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Archiv "Fünf Jahre Rötelnschutzimpfung: Problematik von heute und morgen" (19.12.1974)

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EDITORIAL Fünf Jahre

Rötelnschutzimpfung

KOMPENDIUM:

EKG-Repetitorium XIV. Herzinfarkt Kariesfrühprophylaxe

TECHNIK

IN DER MEDIZIN:

Farbe und Rastersymbole als Hilfsmittel für die Röntgenbildauswertung

AUSSPRACHE:

Zur Frage des

internationalen Vergleichs der perinatalen

Sterblichkeit

Epidemiologische Aspekte der multiplen Sklerose

DIAGNOSTIK IN KÜRZE:

Die zystische Fibrose (Mukoviszidose)

Fünf Jahre Rötelnschutzimpfung

Problematik von heute und morgen

Wolfgang Ehrengut

Aus der Impfanstalt Harnburg

(Direktor: Privatdozent Dr. med. Wolfgang Ehrengut)

Die einzig sinnvolle Maßnahme, die Zahl der Rötelnembryopathien zu verringern, ist die Rötelnschutzimpfung. Der günstigste Zeitpunkt für die Impfung ist derjenige vor Schulentlassung. Die nach der Imp- fung gebildeten Antikörper gegen Röteln persistieren, wenn auch die Titer etwas niedriger sind als nach Infektion mit Wildvirus.

Wenn sich Geimpfte später mit Wildviren infizieren, bleibt die sonst übliche Virämie aus. Sie allein aber ist für die Frucht gefährlich.

Als wir uns 1969 über die Rötelnim- munität der Hamburger Bevölke- rung orientierten, stand das Ziel, die Rötelnembryopathie durch Vor- sorgernaBnahmen bei jungen Mäd- chen und Müttern zu verhindern, fest; nur der einzuschlagende Weg war noch unklar. Die medizinisch indizierte lnterruptio bei einer im ersten Trimenon an Röteln Er- krankten ist sicher nur eine Notlö- sung. Die Schutzimpfung bleibt da- her die einzig sinnvolle Maßnahme zur Lösung des Problems.

Zeitpunkt der Rötelnschutzimpfung Nach dem heutigen Stand des Wis- sens ist die Rötelnschutzimpfung zu empfehlen für:

..,.. Mädchen vor der Pubertät (ohne Antikörperbestimmung)

..,.. Mädchen vor der Schulentlas- sung (möglichst mit Antikörperbe- stimmung)

..,.. Frauen im gebärfähigen Alter (falls Seronegativität belegt ist, kei- ne Schwangerschaft besteht und

diese innerhalb von drei Monaten post vaccinationem verhütbar ist) ..,.. post parturn (bei Seronegativen) ..,.. Risikogruppen (wie Schwestern, Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen). ln Großbritannien und Schweden, aber auch in Teilen Österreichs und der Schweiz hat sich die Imp- fung von Schulkindern eingebür- gert. Wir haben einer Rötelnschutz- impfung nach vorheriger Antikör- perbestimmung vor der Schulent- lassung den Vorzug gegeben. Da- bei war die Überlegung maßge- bend, daß zu diesem Zeitpunkt be- reits etwa 75 Prozent der Mädchen Rötelnantikörper als Folge einer Wildvirusinfektion aufweisen.

Vor der Schulentlassung können vollständige Mädchenjahrgänge an- gesprochen werden. ln diesem Al- ter denken die Mädchen schon gründlicher über die eigene Zukunft nach als vor der Pubertät und wir- ken am Entscheidungsprozeß im Elternhaus über die Teilnahme an der Impfung engagierter mit. t>

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 51 vom 19. Dezember 1974 3675

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Rötelnschutzimpfung

Impfreaktionen

nach Rötelnschutzimpfung

Zuverlässig können Impfreaktionen nur durch einen länger kontrollier- ten Doppelblindversuch ermittelt werden. Auf diese Weise fanden wir bei 75 freiwilligen Probandin- nen, daß Lymphknotenschwellun- gen und fieberhafte Allgemeinreak- tionen in der geimpften und Plaze- bogruppe statistisch nicht signifi- kant differierten. Postvakzinale Ex- antheme traten hingegen bei Ge- impften signifikant häufiger auf als bei den scheingeimpften Kontrol-

len. Ähnlich verhielt es sich mit den Gelenkbeschwerden. Unter 997 mit der Cendehill-Vakzine') geimpf- ten 14- bis 15jährigen Mädchen haben Thomssen und v. Butlar in 1,2 Prozent leichte Gelenkbe- schwerden und in 1,5 Prozent flüchtige Exantheme ermittelt, eine Quote, die auch unserer Erfahrung in etwa entspricht. Lang anhaltende Gelenkaffektionen haben wir in un- serer über fünfjährigen Impfpraxis (Impfung von rund 5000 Personen) nicht beobachtet.

Offene Probleme

Kontagiosität der Geimpften

Die immer wieder auftauchende Frage, ob der Geimpfte für seine Umwelt kontagiös sei und so bei Kontakt mit Graviden eine Gefahr bestünde, kann eindeutig verneint werden. Umfangreiche Antikörper- studien von seronegativen Kontrol- len, die mit frisch Geimpften (Cen- dehill-Vakzine) ständig zusammen- wohnten, berechtigen zu dieser Aussage.

Risiko der postpubertalen Impfung Werden nur 15jährige seronegative Mädchen geimpft, verringert sich das Risiko, in eine kurz darauf fol- gende Schwangerschaft hineinzu- impfen, auf ein Viertel (rund 75 Prozent der Mädchen sind in die- sem Alter seropositiv [Tabelle 1]).

Bei Rötelnschutzimpfungen von über 4000 15jährigen Mädchen in Hamburg ist es innerhalb drei Mo- naten post vaccinationem zweimal

zu einer Gravidität gekommen, die durch genehmigte Interruptio be- endet wurde. Im Abortmaterial konnte kein Impfvirus nachgewie- sen werden. Diese Quote ist niedri- ger, als früher auf Grund der Schwangerschaftshäufigkeit in die- ser Altersstufe berechnet wurde.

Amerikanische Autoren haben eine Frau beobachtet, die sieben Wo- chen nach der Impfung mit HPV-77- DE-5-Vakzine gravide wurde; in der 13. Schwangerschaftswoche leitete man einen Abort ein. Im fetalen Auge wurde ein dem Vakzine- stamm ähnliches Virus nachgewie- sen.

Nach dem Hamburger Vorsorge- programm werden Risikopersonen grundsätzlich nur nach Eintritt der Menses geimpft; außerdem wurden für drei Monate antikonzeptionelle Mittel verordnet, was bei Impfun- gen in der Schule nicht praktikabel ist.

Persistenz der Immunität

Da alle Rötelnvakzinen mehr oder minder attenuierte Rötelnviren ent- halten, wird die Impfimmunität, die an der Höhe der Antikörpertiter zu erkennen ist, geringer ausfallen als die natürliche Immunität. Studien über Dauer und Höhe der Antikör- pertiter ergaben, daß sieben Jahre nach der Impfung die Antikörper gegen Röteln bei der überwiegen- den Mehrzahl der Probanden persi- stieren, wenngleich die Titer etwas unter denen nach Wildvirusinfektio- nen lagen. Es konnte auch der Nachweis geführt werden, daß ein Jahr nach Impfung mit der Cende- hill-Vakzine bei etwa zehn Prozent der Geimpften der HAH-Antikörper- titer um das Vierfache angestiegen war; das weist auf eine Reinfektion mit Wildvirus hin.

Bei einem Vergleich von Serum- proben, die fünf bis acht Wochen beziehungsweise sechs bis sechs- einhalb Jahre nach der Cendehill- Vakzination entnommen wurden, gab es keine Anhaltspunkte für eine Abnahme der Immunität. 145 von 164 kontrollierten Probandin- nen wiesen einen unveränderten Antikörpertiter auf. Bei etwa elf

Prozent der untersuchten Sera war eine Boosterung der Titer durch eine Wildvirusinfektion zu ermit- teln. Amerikanische Pädiater ha- ben in vergleichenden Studien vier- einhalb Jahre nach Impfung mit Cendehill- beziehungsweise HPV- DK-12 2 )-Vakzine die Serumantikör- per festgestellt. Sie gelangten zu dem Schluß, daß es nicht notwen- dig sei, auf die etwas reaktogenere HPV-Vakzine auszuweichen.

Die Immunität nach der Röteln- schutzimpfung ist allerdings etwas labiler als nach Wildvirusinfektion.

Dies ist nicht unbedingt ein Nach- teil, denn eine Infektion mit dem Wildvirus ist - wie bereits erwähnt

— möglich. Entscheidend aber ist, daß es bei einer später möglichen Wildvirusinfektion von Geimpften zu keiner Virämie kommt; nur sie würde eine Gefahr für die Frucht bedeuten (keine Bildung von IgM- Antikörpern).

Läßt sich ein Erfolg des Impfprogramms bereits abzeichnen?

In der Literatur gibt es eine Reihe von Hinweisen dafür, daß bei ge- zielter Rötelnvakzination die Zahl der Rötelnembryopathien regional zurückgeht, was als Teilerfolg der Impfung gewertet wird. In Hamburg hat wohl in erster Linie die Diagno- stik von Röteln bei gefährdeten Schwangeren (mit der Möglichkeit von Schwangerschaftsunterbre-

chungen) zu einem Rückgang der Embryopathiehäufigkeit (Tabelle 2) geführt. In den Jahren 1968 bis 1971 kam in Hamburg auf 1595 Le- bendgeborene eine Rötelnembryo- pathie, 1972 bis 1973 fiel diese Zahl auf 1 zu 4127 Lebendgeburten.

Nach der Zahl der ermittelten Em- bryopathien zu schließen (ein Fall auf 841 Geburten) waren 1969 in der Hansestadt die Röteln in epide- mischer Form aufgetreten (Tabel- le 2). Der Abfall in den Jahren 1972 bis 1974 könnte somit auf eine bes- sere Durchseuchung der Bevölke-

1) Impfstoff aus dem belgischen Virus- stamm Cendehill-strain (Röhmpharma GmbH/Darmstadt)

2) Impfvirusstamm HPV = High-Passage- Virus; DK 12

3676 Heft 51 vom 19. Dezember 1974 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Summe 16 666 4001 3576 1. HAH-Test

n 4 771 5 948 5 947

Rötelnschutzimpfung n

1140 1408 1453

2. HAH-Test n 612 1924 1040 Impf-

jahr 1972 1973 1974

1■1•111.1111.11•••••••111110.11•1•111MIMINIIIMMINII■ORIMIRMIIMINIIIIMIle

4127 1972

1973

15 223 13 666

1 6 19744) 4

Zahl der Lebend- geborenen

Embryo- pathiefälle im Geburtsjahr 3 )

1 Embryopathie auf . . Lebendgeburten Geburts-

jahr

24 265 21 039 18 390 17 637 1968

1969 1970 1971

6 25 13 7

1595 Tabelle 1: Überprüfung der Rötelnantikörper von 15jährigen Hamburger Mädchen (1972 bis 1974)

Tabelle 2: Rötelnembryopathien in Hamburg in den Jahren 1968 bis 1974

3) nach K. Fscher und H. Lennartz (persönliche Mitteilung) 4) Stand vom 10. November 1974

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

rung zurückgeführt werden. In den Schulen Hamburgs wurde erst 1972 mit dem generellen Impfprogramm begonnen, seine Auswirkungen wird man erst in fünf bis zehn Jah- ren übersehen können.

Auch das Vorsorgeprogramm bei Risikopersonen (seit 1970 insge- samt 642 Impfungen von seronega- tiven Frauen) dürfte zu dem sicht- baren Rückgang der Rötelnschä- den beigetragen haben. Das wahre Ausmaß der dennoch entstandenen Schäden (Gehör, Auge, Zentralner- vensystem), die nach der mütterli- chen Rötelninfektion beim Kind oft erst nach mehreren Jahren diagno- stiziert werden können, ist schwer abzuschätzen. In Australien wiesen von 35 rötelngeschädigten Kindern nur zehn die typischen Mißbildun- gen auf; bei den restlichen 25 Kin- dern waren Schäden erst nach vier, manchmal sogar erst nach acht Jahren wahrzunehmen.

Aufgaben von morgen

Bessere Erfassung der Gefährdeten

Zweifellos ist die Möglichkeit einer kostenlosen Röteln-Serodiagnostik in der Schwangerschaft (Mutter- schafts-Richtlinien) ein Fortschritt;

bei Seronegativität können aber die Gefahren durch Röteln nicht abgewandt werden. Deshalb wäre es dringend angezeigt, alle Frauen schon vor der Konzeption zu unter- suchen, um eine gezielte Impfung zu ermöglichen.

Generelle oder selektive Impfung der Schulkinder

Unabhängig davon, ob man mehr der prä- oder postpubertalen Imp- fung zuneigt, kann auf Dauer ge- sehen nur die Impfung der Schul- kinder zur Reduktion der Röteln- schäden beitragen. Es wäre wün- schenswert, wenn einzelne Länder das Hamburger Modell überneh- men würden, das dann im Einzelfall eine exakte Aussage über Erfolg oder Mißerfolg der Impfung er- laubt. Die übrigen Länder könnten durch ein kostenloses Angebot der

präpubertalen Impfung (ohne Anti- körperbestimmung) für alle Mäd- chen ihren Beitrag leisten, nach- dem es in rund 97 Prozent der Fäl- le postvakzinal zur Serokonversion kommt.

Finanzielle Fragen

Ein mißgebildetes Kind ist für seine Familie ein schwerer Schicksals- schlag; die Hilfen, die die Gemein- schaft dabei anbieten kann, sind bescheiden. Nach amerikanischen Berechnungen müssen für ein Kind mit Rötelnembryopathie 30 000 bis 150 000 $ aufgebracht werden. Das Hamburger Impfprogramm kostet pro Jahr aber nur etwa 150 000 DM.

Mehr Engagement

In den USA ist bereits etwa jeder vierte Bürger (55 Millionen Dosen wurden verteilt), in der Bundesre-

publik aber nur jeder sechshun- dertste gegen Röteln geimpft. Für diese Diskrepanz kann nicht allein die Impfmüdigkeit unserer Bevöl- kerung maßgeblich sein. Eine Lö- sung des Problems kann nur von der öffentlichen Hand kommen.

Eine Impfung Seronegativer ist zweifellos wirtschaftlicher als eine ungezielte Impfung aller Schulmäd- chen, sie ist aber nicht überall zu verwirklichen. Erfahrungen aus dem Ausland sprechen dafür, daß in einer gut durchgeimpften Bevöl- kerung die Zahl der Rötelnerkran- kungen dezimiert werden und da- mit die Embryopathiegefahr ab- nimmt.

Literatur beim Verfasser Anschrift des Verfassers:

Privatdozent Dr. med. W. Ehrengut 2 Hamburg 26, Hinrichsenstraße 1

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 51 Vom 19. Dezember 1974 3677

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