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er Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) dringt auf eine schnelle Gesundheitsreform. Eine Anfang November vom DGB eingesetzte 33 Mitglieder zählende Expertengruppe empfiehlt der rot-grünen Bundesregie- rung radikale Veränderungen bei der Gesundheitssicherung. Am Freitag ver- gangener Woche erklärte die stellver- tretende DGB-Vorsitzende, Dr. rer. pol.Ursula Engelen-Kefer, in Berlin, was den Gewerkschaften und den sie bera- tenden „Experten“, auch aus der Medi- zin und den Wirtschaftswissenschaften, vorschwebt: eine „Entfunktionalisie- rung“ vor allem der ärztlichen Selbst- verwaltung, Verschiebung der Vertrags- und Verhandlungskompetenzen zugun- sten der Krankenkassen und eine Ver- schärfung des Qualitätswettbewerbs unter den Leistungserbringern.
In einer Art „Hase-und-Igel-Wett- lauf“ will der DGB offenbar der Dienst- leistungsgewerkschaft ver.di, aber auch der Politik und den sie beratenden Gre- mien den Rang ablaufen. So beeilte sich die Führungscrew des Gewerkschafts- bundes, ihre Hauptthesen bereits jetzt publik zu machen, obwohl die DGB- Vorschläge in konkreter Form erst am 13. Februar bei einer Anhörung im Reichstag vorgestellt werden sollen.
Bereits Mitte Dezember 2002 gab Engelen-Kefer, im DGB-Vorstand für Soziales und Gesundheit zuständig, über dpa die Marschrichtung für die Reformdebatte vor: „Es muss über die Sparoperationen hinaus erkennbar werden, was die Reform für Patienten und Versicherte bringen wird. Falls sich die Debatte weiter nur um Leistungs- kürzungen, Eigenbeteiligung oder ver- schlechterte Versorgung dreht, ist die Reform schon im Ansatz in Gefahr.“
Erst wenn die Grundprobleme der Gesundheitssicherung (die Ausgaben- seite) gelöst sind, könne über neue Fi-
nanzierungsmodelle der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nachge- dacht werden. Die Schwerpunkte der Reform müssen nach Auffassung des DGB sein:
1. die Verbesserung der Qualität der Versorgung und der Leistungseffizienz;
2. die Ingangsetzung einer integrier- ten Versorgung und deren Ausbau zur Regelversorgung unter einem Global- budget;
3. die Zerschlagung der „Kartelle der Leistungserbringer“ (wobei in erster Li- nie die Kassenärztlichen Vereinigungen gemeint sind) und die Gleichschaltung der Entgelt- und Honorarsysteme im ambulanten und stationären Bereich.
Geklagt wird über die hohen Arznei- mittelausgaben, die überlangen Kran- kenhausverweildauern und die zuneh- mende Versorgungsdichte mit Ärzten.
Dabei gebe es in Deutschland noch auf- fällige Versorgungslücken und eine Un- terversorgung vor allem bei chronisch Kranken und unzulängliche Standards bei der leitlinienorientierten Versorgung.
Leitlinien-Medizin
Um den staatlichen Einfluss und den der Krankenkassen zu stärken, müsse die Ausarbeitung von medizinischen Leitlinien, von strukturierten Behand- lungs- und Versorgungsprogrammen (Disease Management) einem „Deut- schen Zentrum für die Qualität in der Medizin“ übertragen werden. Aller- dings müsse die Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen adäquat in- tegriert werden. Der DGB vergisst da- bei, dass es bereits zahlreiche gut funk- tionierende Einrichtungen zur Qua- litätssicherung (§§ 137 ff. SGB V) gibt, die bei der geplanten staatlichen Ein- flussnahme abgewürgt würden. Doch der Gewerkschaftsbund geht noch einen
Schritt weiter: Künftig müsse den Kran- kenkassen erlaubt sein, medizinische Leistungen nach der Qualität und nach dem Behandlungserfolg zu honorieren.
Dazu müssten frei ausgehandelte Ver- träge die Grundlage schaffen.
Beklagt wird die „Zerstückelung der Versorgungsketten“. Dies führe zur In- effizienz und zu Nachteilen für die Pati- enten, insbesondere für chronisch Kran- ke. Große Hoffnungen setzt die DGB- Kommission deshalb auf die integrierte Versorgung, die als Regelversorgung ins- besondere für Chroniker-Programme ausgebaut werden müsse, um die Tren- nung der Leistungssektoren durch eine Verbundversorgung zu überwinden.
Ähnlich wie von anderen Gewerkschaf- ten, von SPD-Gesundheitspolitikern, den Bündnisgrünen und der PDS gefor- dert, sollen Krankenhäuser über das bis- herige Maß hinaus für die poliklinische Behandlung geöffnet und Gesundheits- zentren eingerichtet werden. Dabei könnten auch Eigenbetriebe der Kran- kenkassen (die früher bereits gescheitert sind) einbezogen werden.
Der DGB plädiert für die Global- steuerung des Gesundheitswesens und lobt das Solidaritätsprinzip in der Kran- kenversicherung, die paritätische Fi- nanzierung durch Versicherte und Ar- beitgeber sowie den morbiditätsorien- tierten Risikostrukturausgleich über den grünen Klee. Ganz der staatsnahen, zentralistischen Reform-Philosophie folgend, plädiert die DGB-Kommission für einen einheitlichen Leistungskata- log, einen einheitlichen Versorgungs- standard und für die konsequente Abschaffung von Kollektivverträgen.
Wenn eine solche „Revolution“ Kern- stück der Gesundheitsreform werde, kämen deren Segnungen „uns allen zu- gute“, so die Hoffnungen des Gewerk- schaftsbundes und seiner stellvertreten- den Vorsitzenden. Dr. rer. pol. Harald Clade P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 424. Januar 2003 AA157