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Archiv "Wir sind gar nicht so!" (04.06.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

DIE GLOSSE

Wir sind

gar nicht so!

oder: Vom Rande

eines großen Kongresses

Auch ich beteiligte mich jüngst an der Sternfahrt nach Wiesbaden, dem Mekka bundesdeutscher In- ternisten. Voller Erwartung — denn schließlich handelt es sich ja um eine Zusammenkunft, bei der sich Größen aus Klinik und Forschung gegenseitig Reverenz erweisen, wo man sehen kann und gesehen wird, wo mancher Grundsteine legt für die berufliche Zukunft und manch anderer darüber staunt, was es heutzutage nicht alles gibt in der Medizin.

Aber da ist auch jenes leicht be- klemmende Gefühl, das ein sol- cher Kongreß in mir auslöst: we- gen dieser unbeirrbaren Sachlich- keit, dieser kleinen blau-grau ge- sprenkelten Grüppchen, in denen Wissenschaftler und Meister des small talk dicht zusammenstehend einander fernbleiben, wegen die- ser leicht gebeugten Schreckhaf- tigkeit der nervös Eiligen und des weltmännischen Charmes jener, die hier die Bügelfalten ihrer Ge- sinnung präsentieren; ich habe schlicht Angst vor wissenschaft- licher Korrektheit in der zwischen- menschlichen Beziehung.

Am Eingang, wo mir als pharma- zeutischer Morgengruß verschie- dene Tageszeitungen angeboten werden, registriere ich beim War- ten das Interesse herbeieilender Kollegen für großbalkige, durch Nacktheit aufgelockerte Sensa- tionsüberschriften. Dann stürze ich mich in das Treiben, muß aber bereits nach einigen Referaten feststellen, daß meine Konzentra- tionsfähigkeit noch zu wünschen übrig läßt. Der Herr schräg vor mir scheint dasselbe Problem zu ha- ben, wie ich aus der zunehmenden Vertiefung seiner Atmung erken- ne. Ob die Mutanten des Apoli- poproteins C wohl eine Rolle in seinen Träumen spielen?

In der Pause streune ich durch den pharmakologischen Urwald — dort hinten scheint es Kaffee zu geben! Doch halt! Zuvor soll ich eine Quizfrage bezüglich eines namhaften Antacidums beantwor- ten, die den Tiefgang eines Edeka- Preisausschreibens hat. Für die Mühe werde ich mit einer kleinen Gallenreizmahlzeit (Croissant, Ei und Kaffee) belohnt und bin, wie auch mein grauhaariger Neben- mann, voll gespannter Erwartung, welche Konsistenz das Ei wohl aufweisen wird.

Es ist hart! — Versonnen trifft mein Blick einige Stände weiter auf ei- nen seriös wirkenden Herrn, der in einem günstigen Augenblick eine Handvoll Kugelschreiber im Jak- kett verschwinden läßt. Kurz darauf geht er zufrieden lächelnd an mir vorbei.

Ich muß wieder los, passiere einen kleinen Weinausschank, dort ei- nen Eisstand; rechts stehen Kolle- gen in einer Gruppe Kinder, um an einem Telespiel ihre Geschicklich- keit im Motorradfahren zu erpro- ben; links steht man Schlange, um sich eine komplette Charakterana- lyse an Hand der eigenen Unter- schrift von einem Computer anfer- tigen zu lassen.

Am Eingang zu Saal C verteilt eine phytopharmazeutische Firma gif- tig-grüne Ginkgoblätter aus Marzi- pan; im Halbdunkel des Raumes beobachte ich die nach mir kom- menden Zuhörer, die, während vorne über korrekte Ernährung re- feriert wird, über das Marzipan- blatt herfallen, die meisten nach vorherigem Probebiß, einer stopft es komplett in den Mund. Allen ge- meinsam ist ein grausam lautes Knistern beim Versuch, das Klein- od aus seiner Cellophanverpak- kung zu schälen.

Es ist schwierig, einen Sitzplatz in dem halbgefüllten Raum zu errei- chen, da sämtliche Außenplätze zuerst besetzt werden, wohl auf Grund des Sicherheitsbedürfnis- ses: man will den Saal im Notfall (?) unauffällig wieder verlassen

können. Mein Blick schweift über die Hinterköpfe der anderen; sie erscheinen mir mit jeder Stunde menschlicher und sympathischer.

Doch dort, links außen — klebt da wirklich jemand seinen Kaugummi unter den Sitz des Vordermannes?

Wie wäre es wohl, wenn wir alle- samt in einer Jugendherberge übernachteten? Viele würden sich sicherlich schnell zu einer erbar- mungslosen Kissenschlacht hin- reißen lassen.

Die Zeit verfliegt. Am letzten Vor- mittag freuen sich viele mit mir über die Bemerkung eines kompe- tenten Toxikologen, er sei trotz des Farbstoffes ein Fan von Lie- besperlen und Gummibärchen.

Dann strömen alle nach Hause, viele allein, in viel zu großen Au- tos, doch an den lachenden Ge- sichtern der Vorbeieilenden sehe ich: Wir sind gar nicht so!

Martin Claussen

FRAGEN SIE DR. BIERSNYDER!

Schwere Lernstörung

Sehr geehrter Herr Doktor, ich höre immer wieder, daß bei psychisch gestörten Kindern die Eltern schuld an dieser Störung haben sollen. Nun ist mein schwer arbeitsgestörter Sohn schon 35 Jahre alt. Er studiert noch und meint, die Lernstörung hinge mit seiner verpfuschten frühkind- lichen Entwicklung zusammen. Ist das nicht schon etwas lange her?

Dr. Biersnyder antwortet: Sie ha- ben sicher nicht ganz unrecht, wenn Sie meinen, daß die Störung doch schon etwas länger zurück- liegt — für den Fall übrigens, daß eine solche überhaupt vorliegt.

Unter Lernstörungen bei älteren Studenten verbergen sich be- kanntlich manchmal ganz andere Fehlhaltungen, die man früher schlicht mit ausgeprägter Be- quemlichkeit,

ja gelegentlich so-

gar

als Faulheit bezeichnet hat. ❑ Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 23 vom 4. Juni 1986 (23) 1675

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