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Archiv "Zehn Jahre Kollegium der Medizinjournalisten" (06.03.1975)

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Die Intensität der Diskussion zum Thema „Kind und Leistung" spiegelt sich auf den Gesichtern der Moderatoren (v. I. n. r.): Hans Mohl, Georg Schreiber, Hedda

Heuser Fotos (2): Dr. Lothar Reinbacher

676 Heft 10 vom 6. März 1975 DEUTSCHES .ÄRZTEBLATT

Zehn Jahre Kollegium der Medizinjournalisten

Zuvor hatte Dr. Georg Schreiber als Geschäftsführender Sekretär des Kollegiums der Medizinjour- nalisten über dessen zehnjährige Tätigkeit u. a. referiert.

Dr. med. Georg Schreiber:

Ein bemerkenswerter Reigen von Veranstaltungen in München

Am 7./8. Februar beging das „Kol- legium der Medizinjournalisten" in München sein zehnjähriges Beste- hen mit mehreren Veranstaltungen.

Auf dem Programm standen u. a.

eine ganztägige Diskussion mit führenden Wissenschaftlern, Ärz- ten, Pädagogen und Politikern zum Thema „Kind und Leistung" und eine offene Aussprache mit den Vorsitzenden und Präsidenten der größeren medizinischen Gesell- schaften über eine bessere Presse- arbeit bei Tagungen und Kongres- sen.

Höhepunkt war im Rahmen einer

„Kleinen Festveranstaltung" die

erstmalige Verleihung des mit 10 000 Mark dotierten Publizistik- Preises „Medizin im Wort" an den Journalisten Dr. med. Georg Schreiber. Aus diesem Anlaß spra- chen in Glückwunschadressen zum Verhältnis Arzt, Medizin und Öf- fentlichkeit Professor Dr. Hans ,

Joachim Sewering, Präsident der Bundesärztekammer und des Deut- schen Ärztetages; Professor Dr.

Ludwig Demling, Direktor der Me- dizinischen Universitätsklinik Er- langen; Professor Dr. med. et phil.

Otto B. Roegele, Vorstand des In- stituts für Kommunikationswissen- schaften (Zeitungswissenschaften) der Universität München.

Ursprünglich hat niemand daran gedacht, vom zehnjährigen Beste- hen unseres Kollegiums festlich Notiz zu nehmen. Dann kam die Anfrage, ob es nicht sinnvoll sei, einen jährlich zu vergebenden Pu- blizistik-Preis zu stiften als höchste Auszeichnung für einen Journali- sten, der sich verdient gemacht hat mit einer hervorragenden Bericht- erstattung oder Kommentierung in Presse, Rundfunk und Fernsehen auf dem medizinisch-gesundheits- politischen Sektor. Die Mehrheit meiner Kollegen hielt das für sinn- voll, weil ein solcher Preis zwei gute Seiten hat: Erstens ist er für einen Publizisten auffällig dotiert, zweitens ein willkommener Anlaß, eine breite Öffentlichkeit auf Nut- zen und Gefahren der medizini- schen Publizistik wenigstens ein- mal im Jahr hinzuweisen.

Als das Kollegium sich am 6. Fe- bruar 1965 gründete, waren wir 20, und heute sind wir 52 Mitglieder — tätig für die sogenannte Laienpres- se, Rundfunk oder Fernsehen.

Gründungszweck war primär der Versuch, die Berichterstattung auf einem Gebiet zu verbessern, wo sie gar nicht gut und seriös genug sein kann. Dazu gab es zwei Mög- lichkeiten: sich untereinander zu beraten, was selbstverständlich funktioniert, und außerhalb des Kol- legiums Einfluß zu nehmen auf an- dere Journalisten und Zeitungen aller Schattierungen. Das Ergebnis dieser Bemühungen blieb unbefrie- digend. Eine für Journalisten und Verleger der Boulevard- und Re- genbogenpresse vielleicht recht hilfreiche Aussprache ist zum Bei- spiel trotz aller Anstrengungen un- sererseits bislang nicht zustande gekommen.

Das Kollegium hat von Beginn an eine besondere Informations- und

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Blick in den Sitzungssaal gung des Kollegiums der

des Ärztehauses Bayern während der Informationsta- Medizinjournalisten zum Thema „Kind und Leistung"

Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen Kollegium der Medizinjournalisten

Gesprächsform gesucht. Das heißt, die herkömmliche Pressekonfe- renz, zu der wir immer wieder von irgendwelchen Interessenten ein- geladen werden, einfach umfunk- tioniert: Wir laden jetzt Experten vor unser Forum und bestimmen die Diskussionsthemen ohne Rück- sicht darauf, wem sie unangenehm sind oder nicht. Mit Resultat und Wirkung dieser Kollegiums-Presse- gespräche haben wir gute Erfah- rungen und in den vergangenen Jahren — um nur einige Themen herauszugreifen — jeweils einen oder zwei Tage lang diskutiert über den Stand der Krebsforschung;

Schmerzbekämpfung, Medizin und Technik, Diagnosezentren, Kranke am Autosteuer, chirurgisches Naht- material, die ärztliche Tätigkeit und ihre Kontrolle, Querschnittsläh- mungen, Sterbehilfen, Heilpraktiker und ihre Notwendigkeit, Computer- medizin oder Fluglärm. Daß wir über Arzneimittelprobleme häufiger sprechen mußten, war jedem ver- ständlich, der wie wir eines schlechten Tages erst durch ein Schlafmittel hellwach geworden ist.

Übrigens wird unsere nächste Dis- kussion am 17./18. November die Kostenexplosion im Gesundheits- wesen unter die Lupe nehmen.

Das Kollegium hat in seinen zehn Jahren eine ganze Reihe von An- stößen zum Nachdenken gegeben.

Speziell über die „Unerledigte Me- dizin". Und jeder von uns hat auch auf seine Weise mitgeholfen, daß so mancher „Siegeszug der Medi- zin" an Kleinstadtbahnhöfen nicht mehr ohne Halt durchfährt. Andere Initiativen haben wir entwickelt, die zunächst geradezu abenteuerlich erschienen. Wenn zum Beispiel der Hartmannbund in absehbarer Zeit eine private Medizinische Hoch- schule aufbaut, dann hatten wir un- seren bescheidenen Anteil auch an dieser Gründung.

Wenn mich heute jemand fragt, wen ich für den besten Medizin- journalisten unserer Nachkriegs- jahre halte, dann würde ich schwanken zwischen zwei Namen.

Beide sind und bleiben unverges- sen: unsere viel zu früh verstorbe- nen Gründungsmitglieder Dr. Chri- stoph Wolff, Redakteur der „Welt", und Dr. Paul Kühne, zuletzt Chefre- dakteur von „Medical Tribune", der dem Kollegium einmal den Namen gab. Ich bin sicher, daß einer von beiden heute den ersten Publizi- stik-Preis „Medizin im Wort" be- kommen hätte. Beide haben alles vorgelebt und gesagt, was den Me- dizinpublizisten von hohem Rang auszeichnet: sachlich und unpole- misch, ausdauernd und klug, mutig und furchtlos in dem Bewußtsein, ohne Nebenabsichten rechtschaf- fen zu handeln. Beide beherrschten die breite Skala vom Medizinisch- Wissenschaftlichen bis zum Ge- sundheits- und Gesellschaftspoliti- schen perfekt. Beide haben ihren journalistischen Auftrag dahin ver- standen, es nicht besser machen zu wollen als Professoren und Poli- tiker, sondern früher. schärfer und auch gründlicher nachzudenken als mancher Wissenschaftler und politische Routinier.

Dieses Kollegium ist kein Verein, hat keine Satzung und keinen Prä- sidenten, weil wir keine Vereins- meier sind. Nur drei sogenannte Sekretäre teilen sich die Arbeit.

Wir sind auch keine Hofberichter, kein Interessenverband und kein Werbeunternehmen, es sei denn für das Kollektiv Medizin. Jeder Pa- tient und potentielle Patient, der keine Lobby hat, steht uns näher als sein Arzt. Unser Verhältnis zur Spitze der deutschen Ärzteschaft war jahrelang schlecht und völlig humorlos. Unseren Humor und un- sere Sprache hat es uns deshalb nicht verschlagen. Heute müssen wir allerdings dem Präsidenten der Bundesärztekammer, Sewering, mit Respekt und Dankbarkeit sagen, wie sehr wir seinen guten Willen spüren, unsere Arbeit zu verstehen.

Und im neuen Hauptgeschäftsfüh- rer Volrad Deneke sehen wir nicht erst heute einen Kollegen, den wir hochschätzen. Wir begrüßen es, daß gerade er den ersten Lehrauf-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 10 vom 6. März 1975 677

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trag für medizinische Publizistik an einer deutschen Hochschule über- nommen hat. Wir haben, meine Herren, gemeinsam noch vieles zu tun!

Was ist das, ein Journalist?

Nach der Preisverleihung sprach Georg Schreiber über seine Erfah- rungen als Journalist und die Pro- blematik dieses Berufes. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung seiner Ansprache für das sich wan- delnde, sich bessernde Verhältnis Arzt/Presse geben wir die wichtig- sten Passagen wieder:

Berufsjournalist wurde ich 1947.

Das heißt: Ich nannte mich Jour- nalist. Bis ich einer wurde, dauerte es noch, ich weiß nicht, wie lange.

Gelegentlich habe ich heute noch Zweifel, ob es mir immer gelingt, Mitteilungslust und Verantwor- tungsgefühl miteinander auszuba- lancieren. Ob ich diesen Publizi- stik-Preis verdiene, haben meine Wähler beurteilt - ich kann es nicht. Ich sehe keine Möglichkeit, wie irgendein Journalist seine Ar- beit überhaupt beurteilen kann. - Die Selbstdarstellung eines Jour- nalisten und seines Berufes kommt im Grunde nicht vor. Ebensowenig wie beim Arzt - es sei denn, bei irgendeiner Gedenkfeier posthum.

Vielleicht ist das ganz falsch, weil sich der Mitbürger draußen vom Beruf des Journalisten entweder gar keine oder recht abenteuerli- che Vorstellungen macht. Er scheint angesiedelt zu sein zwi- schen Spitzweg und Spitzbube, zwischen Agent und Schausteller, zwischen Spionage und fahrendem Volk. Viele Leute sehen den Jour- nalisten permanent in der begeh- renswerten und gefährlichen Nähe von Mächtigen jeder Schattierung.

Und den bekannten Publizisten sieht man selbstverständlich auch selbst unbeschränkt Macht aus- übend: eine geheimnisvolle, be- drohliche Macht.

Es gibt Leute, die eine im Verhält- nis zur Masse ihrer Leser winzige Minderheit von Journalisten für die Öffentlichkeit halten. Es gibt sogar

Journalisten, die sich dafür halten.

Zum Beispiel bei der "Bild-Zei-

tung", in dieser Gartenzwergschule

der Nation. Dort überschätzt man sich weit als "größte Zeitung Euro-

pas". Die Auflagenhöhe und das

Papierformat einer Zeitung haben mit ihrem Format nichts zu tun. Journalisten wirken lediglich in die Öffentlichkeit, bringen Bericht und Meinung an die Bevölkerung her- an, aber sie sind nicht die Öffent- lichkeit. Auch die sogenannte "öf- fentliche Meinung" wird von Jour- nalisten primär nicht gemacht. Ihre veröffentlichte ist noch keine öf- fentliche Meinung. Konsumenten

Lesestoff anzubieten beeinflußt sie noch nicht. Öffentliches Aussagen als Information oder Interpretation ist ein Vorgang, öffentliches Mei- nen dagegen ist ein Verhalten.

Häufig genug existiert das Meinen zuerst, und später selektiert man dann aus einer Fülle von Informa- tionen die ins Konzept passende.

Also - was ist das, ein Journalist?

Ein selbsternannter, selbstherrli- cher Umwelterzieher? Ein eilferti- ges Großmaul? Ein flotter Vereinfa- cher, ein Manipulator, ein indis- kreter Sensationssucher, ein un- terhaltsamer Annoncenverkäufer?

Oder ist er ein sachverständiger In- formant und Interpret, ein objekti- ver Analysator, ein mutiger Mah- ner, ein redlicher Berater und Hel- fer? Dies alles kennzeichnet einen Journalisten so wenig und so viel, wie sich ein Arzt als armseliger Pfuscher oder als verantwortungs- bewußter Könner darstellt.

Natürlich gibt es auch unter uns Journalisten - wie in jedem Be- rufsstand - gute und weniger gute. Die guten sind in der Mehr- heit und wissen mehr, als sie schreiben. Nur die weniger guten schreiben mehr, als sie wissen - und gelegentlich halten sie sich sogar für den Nabel der Welt.

Unser Geschäft:

das Außergewöhnliche

ln meinen 28 Berufsjahren habe ich viele Kollegen kennengelernt und sehr viele in ihrer Arbeitsweise, im 678 Heft 10 vom 6. März 1975 DEUTSCHES ARZTEBLATT

Auftreten und Verhalten beobach- tet. Journalisten leben grundsätz- lich vom Außergewöhnlichen, vom Nichtalltäglichen und Unerwarteten - das ist ihr Geschäft. Sie vermel- den nicht den normalen Verkehrs- fluß, sondern nur den Verkehrsun- fall. Auch nicht die übliche ärztli- che Leistung, sondern Entgleisun- gen, Schwächen und Mängel. Mit einer negativen Kritik hat das zu- nächst einmal gar nichts zu tun.

Die ärztliche Normalleistung zählt doch nicht nur für uns, sondern auch im Bewußtsein der Öffentlich- keit als eine Selbstverständlichkeit - und ich meine: Das ist gut so!

Nun fällt mir allerdings unange- nehm auf, daß vom Außergewöhnli- chen - und dahin gehört wohl auch eine gewisse Bandbreite von Unseriosität, von Gaukelei und Pa- nikmache, Stümperei und Corriger- la-verite - kaum ein Journalist No- tiz nimmt, wenn es sich ums eige- ne Revier handelt. Wenn - um es ganz deutlich zu sagen - eine konstante Minorität flotter, arro- ganter Hohlköpfe aus den eigenen Reihen unser Berufsbild abwertet und beleidigt. Es ist nicht gut, aber wohl auch nicht zu ändern, wenn gerade jene Narren, die nichts er- fassen, sich für wissend halten und deshalb auch nicht erfassen kön- nen, was Wissen bedeutet.

Gefährlich wird das auf dem medi- zinjournalistischen Sektor: Ich er- innere an zwei Exempel aus jüng- ster Zeit. Die Redaktionsspitze des

Bilderblattes "Quick" bat mich und andere Kollegen zu einem Sympo- sion über eine seriöse medizini- sche Publizistik, und wenig später schlug uns dieselbe "Quick" ins Gesicht mit ihrer wahnwitzigen Krebsheilmittel-Story aus Beirut.

Das nenne ich einen Fall von publi- zistischer Kriminalität! Und im glei- chen Atemzug nenne ich das Fern- sehmagazin "Monitor" mit seiner Versuchskaninchenlüge vom 20.

Januar.

~ Damit wir uns richtig verstehen:

Kriminell handelt, wer als Jour- nalist leichtfertig Patienten in einen vorzeitigen Tod treibt! Diese bei- den Beispiele nenne ich bewußt

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Spektrum der Woche Aufsätze Notizen Kollegium der Medizinjournalisten

beim Namen, denn nichts ist tö- richter als die Unsitte, nach jeder journalistischen Flegelei und Lum- perei von dritter Seite unseren Be- rufsstand oder die Presse oder das Fernsehen pauschal zu verurteilen, Wer ist das: die Presse? Oder: die Journalisten? Es gibt sie so wenig wie „die Medizin" oder „die Ärzte- schaft". Töricht ist nämlich auch, alles, was ein zeitungsmäßiges Aussehen hat — und seien es die St.-Pauli-Sexpostillen — auf einem gemeinsamen Podest zu sehen.

Wer etwa die „Süddeutsche Zei- tung" mit der „Bild-Zeitung", den

„stern" mit „Quick" oder „Die Zeit"

mit dem Asphaltblatt „Expreß" ver- gleicht, wird unschwer feststellen, daß es ein Kunstfehler ist, Druck- erzeugnisse pauschal und leichthin als „die Presse" zu werten.

Grenzen der Pressefreiheit

Allerdings meine ich, es sei auch an der Zeit, daß wir Journalisten nachdrücklich die Frage zu stellen und zu beantworten haben, bis an welche Grenzen die Verteidigung der Pressefreiheit noch sinnvoll er- scheint. Ob also Regenbogenga- zetten, Schwätzer, Manipulatoren und journalistische Falschmünzer ihr Gift nicht längst außerhalb die- ser Grenzen absondern.

Was ich also vermisse, sind mehr Selbstkritik und Konsequenz, das heißt: die vielberufene Kontroll- funktion der Presse ebenso uner- bittlich angewandt auch auf eine Minderheit im eigenen Lager.

Was ich mir andererseits wünsche, ist ganz allgemein ein leiserer, ich möchte sagen: mehr Samtpfoten- journalismus. Und damit meine ich einen Journalismus, der mehr Höf- lichkeit, Freundlichkeit und Hilfsbe- reitschaft und weniger Angst im Angebot hat. Das bedeutet absolut nicht, kritiklos zu werden. Positive Kritik kann sehr hilfreich sein! Wer zum Beispiel Steuergesetze erklärt und Steuertips gibt, soll deshalb nicht unterlassen, die Schwächen einer Steuerreform aufzudecken.

Generell aber meine ich: Wir Jour-

nalisten sind ein Dienstleistungsge- werbe und nicht etwa der Zeigefin- ger der Nation.

Der Blößenwahn

Drei wesentliche Fragen drängen sich mir immer wieder auf. Erstens:

Müssen denn bei einem auflagen- starken Teil der Presse jeder politi- sche und sonstige Mißerfolg und jede vermeintliche Schwäche jour- nalistisch begleitet sein? Und zwar eiskalt, schulmeisterlich und immer mit Besserwisserei pene- trant gewürzt? Sind denn Verdien- ste, Leistung und Können keine Kriterien?

Zweitens: Müssen denn in fast allen journalistisch abgekochten Suppen Haare gefunden werden, krampfhaft auch dann, wenn gar keine drin waren?

Drittens: Müssen denn Journalisten vom Typus des „Hoppla-jetzt- komm-ich-Reporters" — Emsigkeit schafft leider meistens mehr als Klugheit — in ihrem Blößenwahn alles selbst im privatesten Bereich von Ehe und Krankheit aufdecken und aufspießen?

Erlauben Sie mir in diesem Zusam- menhang eine Randbemerkung:

Vor zwanzig Jahren war ich einmal Chefredakteur einer Tageszeitung und habe die Seite 3 meiner Zei- tung geändert. Das heißt: Ich er- setzte unfreundliche Nachrichten über Unglücksfälle und Verbre- chen, die in meinem Blatt ganz ein- fach nicht mehr vorkamen, durch freundliche Berichte, primär durch Alltags- und Lebenshilfen. Darauf- hin geschah etwas Merkwürdiges, nämlich nichts! Niemand hat sich beschwert, kein Leser hat etwas vermißt, nur die Auflage der Zei- tung stieg geringfügig. Warum algo denkt man ernsthaft nicht darüber nach, ob Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen — unsere großen Me- dienklatschtanten — jede Nach- richt in jedem Fall auch ausposau- nen müssen? Ob es zum Beispiel in der Tat sinnvoll ist, jeden Bank- raub wie einen Lottogewinn zu pu- blizieren? Ich bin fast sicher: Hätte

man Banküberfälle seit 15 Jahren konsequent verschwiegen, dann wäre diese Verbrechenslawine gar nicht erst ins Rollen gekommen.

Das trifft auch auf andere Bereiche zu — von der Medizin ganz zu schweigen — wie vor allem auf Flugzeugentführungen und ähnli- che Scheußlichkeiten. Aber eine Zeitung, die das heute nicht auffäl- ligst offeriert, wäre wohl nur mehr eine Karnevalszeitung ...

Wo bleibt die

journalistische Fortbildung?

Es gibt kaum einen „geborenen Journalisten". Was ich ungemein vermisse, sind Initiativen zur regel- mäßigen Fortbildung. Selbst der

„Spiegel" — und dieses Beispiel möge genügen — als Blatt von ei- nigem journalistischem Rang ent- hüllt nicht nur delikate Vorkomm- nisse, sondern auch Sachfehler, die sich potenzieren mit der jewei- ligen Fach- und Detailkenntnis des Lesers.

Eine regelmäßige Fortbildung soll- te bei Medizinjournalisten die Re- gel und eine Voraussetzung dafür sein, daß man uns ernst nimmt.

Fortbildung ist doppelt notwendig für Allround-Journalisten vor allem an kleineren Blättern, die nur spo- radisch mit medizinischen und ge- sundheitspolitischen Themen be- faßt sind. Wer nur sonntags Auto fährt, braucht deshalb doch seinen Führerschein.

Fortbildung heißt grundsätzlich doch auch Fortentwicklung der ei- genen Persönlichkeit. Sicherlich ist auch für einen Journalisten indi- ziert, daß er gelegentlich Einkehr hält bei sich selbst und nachdenk- lich wird über sich und seinen Be- ruf. Mir sind allerdings keine Klau- suren und kein Stammtisch be- kannt, wo Journalisten freimütig Fehler bekennen, damit die Kolle- gen daraus lernen könnten.

Wenn ich mich streckenweise kri- tisch mit meinem Berufsstand aus- einandergesetzt habe, dann gewiß nicht, um bei den Ärzten und Nicht- journalisten hier im Saal Effekte zu

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 10 vom 6. März 1975 679

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erhaschen. Das werden Sie einem Mann abnehmen, der soeben nicht zuletzt, wie es hieß, „für seine Unbequemlichkeit" ausgezeichnet wurde. Und Sie, meine Freunde und Kollegen Journalisten, die hier versammelt sind und zur guten Mehrheit unseres Standes zählen, werden verstanden haben, worum es mir geht.

Jeder Beruf und Stand hat seine Probleme, Journalisten und Ärzte zumal. Und ich sage nicht erst heu- te ganz laut: Wir sollten und müs- sen in Zukunft mehr Gemeinsam- keit finden, schon deshalb, weil un- sere Probleme gar nicht so weit auseinanderliegen: Ihre und meine Sorgen um die Freiheit und um ei- nen Beruf, den ich mag vom ersten Tag an.

Vorsicht: Medizin!

Heute legt das Kollegium der Medi- zinjournalisten der Öffentlichkeit eine erste Anthologie vor mit dem Titel „Vorsicht Medizin". Warum dieses Buch und worauf beziehen wir die Vorsicht? Der wissenschaft- liche Fortschritt ist explosiv, kom- pliziert und unheimlich. Was ein Forschungsresultat am Ende be- reithält an Nutzen, Nachteil oder Groteske, läßt sich am Anfang nicht immer voraussagen. Man muß also vorsichtig sein. — Der Medizinbetrieb ist aufwendig, teuer und beklemmend. Der Patient be- zahlt ihn ohne Mitbestimmung.

Krankenhäuser behandeln Krank- heiten meist besser als Kranke.

Der Patient fühlt sich ausgeliefert und allein gelassen. Er weiß zu we- nig. Sprechstunden bleiben oft ohne Gespräch. Man kann in Me- dizinmühlen zermahlen werden.

Man muß vorsichtig sein. — Die sogenannte Gesundheitspolitik ist problematisch, verwirrend und frag- würdig. Politiker jedweder Färbung halten Pläne bereit. Angeblich wol- len alle „Das Beste für den Men- schen". Mag sein — aber der Mit- mensch wird zu selten gefragt, ob auch er will, was andere wollen.

Gesundheit ist Eigentum. Das ver- gessen die Planer leicht. Man muß vorsichtig sein!

Wer heute im Medizinbetrieb bes- ser zurechtkommen und medizini- sche Wahrheiten hören will, braucht gute Anwälte und Interpre- ten. Das heißt: erfahrene Journali- sten, die wissen, daß „Vorsicht Me- dizin" speziell für sie gilt. Vorsicht im Sinn von Voraussicht und Um- sicht. Die geschriebene oder ge- sendete „Droge Wort" kann näm- lich wirken wie Medizin: heilsam und giftig zugleich.

Wir haben versucht, in unserem Buch einiges deutlich werden zu lassen über unsere Berufsproble- me. Über die Gefährlichkeit und Rücksichtslosigkeit nur halbwahrer und falscher, nur phantasievoller und oberflächlicher Medizinberich- te, die Gesunde und Kranke verun- sichern. 43 Kollegiumsmitglieder kommen in diesem Sammelband zu Wort. Natürlich empfehle ich Ihnen, meine verehrten Kollegen Ärzte und Journalisten, das Buch zu le- sen und weiterzuempfehlen entwe- der einem Arzt, dem Journalisten suspekt erscheinen, oder einem Journalisten, der Ärzte voreinge- nommen beurteilt.

Ich sagte Ihnen: Wir müssen und sollten in Zukunft mehr Gemein- samkeiten suchen und finden zwi- schen Arzt und Journalist und mehr Verständnis zwischen Medi- zin und Öffentlichkeit. Das bedeu- tet in meinen Augen keine Anbie- derung. Distanz und konstruktive Kritik werden bleiben bei Ihnen auf ärztlicher Seite wie bei uns an Ih- nen und an uns. Wir sind doch bei- de nicht steril, nicht so starr oder gar überheblich — gutwillige Jour- nalisten wie Ärzte — als daß wir nicht wüßten: Es gibt auf beiden Seiten heute, morgen und über- morgen ständig etwas zu verbes- sern und zu lernen. Mir jedenfalls geht es so: Je älter und erfahrener ich werde, um so toleranter und bescheidener sehe ich mich selbst und meinen Beruf ...

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Georg Schreiber 8203 Oberaudorf am Inn Brünnsteinstraße 13

Rechtliche Beurteilung der passiven Sterbehilfe

Zu dem Problem der „passiven Sterbehilfe", das in jüngster Zeit in der Öffentlichkeit wiederholt disku- tiert wurde, hat sich kürzlich auch die Bundesregierung erstmals offi- ziell geäußert. Anlaß gab eine An- frage der CSU-Abgeordneten Frau Ursula Schleicher. Sie stellte die Frage, wie die „passive Sterbehil- fe" rechtlich zu beurteilen sei und ob die Bundesregierung auf die- sem Gebiet Änderungen des gel- tenden Rechts erwäge. Im Namen der Bundesregierung erteilte der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesjustizministeriums, Dr.

Hans de With, die folgende Ant- wort, die wegen ihres allgemeinen Interesses hier im Wortlaut wieder- gegeben ist:

„Ich begreife unter passiver Sterbe- hilfe jene Fälle, in denen ein Arzt bewußt von weiteren Maßnahmen zur Lebensverlängerung absieht, um den Sterbenden nicht längeren Qualen auszusetzen.

Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang ein Arzt eine Behandlung seines Patienten fortsetzen muß, hängt jeweils von der Ausgestal- tung des konkreten Einzelfalles ab.

Denn nur soweit er im Einzelfall eine Rechtspflicht zum Handeln hat, kommt hier eine Strafbarkeit des Arztes wegen eines Unterlas- sens in Betracht. Klare Grenzen dieser Rechtspflicht aufzuzeigen muß ich mir versagen, da dies Auf- gabe der Rechtsprechung ist. Ich möchte jedoch erwähnen, daß es hier ein breites Spektrum von Fall- gestaltungen gibt, die von der Pflicht zur schlichten Pflege des Patienten bis hin zum Einsatz ex- tremer technischer Apparaturen

reicht. In welchem Maße der be- handelnde Arzt die heute vorhan- denen technischen Möglichkeiten zu einer u. U. geringen, aber qual- vollen Lebensverlängerung nutzen muß, wird man nur von Fall zu Fall entscheiden können. Bemerken

680 Heft 10 vom 6. März 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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