A-1031
P O L I T I K LEITARTIKEL
Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 16, 23. April 1999 (15)
„Woche der Chirurgie“
Auf dem Weg zur neuen Einheit
Erstmals trafen sich unter dem Dach der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie die einzelnen chirurgischen Fachgesellschaften.
ie Einheit der Chirurgie wiederherzustellen ist eines der vordringlichsten Ziele der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, die dieses Bemühen mit zahlreichen Strukturveränderungen ihrerseits unterstützt. So wurden erst kürzlich durch eine Satzungsän- derung Präsidenten und Generalse- kretäre der chirurgischen Schwer- punktgebiete in den Vorstand und das Präsidium der „Muttergesell- schaft“ eingebunden. Die Ausrich- tung eines gemeinsamen Kongresses erscheint daher die logische Konse- quenz für den weiteren Einigungs- prozeß. Mit einer „Woche der Chir- urgie“ in München, wo sich erstmals einzelne Fachgesellschaften mit ei- genständigen Veranstaltungen unter dem gemeinsamen „Dach“ der Deutschen Gesellschaft für Chirur- gie präsentierten, ist der „Testlauf“
für diese Konzeption nun erfolg- reich abgeschlossen worden.
Präsident Prof. Dr. Dieter Rüh- land (Singen) war deutlich die Freu- de anzumerken, eine Trendwende eingeleitet zu haben. „Nur fünf Pro- zent der Ärzte sind Chirurgen, da- von sind etwa ein Drittel in der Deutschen Gesellschaft für Chirur- gie organisiert – also nicht einmal zwei Prozent der Ärzteschaft. Es ist also leicht nachzuvollziehen, daß die verfaßten Ärzteorganisationen und die politischen Organe kaum bereit sind, unsere internen Proble- me zu analysieren und bei ihren Entscheidungsprozessen zu berück- sichtigen, wenn wir uns aufspalten“, erklärte Rühland. Um das Ausein- anderdriften der chirurgischen Spe- zialitäten zu vermeiden, bedürfe es
jedoch nicht nur äußerer Stabilisa- toren, sondern auch des Kampfes gegen persönliche Schwächen wie Eitelkeit, mangelnde Koordinati- onsbereitschaft und Akzeptanz.
Gemeinsame Aufgaben, die eine Reintegration aller chirurgischen Spezialitäten erforderten, gebe es zuhauf. Als Beispiel nannte Rüh- land Operationstechniken, Infek- tiologie, Wundheilungsstörungen, Schmerztherapie, Intensivmedizin, die Grundlagenforschung, onkolo- gische Probleme, Qualitätssicherung, forensische und ethische Aspekte, Datentechnik sowie den sich aus- weitenden Bereich des Kranken- hausmanagements.
Kassen überfordert
Wie derzeit auf allen medizini- schen Kongressen bestimmte die Gesundheitspolitik auch in Mün- chen einen großen Teil der Diskus- sionen. Für die Chirurgen enthält die „Gesundheitsreform 2000“ Re- gelungen, die den Fortschritt ihres Faches behindern werden. „Gravie- rend ist die einseitige Stärkung der Krankenkassen hinsichtlich Ent- scheidungskompetenz und Kontroll- funktion“, erklärte Rühland. Dies betreffe nicht nur den Bereich des Qualitätsmanagements als ureigen- ste Aufgabe der Ärzteschaft, sondern auch die Entscheidungsgewalt über bedarfsgerechte Investitionen und Kapazitäten im stationären Bereich.
Bereits jetzt seien die Kostenträger durch Zusatzaufgaben in Verwal- tung und Datenverarbeitung hoff- nungslos überfordert. Die skepti-
sche Haltung der Chirurgen basiert auch auf schlechten Erfahrungen mit den Kassen in der Vergangen- heit. „Die Einführung neuer Entgel- te für Innovationen wie die laparo- skopische Chirurgie und endovas- kuläre Gefäßoperationen sind ab- lehnend gehandhabt worden. Auch eine Kostenbeteiligung an der ärztli- chen Weiterbildung im Kranken- haus wurde immer wieder zurückge- wiesen“, so Rühland.
Für die Erarbeitung und Um- setzung von Veränderungen im sta- tionären Bereich empfiehlt Rühland die Bildung von Planungsgruppen, die sich aus Vertretern von Kran- kenhäusern, Kassen, Krankenhaus- gesellschaft und externen Beratern zusammensetzen: „Denn in den Krankenhäusern bestehen, wenn auch in unterschiedlichem Maße, noch Rationalisierungsreserven.“
Durch Verkürzung der Liege- zeiten im Nachsorgebereich, Zen- tralisierung sowie Kosten-Nutzwert- Analysen könnten Einsparungen er- zielt werden, um Zukunftsinvestitio- nen zu finanzieren. Als Beispiel nannte Rühland die Einrichtung von operativen Trainingszentren sowie die Einführung der Telematik zur Vernetzung von Kliniken und nie- dergelassenen Chirurgen. „Mit die- ser Technik“, so Rühland, „ließe sich die gesundheitspolitisch disku- tierte Öffnung der Krankenhäuser für niedergelassene Kollegen und die Ermächtigung der Kranken- hausärzte für ambulante Tätigkeit, die meines Erachtens unter veralte- ten Voraussetzungen diskutiert wird, problemlos lösen.“
Dr. med. Vera Zylka-Menhorn