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Vorgeschichte: Zur Bedeutung und Funktion von übrigens in deutschen Alltagsgesprächen

1

- Maria Egbert

Abstract

This study is pari of a body of work in Interactional Linguistics focussing on the interface of word semantics and interaction. It analyzes the meaning of the lexical item übrigens (roughly trarislated äs English by the way) äs it appears in a corpus of 25 4iours of naturally occurring everyday German conversation. In its main syntactic Position in conversation - in the midfield of a verb-second sentence - it does not seem jto contain the meaning previously assumed, i.e. it does not signal an upcoming d jsjunctive topic shift, diversion or an otherwise non-contiguous turn. An analysis of tne preceding and succeeding topical context of the übrigens-ssnience shows no gularity in topic development. Instead, a set of observations furnishes arguments t iat with übrigens, the Speaker indirectly refers to a piece of prior talk in which both t .e Speaker and the recipient(s) were involved. The distance between the übrigens- s ntence and the reference utterance varies immensely . It may date back to an episode

|i the same conversation or even in a previous encounter. Given its formal and

||« Jictional features, it is proposed that übrigens in mid-sentence may be classified äs a CD odal particle varying in meaning from its homonym in initial sentence position. The Analysis concludes that series of conversations need to be considered äs a unit of analysis in Interactional Linguistics since interactants Orient to events in the history of their relationship by linguistic means such äs word choice.

\ Frühere Versionen dieser Studie habe ich an der Universität Uppsala (Ringvorlesung

„Development of qualitative research perspective" (2002), an der Universität Bielefeld (Kolloquium „Konversationsanalyse" 2002), auf der International Conference of Conver- sation Analysis in Kopenhagen (ICCA 2002) sowie als Habilitationsvortrag an der Universität Oldenburg (2002) präsentiert. Mein besonderer Dank gilt den anonymen ZS-Gutachterlnnen, der Redaktion, sowie Birte Asmuß, Jörg Bergmann, Anna Lind- ström und Wilfried Stölting für sehr hilfreiche Hinweise. Inga Harren möchte ich für das Sammeln wichtiger Daten danken.

Zeitschrift für Sprachwissenschaft 22.2 (2003), 189-212

© Vandenhoeck & Ruprecht, 2003 ISSN 0721-9067

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L Einleitung

Die in neuester Zeit intensivierten Forschungsaktivitäten zur Verknüpfung von Bedeutungskonstitution und Gesprächsforschung zeichnen sich dadurch aus, dass die Analyse von Wortbedeutung den interaktioneilen Kontext des verwen- deten Wortes oder Ausdrucks einbezieht. Angesichts diverser theoretischer Fundierungsansätze in der Gesprächsforschung fasst Deppermann (2002:11) unter Bedeutungskonstitution „Phänomene, die von der Referenz einzelner Ausdrücke, über Sprechakte und die Herstellung von Textkohärenz bis hin zu den Implikationen von Äußerungen für die Sozialbeziehungen der Kommunika- tionsteilnehmer reichen". Die innovative Arbeitsweise der Interaktionalen Linguistik2 hat durch die Verbindung von Linguistik und Interaktionstheorie gezeigt, dass für die Analyse von Wortbedeutung in der verbalen Interaktion sowohl Grammatik und Intonation als auch der Kontext und die Handlungs- ebene relevant sind (Ochs/Schegloff/Thompson 1996, Egbert 1996, Uhmann 1998, Auer/Couper-Kuhlen/Müller 1999, Gohl/Günthner 2001, Günthner 2000, Mazeland/Huisken 2001, Sorjonen 2001, Deppermann/Spranz-Fogasy 2002).3 Die Gemeinsamkeit dieser Forschungen besteht darin, mittels einer empirischen Analyse von authentischen Interaktionsdaten zu neuen Erkennt- nissen der untersuchten Lexeme zu gelangen. Beispielsweise weist Günthner (2000) eine bisher unbekannte Bedeutung von obwohl auf, welches als lexikali- sches Mittel zur Initiierung einer Selbstreparatur eingesetzt werden kann. In einer Studie über Initiierungen von Fremdreparaturen stellt Egbert (1996) einen Zusammenhang zwischen der Verwendung von bitte? und dem Fehlen von gegenseitigem Blickkontakt zwischen Sprecher und Adressaten fest. Zur Grammatikalisierung von weil erforschten Wegener (1993) und Uhmann (1996, 1998) den Zusammenhang von Verbstellungsvariation und lexikalischer Bedeu- tung.

Im Rahmen des theoretischen Ansatzes der Interaktionalen Linguistik befasst sich die vorliegende Studie mit der Bedeutungskonstitution des Wortes übrigens in deutschen Alltagsgesprächen.4 Hierbei wird spezifisch auf das Interface von 2 Zur theoretischen Verortung und Forschungsprogrammatik der Interaktionalen Linguistik, siehe Selting (2000) und Selting/Couper-Kuhlen (2000, 2001).

3 Weitere Richtungen der Gesprächsforschung, die sich mit Wortbedeutung beschäfti- gen, sind beispielsweise in Deppermann (2002) besprochen.

4 Die Unterscheidung verschiedener interaktioneller Kontexte, insbesondere der Unterteilung in Alltagsgespräche („everyday conversation") und institutioneller Interak- tion übernehme ich von Drew/Heritage (1992). Zu Alltagsgesprächen zählen demnach Interaktionen, in denen bekannte, befreundete oder verwandte Personen spontan miteinander sprechen, ohne dass eine/r von ihnen im Sinne eines Erwerbsverhältnisses partizipiert. Als institutionelle Interaktionen werden solche menschlichen Begegnungen angesehen, in denen zumindest ein Teilnehmer oder eine Teilnehmerin im Sinne eines Erwerbsverhältnisses während des Gesprächs agiert. Auf die Analyse von übrigens in verschiedenen Genres der Schriftsprache wird in dieser Arbeit nur am Rande eingegangen,

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Bedeutung, Syntax und Wortklasse eingegangen. Die Untersuchung basiert auf einer syntaktischen Analyse in verbaler Interaktion, in welcher überraschender- weise festgestellt wurde, dass übrigens empirisch vornehmlich im Mittelfeld des Verb-Zweit-Satzes positioniert wird (Egbert 2002). Die Ergebnisse zur Bedeu- tung, die in dieser Studie präsentiert werden, weichen von vorherigen linguisti- sehen Darstellungen ab, denn übrigens im Mittelfeld signalisiert nicht einen abrupten Themenwechsel, sondern stellt implizit einen Bezug zu einer vorheri- gen Sprachhandlung der Gesprächsteilnehmerinnen her. Ähnlich wie für weil (Uhmann 1998) und obwohl (Günthner 2000) ist für übrigens eine lexikalische Differenzierung festzustellen, für welche die syntaktischen Positionsvarianten maßgeblich sind. Angesichts dieser semantisch/lexikalischen und syntaktischen Variationen wird die Frage nach der Wortklassenbestimmung von übrigens im Mittelfeld aufgegriffen. Die Klassifizierung als Diskursmarker wird verworfen, da das syntaktische Merkmal der Erstpositionierung nicht zutrifft. Im Mittelfeld scheint übrigens sowohl formale als auch funktionale Charakteristika der Modalpartikeln zu teilen.

2. Zum Forschungsstand der Bedeutung und Funktion von übrigens

' . Js Hintergrund für die empirische Analyse fasse ich zunächst die relevanten

! rgebnisse bisheriger Forschung zusammen, soweit sie für die Bedeutungskon-

! :itution relevant sind.5

Die Bedeutung und Funktion von übrigens ist sowohl in Wörterbucheinträ- gen als auch in Forschungsberichten beschrieben, jedoch in letzteren zumeist Sjicht als Hauptgegenstand (Altmann 1981, Thim-Mabrey 1985, s. a. 1984,1988, Auer 1991, 1997, Schanen 1993). Übereinstimmend wird angenommen, die Bedeutung von übrigens sei zu signalisieren, dass ein neues Thema eingeleitet werde, welches eine Abwendung (Bruch oder Abschweifung) vom vorangegan- genen Thema herstelle und assoziativ ausgelöst werde (von Roncador/ Bublitz

es sei jedoch darauf verwiesen, dass eine vergleichende syntaktische Analyse von übrigens in einer Zeitung, einer Zeitschrift, in literarischen Texten und in Alltagsgesprächen deutliche Distributionsunterschiede zeigt, welche die Ergebnisse für ein Genre nicht ohne Weiteres auf ein anderes Genre übertragbar machen (Egbert 2002).

5 Allgemein beziehen sich die bisherigen Ergebnisse zu übrigens außer auf seine Bedeutung und Funktion auch auf seine syntaktischen Merkmale und seine Zugehörigkeit zur Wortklasse. Einen Überblick zum Forschungsstand der syntaktischen Merkmale gibt Egbert (2002), die Literatur zur Wortklasse wird in diesem Artikel im Anschluss an die Bedeutungsanalyse behandelt.

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1979:289, Altmann 1981:89, Thim-Mabrey 1985:92).6 Sollte ein Sprecher nach der Produktion von übrigens keinen Themenwechsel vornehmen, so werde eine negative Reaktion des Zuhörers wie folgt erwartet: „Ein übrigens in einem Diktum, das ganz beim Thema bleibt, wirkt zumindest irritierend" (Zifonun/

Hoffmann/ Strecker 1997:899). Das durch übrigens eingeleitete Thema sei eine Abschweifung, d. h. es sei dem Hauptthema untergeordnet und verließe es nur kurzzeitig (von Roncador/ Bublitz 1979), bzw. habe „den Status einer Randbe- merkung" (Zifonun etal. 1997:899). Ahnlich äußert sich auch das Duden Bedeutungswörterbuch (1985):

„übrigens < Adverb): um noch etwas hinzuzufügen, nebenbei bemerkt: u.

könntest du mir noch einen Gefallen tun; das Buch hatte er ü. vergessen.

sinnv.: apropos, nebenbei [bemerkt], notabene, was ich noch sagen wollte, im übrigen; t außerdem."

Diese Bedeutungsbeschreibung differenziert weder nach geschriebener und gesprochener Sprache noch nach Genres, wie beispielsweise Zeitungstexte versus literarische Texte oder Alltagsgespräche versus institutionelle Interak- tion. Ebensowenig wird eine Bedeutungsunterscheidung nach Wortstellungsva- jj rianten erwogen. Eine etwas differenziertere Beschreibung von übrigens findet J

sich in Helbigs „Lexikon deutscher Partikeln" (1988). Heibig weist daraufhin, dass „selbst unter Linguisten heute noch nicht einhellig und endgültig geklärt [ist], was man unter den Partikeln versteht, welche Klassen man zu unterschei- den hat, welche Funktionen sie haben und wie sie zu beschreiben sind."

(1988:5). Mit dieser Einschränkung notiert er folgenden Eintrag zu übrigens, in den eine Spezifikation nach Kontext (institutionell gebundenen performativen Akten) einfließt (1988:225).

übrigens (Abtönungspartikel)

1. in Aussagesätzen und Fragesätzen; unbetont; erststellenfahig 2. Markiert eine Abschwächung und signalisiert, daß das Folgende in

bezug auf das Hauptthema von minderem Gewicht ist, daß der Themenwechsel als Abschweifung zu verstehen ist (und als solche gerechtfertigt wird) und daß eine Rückkehr zum vorhergehenden Thema oder zum Hauptthema beabsichtigt ist.

3. Ich habe übrigens erfahren, daß er seine Stelle wechselt.

Hast du übrigens erfahren, daß er seine Stelle wechselt?

Wann hast du übrigens erfahren, daß er seine Stelle wechselt?

6 Dem englischen by the way wird eine ähnliche Funktion zugeschrieben wie dem deutschen übrigens. So postulieren Schegloff/Sacks (1973:319-320), dassein Sprecher bei einem unerwartbaren Bezug die Möglichkeit hat, Gesprächspartnerinnen durch einen

„misplacement marker" wie by the way vorzubereiten.

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Übrigens habe ich erfahren, daß er seine Stelle wechselt.

Er hat übrigens den Kunstpreis der Stadt erhalten.

Anmerkungen:

(1) übrigens ist auch abgesondert möglich:

Übrigens, hast du mir das Buch schon bezahlt?

Übrigens, wir wollen dich am Sonntag besuchen.

(2) übrigens ist nicht möglich in institutionell gebundenen performativen Akten, in Aufforderungen und in Ausrufen:

*Übrigens erkläre ich die Versammlung für eröffnet.

*Übrigens kauf mir das Buch!

*Übrigens ist das ein Wetter!

Zunächst möchte ich hervorheben, dass ich die Richtigkeit der hier genannten .Ergebnisse nicht generell in Frage stelle, diese Angaben treffen sicherlich für Schriftsprache und auch einige Genres der mündlichen Sprache zu, und sie erscheinen für die syntaktische Positionierung am Satzanfang plausibel. Jedoch summen diese Ergebnisse nicht mit der von mir untersuchten Datensammlung von Alltagsgesprächen überein, wo übrigens vornehmlich im Mittelfeld des

? erbzweit-Aussagesatzes positioniert wird.

Für die Analyse wurde ein Korpus von deutschen Alltagsgesprächen i ntersucht, das aus Videoaufnahmen von face-to-face Interaktionen und

* oidioaufnahmen von Telefongesprächen besteht. In insgesamt 25 Stunden Gesprächsdaten wurden 26 Belege von übrigens gefunden und nach GAT (Selting et al. 1997) transkribiert.

3. Eingrenzung des Forschungsgegenstandes auf Grund syntaktischer Merkmale

nk Die Bedeutung eines Wortes kann auch von seiner Stellung im Satz abhängen jji (Thim-Mabrey 1988, Auer 1997:64- 65, Günthner 2000). Beispielsweise ändert ,ri · sich die Bedeutung des Wortes obwohl, je nachdem ob es syntaktisch integriert ist jg oder nicht.

On the basis of an analysis of conversational data, I maintain that participants in everyday conversation use different 06w0A/-construc- tions for different discourse functions: whereas 0iw0/z/-constructions with sy n tactic Integration (final positioning of the finite verb) are mainly used to indicate a concessive relationship between two clauses, those i; with syntactic non-integration (second position of the finite verb) are -if used to restrict or even cancel the validity of a preceding utterance. I suggest that in the latter construction, obwohl has lost those grammati-

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cal features that idenüfy it äs a concessive subordinator. Instead obwohl assumes thc role of a discourse marker indicating an upcoming correction or disagreement (Günthner 2000:441).

Ein herausragendes syntaktisches Merkmal von übrigens ist, dass es in einer großen Vielzahl von Positionen im Satz auftreten kann. Hieraus ergibt sich die Frage, ob syntaktische Positionsvarianten mit semantischen Unterschieden einhergehen. Daher ist für die semantische Analyse von übrigens zunächst der syntaktische Hintergrund zu klären. Nach dem Sprachgefühl von Erstsprach- lerlnnen und z. T. empirisch belegt kann übrigens in allen Satztypen (V/l, V/2, V/L) und dort in einer Vielzahl von Positionen auftreten (Altmann 1981, Thim-Mabrey 1984,1985,1988, Auer 1991,1997, Schanen 1993, Egbert 2002).

Allein im Aussagesatz sind folgende Stellungen möglich: Im Vor-Vorfeld bei einfacher Besetzung, im Vor-Vorfeld bei doppelter Besetzung, im Vorfeld als Hauptbesetzung, zwischen Erstglied und finitem Verb, im Mittelfeld und im Nachfeld. Außerdem kann es verschiedene Arten von Appositionen einleiten, z.B. eine appositive Nominalphrase, ein appositives Adjektiv, ein appositives Partizip oder eine appositive Nominalphrase mit Genitivattribut. Auch in der Mitte und am Ende einer Apposition kann übrigens stehen. Weiterhin kann es als kriterialer Zusatz beim Freien Thema einleitend eingesetzt werden, in sogenann- ten Ellipsen vorkommen oder nach seiner Produktion im Nachhinein zitiert oder im Rahmen einer Selbstkorrektur repariert werden.

Im Gegensatz zu diesen vielfaltigen Positionierungsmöglichkeiten ist eine eindeutige syntaktische Hauptposition von übrigens in Alltagsgesprächen festzustellen: Im untersuchten Korpus tritt es zu 92 % in V/2-Sätzen auf, zu 4 % in einer Apposition und zu 4 % in einer Reparatur. Innerhalb von V/2-Sätzen nimmt übrigens zu 90 % das Mittelfeld ein, zu 5 % das Vor-Vorfeld und zu 5 % das Nachfeld (Egbert 2002). Da die quantitative Distribution in den Alltags- gesprächen so eindeutig ist und da zu wenige Belege für andere Positionierungen vorliegen, kann diese Arbeit keinen Vergleich zwischen der Bedeutung von übrigens in verschiedenen Stellungsvarianten in Alltagsgesprächen vornehmen, d.h. die Analyseergebnisse zur Semantik von übrigens beziehen sich ausschließ- lich auf seine Hauptposition im Mittelfeld des V/2-Satzes.

4. Analyse

In den einschlägigen Arbeiten wird einhellig postuliert, übrigens signalisiere einen abrupten Themenwechsel oder eine Abschweifung. Daher ist die Themen- und Sequenzentwicklung von übrigens in Alltagsgesprächen Ausgangspunkt der Analyse unter der Fragestellung: 1. Wie ist das Verhältnis von übrigens zum bereits bestehenden Thema? 2. Was ist der mögliche Auslöser für das übrigens- Thema? 3. Wie wird das übrigens-Thtma fortgeführt? Da in keinem dieser

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Bereiche ein einheitliches Muster festzustellen ist, ergibt sich die Frage, ob ein anderer Faktor eine Rolle spielt. Eine genauere Analyse des größeren vorange- gangenen Kontextes erbringt Hinweise, dass übrigens eine inhaltliche Verbin- dung zu etwas vorher Gesagtem herstellt, das im selben Gespräch, aber auch in einer vorangegangenen Interaktion angesprochen wurde. Somit scheint übrigens die Relevanz von gemeinsamem Vorwissen der Gesprächsteilnehmerinnen zu indizieren.

4.1 Thematische Beziehung zwischen übrigens-Satz und Vorgängerthema In der linguistischen Forschung besteht Konsensus darin, übrigens ermögliche einen Themenwechsel, der assoziativ ausgelöst werde (von Roncador/ Bublitz 1979:289, Altmann 1981:89, Thim-Mabrey 1985:92).7 Dieses wird mit Belegen

«aus Schriftsprache, aus Gesprächen und mit erfundenen Beispielen dokumen- tiert. Die Analyse in dieser Studie kann diese Ergebnisse für übrigens im Mittelfeld in Alltagsgesprächen nicht bestätigen. Vielmehr zeichnen sich vier Möglichkeiten der Themenentwicklung ab, welche nun jeweils mit einem patenbeleg dargestellt werden.

In solchen Fällen, in denen übrigens ein neues Thema einleitet, geschieht ( ieses nicht abrupt, sondern an einer Stelle im Gespräch, an der das vorher

•Jl sstehende Thema im Begriff ist zu versanden. In solchen Fällen erscheint der '·· hemenwechsel nicht disjunktiv und wird von den Gesprächsteilnehmerlnnen th ereitwillig aufgenommen und weitergeführt. Häufig befinden sich im situativen

"Kontext und in nonvokalen Handlungen bereits Anzeichen für ein Auslaufen

vdes bestehenden Themas, wobei die Umgebung einen Anlass zum Themenwech- sel bietet, es stellt also eine durchaus „normale" Begebenheit dar (Bergmann 1990).

Der folgende Gesprächsausschnitt stammt aus einer Videoaufnahme von einem Kaffeetrinken mit vier Teilnehmerinnen. Martha und Hans erzählen über die Organisation eines Kirchenfestes. Die übrigens-Äußerung (Zeile 28-30) bezieht sich auf eine Kaffeemaschine, die auf dem Kaffeetisch steht, an welchem die Gesprächsteilnehmerinnen sitzen.

7 In Alltagsgesprächen entwickelt sich ein Thema zumeist schrittweise („step-wise topic shift", „topic shading"), d. h. eine Themenveränderung erfolgt graduell (Sacks Lectures, 19. Februar 1971, Jefferson 1984, Button/Casey 1984). Wenn ein Thema abrupt gewechselt wird, kann dieses durch einen Diskursmarker signalisiert werden. Themen Wechsel ist auch sensitiv für die Gegenstände und Ereignisse in der physischen Umgebung der Gesprächs- teilnehmerinnen (Bergmann 1990).

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(la) „Kaffeemaschine" (GAN) 01 Martha: u:nddie: ehm:

0203 Hans:

(0.8) [(alle) neulich beim pfarrfest [neulich beim pfarrfest

Martha: [geholfn habm papa hatte auch- (0. 5)

[ \ Kaffeemaschine fängt an zu blubbern 04 Hans:

05 Martha:

06 07

08 Bärbel:

09 10

11 Martha:

1213 14

15 Bärbel:

16 Hans:

17

18 Bärbel:

19 20 21

22 Hans:

23 Martha:

24

25 Martha:

26 27

28 Niko:

29 30

[all die geholfn ham

«p>zweimal (hin und her) am tAch gefahrn mit unserm auto und anhänger

um alles ranzuschleppen und wieder ausnanderzutra[gn. >

[[hAbt ihr den anhänger jetz?

(0.5)

«p>nein>

«p>den anhänger ham wir nich>

«p>vor allem die KÜPPlung war da in dem mom(h)ent wicht (h) ig. >

wo steht n der?

bei schnieders.

mit schnieders zusammn. ; ihr habt den doch zusammen gebAUt. = il l zusAmmen gebaut \\ f

«p>oder, > ((Lächelstimme)) zuSAMMN zuSAMMengebaui >·

[eh he he he: [.hhh j

[ja [

[[mhm

·'· ! ( 0 . 7 )

| Hans, Niko und Bärbel wenden nacheinander ihren Blick zur Kaffeemaschine

kuck.

| Martha wendet Bli ck zur Kaffeemaschine ah ja.

(1.0)

DAfür i s übrigens auch die ÖPFnung

«p>damit das: nich ho: chgeht das dingn>

Hans hatte bei der Organisation des Kirchenfestes geholfen, indem er mit seinem Auto und einem Anhänger Material transportierte (Zeile 5-7). Bärbel greift das thematische Element „Anhänger" auf (Zeile 8-9), das bis Zeile 20 fortgeführt wird, dann aber erschöpft zu sein scheint, da keine neuen Gesprächsbeiträge folgen (Gesprächslücken in Zeile 24, 27). Während dieser Stockungen richten die Gesprächsteilnehmerinnen nach und nach ihre Blicke auf die Kaffeemaschi- ne, die auf dem Kaffeetisch steht und bereits deutlich vorher (Zeile 3) anfing, Aufbrühgeräusche von sich zu geben. Nachdem alle Blicke der Kaffeemaschine zugewendet sind (Zeile 24,25) und eine längere Pause entstanden ist, produziert

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Niko die übrigens-Äußsmng. Diese Äußerung bezieht sich auf eine besondere Mechanik der Kaffeemaschine, die das heiße Wasser zunächst in einem Behälter sammelt, um es dann nicht tropfenweise, sondern in einem Schwall durch eine Öffnung auf das Kaffeemehl zu gießen.

Dieser Gesprächsausschnitt zeigt, dass der übrigens-Satz einerseits keine thematische Fortführung des Vorgängerthemas leistet, andererseits haben die Gesprächsteünehmerlnnen mehrere Möglichkeiten zur weiteren thematischen Entwicklung des Vorgängerthemas verstreichen lassen, und das Gespräch droht zu .versickern. Die Rolle der Kaffeemaschine ist insofern relevant, als das Blubbergeräusch nicht „irgendwann" thematisiert wird, sondern in Relation zum Versanden des Vorgängerthemas. Bereits in Zeile 3 beginnen die Geräusche, aber erst in Zeile 28 wird dieses thematisiert. Vor dem Themenwechsel wenden alle Teilnehmerinnen ihren Blick zur Kaffeemaschine, d.h. sie orientieren sich nicht mehr aneinander, denn Zuhörerschaft wird normalerweise durch Blick-

fkontakt zum gegenwärtigen Sprecher signalisiert (Goodwin 1980, 1981, 1984).

So zeigen sie auch durch ihre nonvokale Abwendung voneinander ein Desinte- resse an der Fortführung des Themas. Die Platzierung einer wftngms-Äußerung bei einem momentanen Stillstand des Gesprächsflusses ist in vielen Fällen ianzutreffen, seltener sind die folgenden drei Möglichkeiten der Themenentwick-

, Ein „wirklich" abrupter Themenwechsel in einem Redebeitrag mit übrigens

; it im folgenden Datensegment zu beobachten, hier wird der Themenwechsel

t jdoch durch das einleitende „also mir is heute ja eingefalln," projiziert. Gitte -nd Uwe (ein junges verliebtes Paar) telefonieren bereits eine Weile und sprechen a. a. über ein Fernsehprogramm mit dem Sänger Prince.

v

(2) „Anzug" (Telefonat Gitte und Uwe 6) ( (über Fernsehprogramm) )

01 Uwe: the very best of prlnce.

02 y: : : es ! 03 (0.7)

04 Gitte: . hhhhhhh ehm mja 05 (0.5)

06 Uwe: so: .

07 un wie machn wer s mOrgen?

08 (1.0)

09 Uwe: also mir is heute ja eingefalln, (0. 5)

• -> 10 ich hab den anzug heute übrigens abgeholt —

Gitte scheint Uwes Begeisterung für den Sänger Prince nicht zu teilen (Zeile 4).

Hierauf stellt Uwe eine Frage zur gemeinsamen Planung für den morgigen Tag (Zeile 7), erhält aber eine Sekunde lang keine Antwort (Zeile 8). Uwe ergreift erneut den Turn und projiziert zu Anfang der Äußerung ein neues Thema, stockt

(10)

und leitet ein anderes neues Thema ein, indem er seiner Freundin mitteilt „ich hab den anzug heute übrigens abgeholt -" (Zeile 10). Hier nimmt der Sprecher des übrigens-Satzes innerhalb seiner eigenen Äußerung einen abrupten Themen- wechsel vor. Wie in Muster l ist auch hier festzustellen, dass vor der übrigens-ÄuRerung das Gespräch ins Stocken gerät und auch die übrigens- Äußerung nicht ganz flüssig produziert wird. Gitte signalisiert weder Überein- stimmung mit Uwes Einschätzung zum Sänger Prince noch greift sie Uwes Frage nach dem morgigen Tag auf. Die Tatsache, dass Uwes Themenwechsel bereits projiziert und eingeleitet ist, bevor übrigens positioniert wird, weist daraufhin, dass übrigens eine andere Bedeutung zukommt als den Themenwechsel zu signalisieren. Ein weiteres Beispiel für einen abrupten Themenwechsel eines w^ngms-Satzes, der durch ein satzinitiales Element projiziert wird, findet sich in Beispiel 5 (s. u.).

Im Unterschied zu Muster l und 2 kann ein übrigens-Satz auch kompetitiv zum Vorgängerthema platziert werden, wie im nächsten Gesprächsausschnitt.

Obwohl Bärbel sowie zwei weitere Gesprächsteilnehmerinnen großes Interesse daran zeigen, weiterhin über überfüllte Arztpraxen zu sprechen, führt Hans mit der worigms-Äußerung das Thema weg von Arztpraxen, indem er berichtet, dass er mit dem Zahnarzt Dr. Brun Tennis spielt. Das Vorgängerthema wird fortgeführt, jedoch gelingt es Hans, Anna für ein Parallelgespräch zu gewinnen.

Somit mündet Hans Versuch, einen Themenwechsel einzuführen, in einen Schismus („schismingu), d. h. der Aufsplittung eines Gesprächs in zwei Parallel- gespräche (Sacks/ Schegloff/ Jefferson 1974, Egbert 1993,1997). Die GleichzeU tigkeit der beiden Parallelgespräche ist im Transkript durch einen Längsstrich (ab Zeile 7) repräsentiert.

(3) „Doktor" (DAA)

01 Bärbel: warum stelin die denn nich noch jemand Ein?

02 wenn die [so viel zu tun ha"bm

-» 03 Hans: [mit doktor [brun spiel ich übrigens[

| H wendet Bli ck zu A

\ A und P wenden Bli ck zu H

04 Tini: [.hhh ja die sachten das[

| T blickt zu A und dann zu B 05 Hans: [zusammen immer TENnis.

06 Tini: [Sprechzimmer da das macht auch[ 07 Tini: meistens fr au bernhardt

08 selber die die 09 lecht dann einfach 10 den hörer danebn . . .

Anna: ja? (wer verliert denn) Hans: .hhh nee. eh also

eh also wir spieln aufm Addern platz. . . .

Von diesem Muster liegt lediglich ein Beispiel in dem untersuchten Korpus vor.

(11)

Ein viertes Muster der thematischen Beziehung zwischen der übrigens- Äußerung und dem vorherigen Kontext besteht darin, dass in einigen Fällen in der untersuchten Datensammlung die wör/gew-Äußerung das bereits bestehen- de Thema fortführt und so in klarem Widerspruch zur allgemein postulierten Bedeutung von übrigens steht. Der folgende Ausschnitt aus einer Videoaufnah- me eines Abendessens mit insgesamt neun Gesprächsteilnehmerinnen exemplifi- ziert dieses Phänomen. Klaus und Tini zeigen ein Fotoalbum von ihrer Reise durch den Westen der USA. Nachdem sie über verschiedene Stationen ihrer Kalifornienreise erzählt haben, kommt es zu der folgenden graduellen Themen- entwicklung mit übrigens.

(4) „Laguna Beach" (DAA2)

01 Klaus: [das i s in: laguna "beach.

02 Tini: [das i s in: : : : : : : laguna beach.[ -» 03 Tini: DAS war übrigens [sehr schön da.

04 Klaus: [ ( m )[

05 Klaus: «all> ja das inuss man [sagen> wenig los

06 Tini: [das war ga: nz schön teuer.[ 07 Tini: echt!

> 08 da harn wir auch n ga: : nz super hotel gehabt 09 so diREKT am strand.

10 das war: wirklich . . .

((spricht weiter über das Hotel und dann über das amerikanische Frühstück))

Hier wird eindeutig das bestehende Thema fortgeführt, es findet also kein abrupter Themenwechsel statt. Ebensowenig ist ein Versanden des Vorgänger- themas festzustellen.

Halten wir somit fest, dass der thematische Zusammenhang zwischen der übrigens-Äußenmgund dem Thema des unmittelbar vorhergehenden Kontextes sehr uneinheitlich ist. In vielen Fällen führt übrigens zwar einen Themenwechsel ein, dies geschieht jedoch an einer Stelle, an der das vorherige Thema erschöpft ist, im Begriff ist zu versanden oder zumindest potenziell beendet ist. Selten führt übrigens einen abrupten Themenwechsel innerhalb der Äußerung desselben Sprechers ein oder entwickelt ein Thema kompetitiv zum bestehenden Thema.

In einigen Fällen führt der übrigens-Satz sogar das bereits bestehende Thema fort, ohne dass dies zu Störungen führt. Generell kann die Bedeutung und Funktion von übrigens also nicht eindeutig aus dem unmittelbar vorangegange- nen thematischen Kontext bestimmt werden. In den Fällen, in denen übrigens einen Themenwechsel einleitet, ist häufig, jedoch nicht immer, ein Auslöser in der unmittelbaren Umgebung zu finden. Insofern stößt die Annahme, ein durch übrigens eingeleiteter Themenwechsel werde „assoziativ" ausgelöst, auf for-

(12)

schungsmethodischc Schwierigkeiten, denn als ein mentaler Prozess ist Assoziie- ren nicht der direkten Beobachtung zugänglich.

4.2 Themeneniwicklung nach übrigens

Auch die Analyse der Themenentwicklung nach übrigens ergibt kein einheitli- ches Bild. In den Fällen, in denen übrigens ein neues Thema einleitet, bestehen mehrere Möglichkeiten. Meistens wird das neue Thema weitergeführt, wobei es im Vergleich zum Vorgängerthema z. T. länger und z. T. kürzer aufrechterhalten wird. Insofern ist kein Muster einer „Abschweifung" festzustellen. Als Beleg für eine eindeutige Themenfortführung nach übrigens sei der folgende Gesprächs- ausschnitt „Kaffeemaschine" angeführt. Die diesem Fragment vorausgehende Gesprächsentwicklung wurde oben (s. l a) behandelt.

(lb) Fortsetzung von „Kaffeemaschine" (GAN)

((über Kaffeemaschine, die auf dem Tisch steht und angefangen hat, Aufbrühgeräusche von sich zu geben))

-> 28 Niko: DAfür i s übrigens auch die ÖiTnung 29 «p> damit das: nich ho: chgeht 30 das dingn>

31 da harn wir so drAusgedrückt ebm ne, 32 (das) [geht nich zu.

33 Martha: [. hh ich hab HIER[ 34 [DA da denk ich

35 Niko: [ja: genau.[

36 Martha: ach das muss [ ja eintlich ZU.

37 Niko: [hähähä . hh hh[

38 Niko: mhm=

39 Martha: =nech?

40 ( 2 . 0 )

41 Hans: . hhh könnte man aber auch noch Anders machn 42 dass . . .

((humorvolles Fachsimpeln über die Entwicklung von weiteren technischen Details für die Kaffeemaschine))

Das übrigens-Thema, wird für insgesamt 45 Sekunden bzw. 40 Transkriptzeilen aufrecht erhalten, danach kommt Martha auf ein Thema zurück, das ca. 5 Minuten vorher im Gespräch war, d.h. das Vorgängerthema zu übrigens wird nicht wieder aufgegriffen. Weder dieser Gesprächsausschnitt noch andere Belege aus dem hier untersuchten übrigens-Korpus können also die von Roncador/

Bublitz (1979) berichteten Ergebnisse für Alltagsgespräche bestätigen, mit

(13)

übrigens werde eine „Abschweifung" eingeleitet, nach der die Gesprächsteilneh- merinnen auf das vorherige „Hauptthema*' zurückkämen.

Zusammenfassend für diesen Analyseschritt ist festzuhalten, dass weder der thematische Kontext vor noch nach der w6ngew,s-Äußerung ein einheitliches Muster erkennen lässt. Auch die Dauer des w6rige/w-Themas ist in der untersuchten Datensammlung sehr unterschiedlich. Im Vergleich zum Vorthema kann es länger oder kürzer aufrechterhalten werden, eine „Abschweifung" ist also nicht die Regel. In der untersuchten Datenbasis ist somit kein systemati- scher Zusammenhang zwischen Themenwechsel und dem Vorkommen von übrigens festzustellen.

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, dass diese Ergebnisse für übrigens im syntaktischen Mittelfeld von Aussagesätzen in Alltagsgesprächen gelten. Eine solche Positionierung wäre relativ kontraproduktiv, sollte übrigens als „mis- placement marker" dienen, der einen abrupten Themenwechsel oder eine Abschweifung einleitet, denn es wäre logischer, Rezipientlnnen so früh wie möglich daraufhinzuweisen, wenn sich die betreffende Äußerung nicht auf die Vorgängeräußerung bezieht. Dieses ist auch in zwei w6rige/w-Äußerungen der Fall, in denen in satzinitialer Position ein Themenwechsel angekündigt wird,

!; allerdings gerade nicht durch übrigens, sondern durch andere Ausdrücke. In 1 Seleg (5) ist das Vorfeld durch ach besetzt, in Beleg (2) durch also mir is heute ja

'ingefalln,.

(5) „fahrrad" (Nachricht auf Telefonanrufbeantworter) 01 Theresa: ja: hallo marla

02 hier is theresa

02 . hh ehm ich Versuchs vielleicht noch ma: l aner uni = 03 du ich glaube dienstag is ja dein Uni tag

04 .hhansonstn: probier ichs später noch ma.

05 bis dann:

06 tschau=

-* 07 .h ach mit dem fahrrad hab ich übrigens glaub ich -> 08 ne ganz gute lösung gefundn

(2) „Anzug" (Telefonat (ritte und Uwe 6) 06 Uwe: so: .

07 un wie machn wer s mOrgen?

08 (1.0)

-» 09 also wir is heute ja, eingefalln, (0.5) -* 10 ich hab den anzug heute übrigens abgeholt —

Somit drängt sich die Frage auf, ob andere Faktoren für die Bedeutung von übrigens im Mittelfeld eine Rolle spielen. Dieses ist Gegenstand des nächsten Abschnittes.

(14)

4 J Aktivierung gemeinsamen Vorwissens durch übrigens

In diesem Analyseschritt führe ich Indizien für die zentrale These dieser Studie an, dass übrigens im Mittelfeld einen Bezug zu einer vorherigen sprachlichen Handlung herstellt. Dazu möchte ich zunächst kurz über die Entstehung dieser These berichten. Den Anstoß erhielt ich durch eine Beobachtung von Paul ten Have, der mir Transkripte von holländischen Interviewdaten aus einem von ihm und Harrie Mazeland transkribierten Korpus mit Vorkommen von overigens und trouwens zuschickte. Diese Lexeme werden in zweisprachigen Wörterbü- chern mit dem deutschen übrigens übersetzt. In diesen Daten, so ten Haves Beobachtung, scheint sich der Sprecher in einigen overigens- oder trouwens·

Sätzen dafür zu entschuldigen, dass er auf ein Thema zurückkommt, welches er bereits früher im Interview behandelt hatte. So entstand die Frage, ob sich übrigens auf eine sprachliche Handlung früher im Gespräch bezieht. Daraufhin untersuchte ich für alle w&ngmy-Belege die gesamten Aufnahmen daraufhin, ob irgendwann vorher das Thema der übrigens-Än&erung bereits im Gespräch eingeführt worden war. In einigen Fällen wurde ich fündig, in anderen nicht. Als ein Beispiel für eine Referenz im selben Gespräch möchte ich auf das bereits bekannte Datensegment „Kaffeemaschine" (vgl. l a, l b oben) zurückkommen, in welchem die Gesprächsteilnehmerinnen über eine Kaffeemaschine sprechen, die auf dem Kaffeetisch steht und anfangt, Aufbrühgeräusche zu produzieren.

Ca. 20 Minuten vor der Thematisierung dieser Geräusche hatte Niko die Maschine auf den Tisch gestellt und ihre besondere Technik erklärt. Ein Ausschnitt aus der frühesten Thematisierung dieser Kaffeemaschine erklärt ihre besondere Technik.

( l c ) „Kaffeemaschine" GAU

01 Martha: ja nee ich hab diese f o: rm noch nie gesehn 02 find ich schon ganz intereSSAN[T.

03 Niko: [mhm.[

04 tz . hh ja das is so ne kanne

05 die funktioniert nich nach dem normaln 06 kaffeeautomatenprinzip

07 (. ) wo immer son bisschn reintropft- (. ) 08 in den kaf f ee

09 undann durchfließt 10 sondern die gießt auf=

11 also die kocht das ga: nze wasser hier obm bis es 12 blubbert

13 und macht dann die tür auf 14 undann fällt Alles durch.

15 (. ) so wie aufgegossen früher

16 [darum schmeckt der kaffee nach aufgegossen

(15)

17 Martha: [ja ja

18 Niko: un nich nach maschinenkaffee.

19 weil leute könn das unterscheide 20 ich nich aber . . .

Wie lassen sich jedoch die Vorkommen von übrigens erklären, in denen keine Bezugnahmen im selben Gespräch vorliegen? Mehrere „Zufalle" brachten mich darauf, dass die Referenzäußerung sogar noch früher als im selben Gespräch liegen könnte. Ein Indiz lieferte mir folgende Nachricht auf meinem Anruf- , beantworter, aus welchem oben bereits ein Abschnitt angeführt wurde. Eine Kollegin hatte beim gemeinsamen Essen am Abend vor dieser Nachricht erzählt, sie habe ein Problem, wo sie während der Auflösung eines Zweitwohnsitzes ihr Fahrrad unterstellen solle. Auf dieses Problem bezieht sie sich im übrigens-Satz in ihrer Nachricht.

* (5) „fahrrad" (Nachricht auf Telefonanrufbeantworter) ) - 01 ja: hallo marla

02 hier is theresa

02 . hh ehm ich Versuchs vielleicht noch ma: l aner uni = 03 du ich glaube dienstag is ja dein Uni tag

04 . hh ansonstn: probier ichs später noch ma.

05 bis dann:

! 06 tschau=

j-»· 07 .h ach mit dem fahrrad hab ich übrigens glaub ich + 08 ne ganz gute lösung gefundn

09 . hh ehm erzähl ich dir aber 10 Also

11 bis dann 12 tschau.

Zwar handelt es sich hier nicht um eine direkte Interaktion, dennoch gibt diese Begebenheit einen Hinweis darauf, dass übrigens rückverweisende Funktion auf eine sprachliche Handlung in einer gemeinsamen Interaktion hat, diese Hand- lung aber nicht notwendigerweise im selben Gespräch liegen muss, sondern auch weiter zurück liegen kann.

Ein weiterer Beleg, der allerdings auf Introspektion beruht, ist das Datenseg- ment „Laguna Beach" (Nr. 4 oben), in welchem ich selbst Gesprächsteilnehme- rin war. Dieser Gesprächsausschnitt ist mir in besonderer Erinnerung, weil ich Klaus, den Bruder meines Schwagers und seine Frau Tini, nur selten treffe, typischerweise bei Familienfeiern oder bei meiner Schwester, wie an dem Abend, an dem sie von ihrer Kalifornienreise erzählen. Während ihrer Reise hatte ich sie in Los Angeles getroffen, wo ich damals lebte. Ich hatte ihnen als Ausgleichpro- gramm für den Großstadtstress empfohlen, einen meiner Lieblingsorte - Laguna Beach - zu besuchen. Zwischen dieser; Reise und dem Abendessen liegen ein halbes Jahr, während dessen ich die beiden nicht mehr gesehen hatte. Wenn

(16)

meine Erinnerungen korrekt sind, wäre dieses ein Hinweis darauf, dass sich Tinis iibrigoHS'Salz auf unser letztes gemeinsames Gespräch bezieht. Selbstver- ständlich hat diese Erinnerung nur anekdotenhaften Wert, als Teil des größeren Puzzles erscheint sie jedoch dienlich.

Ein weiterer Hinweis ist in den beiden folgenden Gesprächsausschnitten zu finden:

(6) (Telefonat S&Clc)

01 . hhh du bis übrigens online

02 wollt ich grad «p> nur noch ma ebm sä: gn. >

(7) (Telefonat AG)

01 ich lasse übrigens das (. ) das band mitlaufen

In diesen beiden Telefonaten weist die Sprecherin die Zuhörerin daraufhin, dass das Gespräch mitgeschnitten wird. Da die Erlaubnis zur Aufnahme vor allen mitgeschnittenen Gesprächen eingeholt wurde, erinnern die Sprecherinnen dieser Sätze ihre Gesprächspartner an eine frühere Abmachung.

Es stellt sich somit die Aufgabe, wie diese forschungsmethodisch unzulängli- che Indiziensammlung durch eine fundiertere Herangehensweise substantiert werden kann. Wie ist eindeutig festzustellen, ob übrigens einen Bezug zu einer früheren Begebenheit der Gesprächsteilnehmerinnen herstellt? Dazu sind drei Lösungen vorstellbar. Erstens könnten Gespräche untersucht werden, in denen sich die Teilnehmerinnen vorher nicht kennen. Sollte in einem solchen Gespräch übrigens vorkommen, müsste das durch übrigens eingeleitete Thema bereits vorher im Gespräch behandelt worden sein. Solche Gespräche kommen in Alltagsgesprächen relativ selten vor und mir sind keine Beispiele für Gespräche dieser Art in den einschlägigen Korpora bekannt. Eine andere Möglichkeit wäre, Interviewdaten zu untersuchen. Dazu müssten dann auch Vorgespräche, in denen die Interviews arrangiert werden, zur Verfügung stehen. Hier wäre außerdem zu berücksichtigen, dass das Genre eine Rolle spielen kann und die Ergebnisse aus Interviewdaten nicht notwendigerweise auch für Alltagsgesprä- che gelten. Ein dritter Weg könnte darin bestehen, alle Gespräche einer kleinen Gruppe von Menschen über einen längeren Zeitraum aufzuzeichnen. Dieses ist sehr aufwändig, weiterhin besteht die Gefahr, dass sich ein durch übrigens eingeleitetes Thema auch auf eine Begebenheit vor dem Aufnahmebeginn beziehen könnte. Hiermit hängt auch die Forschungsfrage zusammen, ob übrigens sich nur auf das letzte vorhergehende Gespräch bezieht oder ob auch mehrere Gespräche dazwischen liegen können. Das beschriebene forschungsme- thodische Dilemma lässt sich zwar momentan nicht zufriedenstellend lösen, dennoch sei ein aussagekräftiger Beleg für die Rückverweisung von übrigens auf ein früheres Gespräch hier angeführt.

(17)

Teil der Datensammlung ist eine Serie von sechs Telefongespräehen und einer Nachricht auf dem Anrufbeantworter innerhalb weniger Tage zwischen Gitte und Uwe, einem jungen Liebespaar. Im sechsten Telefonat dieser Serie bezieht sich Uwe in einer übrigens-Äußtrung auf eine Frage von Gitte aus ihrem zweiten Telefonat. Zunächst sei der Gesprächsausschnitt mit der übrigens-Äuüerung (Zeile 10) angeführt, der bereits weiter oben unter anderen Analyseaspekten besprochen wurde.

(2) „Anzug" (Telefonat Gitte und Uwe 6) ((über Fernsehprogramm))

01 Uwe: the very best of prlnce.

02 y: : : es!

03 ( 0 . 7 )

04 Gitte: .hhhhhhh ehmmja 05 (0.5)

06 Uwe: so: .

07 un wie machn wer s mOrgen?

; 08 ( 1 - 0 )

: 09 Uwe: also mir is heute ja eingefalln, (0. 5)

* 10 ich hab den anzug heute übrigens abgeholt —

leim Überprüfen aller sechs Telefonate zum Thema „Anzug abholen" erwies ich das zweite Telefonat als relevant. Der Anlass für den Anruf besteht darin, ass Gitte ihren Freund daran erinnern möchte, sein ausgeliehenes Sakko von

1 Deinem Freund abzuholen (Zeile 16-18). Uwe reagiert darauf, indem er einiges (/Ulfhebens um Gittes Aufmerksamkeit macht und mit sehr großer Zärtlichkeit

in der Stimme spricht.

(8) „sakko" (Telefonat Gitte und Uwe 2) 01 ((Klingelzeichen))

02 Uwe: ja hallO=

03 hier is uwe?

04 Gitte: h e : : y u w e : : : [he he

05 Uwe: [ ((Lächelstimme)) HAllo[ 06 Gitte: hallo

07 was machstn du grad, =. hh

08 Uwe: du ich bin hier grade bei f rAnk aufgelaufn 09 [o* also besser gesagt ebm bei frank 10 Gitte: [.hhb[

11 Uwe: weil ich ihm das mit der pArty morgn erzähln wollte da, 12 Gitte: ja:

13 Uwe: und heute abend 14 und dann hier:

15 fahr ich jetz nach HAUse.

(18)

-» 16 Oitte: nee

-* 17 m1 wa' was mir e' e: ingefalln is

-*· 18 ha has du dein sakko von mike schon abgeholt? . hh 19 Uwe: nee: ee

20 das zu' wollt ich für heute nachmittag oder gleich 21 irgndwann atoholn.

22 Gitte: inee

23 da wollt ich dich nur dran erinnern=

24 i s mir grad so in n köpf gegangn.

25 Uwe: da wolltes du mich nur dran erinnern?

| Lache 1s t i mme, hohe Stimmlage, zärtlicher Ton

Geklärt werden musste zunächst die Frage, ob sich „Anzug" und „Sakko" auf dasselbe Kleidungsstück beziehen, d.h. ob sich somit Uwes Mitteilung aus dem sechsten Gespräch tatsächlich auf Gittes Frage aus dem zweiten Gespräch bezieht. Da die Telefonate bereits kurze Zeit nach der Aufnahme zur Verfügung standen, bat ich die Studentin, die diese Datenaufnahme in ihrem Bekannten- kreis veranlasst hatte, die Gesprächsteilnehmerin diesbezüglich zu fragen. Das Ergebnis war eindeutig: mit „Anzug" war „Sakko" gemeint. Gitte erinnerte sich noch sehr gut an das Sakko, denn sie befürchtete, Mike, der es ausgeliehen hatte, würde das Sakko in seinen Kleidungsbestand integrieren.8 Diese Gesprächsserie enthält also einen Hinweis darauf, dass sich der Sprecher der worzgetts-Äußerung auf eine verbale Handlung in einem früheren Gespräch mit derselben Ge- sprächspartnerin bezieht.

4.4 Zur Wortklassenbestimmung von übrigens im Mittelfeld

Aus der Analyse der syntaktischen und pragmatischen Merkmale von übrigens im Mittelfeld des Verb-Zweit-Satzes ergibt sich die Frage nach seiner Wortklas- senzugehörigkeit. Die lange Tradition der Kategorisierung von Wörtern nach Wortarten hat eine kaum überschaubare Anzahl von Klassifizierungen hervor- gebracht, die sich je nach Grammatiktheorie und Kriterienkatalog stark unterscheiden. Selbst für eine intensiv erforschte Sprache wie das Deutsche

8 Folgende Beobachtung Jörg Bergmanns deutet auf einen weiteren Zusammenhang der übrigens-Äußerung mit der Referenzäußerung hin. Es werden zentrale Wörter wiederholt und außerdem wird in beiden Äußerung eine Selbstreparatur nach dem ersten Laut von „eingefallen" produziert.

Referenzäußerung:

Gitte: nee m' wa' was mir e' e:ingefalln is ha has du dein sakko von mike schon abgeholt, übrigens-Äußerung:

Uwe: also mir is heute ja e'ingefalln, (0.5) ich hab den anzug heute übrigens abgeholt,

(19)

besteht noch immer starke Heterogenität. Dieses erklärt die Vielfalt an Zuordnungen, die für das Lexem übrigens vorgenommen wurden. Die Palette enthält folgende Klassifizierungen, die jedoch mehr oder weniger explizit von einer initialen Positionierung von übrigens ausgehen:

lexikalisches Redemittel bzw. Partikel (von Roncador/ Bublitz 1979), Floskel zur Einleitung einer Apposition oder eines Freien Themas (Altmann 1981), Satzkonnektor bzw. Para-Konjunktion (Thim-Mab- rey 1984,1985), Adverb (Duden 1985), Konjunktionalglied (Griesbach 1986), Vor-Vorfeld-Ausdruck (Thim-Mabrey 1988), Abtönungspartikel (Heibig 1988, Burghardt 1994), Funktionswort, gehörend zu den Konnektoren der Diskurs- und/oder Textorganisation (Schanen 1993), Konnektor im Vor-Vorfeld (Eroms 1995:64), Adverbial (Auer 1997), Diskursorganisator (Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997:899) und kon- nektive Partikel (ibid.:1578). Das englische by the way wird als

„misplacement marker" bezeichnet (Schegloff/ Sacks 1973, Levinson 1983, Schegloff 1984).

Die in der Sprachwirklichkeit gefundenen Regularitäten des Lexems übrigens, rie bestehenden Wortklassenzuordnungen sowie die Kenntnis über einen 'usammenhang von syntaktischen Positionierungsvarianten und semantischen Jnterschieden fließen in die Überlegung ein, ob übrigens im Mittelfeld am j besten als „Partikel" oder als „Diskursmarker" zu klassifizieren ist. Eine

: Zuordnung zu den Diskursmarkern (Levinson 1983:87-88, Fräser 1996,

\ Jucker/ Ziv 1998, Günthner 2000) ist im Hinblick auf das syntaktische Merkmal

^der Mittelfeldpositionierung problematisch. Zwar werden Diskursmarker un- terschiedlich definiert (s. Überblick in Jucker/Ziv 1998:1), als herausragendes syntaktisches Merkmal wird jedoch zumeist die Positionierung am Anfang eines Satzes, Redezuges oder einer Turnkonstruktionseinheit postuliert.

Plausibler erscheint die Zuordnung zu den Modalpartikeln (hier synonym verwendet mit dem Terminus „Abtönungspartikeln"). Aus der sehr umfangrei- chen Literatur zu Partikeln fassen Zifonun et al. (1997:1206 ff.) eine Reihe von typischen formalen und funktionalen Merkmalen zusammen, aufgrund derer ich dafür plädiere, übrigens im Mittelfeld als Modalpartikel zu klassifizieren.

1. Viele Modalpartikeln weisen Homonymität mit Lexemen anderer Wort- klassen auf, insbesondere mit Konjunktoren, Gradpartikeln, Adverbien und Adjektiven. Werden Wörter dieser Art als Modalpartikeln verwendet, „unter- scheiden sie sich von ihren Homonymen z. T. formal, vor allem im Stellungsver- halten ..., insbesondere aber funktional" (Zifonun et al. 1997:1207). Wie die Analyse in der vorliegenden Studie zeigt, kann auch für übrigens im Mittelfeld angenommen werden, dass sein Homonym in satzinitialer Position ein Kon- junktor ist.

(20)

2. Als wichtiges syntaktisches Charakteristikum können Modalpartikeln

„nicht die erste Stelle im Satz einnehmen4* (Zifonun etaL 1997:1207). Dieses Merkmal von übrigens im Mittelfeld löst m. E. auch den Widerspruch auf, der bei einer Klassifizierung als Diskursmarker auftreten würde.

3. Als weitere Übereinstimmung mit Modalpartikeln kommt es bei übrigens im Mittelfeld nicht zur Phrasenbildung (ibid.).

4. Auf der Interaktionsebene trifft auf übrigens im Mittelfeld folgendes Merkmal vieler Modalpartikeln zu:

„Annäherungsweise und vorläufig sind sie als solche Ausdrücke be- l stimmbar, die es dem Sprecher ermöglichen, die Funktion bzw. den i Stellenwert einer Äußerung, einer kommunikativen Minimaleinheit in einem größeren Kommunikationszusammenhang deutlicher zu machen bzw. dem Rezipienten die Interpretation der betreffenden Äußerung im weiteren Kontext zu erleichtern. Das geschieht dadurch, daß Abtö- nungspartikeln Hinweise darauf geben können, wie die aktuelle Äuße- i rung auf Wissen der Gesprächspartner Bezug nimmt" (ibid.: 1207).

Die Übereinstimmung dieser Merkmale mit übrigens im Mittelfeld könnte·'*

• l

Anlass sein, die von Zifonon et al. vertretene Annahme zu revidieren, übrigens j gehöre nicht zur Funktionsklasse der Abtönungspartikeln und sei „in Erstposi- · \ tion und im Mittelfeld funktionsgleich" (ibid.:1209). j |

Abschließend ist festzuhalten, dass diese Argumente wahrscheinlich zu||f differenzieren sind, wenn Ergebnisse zur Funktion von übrigens in den anderen * Stellungsvarianten vorliegen. Hier wäre auch eine eingehende Analyse der * Intonation aufschlussreich. Während übrigens im Mittelfeld intonatorisch · vollständig integriert ist, erfolgt im einzigen mir vorliegenden Datenbeispiel mit satzinitialem übrigens ein deutliches Absetzen nach übrigens.

5. Schlussfolgerungen

Als Fazit möchte ich zunächst die Analyseergebnisse zusammenfassen, um dann Rückschlüsse für die interaktionelle Verwendung von übrigens im Mittelfeld zu ziehen und theoretische Überlegungen zur Frage nach relevanten linguistischen Analyseeinheiten anzustellen.

Aufgrund der empirischen Analyse können die Ergebnisse als Essenz in Form eines Lemma formuliert werden:

übrigens

Bedeutungsunterschiede und Wortklasse abhängig von syntaktischer Position

(21)

Hauptposition in Alltagsgesprächen: im Mittelfeld von Aussagesätzen mit V/2:

Wortklasse: Modalpartikel

Bedeutung: Stellt implizit einen inhaltlichen Bezug zu einer vorherigen sprachlichen Handlung her, an der sowohl Sprecherin als auch Rezi- pientln beteiligt waren. Die Distanz zwischen wönge/w-Äußerung und der Referenzhandlung variiert. Die Referenzhandlung kann in der Vorgängeräußerung, früher im selben Gespräch, in dem davorliegenden Gespräch oder in einem noch früheren Gespräch aufgetreten sein Wenn die Bedeutung und Funktion anderer syntaktischer Positionierungen von übrigens in Alltagsgesprächen und in institutionellen Kontexten erforscht sind, lässt sich obiges Lemma entsprechend erweitern.

Aus der Analyse ergeben sich Schlussfolgerungen für den interaktioneilen

«Wirkungsbereich einen Lexems wie übrigens. Der indirekte Verweis auf gemeinsames Vorwissen kann in Gesprächen mit mehr als zwei Teilnehmerinnen indirekt zum Einbeziehen bzw. Ausgrenzen eines Teils der Anwesenden genutzt

!;!vverden. Mit übrigens werden diejenigen Gesprächspartnerinnen einbezogen, die ijauf das verwiesene Wissen zurückgreifen können, während andere, die keinen

·]; ugang dazu haben, momentan nicht als primäre Rezipientlnnen adressiert

! nd. Die Konsequenz ist jedoch nicht notwendigerweise ein Ausschluss, denn

! ( ie nicht adressierten Teilnehmerinnen können sich durch andere thematisch i ilevante Beiträge beteiligen, wie beispielsweise durch eine Frage, die kein gemeinsames Vorwissen voraussetzt. Auf diese Weise kann übrigens zu Zwecken von Affiliation und Disaffiliation genutzt werden.

Eine weitere Frage bezüglich der interaktionellen Verwendung erhebt sich bezüglich des Sprechers der übrigens-Äußemng und des Sprechers der Referenz- Äußerung. Kann ein Sprecher mit übrigens nur auf eine eigene frühere Äußerung verweisen oder auch auf die eines anderen? Im Beispiel „Fahrrad" bezieht sich die Sprecherin auf eine eigene Äußerung, in „Laguna Beach" auf die einer anderen, und im Datensegment „Anzug/Sakko" bezieht sich die übrigens- Äußerung auf eine Äußerung der Gesprächspartnerin. Somit gibt es Anzeichen, dass der übrigens-Sprecher nicht daran erinnert, was er selbst irgendwann vorher gesagt hat, sondern mit übrigens wird auf gemeinsames Vorwissen verwiesen.

Die Ergebnisse zu übrigens im Mittelfeld führen zu der theoretischen Überlegung, welche Analyseeinheiten für eine linguistische Beschreibung rele- vant sind. Da zwischen der übrigens-Äußemng und der Referenzäußerung mehr als ein Gespräch liegen können, zeigt sich eine Orientierung der Teilnehmerin- nen an der Beziehung als eine Serie von Gesprächen. In Alltagsgesprächen (Familie, Bekannte, Freunde etc.) bestehen Beziehungen in der Regel aus mehr als einer Interaktion. Diesen Aspekt hat die ethnomethodologische Konversa- tionsanalyse insbesondere für Gesprächseröffnungen und Beendigungen in vielen Sprachen erforscht. Auch für die Interaktionale Linguistik erscheint es

(22)

notwendig, nicht nur das Wort, die Tumkonstruktionseinheit, die Sequenz und das Gespräch als relevante Analyseeinheiten anzunehmen, sondern auch die aus einer Kette von Interaktionen bestehende soziale Beziehung, Aspekte der gesamten Vorgeschichte der Beziehung können sich als relevant erweisen, und die Relevanz vorangegangener Interaktionen stellen Interaktantlnnen u.a.

durch linguistische Mittel wie Wortwahl her.

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Eingereicht: 26.1.2002

Überarbeitete Fassung eingereicht: 23.5.2003

Maria Egbert, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Institut für Germani- stik, Ammerländer Heerstraße 114-118, 26129 Oldenburg

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