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Archiv "Eröffnung des 107. Deutschen Ärztetages: Die Konsequenzen der Gesundheitsreform ehrlich aufzeigen" (21.05.2004)

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ine Bundesgesundheitsministerin, die unverdrossen die Vorzüge der von ihr verantworteten Gesund- heitsreform pries, ein Bundesärztekam- merpräsident, der mit aller Deutlichkeit auf die Folgen ihrer verfehlten Gesund- heitspolitik hinwies, ein Bundespräsi- dent, der eindeutige Festlegungen ver- mied, und eine Kammerpräsidentin, die mit ihrer kurzen Begrüßungsansprache die Zuhörer zu begeistern verstand – das waren die wesentlichen Zutaten zur Eröffnungsfeier zum 107. Deutschen Ärztetag in Bremen am 18. Mai im Kon- zerthaus „Die Glocke“.

Dr. med. Ursula Auerswald, Präsiden- tin der Ärztekammer Bremen, fasste in ihrer Begrüßungsansprache zusammen, was heute viele Ärzte bei ihrer täglichen Arbeit empfinden: Die gesundheitspoli- tischen Rahmenbedingungen erschwer- ten zunehmend ein medizinisch anstän- diges Handeln; ein ungeheures Ausmaß an Bürokratie behindere die Ärztinnen und Ärzte bei ihrer Tätigkeit; nicht mehr der Patient, sondern vielmehr die Öko- nomie stehe im Mittelpunkt. Auerswald kritisierte die Arbeitsbedingungen der Ärzte. Es dürfe nicht sein, dass Kranken- häuser schwarze Zahlen schreiben auf Kosten nicht bezahlter Arbeit von Ärz- ten und Pflegekräften. Direkt an die Bundesgesundheitsministerin gewandt, forderte Auerswald dazu auf, weniger auf Theoretiker als vielmehr auf die Praktiker im Gesundheitswesen zu hören. Ein Zuviel an Regulierung könne nur schaden und reduziere immer mehr den zur Ausübung der ärztlichen Heil- kunst nötigen Freiraum.

Die lobende Worte, die Bremens Bür- germeister Henning Scherf in seinem Grußwort für „seine“ Kammerpräsi- dentin fand („Frau Auerswald, Sie sind eine ganz unglaubliche Präsidentin“),

waren durchaus ungewöhnlich und zeig- ten auch, dass man in Bremen trotz mit- unter großer Differenzen um eine gute, gemeinsame Sacharbeit bemüht ist.

Scherf empfahl das Beispiel Bremen für die gesundheitspolitische Auseinander- setzung auf Bundesebene.

Zu Beginn seiner Amtszeit hatte Bun- despräsident Johannes Rau verspro- chen, an einer Eröffnungsveranstaltung zum Deutschen Ärztetag teilzunehmen.

Dieses Versprechen löste er nun in Bre- men ein, wenige Tage vor der Wahl sei- nes Nachfolgers. Explizit vermied er es, sich in seiner Rede mit gesundheitspoli- tischen Details zu befassen. Vielmehr ließ er die Zuhörer an grundsätzlichen Erwägungen zum Gesundheitswesen teilhaben. Kritisch äußerte er sich zur technisierten Sprache der Gesundheits- politik, die mit Begriffen wie Fallpau- schalen, Budgetierung etc. dazu beitrage, dass immer weniger Menschen an einer Debatte über die Ziele der Gesundheits- politik teilnehmen können. „Ich rate

auch in der Gesundheitspolitik zu einer Sprache, die die Menschen verstehen können, ohne Ärzte oder diplomierte Gesundheitswissenschaftler zu sein.“

Der Bundespräsident verwies auf die sich in der säkularen Zeit verändernde Rolle des Arztes. Mehr und mehr müs- sen von ihm neben der eigentlichen me- dizinischen Versorgung die Aufgaben eines Seelsorgers für all die übernom- men werden, die Hilfe und Zuwendung

suchen, ohne körperlich krank zu sein.

Auf der anderen Seite hätten Ärzte noch nie mit so vielen Patienten zu tun gehabt, die aufgrund der allgemein zur Verfügung stehenden Informationen so umfassend über ihren Körper und ihre Krankheit informiert sind. Auf beide Herausforderungen werde der Arzt in seiner Ausbildung nicht genügend vor- bereitet. Bundespräsident Johannes Rau: „Ich habe großen Respekt vor Ih- nen und vor allen Frauen und Männern, die sich in ihrem ärztlichen Beruf diesen Aufgaben stellen und die die P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2121. Mai 2004 AA1457

Eröffnung des 107. Deutschen Ärztetages

Die Konsequenzen der

Gesundheitsreform ehrlich aufzeigen

Gegensätzliche Positionen der Ärzteschaft und der Bundesgesundheitsministerin.

Bundespräsident Rau plädiert für die Heilkunst.

Dr. med. Ursula Au- erswald, Präsiden- tin der gastgeben- den Ärztekammer Bremen: Ungeheu- res Ausmaß an Bü- rokratisierung be- hindert ärztliches Handeln.

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Menschen ernst nehmen.“ Ein wenig konkreter wurde Johannes Rau in sei- nen Ausführungen zum Verhältnis von Schulmedizin und alternativen medizini- schen Ansätzen. Er plädierte für einen Ausgleich zwischen den seit langer Zeit unversöhnlich scheinenden Konzepten.

Medizin sei mehr als nur eine Wissen- schaft, und zum Wohle der Patienten komme es darauf an, sie im Sinne der Heilkunst zusammenzuführen. Er sei ge- spannt auf die Ergebnisse des unter Be- teiligung der Bundesärztekammer ins Leben gerufenen „Dialogforums Plura- lismus in der Medizin“. Genauso, wie in bestimmten Situationen die gelegentlich verächtlich so genannte Apparate-Medi- zin unverzichtbar sei, genauso könnte man sich manchmal auf bewährte Haus- mittel besinnen oder die Angebote der

„sanften Medizin“ nutzen.

Rau betonte die zentrale Rolle des Arztes bei der Prävention. Hierbei brauche der Patient den Arzt als eine Art Lebensberater, der ihn immer wie- der darauf aufmerksam macht, dass be- stimmte Krankheiten mit den persönli- chen Lebensumständen, zu deren Ver- änderung man selber am meisten bei- tragen kann, zu tun haben. Eine gesun- de Lebensweise müsse zu einer grundsätzlichen Einstellung werden, die das Leben in unserer Gesellschaft prägt. Auch die Unternehmen hätten

die Verantwortung, für gesunde Ar- beitsverhältnisse zu sorgen.

Nachdrücklich sprach sich der Bun- despräsident für den Erhalt des Solidar- prinzips in der Krankenversicherung aus. Wer krank wird, müsse sich auch in Zukunft darauf verlassen können, dass er das Notwendige zu seiner Heilung erhält. Solidarität bedeute aber auch, mit den vorhandenen Mitteln sorgfältig und verantwortungsbewusst umzuge- hen. Angesichts der Fülle von Diagno- se- und Therapiemöglichkeiten komme den Ärzten die große Verantwortung zu, über das wirklich Notwendige zu entscheiden und gegebenenfalls Wün- sche und Erwartun-

gen der Patienten zu enttäuschen.

Abschließend ging Johannes Rau auf zentrale ethische As- pekte ärztlichen Han- delns ein. Er be- grüßte die von der Bundesärztekammer veröffentlichte Neu- fassung der „Grund- sätze zur ärztlichen Sterbebegleitung“ mit ihrem strikten Nein zur aktiven Sterbe- hilfe. Noch mehr als bisher müssten Ärz-

te palliativmedizinisch dar- auf vorbereitet werden, Menschen mit der geeigne- ten Schmerztherapie bis an ihr Lebensende zu beglei- ten. Auch in Bezug auf die Forschung an embryonalen Stammzellen sprach sich Rau für eine Beschränkung durch ethische Grundsätze aus. Die Freiheit der Forschung ge- rate dadurch nicht in Gefahr.

Man dürfe nicht alle Über- zeugungen über den Haufen werfen, um einem mögli- chen therapeutischen Nutzen nachzujagen.

Hatte noch Bürgermeister Henning Scherf die Zusam- menarbeit mit der Ärztekam- mer Bremen in den höchsten Tönen gelobt und als Modell für die Bundesebene empfoh- len, so konnten sich die Teil- nehmer der Eröffnungsveranstaltung nun davon überzeugen, dass hier vorerst wenig Hoffnung besteht. Gesundheits- ministerin Ulla Schmidt verwies in ihrem Redebeitrag auf die schlechte Einnah- meseite in der Gesetzlichen Kranken- versicherung (GKV), auf den demogra- phischen Faktor und ihr Bestreben, ein System zu etablieren, das auch in Zu- kunft jedem Versicherten das medizi- nisch Notwendige zukommen lässt. Das GKV-Modernisierungsgesetz sei in sei- nen kurzfristigen Folgen bisher dramati- siert, in seinen langfristigen Auswirkun- gen bisher aber noch nicht ausreichend gewürdigt worden. Es gebe die rechtli- P O L I T I K

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A1458 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2121. Mai 2004

Bundespräsident Johannes Rau, flankiert von Prof. Jörg-Dietrich Hoppe und Ministerin Ulla Schmidt

Bremens Bürgermeister Henning Scherf: „Bitte gehen Sie umsichtig mit Ulla Schmidt um.“

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chen Rahmenbedingungen vor, mit de- nen die Abläufe im Gesundheitswesen optimiert werden können. „Jeder Euro, der für etwas Überflüssiges ausgegeben wird, fehlt an anderer Stelle“, führte die Ministerin aus. Mit ihrer Äußerung, sie sei gegen Bürokratisierung im Gesund- heitswesen, trug sie zur Erheiterung der Zuhörer bei. Viele Ärzte – so Ulla Schmidt – würden die Chance erkennen, die ihnen das neue Gesetz bietet, etwa in Form der Integrationsverträge oder der Medizinischen Versorgungszentren.

Wenn jemand das Angebot sol- cher neuen Versorgungsformen als Kommerzialisierung der Medizin bezeichne, so stehe hier Besitzstandswahrung im Vordergrund, für die sie kein Verständnis habe.

Der Präsident der Bundes- ärztekammer, Prof. Dr. med.

Jörg-Dietrich Hoppe, setzte sich in seiner Eröffnungsan- sprache mit den Folgen einer seiner Ansicht nach verpfusch- ten Gesundheitsreform ausein- ander. Diese sei von Beginn an durch Misstrauen gegenüber den in Gesundheitsberufen tä- tigen Frauen und Männern ge- prägt gewesen. Dies sei wenig motivationsstiftend gewesen.

Eine Ideologie des Wettbe- werbs habe sich in den Köpfen der Gesundheitstheoretiker

und sekundär auch der Politiker festge- setzt. „Doch wer Wettbewerb predigt, der fordert Profitdenken und erwartet keine Nächstenliebe mehr.“ Ärzte seien keine Kaufleute, und Patienten seien keine Kunden. Hoppe geht davon aus, dass der durch das GKV-Modernisie- rungsgesetz eingeleitete Paradigmen- wechsel schon bald sichtbar und für den Patienten spürbar wird. Das Gesetz för- dere nicht den Wettbewerb um Qualität, sondern den Wettbewerb um Profit. Die Politik forderte Hoppe auf, dies den Menschen zu sagen und die Konsequen- zen ehrlich aufzuzeigen. Viele Facharzt- Einzelpraxen würden bald schließen müssen, die Umstellung auf Fallpauscha- len-Finanzierung werde das Aus für viele kleine Krankenhäuser bedeuten, sodass es viele unterversorgte Regionen geben wird. Wenn so die Chancengleichheit im Zugang zum Gesundheitswesen zerstört

werde, sei dies nichts anderes als eine sta- tistische Rationierung, führte Hoppe aus.

Als ein Beispiel für die von ihm kriti- sierte Fehlentwicklung nannte der Präsi- dent der Bundesärztekammer die Um- setzung der Disease-Management-Pro- gramme (DMP). Die Krankenkassen seien aufgrund der Verknüpfung mit dem Risikostrukturausgleich nur daran interessiert, die Einschreibquoten in die DMP hochzutreiben. Dementsprechend stehe auch nicht die Bekämpfung der ge- sundheitlichen Risiken im Vordergrund,

sondern deren Dokumentation, kriti- sierte Hoppe. Inzwischen seien die An- forderungen der Bürokratie an den Arzt so groß geworden, dass die Patientenver- sorgung unterzugehen drohe. „Wenn Sie nicht wollen, dass wir zu Fachkräften ei- ner Gesundheitsverwaltung degenerie- ren, dann befreien Sie uns von diesen bürokratischen Ketten und lassen uns wieder Ärztinnen und Ärzte sein“, ap- pellierte Hoppe an die Gesundheitsmi- nisterin. Die schlechten Arbeitsbedin- gungen seien die Hauptursache dafür, dass vielerorts Ärzte nicht mehr in aus- reichender Zahl zur Verfügung stehen.

Es könne keine Lösung sein, Ärzte aus Osteuropa anzuwerben; denn diese hin- terließen bei ihrem Weggang dort große Lücken in der ärztlichen Versorgung.

Der BÄK-Präsident plädierte für eine wohnortnahe hausärztliche und eine flächendeckende fachärztliche Versor-

gung; die medizinische Leistung sollte stets dort erbracht werden, wo sie pati- entengerecht und effizient durchgeführt werden kann. Er mahnte faire Ausgangs- positionen bei den Verträgen über die Integrierte Versorgung an. Misstrauisch müsse man darauf achten, dass die neuen Vertragsmöglichkeiten nicht zu einem Experimentierfeld der Krankenkassen für Einkaufsmodelle aller Art werden.

Hoppe verwies auch auf die Be- mühungen der Ärzteschaft bei der Wei- terentwicklung ärztlicher Leitlinienar-

beit. Er wandte sich gegen die pauscha- len Vorwürfe, Ärzte seien skeptisch ge- genüber Leitlinien. Allerdings stellten diese lediglich eine medizinisch-wissen- schaftliche Hilfestellung dar – die indi- viduelle Therapie des Patienten sei ärzt- liche Kunst und sollte es auch bleiben.

Behandlungsprogramme in Form einer Rechtsverordnung zu erlassen entspre- che einer mechanistischen Vorstellung von Medizin.

Hoppe betonte, dass das deutsche Gesundheitswesen in den vergangenen Jahren von vielen schlechtgeredet wor- den sei, obwohl man durchaus auf die Leistungsfähigkeit des Systems und auf die Hingabe und das Engagement der darin arbeitenden Menschen stolz sein könne. Stattdessen würden die Patien- ten nachhaltig verunsichert. Vertrauen zu schaffen sei deshalb das Gebot der

Stunde. Thomas Gerst

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Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2121. Mai 2004 AA1459

Mit der Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft wurden ausgezeichnet (von links): Prof. Dr. med.

h. c. Gert Carstensen, Prof. Dr. med. Wolfgang Mangold, Dr. med. Klaus Springfeld, Dr. med. Ingrid Has- selblatt-Diedrich. Letztere betonte in ihrer Dankesrede, dass der Einsatz für humanistische, philosophi- sche und religiös begründete Ausübung der medizinischen Heilkunde heute wichtiger als jemals zuvor sei.

Alle Fotos:Bernhard Eifrig

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