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Lieber krank regieren als gar nicht

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144 DIE PTA IN DER APOTHEKE | Oktober 2015 | www.pta-aktuell.de

U

nd zwar kränker

als sein Doktor zugeben wollte oder durfte. Es war die Zeit des Zweiten Weltkrieges. England wurde von einer deutschen Invasion bedroht und benötigte eine politische Führung, die hun- dertprozentig bei Kräften war.

Mit Churchills Vorgänger, dem krebskranken Premierminister Neville Chamberlain (1869 bis 1940), hatte man diesbezüg- lich negative Erfahrungen ge- macht. Deshalb beschloss das Parlament, dem neuen Staat- schef Winston Churchill (ge- boren am 30. November 1874 in Woodstock), der zur Ret- tung Englands berufen wurde, einen „medizinischen Aufpas- ser“ zu schicken: Dr. Charles McMoran, Präsident des Royal College of Physicans. Dieser betreute seinen „Patienten“ im Regierungssitz Downing Street 10, auf dem Privatsitz Chartwell House, in Washington (Dezem- ber 1941) sowie auf den gro- ßen Konferenzen von Teheran (November / Dezember 1943), Jalta (Februar 1945) und Pots- dam (Juli / August 1945). Auf

über 250 000 Reisekilometern war der Leibarzt an Churchills Seite. Die beiden Männer, die anfangs nur von Amts wegen zusammen waren, wurden mit der Zeit zu guten Freunden, McMoran letztlich sogar zu einem von Churchills engsten Vertrauten – auch in politi- schen Dingen.

Schwindende Gesundheit Churchill gehörte zu den poli- tischen Führern, die förmlich aufblühen, wenn politische Krisen größer werden – und das sah man ihm anfangs auch körperlich an. Zwar rauchte Churchill viel, trank gerne Whiskey, körperliche Ertüch- tigung lehnte er geflissentlich ab („no sports“), statt dessen pflegte er gutes Essen („Man soll dem Leib etwas Gutes bie- ten, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen“), aber außer gelegentlicher Behandlung der resultierenden Dyspepsie hatte McMoran zunächst recht wenig zu tun – nur allmorgendlich seinem fülligen „Patienten“

den Puls zu fühlen. Dies än- derte sich im Dezember 1941.

Bei einem Amerika-Aufenthalt

PRAXIS KRANKHEITEN BERÜHMTER PERSÖNLICHKEITEN

Lieber krank

regieren als gar nicht

© Wikimedia Commons, NYP 45063 British Government

Winston Churchill gilt als bedeutendster briti-

scher Staatsmann des 20. Jahrhunderts. Und als Inbegriff zäher und unbezwingbarer Robustheit.

Tatsächlich war er in entscheidenden Stunden

jedoch sehr krank.

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DIE PTA IN DER APOTHEKE | Oktober 2015 | www.pta-aktuell.de

(Churchill traf den amerikani- schen Präsidenten Roosevelt im Weißen Haus, Japan hatte in- zwischen Pearl Harbor bombar- diert, Hitler den USA den Krieg erklärt) erlitt der Premier beim Öffnen eines verhakten Fensters eine Herzattacke. Der herbeibe- rufene Dr. McMoran erkannte zwar die Koronarinsuffizienz sofort und hätte seinem Pati- enten nach den Geboten der Schulmedizin unmittelbar sechs Wochen Bettruhe verordnen müssen. Um der Welt jedoch

„keinen Invaliden mit krankem Herzen und ungewisser Zu- kunft“ zu präsentieren und aus Furcht vor „verhängnisvollen Folgen“ für den damals kriti- schen Kriegsverlauf, verheim-

lichte er jedoch die Diagnose sowohl dem Patienten selbst wie der Regierung. Und so hetzte der herzkranke Churchill weiter über den Erdball. Im Ja- nuar 1943 kehrte er von einer Konferenz in Casablanca mit einer Lungenentzündung nach London zurück. McMoran verabreichte Sulfonamide – und die Hatz um den Globus ging weiter. Besorgniserregen- der Kräfteschwund machte sich erstmals auf der Konferenz von Teheran (1943) bemerk- bar. Churchill sagte nach sei- nen Verhandlungen mit dem amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt (1882 bis 1945) und dem russischen Diktator Josef Stalin (1878 bis 1953) zu McMoran: „Ich habe das Gefühl, dass ich völlig ver-

braucht bin.“ Kein Wunder: Er hatte sich erneut eine Lungen- entzündung zugezogen, klagte über Herzrasen und zuneh- mende Gedächtnislücken. Die Hinweise auf eine fortschrei- tende Arteriosklerose mehrten sich, zudem zeigten sich deut- liche Zeichen einer Depression.

Außer Sulfonamiden, dem Lieblingsmedikament McMo- rens, erhielt Churchill jedoch keine Therapie. Der Regierung telegrafierte der Arzt nur: „Der Premierminister musste einige Tage mit einer Erkältung das Bett hüten.“ In klarer Bagatel- lisierungsstrategie erwähnte er Herzinsuffizienz und Depres- sion mit keinem Wort. In Jalta (auf der Krim, Februar 1945),

wo sich die siegreichen Staats- führer Roosevelt, Stalin und Churchill anschickten, die neue Friedensordnung zu begrün- den, wussten nur die jeweiligen Leibärzte, welche die insgesamt 700 Mann starke Delegation begleiteten, wie schlecht es den drei Staatschefs tatsächlich ging. Schon vor der Konferenz

wirkte Churchill fahrig, lustlos, unkonzentriert und verbraucht.

McMoran, mittlerweile als Lord Moran in den Adelsstand er- hoben, schrieb in seinem 1966 nach Churchills Tod veröffent- lichten Buch „Der Kampf ums Überleben“: „Er hatte Prob- leme, den Verhandlungen zu folgen.“

Der Wille zur Macht We- nige Monate nach Beendigung des zweiten Weltkrieges, noch während der Potsdamer Kon- ferenz, wählten die erschöpften Briten ihren verbrauchten Ret- ter ab und beriefen den Sozia- listen Clement Attlee (1883 bis 1967) an seine Stelle. Churchill war tief gekränkt, brach in

Tränen aus und seine Depres- sionen verschlimmerten sich, berichtet McMoran. Im August 1949 erlitt Churchill einen ers- ten leichten Schlaganfall, etwas später kam es zu einer Hirn- schädigung (Aphasie), die dem scharfzüngigen Redner kurzzei- tig das Sprachvermögen raubte.

Erstaunlicherweise muss dies nochmals seine Kräfte und sei- nen Machtwillen forciert haben, denn im Oktober 1951 schaffte er die Rückkehr an die Macht, seine Wiederwahl als Premier- minister. Doch sein Körper war der Bürde des Amtes nicht mehr gewachsen. Im Februar 1952 erlitt er einen weiteren Schlaganfall, von Lord Moran als „gewisse Labilität des Hirn- kreislaufes“ bagatellisiert, im Juni 1953 folgte ein weiterer,

stärkerer, der ihn zum vorü- bergehenden Rückzug aus den Regierungsgeschäften zwang.

Er war teilweise gelähmt, hatte Sprachschwierigkeiten. Doch wieder erfuhren die Briten nicht die volle Wahrheit über sei- nen Gesundheitszustand. Zwei Jahre später, 1955, drängten ihn seine Parteifreunde schließlich doch zum vorzeitigen Rücktritt.

Das letzte Dämmer-Jahr- zehnt In den letzten zehn Jahren vor seinem Tod, der am 24. Januar 1965 eintrat, däm- merte Churchill diesem mehr oder weniger entgegen, hatte weitere Schlaganfälle, die ihm Sprache und schließlich auch Erinnerung raubten. „Ich bin

ein Wrack, das nur noch atmet und ausscheidet“, erkannte er in einer seiner selbst als „black dog“ bezeichneten häufigen De- pressionen vor seinem Tod. Er wurde 91 Jahre alt. Eines soll je- doch nicht unerwähnt bleiben:

Uns in Erinnerung ist Winston Churchill vor allem als großer Staatsmann. Dabei war er aber auch ein glänzender Redner und begnadeter Schriftsteller.

1953 – zu Zeiten seines zweiten Premier-Amtes – erhielt er für seine Meisterschaft in der his- torischen und biographischen Darstellung sogar den Nobel- preis für Literatur. ■

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Fachjournalistin VORSCHAU

In unserer Serie „Krank- heiten berühmter Persön- lichkeiten“ stellen wir Ihnen demnächst folgen- den Menschen vor:

+ Franz Kafka

»Man soll dem Leib etwas Gutes bieten, damit die Seele

Lust hat, darin zu wohnen.«

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