DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
D
ie Verpflanzung mensch- licher Organe als Spit- zenleistung der Chirurgie scheint nach ihrem verblüffend rasanten, kaum mehr als ein Jahrzehnt währenden Fort- schritt unerwartet an eine Art"spürbarer Grenze" gestoßen zu sein. Nicht technisch und erst recht nicht medizinisch; das Fundament des Wissens und der Erfahrungen, auf dem sich die transplantierenden Ärzte bewe- gen, ist inzwischen so tragfähig, daß sie es wagen können, der Transplantation schon jetzt eine Routinefunktion vorauszusagen.
Wohl aber im schwer abzuwä- genden, emotionalen Bereich menschlichen Mitfühlens und kreatürlicher Ängste. Umstände, an die in der Phase wissenschaft- licher und handwerklicher Neu- land-Euphorie nur selten ge- dacht wurde, treten nun gebiete- risch auf den Plan und zwingen zu neuen Überlegungen und er- weiterten Rücksichten.
Zum Beispiel, daß Mitarbei- ter und Pflegekräfte, zumal jün- gere, den psychischen Belastun-
·s
ekommen unsere Kinder tatsächlich zuviele Psycho-• pharmaka, wie kürzlich ein tendenziös-reiBerischer "Re- port" unterstellte? Allein der Begriff Psychopharmaka verrät die Praxisferne. Der Arzt ver- ordnet auch keine Herz- oder Magenmittel, sondern konkrete Arzneistoffe wie Digoxin oder Ranitidin. Wenn wir wirklich wissen wollen, was unsere Kin- der tatsächlich bekommen, müs- sen wir uns die sogenannten Psy- chopharmaka, die den Kindern verordnet werden, genauer an- sehen.
Die Hauptgruppe Psycho- pharmaka in der Roten Liste umfaßt z. B. Antidepressiva, die bei Kindern vorwiegend beim Bettnässen mit Erfolg eingesetzt werden und äußerst selten zur Abhängigkeit führen. Eine wei- tere Gruppe sind die Neurolepti- ka, die z. B. bei Fieberkrämpfen, aber auch bei kindlichen Psycho- sen und zur Sedierung verschrie-
Organtransplantation
Die "spürbare Grenze"
gender Organ-Entnahme in vie- len Fällen nicht gewachsen sind, oder daß in einer unzureichend aufgeklärten Öffentlichkeit der Zweifel am tatsächlich eingetre- tenen Hirntod ähnliche Furcht auszulösen vermag wie der Ge- danke an einen Scheintod. Aber auch, daß es zwei sehr verschie- dene Dinge sind, ob ein Mensch - gleichgültig, ob noch gesund oder schon krank- seine Bereit- schaft zur Organspende durch Ausweis bekundet oder ob es bei Angehörigen liegt, über die Er- laubnis zur Entnahme eines oder mehrerer Organe zu ent- scheiden.
Die retardierende Wirkung solcher und ähnlich subtiler Um- stände wurde in München auf
Psychophannaka
Kinder
in Gefahr?
ben werden. Auch sie bereiten bekanntlich keine Gewöhnungs- und Abhängigkeitsprobleme.
Von den Psychoanaleptika spielt nur das Ritalin® eine Rolle, das sich, fast ausschließlich von Kin- derpsychiatern verordnet, auch in den angelsächsischen Län- dern in ausgewählten Fällen als hilfreich erwiesen hat.
Auch die Benzodiazepine als wesentliche Vertreter der Gruppe Tranquillanzien/Anxioly- tika werden im Kindesalter, auch rektal als Antikonvulsiva, aber auch als Beruhigungsmittel vor Eingriffen eingesetzt. Überver- ordnung z. B. bei Schulangst
einem Symposion zum Thema
"Organspende: Eine gemeinsa- me Aufgabe aller - Stand, Pro- bleme, Wünsche" erkannt, frei- mütig angesprochen und als ver- pflichtender Anlaß zu verstärk- ten Anstrengungen eingestuft.
Für die Praxis bedeutet das unter anderem: Man weiß sich auf dem richtigen Weg und will ihn weiterbeschreiten. Man will die Transplantation zielstrebig fortentwickeln. Die Krankenkas- sen werden es nicht zu unlösba- ren finanziellen Problemen kommen lassen. Beide Konfes- sionen sind bemüht, die Organ- verpflanzung in die christliche Sozialethik einzubeziehen.
Es bedeutet aber auch: Weit mehr als bisher ist die Öffent- lichkeit über die segensreichen Auswirkungen der Organspende aufzuklären. Und es bedeutet vor allem: Kollegen in Kranken- häusern und Praxen müssen sich mit den jeweiligen Transplanta- tionszentren ihrer Region auch ohne eine (aus guten Gründen abgelehnte) vertragliche Ver- pflichtung kürzer schalten! KG oder gar bei schwer erziehbaren Kindt;rn wäre dringender Anlaß, den Arzten dieses Problem in der mündlichen und schrift- lichen Fortbildung deutlich zu machen. Der ärztlichen Kontrol- le entzieht sich jedoch die Gabe von Tranquillanzien, die den El- tern verordnet worden sind, an Kinder.
~ Unter den "Themen der Zeit" in diesem Heft befindet sich ein Beitrag zur tatsäch- lichen Verordnung von Psycho- pharmaka im Kindesalter. Die Zahlen stammen aus dem Jahre 1985, die vorläufigen Zahlen über die Verordnung von Psy- chopharmaka an Kinder von 0 bis 15 Jahren aus der gleichen Quelle liegen jedoch deutlich niedriger.
Nur nachprüfbare Studien können Grundlage der Optimie- rung ärztlichen Verordnungsver- haltens sein, nicht aber effekt- hascherische Sensationsmeldun-
gen. KHK
Dt. Ärztebl. 86, Heft 28/29, 17. Juli 1989 (1) A-2041