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Archiv "Reformdebatte: Systemkritik aus Übersee" (20.04.2012)

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A 796 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 16

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20. April 2012

REFORMDEBATTE

Systemkritik aus Übersee

Eine alternde Bevölkerung, neue Technologien, leere Kassen: Unser Gesundheitswesen stößt an Leistungsgrenzen. Für Harvard-Ökonom Michael E. Porter liegt die Lösung in einem Umbau des Systems.

D

ass gerade ein Amerikaner nach Berlin gekommen war, um den Deutschen einen Vortrag über die Schwächen ihres Gesund- heitssystems zu halten, konnte Dr. med. Karl Lauterbach nicht un- kommentiert lassen. Dies sei so, als wolle ein Italiener den Deutschen erklären, wie sie Autos zu bauen hätten, unkte der gesundheitspoliti- sche Sprecher der SPD-Bundes- tagsfraktion. Gleichwohl räumte er ein: In Italien wird mit dem Ferrari ein Auto der Sonderklasse produ- ziert. Und aus den USA kommen zweifellos die versiertesten Ge- sundheitsexperten.

Ähnlich wie dem Ferrari eilt Mi- chael E. Porter ein Ruf voraus: Der Professor für Wirtschaftswissen- schaften an der Harvard Business School ist weltweit einer der ein- flussreichsten Experten für strategi- sches Management. Seit einigen Jahren richtet er den Blick auf Ge- sundheitssysteme. Gerade hat er ein Buch über das deutsche Gesund- heitswesen verfasst, für dessen Prä- sentation er im März nach Berlin reiste. „Das deutsche Gesundheits- wesen ist in vielerlei Hinsicht ein Vorbild für andere Länder“, sagte Porter. „Doch es gibt zentrale Pro- bleme in der Organisation der Ver- sorgung.“ Die Deutschen hätten ein beispiellos breites Angebot, beleg- ten aber im internationalen Ver- gleich zum Beispiel bei der Sterb- lichkeit keine sehr guten Plätze.

Neben der instabilen Finanzlage kritisiert Porter vor allem die schwankende Qualität in der Be- handlung und eine mangelnde Ko- ordination des Angebots. Woran der Patient Deutschland vor allem krankt, ist für ihn schnell ausge- macht: Das System kreise zu sehr um die gegebenen Strukturen und sei zu wenig am Patientennutzen

orientiert. Dabei sei dieser „das ein- zige Ziel, das die Interessen aller Akteure“ vereinige, und deshalb der richtige Ansatzpunkt für Verände- rung. Es sei an der Zeit, dass sich die Akteure auf das konzentrierten, worauf es ankomme: eine möglichst fehlerfreie Diagnostik, gute Be- handlungsergebnisse und damit auf Dauer gesenkte Gesundheitskosten.

Teilreformen, wie sie Deutsch- land in den vergangenen Jahrzehn- ten vielfach vollzogen habe, reich- ten nicht aus, um das System lang- fristig zu stabilisieren. Man müsse die Versorgung neu organisieren.

Gegenwärtig verursache das Sys- tem etwa Kosten durch viele und unkoordinierte Arzt- und Klinikbe- suche, auch deshalb, weil die Quali- tät der Behandlungen bei den ein- zelnen Anlaufstellen sehr schwan- ke. Als Angriff auf die Ärzteschaft möchte der Amerikaner seine Ana- lyse nicht verstanden wissen, im Gegenteil: „Deutsche Ärzte sind sehr gut ausgebildet. Aber es kann nicht jeder alles wissen.“ Das Pro- blem sei nicht mangelnde fachliche

Kompetenz, sondern die Organisa- tion der Versorgung.

Porter empfiehlt, Kompetenz in interdisziplinären Zentren zu bün- deln. Diese sollten sich an den Be- dürfnissen und Krankheitsbildern der Patienten orientieren. Ein sol- cher Schritt drossele nicht nur die Kosten im System, sondern er brin- ge auch den Ärzten etwas: „Der Austausch im Team birgt viele Lerneffekte und macht Spaß.“ Hin- ter seinem Vorschlag versteckt sich weitere Kritik: Das deutsche Sys- tem leiste sich stellenweise ein kos- tenintensives Überangebot. Nicht in jedem kleinen Krankenhaus müss- ten Brustkrebspatientinnen behan- delt, nicht in jedem Hüftoperatio- nen vorgenommen werden.

Der Amerikaner hält große Veränderungen für machbar Ein weiteres zentrales Problem sieht der Amerikaner in der unzu- reichenden Messung der Ergebnis- qualität, die in vielen Ländern zum Standard gehöre. „Die Ergebnisse der Leistungen müssen gemessen werden, andernfalls kann man sie nicht verbessern.“ Porter fordert, diesen Ansatz sowohl auf Behand- lungsergebnisse als auch auf die Behandlungskosten anzuwenden.

Er kritisierte zudem die bislang starre Trennung zwischen ambulan- ter und stationärer Versorgung. Sie sei ineffizient und kostenintensiv, da unterschiedliche Leistungser- bringer ähnliche Krankheitsbilder behandelten, ohne dass wichtige In- formationen ausgetauscht würden.

Porter äußerte sich ebenso zur Zukunft der privaten Krankenversi- cherung (PKV). Auch hier ist sein Urteil eindeutig: Das gängige Sys- tem sei „unfair“, gefährde das Soli- daritätsprinzip und damit das Herz des deutschen Gesundheitswesens.

Es sei unausweichlich, die PKV in den Risikostrukturausgleich der ge- setzlichen Krankenkassen einzu- binden. Zu viel Reformgeist? „Vie- le glauben, solch große Verände- rungen seien nicht möglich. Viele sind der Diskussionen müde“, sagte Porter. „Es ist natürlich hart, be- währte Strukturen zu brechen.

Doch es ist möglich.“

Nora Schmitt-Sausen Im Jahr 2006 veröffentlichte Michael E. Porter gemeinsam

mit Elizabeth Olmsted Teisberg das Buch „Redefining Health Care“, das den Patientennutzen in den Vordergrund der Versorgung stellt. Nach eigenen Angaben gab die Ana- lyse der Autoren Anstoß für Reformbemühungen in Groß- britannien, Schweden, Finnland und Japan.

In seinem neuen Buch „Chancen für das deutsche Ge- sundheitssystem. Von Partikularinteressen zu mehr Pa- tientennutzen“ transferiert Porter seinen Ansatz gemein- sam mit Koautor Dr. med. Clemens Guth auf das deutsche Gesundheitswesen. Neben einer Analyse des Ist-Zustands geben die Autoren zwölf Empfehlungen, wie das System ihrer Ansicht nach durch Umstrukturierung langfristig sta- bilisiert werden kann.

PORTERS ANSTÖSSE

P O L I T I K

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