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Archiv "Ethik in der Medizin: Werte und Normen vermitteln" (15.10.1999)

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A-2574 (30) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 41, 15. Oktober 1999 ine interdisziplinäre Arbeits-

gruppe der Universitäten Mar- burg und Ulm will einen Mo- dellkurs zur Ethik in der Medizin ent- wickeln, erproben und evaluieren.

Oberstes Ziel sei dabei die Sensibili- sierung für ethische Probleme und ih- re Handhabung während der Planung und Ausführung wissenschaftlicher Forschungstätigkeiten, sagte Prof. Dr.

med. Gerd Richter, Universität Mar- burg, anläßlich der Jahrestagung der Akademie für Ethik in der Medizin Anfang September in der Universität Leipzig. Er forderte Universitäten und Drittmittelgeber auf, die Ent- wicklung des Curriculums für den Modellkursus zu fördern. In einem zweiten Schritt sollten dann die Uni- versitäten ein solches Ausbildungsan- gebot an ihren Fakultäten etablieren.

Nötig scheint eine solche Vermitt- lung von Normen und Werten, weil ge- rade Ärzte immer wie-

der vor schwerwiegen- de ethische Probleme und Entscheidungen gestellt werden. Das Dilemma bei der For- schung am Menschen brachte der Präsident der Akademie für Ethik in der Medizin, Prof. Dr. phil. Dietrich von Engelhardt, Medi- zinische Universität zu Lübeck, auf den Punkt:

Ohne medizinische Forschung werde es keinen Fortschritt in der Therapie von Krankheiten geben. Medizinische Forschung trage jedoch stets das Risiko von Gefahren in sich.

Weltweit als Grundlage ethischen Handelns in der Biomedizin aner- kannt ist die Deklaration von Helsin- ki/Tokio. Doch die darin festgelegten hohen Standards standen kürzlich zur Disposition. Die American Medical Association (AMA) legte einen Än-

derungsvorschlag vor, der in Santiago de Chile allerdings zurückgezogen wurde. Er regte den Weltärztebund dazu an, grundsätzlich über eine Neu- fassung zu beraten.

Nach den unter Vorsitz von Prof. Bob Levine, Yale, eingebrach- ten Änderungsvorschlägen sollte un- ter anderem die bisherige Unter- scheidung in medizinische Experi- mente und Heilversuche aufgegeben werden, wie Prof. Dr. jur. Dr. h. c.

Hans-Ludwig Schreiber, Universität Göttingen, erläuterte. Beim Heilver- such stehe das Interesse des einzelnen Patienten an einer verbesserten Be- handlung oder Linderung seiner Krankheit im Vordergrund. Beim me- dizinischen Experiment dagegen ge- he es nicht um solche konkreten In- teressen eines Patienten, sondern um die Weiterentwicklung der Medizin.

Einer der wichtigsten Gründe für die Beibehaltung der Un- terscheidung zwischen therapeutischem und nichttherapeutischem Versuch ist für Prof.

Dr. phil. Jan Peter Beckmann, Fernuni- versität Hagen, der Umstand, daß die Problematik nichtthe- rapeutischer Forschung an Nichteinwilligungs- fähigen in ihrer grund- sätzlichen Schwierig- keit ansonsten aus dem Blick zu ge- raten drohe.

Intensiv wurde über diese Pro- blematik diskutiert. Nach Angaben von Prof. Dr. med. Claudia Wiese- mann, Universität Göttingen, werden zahlreiche Medikamente, die für die Anwendung in der Kinder- und Ju- gendmedizin nicht zugelassen sind, dennoch in der Praxis eingesetzt. Das habe zur Folge, daß Kinder besonders häufig Gefahr liefen, mit Medikamen-

ten behandelt zu werden, die für die Anwendung ihrer Altersgruppe we- nig oder gar nicht systematisch auf Wirksamkeit und Sicherheit über- prüft wurden. Eine Intensivierung medizinischer Forschung in der Kin- der- und Jugendmedizin werde jedoch die Probleme verstärken, die sich be- reits jetzt bei der Forschung an Nicht- einwilligungsfähigen stellen.

In Deutschland werde die thera- peutische Forschung an Minderjäh- rigen durch das Arzneimittelgesetz (§ 40 Abs. 4) geregelt. Darin wird unter anderem die Einwilligung vom gesetzli- chen Vertreter nach Aufklärung durch einen Arzt „über Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung“

gefordert. Zur nichttherapeutischen Forschung verwies Wiesemann auf die Stellungnahme „Zum Schutz nicht-ein- willigungsfähiger Personen in der me- dizinischen Forschung“ der „Zentralen Ethik-Kommission“ bei der Bundes- ärztekammer (siehe DÄ 15/1997).

Forschung an

Nichteinwilligungsfähigen

Daß gerade der Nichteinwilli- gungsfähige nicht zum Opfer fremder Interessen werden darf, forderte auch Dr. med. Giovanni Maio, Medizini- sche Universität zu Lübeck. Er ver- wies jedoch darauf, daß ein striktes Verbot der Forschung an Nichteinwil- ligungsfähigen de facto dazu führen könne, „daß der Begriff des Nutzens, aber auch der Begriff der Einwilli- gungsfähigkeit im Interesse der For- schung zu weit ausgelegt werden“.

Auf diese restriktive Weise werde Pa- tienten mehr geschadet als durch eine in wohlbedachten Grenzen zugelasse- ne Forschung, sagte Maio.

Im Einzelfall ist jeweils das Vo- tum einer Ethikkommission notwen- dig für medizinische Forschung am

P O L I T I K TAGUNGSBERICHT

Werte und Normen vermitteln

Über die Probleme bei der Forschung am Menschen diskutierten Ärzte, Theologen, Philosophen, Juristen und Angehörige der Pflegeberufe.

E

Mit dem Thema Forschungsbetrug be- schäftigte sich das Deutsche Ärzteblatt ausführlich in Heft 41 und 42/1997.

Ethik in der Medizin

(2)

Patienten oder Probanden. Häufigste Themen bei der Projektvorlage seien auch hier die Forschung an Nicht- einwilligungsfähigen und beschränkt Einwilligungsfähigen sowie die Un- terscheidung zwischen Heilversuch und Wissensversuch, so Richter.

Kerstin Magerkorth, Kranken- schwester aus Göttingen, begrüßte es, daß die Ethikkommissionen sich vor kurzem auch den Pflegeberufen ge- öffnet hätten, so daß Anträge von for- schenden Pflegekräften bearbeitet werden können. Durch diese neue Zuständigkeit seien die Ethikkom- missionen jetzt gefordert, „gemein- sam in Beratungsgesprächen mit den Antragstellern Lösungen für die Auf- klärung von Patienten zu finden, da die Aufklärung des Patienten eine rein ärztliche Tätigkeit ist“.

Forschungsbetrug

Die Ethikkommissionen hätten außerdem aber auch den Forscher zu schützen. Dieser solle davor bewahrt werden, im Drang nach neuen Er- kenntnissen die Grenzen des ethisch Zulässigen zu überschreiten. Daß For- schungsbetrug meistens nicht das Re- sultat krimineller Energie ist, sondern die logische Konsequenz des moder- nen Wissenschaftsbetriebs und seiner Auswüchse, darauf wies Marco Finetti, Leitender Redakteur der Deutschen Universitätszeitung, hin. Der immer irrwitzigere Wettlauf um Fördermittel, der immer härtere Publikationsdruck, die immer größeren Abhängigkeiten des Nachwuchses verleiteten auch deutsche Forscher zu Betrug und Fälschung. Schutzvorkehrungen und Ehrenkodizes, wie sie die deutschen Wissenschaftsorganisationen in letzter Zeit erlassen hätten, könnten helfen, vermeintlich selbstverständliche Re- geln für gutes wissenschaftliches Ar- beiten ins Bewußtsein zu verankern.

Die vielfältigen Gefahren im Hinblick auf medizinische Forschung am Menschen können durch Geset- ze, Richtlinien und Deklarationen eingedämmt und verringert werden.

Das machte die Tagung in Leipzig deutlich. Doch die berufsethische Verantwortung müsse auch ganz konkret eingeübt werden, betonte Richter. Gisela Klinkhammer

A-2575

P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 41, 15. Oktober 1999 (31) TAGUNGSBERICHT/KOMMENTAR

b es als Kunstfehler zu werten sei, fragte ein Allgemeinarzt, wenn er dem Anliegen einer Mutter nachkäme, bei einem Sechsjährigen mit nachgewiesener Streptokokkenpharyngitis auf eine antibiotische Therapie wegen des Ri- sikos allergischer Reaktionen (und möglicher Resistenzentwicklungen) zu verzichten. Die Frage ist durchaus relevant, weil das Risiko einer Post- streptokokken-Glomerulonephritis oder eines akuten rheumatischen Fie- bers, dessen Häufigkeit mit ein bis drei Prozent angegeben wird, gegen- über den Risi-

ken einer Resi- stenzentwick- lung oder aller- gischen Reak- tion auf die antibiotische Therapie abzu- wägen ist. Ei- ne Literaturre- cherche sollte mehr Auf- schluß geben.

Mit Un-

terstützung des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information, Köln, wurde eine Re- cherche in 64 Datenbanken durchge- führt. Es wurden aber keine validen Daten gefunden, die das beschriebene Poststreptokokken-Risiko belegten.

Bei der Datenbankrecherche wurde ein Übersichtsartikel im „Med- ical Journal of Australia“ entdeckt, der das Risiko eines akuten rheumati- schen Fiebers nach Streptokokkenin- fektion als so gering einstuft, daß es für Länder mit gutem Hygienestan- dard in aller Regel keine Bedeutung habe und deshalb von einer Antibioti- katherapie abzuraten sei. Das in vie- len Lehrbüchern beschriebene Post- streptokokken-Risiko ist in Deutsch- land sehr wahrscheinlich ein „Phan- tom-Risiko“ weil auch durch sorgfäl- tige Recherchen keine wissenschaftli- chen Daten gefunden wurden, die die Existenz dieses Risikos bestätigen.

Wissenschaftler in Oxford haben kürzlich Empfehlungen zu antibioti- schen Therapien veröffentlicht und aufgrund der alarmierenden Resi- stenzentwicklung vom unkritischen Antibiotika-Gebrauch auch bei Streptokokkenpharyngitis abgeraten.

Die Moral der Geschichte: Allzu viele Allergien und Resistenzen kön- nen durch das Ergebnis der Recherche nicht vermieden werden, weil wahr- scheinlich viel weniger eingenommen als in der Apotheke nachgefragt wird.

Eine auf Daten gestützte Medizin (Evidence-Based Medicine, kurz:

EBM) ist wesentlich besser als ihr Ruf, weil sie in der Lage ist, Probleme der täglichen Praxis zu lösen. Man sollte dem anfragenden Allgemeinarzt im Szenario doch keinen Kunstfehler vorwerfen, wenn er auf eine Maßnah- me verzichtet, für deren Begründung es offensicht- lich keine Da- ten gibt.

EBM wird häufig falsch verstanden oder fehlinterpre- tiert: Wer sich der Mühe un- terzieht, nach gesicherten Da- ten zu suchen, wird wesentlich häufiger fest- stellen, daß Ungesichertes (Phantom- Wissen) behauptet als Gesichertes übersehen wird. Wenn Behauptungen mit nicht unerheblichen medizini- schen und ökonomischen Konsequen- zen ohne die notwendige Sorgfalt bei der Erhebung, Verarbeitung und In- terpretation der Daten aufgestellt werden, könnte mit Recht ein fahrläs- siger Umgang mit Daten abgenom- men werden.

Würde man der Datenqualität in der Medizin diesen Stellenwert zu- kommen lassen, hätte man eine soli- de Handhabe, das Gesundheitssystem effizient zu steuern. Darauf beruht die Zielsetzung der Klinischen Ökono- mik, das heißt, im Gesundheitssystem nicht eine Mark weniger – diese aller- dings sinnvoll, zum Nutzen der Pati- enten auszugeben. Wenn sich die Ärz- te in Praxis und Klinik nicht um diese Probleme kümmern, wird den Öko- nomen nichts anderes übrigbleiben, als es allein zu tun. Da diese Aufgaben zusätzlich kaum zu bewältigen sind, könnte man über ein Konzept „Klini- sche Ökonomik“ nachdenken.

Prof. Dr. med. Franz Porzsolt, Andrea Ohletz

Kunstfehler und Phantom-

Risiken

O

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