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Archiv "Weltärztebund: Ethische Zwickmühle" (22.01.1999)

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ie 50. Generalversammlung des Weltärztebundes (World Medical Association, kurz:

WMA) in Ottawa (14. bis 18. Oktober 1998) hat Entschließungen und De- klarationen zu Themen verabschie- det, die seit langer Zeit im Mittel- punkt ärztlichen Interesses stehen oder ärztliche Tätigkeiten unmittel- bar oder mittelbar betreffen. Die wis- senschaftliche Sitzung beschäftigte sich mit Aspekten der Medizin in der Zukunft. Breiten Raum nahmen die Erörterungen der administrativen und finanziellen Situation des Ver- bandes ein. Schließlich wurde der Diskurs über ethische Grundpositio- nen weitergeführt. Hier läßt sich eine Einigung derzeit nicht absehen.

Eine Fülle von Deklarationen

Nach zum Teil langjährigen, durchaus kontroversen Erörterungen hat der Weltärztebund Entschließun- gen oder Deklarationen angenommen zu Bereichen, die entweder als „Dau- erbrenner“ bekannt sind oder vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse in sein Gesichtsfeld gerieten. Frucht langfristiger Beratungen sind die Ent- schließung zur Arztdichte, die Dekla- ration zu den Rechten des Kindes auf gesundheitliche Versorgung, die De- klaration zu Nuklearwaffen oder die Entschließung zu verstärkten Investi- tionen zugunsten der gesundheitlichen Versorgung. Die Entschließungen zum Haager Friedensappell 1999, zur Unterstützung der Konvention von Ottawa (Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und des Transfers von Antipersonenminen und über deren Zerstörung), zur medi- zinischen Versorgung von Flüchtlin-

gen und zu Berichten über Menschen- rechtsverletzungen im Gesundheits- sektor im Kosovo hingegen berühren zeitnahe Ereignisse.

Die Texte, wichtigen Bereichen gewidmet, ähneln im formalen Auf- bau vergleichbaren Äußerungen von Vereinigungen souveräner Staaten oder nichtstaatlicher Organisationen.

Diese Feststellung gilt über weite Strecken auch für die inhaltlichen Aussagen. Auch hier werden zum Teil bekannte und weitgehend akzeptierte Grundsätze wiederholt. Einzelne For- mulierungen mögen daher trivial er- scheinen, zum Beispiel die Feststel- lung, daß „die Ausbildung von Ärzten sorgfältig und langfristig geplant wer- den muß“. Offenbar sind solche Wie- derholungen aber unerläßlich, um ei- ne in sich geschlossene, das Verständ- nis für den dargestellten Sachverhalt fördernde Erklärung zu verfassen.

Dieses Vorgehen erscheint annehm- bar, da in den Texten immer wieder spezifisch ärztliche Anliegen vorge- tragen werden, auch und gerade bei Entschließungen, die besonders sensi- ble Bereiche der ärztlichen Versor- gung berühren. So muß man hoffen, daß Staaten die in der Entschließung zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen enthaltene, übrigens auf Vorschlag der deutschen Delegation erweiterte Bestimmung ernst neh- men, nach der Ärzte „nicht gezwun- gen werden dürfen, an Strafaktionen oder gerichtlich angeordneten Aktio- nen gegen Flüchtlinge mitzuwirken oder an Flüchtlingen medizinisch nicht zu vertretende diagnostische Maßnahmen oder Behandlungen vor- zunehmen, wie beispielsweise die Ver- abreichung von Beruhigungsmitteln, um Probleme bei der Abschiebung der Flüchtlinge in ihr Heimatland zu vermeiden“. Freilich wird das Dilem-

ma von Äußerungen des Weltärzte- bundes sichtbar.

Die WMA hat zwar beschlossen, daß Ärzte nicht gezwungen werden dürfen, die genannten Tätigkeiten auszuüben. Die Entscheidung hier- über liegt letztendlich jedoch bei den zuständigen Staatsregierungen. An dieser Stelle wird erneut und bewußt das schon von Prof. Dr. Erik Holst, Dänemark, bei der Jubiläumssitzung des Councils im Mai 1997 angespro- chene Problem aufgegriffen: die Außenwirkung von Resolutionen und Erklärungen des Weltärztebundes.

Diese Texte mögen, wie auch deut- sche Delegierte, insbesondere Man- datsträger, überzeugend versichern, eine erhebliche Wirkung auf die Be- wußtseinsbildung innerhalb der Ärz- teschaft entfalten. Die wünschenswer- te Außenwirkung hingegen wird vor allem von kenntnisreichen Pesönlich- keiten außerhalb der Ärzteschaft zurückhaltend bewertet.

Preiswettbewerb beeinträchtigt

Vertrauensverhältnis

Im Rahmen der wissenschaftli- chen Sitzung wurden unter anderem Gefahren erörtert, die aus der zuneh- menden Marktorientierung ärztlicher Tätigkeit erwachsen. So war zu erfah- ren, daß in den Vereinigten Staaten Patienten, insbesondere solche ohne Krankenversicherung, auch bei nur geringen Erhöhungen der Gebühren für ärztliche Leistungen Preisver- handlungen aufnehmen und gegebe- nenfalls einen Arztwechsel in Kauf nehmen. In diesem Zusammenhang wurde die Auffassung vertreten, daß sich der Arzt bei voller Respektierung der Autonomie des Patienten auf das Kerngebiet seiner Tätigkeit besinnen müsse, nämlich Krankheiten zu er- kennen und nach Möglichkeit zu hei- len. Letztlich sei der am Markt üb- liche Preiswettbewerb der ärztlichen Tätigkeit und dem Arzt-Patienten- Verhältnis nicht zuträglich.

Unter dem Stichwort „Telemedi- zin“ wurden zum Teil faszinierende Möglichkeiten der Informationsüber- mittlung an Ärztinnen und Ärzte oder an eine medizinischen Fragen zu- gewandte Öffentlichkeit vorgestellt.

A-118 (30) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 3, 22. Januar 1999

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

Weltärztebund

Ethische Zwickmühle

Die World Medical Association steckt mit ihren Erklärungen zu Grundsatzfragen häufig in einem Dilemma: hoher Anspruch oder Einigung auf der kleinsten gemeinsamen Grundlage?

D

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Vermißt haben kritische Hörer aller- dings jede Aussage über die Inhalte, die mittels der vorzüglichen techni- schen Medien übermittelt werden können. Die sehr aktuelle Frage, wie das Informationsangebot auf die Be- dürfnisse der unterschiedlichen Arzt- gruppen ausgerichtet werden kann, blieb unerörtert – an ihrer Lösung wird sich auch die Zukunft der „Tele- medizin“ entscheiden.

Die Zusammenarbeit zwischen der WMA und den nationalen Ärzte- organisationen wird in Zukunft, stär- ker als bisher, Traditionen, bis heute zum Teil noch von dem Zeitalter des Kolonialismus geprägt, und Entwick- lungen der einzelnen Kontinente zu berücksichtigen haben. Selbstver- ständlich kann die WMA, können na- tionale Ärzteorganisationen einander auf der Grundlage des mehr oder we- niger reichen eigenen Erfahrungs- schatzes raten. Lösungen anstehender Probleme müssen vor Ort unter Berücksichtigung der gegebenen Vor- bedingungen gefunden werden. Es wurde zur Debatte gestellt, ob eine gewisse Dezentralisation des Weltärz- tebundes in Zukunft eher geeignet sei, anstehende Probleme einer Lösung zuzuführen. Dabei wurde daran erin- nert, daß nach den Satzungen der WMA grundsätzlich die Einrichtung regionaler Generalsekretariate mög- lich ist, die von den nationalen Ärzte- organisationen des betreffenden Kon- tinentes zu finanzieren sind.

Ethische Fragen, strittige Punkte

Zustimmung fand die Forderung, daß von der WMA verabschiedete ethische Grundprinzipien von allen Mitgliedsorganisationen zu beachten sind. Wie die unverändert kontrover- se Diskussion über die seitens der American Medical Association vorge- schlagene Revision der Deklaration von Helsinki zeigt, dürfte dieses Po- stulat, wenn überhaupt, nur mit er- heblichen Schwierigkeiten zu erfüllen sein. Erinnert sei daran, daß die WMA in den vergangenen Jahren na- hezu regelmäßig Vorschläge für De- klarationen oder Entschließungen zu ethischen Grundfragen fallenließ, für die eine einheitliche Auffassung nicht

zu erreichen war. Eine solche Ver- tuschung kontroverser Standpunkte wird im Zusammenhang mit der Revi- sion der Deklaration von Helsinki nicht möglich sein.

Die Diskussionen über eine Neu- fassung dieser bekanntesten Äuße- rung des Weltärztebundes, die eine einzigartige Außenwirkung entfaltet hat, finden mittlerweile erhebliches Interesse auch der Öffentlichkeit. Die strittigen Punkte brauchen hier nur genannt zu werden: erstrebte Geltung für alle, die biomedizinische For- schung am Menschen treiben, also Ausdehnung der Zuständigkeit auf nichtärztliche Berufe; Verzicht auf die bewährte Differenzierung unter- schiedlicher Forschungstypen, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Krankenversorgung oder ohne einen solchen Zusammenhang; Erleichte- rung des Einsatzes von Plazebos und schließlich, von vielen als besonders bedenklich empfunden, die Zulässig- keit, im Rahmen vergleichender Stu- dien einzelne Gruppen von einer an- erkannten und bewährten Methode der Diagnostik oder Therapie auszu- schließen. Man wird diesen Problem- kreis wie andere Felder gewiß nicht mit dem von dem neu gewählten Präsidenten der WMA, Dr. Daniel H. Johnson jr., American Medical Association (AMA), herangezogenen Begriff „Diversity“ abspeisen können.

Mit diesem Schlagwort versucht man offenbar auch Bedenken zu zerstreu- en, die gegen den Beitritt nationaler Ärzteorganisationen erhoben wer- den, ohne daß ihre Auffassungen zu Grundpositionen des Berufsstandes erschöpfend abgeklärt sind. So hielt man die Anfrage der deutschen Dele- gation nach der Stellung der chinesi- schen Ärzteorganisation zum Kom- plex „Organtransplantation“ ebenso- wenig einer vertiefenden Diskussion für würdig wie die im Zusammenhang mit einem in Beijing geplanten Semi- nar „Ärztliche Ethik“ auftretenden

Fragen, zum Beispiel freier Zugang aller Ärzte zu diesem Seminar, freie, nicht zensierte Berichterstattung in der Presse. Die Mehrheit der Anwe- senden gab sich mit beschwichtigen- den Erklärungen zufrieden.

Moralische Legitimation des Weltärztebundes

Die Einigkeit in ethischen Grundfragen ist die wesentliche, wenn nicht gar die ausschließliche Legitimation für das Bestehen des Weltärztebundes. Wenn die Einheit in Grundauffassungen zerbricht, muß man sich die Frage nach der Zukunft der WMA stellen. Kritische Gedan- ken, die sich zu dieser Zukunft aus der derzeitigen administrativen und fi- nanziellen Situation des Weltärzte- bundes ergeben, treten vor ethischen Postulaten zurück, haben dennoch ihr eigenes, spezifisches Gewicht.

Mit einigem Recht darf man auf Grund der Beratungen in Ottawa hof- fen, daß die Geschäftsführung der WMA zu einer „geordneten Haus- haltsführung“ finden wird, und zwar unter der Bedingung, daß, wie nun ernsthaft vorgenommen, der Eingang der Beitragszahlungen aller Mit- gliedsorganisationen sorgfältig über- wacht und sichergestellt wird, die Be- wirtschaftung der Haushaltsmittel an Hand des zu erstellenden Planes er- folgt und schließlich eine unabhän- gige Kontrolle der Ausgaben durch den Schatzmeister – wie bisher ist dies Prof. Dr. med. Dr. h. c. Karsten Vilmar – stattfindet.

Die deutsche Delegation konnte sich nicht mit ihrem Vorschlag durch- setzen, vor mehr oder weniger wahllos angeregten Einsparungen zunächst eine Analyse der Haushaltsstruktur vorzunehmen, die eine vergleichende Kostenanalyse für Sitzungen des Councils außerhalb von Ferney-Vol- taire (in Frankreich, nahe bei Genf) beziehungsweise an diesem Sitz des Generalsekretariates berücksichtigt hätte. So steht zu befürchten, daß man weiter an Symptomen kuriert; der erneut geforderten Erhöhung der Beiträge sogenannter reicher Mit- gliedsorganisationen wurde allerdings eine, wohl endgültige, Absage erteilt.

Prof. Dr. med. Elmar Doppelfeld A-119 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 3, 22. Januar 1999 (31)

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

Erklärungen, Dokumente etc.

des Weltärztebundes können in Urfassung und/oder deutscher Übersetzung bei der Bundesärzte- kammer, Auslandsdienst, Herbert- Lewin-Straße 1, 50931 Köln, ange- fordert werden.

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