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Archiv "Die Ärzte im Europäischen Binnenmarkt" (06.09.1990)

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Susanne Tiemann Die Ärzte im Europäischen Binnenmarkt

Die Situation der deutschen Ärztinnen und Ärzte in den 90er Jahren wird maßgeblich geprägt sein von der europäischen Entwicklung.

Niederlassungsfreiheit in Europa gibt es für Ärzte schon mehr als zehn Jahre, seitdem 1975 die EG-Richtlinie erlassen worden ist. Die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes Ende 1992 wird je- doch erneuter Anstoß zu europäischer Mobilität in allen Bereichen sein. Dies wird sowohl die Tätigkeit der Ärztinnen und Ärzte in an- deren Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft als auch die Rahmenbedingungen für ärztliche Tätigkeit in Europa betreffen.

THEMEN DER ZEIT

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

B

isher ist von der ärztlichen Niederlassungsfreiheit in Europa nicht in signifikan- ter Weise Gebrauch ge- macht worden. In der Bundesrepu- blik Deutschland gibt es bei den nie- dergelassenen Ärzten etwa 500 aus anderen Mitgliedstaaten. Dies liegt an den bisher mangelnden Sprach- kenntnissen allgemein in Europa, wobei doch gerade der Arzt darauf angewiesen ist, sich mit seinen Pa- tienten konkret verständigen zu kön- nen.

Auch 1993 wird es keine Ein- wanderungswelle in der Bundesre- publik Deutschland geben. Jedoch wird die Bundesrepublik neben Frankreich und Italien zumindest bei den beliebtesten Einwanderungslän- dern sein. Es wird also vermehrt Ärz- te aus anderen Staaten der Europäi- schen Gemeinschaft bei uns geben.

Dies muß angesichts der hohen Ärz- tezahlen in der Bundesrepublik mit Skepsis beobachtet werden.

Dabei ist außerdem zu berück- sichtigen, daß deutsche Ärzte erst die Phase des Arztes im Praktikum abzuleisten haben, bevor sie sich nie- derlassen können, während Ärzte aus anderen EG-Staaten hierzu nicht verpflichtet werden können.

Hier einheitliche Bestimmungen in der EG zu schaffen, muß vorrangiges Anliegen sein. Denn wie sich die Wanderungsbewegungen in der Bun- desrepublik Deutschland darstellen werden — hiervon werden auch Ar- beitsmöglichkeiten und Einkom-

menserwartungen der Ärzte mit ab- hängen.

Bis spätestens 1995 muß die EG- Richtlinie Allgemeinmedizin umge- setzt sein. Sie wird eine Chance bie- ten, die hausärztliche Qualifikation durch den weitergebildeten Allge- meinarzt als Zugangsvoraussetzung zum System der gesetzlichen Kran- kenversicherung zu sichern. Ab 1995 wird damit also auch keinem Arzt aus einem anderen EG-Staat die Zu- lassung zur kassenärztlichen Versor- gung verweigert werden können, wenn er die Voraussetzungen der Allgemeinarzt-Richtlinie erfüllt. Die EG-Kommission hat die Umsetzung der Allgemeinarzt-Richtlinie bei der Bundesregierung bereits angemahnt.

Schärferer Wettbewerb - auch für Ärzte

Insgesamt wird sich auch für die Ärztinnen und Ärzte die Wettbe- werbssituation in Europa nicht ent- schärfen, sondern eher intensivieren.

Von besonderer Bedeutung wird es dabei sein, daß Freizügigkeit in Eu- ropa es im Binnenmarkt dem Patien- ten erlauben muß, nach seiner eige- nen Wahl frei die Leistungen eines jeden Arztes in Europa in Anspruch zu nehmen. Neben der Mobilität der Ärzte in Europa wird es also die Mo- bilität der Patienten geben. Beson- ders in Grenzgebieten und bei Spezi- albehandlungen wird dies von Be- deutung werden. Inwieweit sich hier-

aus ein „Gesundheitstourismus" ent- wickeln wird, läßt sich heute nur schwer absehen.

Ein europäisches Gesundheits- wesen existiert bis heute nicht. Es ist auch nicht zu erwarten, daß sich in den nächsten Jahren ein geschlosse- nes System eines europäischen Ge- sundheitswesens entwickeln wird.

Hierzu sind zum einen die Struktu- ren des Gesundheitswesens, insbe- sondere der Systeme der sozialen Si- cherung, in den einzelnen Mitglied- staaten der Europäischen Gemein- schaft zu verschieden.

Gut die Hälfte der europäischen Staaten verfügt über einen staatli- chen Gesundheitsdienst verschie- denster Ausprägung, während die übrigen Länder die verschiedensten Formen der Sozialversicherung auf- weisen. Außerdem ist die Wirt- schaftskraft der einzelnen europäi- schen Mitgliedstaaten der Gemein- schaft heute weitaus noch zu unter- schiedlich, als daß man an eine Ver- einheitlichung oder signifikante An- gleichung der Gesundheitssysteme denken könnte.

„Smard card"

für den Patienten

Jedoch existieren in der Euro- päischen Gemeinschaft, insbesonde- re bei der Europäischen Kommissi- on, weitreichende Überlegungen, um den Informationsbedarf, der auf- grund der Mobilität der Patienten in Europa entstehen wird, befriedigen zu können. Hier ist die Entwicklung eines einheitlichen Datensystems für das Gesundheitswesen vorgesehen.

Aufgrund dieses Systems soll sich der Patient dann unter Vorlage einer sogenannten „Smard card" in ärztli- che Behandlung begeben können.

Auf dieser Karte sollen dann alle sei- ne persönlichen Daten vermerkt sein.

Derartige Systeme weisen indes erhebliche Gefahren für die Intim- sphäre des Patienten und für den Schutz seiner persönlichen Daten auf. Darüber hinaus bergen sie die Gefahr in sich, die ärztliche Versor- gung zu standardisieren.

Der Wirtschafts- und Sozialaus- schuß der Europäischen Gemein- Dt. Ärztebl. 87, Heft 36, 6. September 1990 (21) A-2601

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schaften hat sich bereits mit diesem Projekt befaßt und eindringlich dar- auf hingewiesen, daß das Arzt-Pa- tienten-Verhältnis, die individuelle Zuwendung des Arztes und seine Schweigepflicht im Vordergrund der medizinischen Versorgung in Euro- pa stehen müssen. Außerdem hat der Wirtschafts- und Sozialausschuß die Entwicklung von Datenschutzbe- stimmungen in Europa, zugeschnit- ten speziell auf die Probleme des Gesundheitswesens, gefordert. Ent- sprechende Vorbereitungen laufen derzeit in der EG-Kommission.

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Aufhebung der

Werbebeschränkungen?

Angesichts verstärkten Wettbe- werbs in Europa wird es von beson- derer Bedeutung sein, wichtige Grundsätze freiberuflicher Tätigkeit für den ärztlichen Beruf aufrecht zu erhalten.

Nach der Bundesärzteordnung ist der ärztliche Beruf „seiner Natur nach ein freier Beruf". Unabhängig also, ob der Arzt seine Tätigkeit in selbständiger oder angestellter Tä- tigkeit ausübt, muß die sachliche Un- abhängigkeit des Freien Berufes dem Patienten bei der ärztlichen Tä- tigkeit zugute kommen Eine Gefahr hierfür wäre die Einführung gewerb- licher Aspekte in die ärztliche Tätig- keit.

So bestehen im europäischen Raum zum Teil Überlegungen, etwa Gebührenordnungen, Werbebe- schränkungen, aber auch ärztliche Selbstverwaltungen als protektioni- stische Einrichtungen und damit als wettbewerbswidrig zu deklarieren.

Solche Grundsätze hätten dann im Binnenmarkt keinen Raum mehr.

Vielmehr stellt man sich zum Teil absoluten freien Preiswettbewerb im Bereich der Freien Berufe vor.

Dies wäre gerade für den ärztli- chen Bereich verhängnisvoll. Würde der Patient die ärztliche Leistung nach Preiserwägungen in Anspruch nehmen, hätte dies verhängnisvolle Folgen für die Gesundheit des ein- zelnen sowie für die Volksgesund- heit.

In gleicher Weise muß es dem Arzt auch weiterhin verwehrt sein,

wirtschaftliche Werbung zu betrei- ben. Dies würde die Unabhängigkeit seiner Berufsausübung in entschei- dender Weise beeinträchtigen. Es muß weiterhin allgemeines Anliegen sein, die Selbstverwaltung der Arzte in Europa aufrecht zu erhalten. Ihre Funktionen für die Gestaltung der Berufsbedingungen, aber besonders auch zur Gewährleistung einer ord- nungsgemäßen ärztlichen Berufsaus- übung dürfen nicht — wie es das Eu- ropäische Parlament fordert — durch Gremien aus Vertretern aller denk- baren Interessengruppen ersetzt werden.

Es wird eines der wichtigsten Aufgaben der nächsten Monate und Jahre sein, der europäischen Öffent- lichkeit klarzumachen, daß beson- ders im Gesundheitswesen freiberuf- liches Berufsrecht Verbraucher- schutzrecht ist. Denn es dient dem Patienten, seiner sachgerechten Ver- sorgung und seiner Selbstbestim- mung.

Wesentlich wird sein, daß die ärztliche Leistung als höchstpersön- liche Leistung im Binnenmarkt auf- recht erhalten bleibt. Feststellungen der Kommission, daß Mehrfachpra- xen in verschiedenen europäischen Mitgliedstaaten möglich sein müs- sen, stoßen hier auf erhebliche Be- denken.

Entwicklung geeigneter Kooperationsformen

In diesem Zusammenhang wird es auch von Bedeutung sein, welche Kooperationsformen zwischen Ärz- ten in der Zukunft möglich sein wer- den.

Gerade Mobilität der Ärzte in Europa und steigende Ärztezahlen werden den Trend zu gemeinschaft- licher Berufsausübung fördern. Es wird entscheidend darauf ankom- men, wie solche Zusammenarbeit aussieht, um den Patienten den Arzt als persönliches Gegenüber, als Ver- trauensperson und auch Haftungs- adressat zu erhalten.

Handelsrechtliche Gesellschaf- ten, wie sie bei anderen Berufen seit längerem möglich sind, dürfen für den ärztlichen Bereich nicht in Be- tracht kommen Auf dem Arbeits-

programm der EG-Kommission für Anfang des nächsten Jahres steht der Entwurf einer Partnerschafts- richtlinie insgesamt für die Freien Berufe. Es wird größter Wert darauf zu legen sein, daß die einzelnen Frei- en Berufe diese Partnerschaften je nach den Erfordernissen und Gege- benheiten ihres eigenen Berufes ge- stalten können. Es wäre verhängnis- voll, wenn allen Freien Berufen die gleichen Möglichkeiten und Formen der Partnerschaft aufgezwungen würden. Hier bedarf es besonderer Argumentation für den ärztlichen Bereich.

Inwieweit das deutsche Kassen- arzt-Recht eine wirksame Abschir- mung gegen Entwicklungen aus dem europäischen Raum bietet, ist offen.

Besondere Voraussetzungen für die Zulassung zur kassenärztlichen Tä- tigkeit, Sachleistungssystem, Ein- heitlicher Bewertungsmaßstab usw.

sind besondere Bedingungen der deutschen gesetzlichen Krankenver- sicherung. Sie gelten für jeden, der derzeit in der Bundesrepublik Deutschland für die sozialversicher- ten Patienten tätig sein will. Es ist bislang nicht geklärt, wie diese Be- dingungen zukünftig unter den Aspekten der Freizügigkeit und des freien Wettbewerbes in Europa ge- sehen werden.

Es können also insgesamt keine zuverlässigen Aussagen darüber ge- troffen werden, wie sich ärztliche Tä- tigkeit in den 90er Jahren konkret gestalten wird. Dies wird nicht nur von der Entwicklung der Ärztezah- len in Europa und der Mobilität der Berufsangehörigen abhängen, son- dern vor allem auch davon, ob es ge- lingt, den ärztlichen Beruf als Freien Beruf, ganz konzentriert auf die Zu- wendung gegenüber dem Patienten zu erhalten und von gewerblichen Aspekten freizuhalten. Die zukünfti- ge Gestaltung der Sozialversiche- rungssysteme in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der Grad ihrer Annäherung ist dabei heute noch eine gänzlich unbekann- te Größe.

Anschrift der Verfasserin:

Dr. jur. Susanne Tiemann Im Meisengrund 4a 5000 Köln 50 A-2602 (22) Dt. Ärztebl. 87, Heft 36, 6. September 1990

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