SPEKTRUM LESERBRIEFE
Bhopal
Zu dem Beitrag „10. Jahrestag der Bhopal-Katastrophe: Katastrophen- medizin noch immer unzureichend"
von Dr. med. Birger Heinzow in Heft 49/1994:
Kläglich
. . . Das, was in Bhopal wirklich schief gelaufen ist, nämlich die unmittelbare Be- drohung der Betroffenen, wird nur kläglich behandelt.
Es ist natürlich sehr schön, wenn der Verfasser emp- fiehlt, daß die Bewohner so- fort zu informieren und alar- mieren sind. Nur, wie macht man dies in Indien? .. . Natürlich ist es ein arges Manko, daß in Indien und vor allen Dingen in Bhopal in un- mittelbarer Nähe einer Fa- brik, die lungentoxische Stof- fe produziert, keine oder je- denfalls nicht genügend Men- gen von Aerosolen mit einem Glukokortikoid verfügbar waren, die, noch einmal sei es gesagt, in großen Mengen hätten an die Bevölkerung ausgegeben werden können.
Da gab es aber doch auch ei- nen klinischen Toxikologen, der meinte, daß damit die Sa- che getan sei. Das kann be- stenfalls die akute Notfallbe- handlung sein, die übrigens auch durch Laien im großen Stile gehandhabt werden kann, immer unter der Vor- aussetzung, daß diese Laien in der Lage sind, den Betrof- fenen, ebenfalls Laien, die richtige Atemtechnik beizu- bringen, damit das Glukokor- tikoid auch in die tiefen Teile der Lunge kommt, die er- reicht werden sollen. Nun hat es das toxische Lungenödem so an sich, daß diese Bereiche der Lunge sehr rasch von der Ventilation abgekoppelt wer- den. Sei es, daß die tieferen Atemwege durch Flüssigkeit verlegt sind, sei es, daß die Belüftung aus schmerzhaften Gründen einfach reflekto- risch eingestellt wird. In je- dem Fall, und das lehrt jede ärztliche Erfahrung mit dem toxischen Lungenödem, muß sofort die parenterale Be- handlung mit Glukokortikoi-
den eingeleitet werden. Nach meiner Kenntnis ist diese Maßnahme in den wenigsten Fällen durchgeführt worden.
Ich hoffe sehr, daß im Bereich der Ärztekammer Schleswig- Holstein die „Task Force", die da eingerichtet wurde, noch einige Fort- und Weiter- bildungsveranstaltungen zu diesem Thema durchführen kann, damit dann auch die richtigen Maßnahmen getrof- fen werden.
Prof. Dr. med. Wolfgang Forth, Walther Straub-Insti- tut für Pharmakologie und Toxikologie, LMU Mün- chen, Nußbaumstraße 26, 80336 München
Cap Anamur
Zu dem Beitrag „Kritik am Führungs- stil des Vorsitzenden" von Petra Spiel- berg in Heft 34-35/1994:
Kleinliche Geister
Es ist wohl häufig das Schicksal von Menschen, die sich mit Leib und Leben für eine humanitäre Sache ein- setzen, von kleinlichen Gei- stern mit Schmutz beworfen zu werden.
Ich war 1984, 1985 und nochmals 1987 für Monate im Auftrag von Neudecks in Afrika und habe daher eige- ne Erfahrungen über die Einsätze. Gerade die unbüro- kratische Form der Organisa- tion — übrigens im Wohnzim- mer, nicht am Küchentisch — hat diese Aktionen so beweg- lich und effektiv gemacht, spontan, eben ohne „ver- nünftig bezahlte Profis".
Bei meinen Einsätzen in Äthiopien und Uganda ha- ben wir für „food for work"
gearbeitet, ohne Bezahlung.
Ich habe mich keinen Mo- ment selbstherrlich oder au- toritär von Troisdorf unter- drückt gefühlt, sondern war freiwillig und unabhängig tätig.
Mit sicherem Gespür scheint die Schreiberin des Artikels einige ehemalige Mitarbeiter aufgetan zu ha- ben, die anscheinend persön- liche Fehden abreagieren
mußten, warum auch nicht.
Aber daß das DÄ sich dazu hergibt, eine gute Sache durch so einen Artikel herab- zusetzen, übersteigt mein Verständnis.
Dr. med. Irmgard Sitzberger- Stählin, Burgbergstraße 25, 91054 Erlangen
Staatsexamen
Leidvolle Erfahrungen auf dem Klage- weg:
Rechte verletzt
Im August 1992 nahm ich am Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung teil. Da mir lediglich zwei Punkte zum Bestehen fehlten, legte ich gegen die Bescheide des Landesprüfungsamtes (LPA) Schleswig-Holstein Wider- spruch ein, der auf dem Be- schluß des Bundesverfas- sungsgerichts vom 17. April 1991 basiert:
Entspricht eine Antwort gesicherten medizinischen Er- kenntnissen, die im Fach- schrifttum bereits veröffent- licht und Kandidaten des ent- sprechenden Prüfungsab- schnitts im Regelfall ohne be- sondere Schwierigkeit zu- gänglich waren, so darf sie nicht als falsch gewertet wer- den (BVerfG, 17 April 1991 — 1BvR 1529/84, 138/87).
Mehrere Gutachten von Professoren der Universität Lübeck und Kopien aus der einschlägigen Literatur bele- gen die Richtigkeit meiner Antworten. Diese Dokumen- te wurden dem zuständigen LPA übermittelt. Das LPA lehnte unter Zuhilfenahme des IMPP meinen Wider- spruch ab, wogegen ich beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht klagte.
Es entschied durch einen Einzelrichter und wies meine Klage ab. Dagegen legte ich beim Oberverwaltungsge- richt Berufung ein. »Es wies die Klago zurück und ließ kei- ne Revision zu, so daß ich zu- erst eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revi- sion einlegen mußte. Dabei
unterliefen den Richtern Ver- fahrensfehler. Sie zitierten Li- teratur aus der Zeit nach der Prüfung, obwohl ich sie schriftlich und auch in der mündlichen Verhandlung auf die oben genannte Entschei- dung des BVerfG aufmerk- sam gemacht hatte.
Dürfen Einzelrichter und drei Berufsrichter sowie zwei ehrenamtliche Richterinnen komplexe medizinische Sach- verhalte, die selbst in den Fachkreisen kontrovers dis- kutiert werden, beurteilen, ohne dafür fachwissenschaft- liche Kompetenz zu besitzen?
Warum bedienen sich IMPP und Gerichte, trotz der Ent- scheidung des BVerfG, einer Praxis, die die Rechte eines Examenskandidaten verletzt und ihm nicht nur wirtschaft- lichen Schaden zufügt, son- dern auch wertvolle Zeit raubt?
Seyed Nematollah Hejazi, Aegidienstraße 65, 23552 Lü- beck
Alkoholismus
Zu dem „Seite eins"-Beitrag „Dia- gnostik unzureichend" in Heft 44/1994:
Bestätigung
. . . Die von Ihnen ange- führten Zahlen kann ich nur bestätigen. Es liegt gewiß nicht nur an der ja auch von Feuerlein belegten mangel- haften Ausbildung im Be- reich der Sucht, sondern an fehlender Weiterbildung und
— last, not least — an der massi- ven emotionalen Abwehr.
Ärzte sind nicht nur weit über dem Durchschnitt der Bevöl- kerung selbst betroffen, sie betätigen sich auch massiv als Co-Abhängige. Schließlich bringen Süchtige, insbeson- dere auch Privatpatienten, über viele Jahre einen be- trächtlichen Umsatz, da sie unter zunehmenden Folge- krankheiten leiden, Arbeits- unfähigkeiten brauchen (16mal so häufig wie Gesun- de!).
Wer hätte also Interesse an einem wirklichen Fort- A-168 (6) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 4, 27. Januar 1995