

„Gesund macht Schule – Gesund- heitsförderung und Gesundheitser- ziehung in der Primarstufe“ fördere die Zusammenarbeit von Schule, Schülern, Ärzten und Eltern im Be- reich der Kindergesundheit. „Wir

brauchen noch viele solcher Projek- te“, forderte Henke.

Die Ärzteschaft sieht ihre Ver- antwortung darin, „auf eine Verrin- gerung schichtenspezifischer Un- terschiede in den Zugangsmöglich- keiten, in der Inanspruchnahme und Verfügbarkeit gesundheitlicher Leistungen einzuwirken“. Die In- formation und Ansprache zur Wahr- nehmung der Schwangerenvorsor- geuntersuchungen sollte vor allem bei solchen Frauen verbessert wer- den, die im besonderen Maße psy- chisch und sozial belastet sind.

Schwangere sollten außerdem ein- gehend über die Gefahren des Kon- sums von Alkohol, Tabak und ande- rer psychotrop wirkender Substan- zen aufgeklärt und zur Abstinenz motiviert werden.

Auch Langzeitarbeitslosen soll- ten mehr Angebote zur Vorsorge von Erkrankungen zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus

setzt sich der Ärztetag für den Auf- bau eines flächendeckenden Netzes medizinischer Hilfe für Wohnungs- lose sowie für die angemessene Versorgung von Menschen ohne ge- sicherten Aufenthaltsstatus und für eine Stärkung präventiver Angebo- te für ältere Menschen ein. Dadurch könne ein wesentlicher Beitrag zur Vermeidung, Verzögerung oder Minderung von Pflegebedürftigkeit geleistet werden, die bei vielen älte- ren Menschen zum Verlust ange- sparten Vermögens und damit in die Armut führen könne.

Der Deutsche Ärztetag begrüßte zudem die in dem Entwurf der Re- gierungskoalition für ein Präventi- onsgesetz vorgesehenen Maßnah- men zur Stärkung der betrieblichen Gesundheitsförderung. „Durch die- se Maßnahmen können besonders belastete und präventionsferne Be- völkerungsgruppen besser identi - fiziert und entsprechend beraten werden“, so das Ärzteparlament.

Positionierung der Ärzte Dr. med. Ellis Huber, Berlin, forderte in einem weiteren Antrag die Bun- desärztekammer dazu auf, sich als Partner an der Gemeinschaftsinitia- tive zur Unterstützung des Kon- gresses „Armut und Gesundheit“, der bereits von der Ärztekammer Berlin gefördert werde, zu beteiligen.

Huber hält eine „Positionierung der Ärzteschaft“ für erforderlich. In ei- nem weiteren Antrag wurde der Ärztetag aufgefordert, die Bundes- ärztekammer zu beauftragen, „an- hand vorhandener Konzepte ein einfaches Modul zu Befundaufnahme und Befunddokumentation bei akut traumatisierten Patienten zu erarbei- ten und den einzelnen Landesärzte- kammern zur Verfügung zu stellen“.

Diese Anträge wurden, weil sie fi- nanzrelevant sind, an den Vorstand überwiesen. Montgomery betonte jedoch, dass sie durchaus wichtig und unterstützenswert seien.

Gisela Klinkhammer, Heike E. Krüger-Brand Wer eine bestimmte Einkommensschwelle unter-

schreitet, gilt nach dem Konzept der relativen Ein- kommensarmut als arm. Experten haben hierfür unterschiedliche Ausprägungen festgelegt:

Wer über weniger als 60 Prozent des Durch- schnitts-Pro-Kopf-Einkommens verfügt, gilt nach einer Definition der Europäischen Union als „armutsgefährdet“ („milde Armut“).

Liegt das Einkommen unter 50 Prozent des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens, spricht man von relativer Armut.

Bei Einkommen unter 40 Prozent des Durch- schnitts-Pro-Kopf-Einkommens ist die Rede von strenger Armut.

In Deutschland ist der Anteil der von relativer Armut betroffenen Menschen von 8,4 Prozent im Jahr 2001 auf 10,4 Prozent im Jahr 2009 gestie- gen. Das Konzept ist jedoch nicht unumstritten.

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Broschüre „Armut und Gesundheit“

des Robert-Koch-Instituts und BÄKground spezial „Gesundheitliche Folgen von Armut“:

www.aerzteblatt.de/131138

DEFINITION DES RELATIVEN ARMUTSRISIKOS

Das Deutsche Ärzteblatt hat Delegierte zum Thema Armut befragt:

www.aerzteblatt.de/video54598 video.aerzteblatt.de

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