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Archiv "Weltärztebund: Ethische Grenzen der Kostendämpfung" (14.11.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Aktuelle Politik

Ethik contra Monetik — das war lange ein gehässiges Schlagwort gegen die Ärzte. Heute ist das anders: Die Be- wahrung ärztlicher ethischer Grundsätze allein kann vom Patienten den Schaden abhalten, der überall in der Welt dadurch droht, daß Gesundheitspolitik vornehmlich unter dem Gesichtspunkt finanzieller und fiskalischer Spar- vorstellungen betrieben wird, unabhängig vom System.

K

ostendämpfung — das ist keineswegs ein Thema, mit dem sich Ärzte, Krankenver- sicherungen und Politiker allein in der Bundesrepublik Deutsch- land herumschlagen. Überall in der Welt geistert dieser Begriff herum. Deshalb hatte der Welt- ärztebund die wissenschaftliche Sitzung innerhalb der 36. Gene- ralversammlung in Singapur En- de Oktober diesem Thema ge- widmet — genauer: den ethi- schen Implikationen der Kosten- dämpfung. Ein Fazit vorweg aus den Vorträgen, Kommentaren und Diskussionen: Wohl nir- gendwo in der Welt ziehen Ärzte und Politiker an einem Strang, überall stehen sie sich in harter Konfrontation gegenüber. Muß das so sein?

Dr. Rino Riggio, Vorstandsmit- glied der italienischen Ärzte- kammer, sah immerhin die Tat- sache, daß auch der Arzt ein Staatsbürger ist, der, wie alle an- deren Steuerzahler, Forderun- gen für eine sparsame Verwen- dung öffentlicher Mittel stellt. Im Verhältnis zu seinem Patienten aber hat er zuerst an dessen In- teresse zu denken, ihm die dia- gnostische und therapeutische Hilfe zu geben, die der Patient benötigt. Er soll aber auch be- reit sein, den Politikern Rat zu geben, wie das Gesundheitswe- sen am rationellsten gestaltet werden kann (kein Wunder, daß ein Italiener darauf kommt: Dort gehen viel mehr Ärzte in die Par-

Weltärztebund:

Ethische Grenzen der Kosten-

dämpfung

lamente als anderswo!). Damit der Arzt die zur Verfügung ste- henden Methoden der Medizin rationell zu nutzen in der Lage ist, hat er der Verpflichtung zu ständiger Fortbildung zu genü- gen, muß er über den gegenwär- tigen Stand der Medizin Be- scheid wissen. Denn: Rationale Anwendung des medizinischen Wissens und der medizinischen Methoden und Techniken ist im- mer auch die kostengünstigste Methode.

Dr. Joseph Farber aus Belgien fragte, ob das System der ge- sundheitlichen Versorgung et- was mit den Kosten zu tun hat.

Er brachte das Beispiel der Hi- storie des britischen Gesund- heitsdienstes, dessen Ideologie nach dem Kriege lautete: Ko- stenloser Zugang zu den Ge- sundheitsleistungen schafft Ge- sundheit. Dies aber führte nur zu einer Verlagerung und zeitli- cher Verschiebung der Kosten, und heute sind die Soziologen erzürnt darüber, daß die Men- schen älter werden — und damit die Kosten letztendlich auch noch erhöhen. Die Schuld daran aber wird gern den Ärzten zuge- schoben. Die Auswahl von Prio- ritäten — wer hat Anspruch auf welche Leistung? — aber ist nicht Aufgabe des Arztes, son- dern der Gesellschaft. Sie muß entscheiden, wer in den Genuß einer nicht ausreichend vorhan- denen Leistung kommt — Bei- spiel: Nierendialyse. Der „sozia- le Wert" eines Patienten ist nicht ein ärztliches Kriterium.

Aus eigenen Erfahrungen be- richtete Dr. Jorge Jimönez de la Jarra (chilenische Ärzteorgani- sation), daß die Probleme der Auswahl und Entscheidung in den Entwicklungsländern prinzi- piell gleich sind, sich nur in den Kategorien unterscheiden. Im Industrieland mag es um die Frage gehen, bei wem eine auf- wendige technische Maßnahme eingesetzt werden soll; im Ent- wicklungsland steht man vor der Frage, ob der gleiche Aufwand nicht besser dafür eingesetzt wird, Glukose für dehydrierte Kinder zu beschaffen. Dr. Jimö- nez unterstrich Dr. Riggios For- derung an alle Regierungen, die Relation zwischen den Aufwen- dungen für das Gesundheitswe- Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 46 vom 14. November 1984 (17) 3397

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Weltärztebund

sen und denen für die militäri- sche Rüstung zu überprüfen.

Einer der wesentlichen Punkte der hier folgenden Diskussion war die Prävention. Es ist ein Irr- tum, daß Prävention billiger sei als Therapie — Prävention führt vielmehr mit einer gewissen Zeitverschiebung zu teurerer Therapie in höherem Alter, im günstigen Fall auch bei höherer Lebensqualität, und darin liegt der eigentliche Wert präventiver Maßnahmen — Kosten sparen sie nicht.

Was für Methoden gibt es, mit denen der Staat die Kosten zu drücken versucht? In Japan, so berichtete Dr. Kiyhojiko Yoshi- da, geht es geradezu exempla- risch zu: Dort wird das beste- hende Sozialversicherungssy- stem seit Jahren ununterbro- chen reformiert, und der Staat wird dieses Spiel auch weiter- treiben. Drei wesentliche Werk- zeuge der Reformierer erwähn- te Dr. Yoshida: steigende Ko- stenbeteiligung der Versicher- ten, sehr strenge Kontrolle der von den Ärzten und Kranken- häusern eingereichten Rech- nungen, Preisfestsetzungen für erstattungsfähige Arzneimittel.

Dr. George Repin, Generalse- kretär der Australischen Medical Association, stellte es in Frage, ob die Ärzte daran mitwirken dürften, daß das „Gesetz der steigenden staatlichen Beteili- gung" schließlich zur Übernah- me des Gesundheitswesens durch den Staat führe. Repin be- obachtet, daß überall in der Welt Kostenbeschränkungen durch Maßnahmen auf der „Angebots- seite" versucht werden. Die Po- litiker hätten jedoch eine große Scheu davor, auch auf der Nach- frageseite kostendämpfende Elemente einzuführen.

Dr. Dizon, Präsident der philippi- nischen Ärzteorganisation, suchte Schuld auch bei den Ärz- ten, insbesondere aber bei ihren

Lehrern: Die einfache körper-

liche Untersuchung und die Er- hebung der Anamnese wird in der Lehre vernachlässigt, so daß die jungen Ärzte zu kostspieli- gen Diagnostik-Techniken Zu- flucht suchen müssen.

Die Vorträge dieses zweiten Ab- schnittes der Tagung provozier- ten. Ein paar Stichworte: Die Ko- stenentwicklung ist unabhängig vom System, sagte Bundesärzte- kammerpräsident Dr. Karsten Vil- mar. Die Kostenentwicklung wer- de durch utopische Vorstellun- gen hervorgerufen, wie die WHO- Gesundheitsdefinition oder das Schlagwort von der „Gesund- heit für alle im Jahre 2000". Mit solchen Schlagworten werde die Nachfrage grenzenlos, und der Arzt werde „Schalterbeam- ter für Sozialleistungen".

Ärztezahl

kaum steuerbar

Was haben Kosten und Arztzah- len miteinander zu tun? Prof.

Uwe E. Reinhard, aus Deutsch- land stammender Volkswirt- schaftslehrer in Princeton, be- sprach das für die USA und Westeuropa. Eine Steuerung der Arztzahl nach dem Bedarf ist nach seiner Meinung unmög- lich; Maßstab kann nur die Nachfrage sein, die sich in dem Betrag ausdrückt, den eine Na- tion für ihre Ärzte aufzuwenden bereit ist. Bedarfsberechnungen sind nur „organized whishful thinking" und stimmen selten.

Beim Nachfrage-Modell kann die Zahl der Ärzte im Rahmen ih- rer Einkommensvorstellungen immerhin noch variieren. Prof.

Reinhard sieht keinen prakti- kablen Weg, die Zahl der Medi- zinstudierenden und der prakti- zierenden Ärzte willkürlich zu steuern — abgesehen von seiner Empfehlung, die Kosten des Studiums vom Studenten mit Hilfe eines Kredites finanzieren zu lassen. Letztendlich be- stimmt der Markt Zahl und Ein- kommen der Ärzte.

Dr. Boyle, Präsident der Ameri- can Medical Association, schloß sich dieser Folgerung an. Aufga- be der Ärztlichen Organisatio- nen sei es, dafür zu sorgen, daß die ethischen Prinzipien der ärztlichen Berufsausübung auch unter den harten Bedingungen des Wettbewerbs aufrechterhal- ten bleiben. In einem späteren Stadium der Diskussion beton- ten allerdings mehrere amerika- nische Sprecher, daß das von ih- nen akzeptierte Marktmodell selbstverständlich nicht expor- tiert werden könne in Länder, in denen ganz andere Vorausset- zungen bestehen.

„Überproduktion" von Ärzten ist übrigens nicht allein ein Pro- blem der Industrieländer, er- gänzte der Generalsekretär der indischen Medical Association, Dr. Garg: Auch in Indien und in einigen anderen Entwicklungs- ländern produzieren die Hoch- schulen bisweilen mehr Ärzte, als das unterentwickelte Ge- sundheitsbudget verkraften kann. Beitrag dazu aus Israel:

„Wir produzieren sogar zu viele gute Ärzte!".

Dies war — hier sehr summarisch referiert — eine der inhaltsreich- sten wissenschaftlichen Tagun- gen, die der Weltärztebund je veranstaltet hat. Ein Fazit des Berichterstatters am Schluß:

Überall stehen die Ärzte gegen- über den finanziellen Vorstel- lungen der Politik mit dem Rük- ken zur Wand. Diese Wand aber kann eine feste, ja uneinnehm- bare Stellung sein, wenn die Ärzte es verstehen, ihre ethi- schen Verpflichtungen gegen- über dem Patienten nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern als Waffe gegen alle anderen Inter- essen zu verwenden, und wenn sie — wofür es ausreichend Lehr- beispiele gibt — klar machen, daß Gesundheitspolitik nicht kurzfristig von Wahl zu Wahl ge- macht werden darf, sondern auf Dauer und Kontinuität angelegt sein muß. Walter Burkart 3398 (18) Heft 46 vom 14. November 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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