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Märchen und Legenden Band 8

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Academic year: 2022

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Märchen und

Legenden Band 8

Dramatisierung bekannter Märchen und Legenden von Dr. Paul Millotat (2019) Der Band setzt die Reihe „Jugenheimer Märchen und Legenden“,

Band 1-7 fort

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Vorwort

Bei der Vorstellung der hier dramatisierten Märchen und Legenden bzw.

literarischen Vorlagen soll die gleichnamige „Jugenheimer“ Reihe, die vom Verfasser dieser Zeilen nach den Vorlagen des Dr. Heinz Millotat (1915-2000) gestaltet wurde [siehe Band 1], durch weitere eigene Beiträge [siehe Band 2- 8] fortgesetzt werden. Diese Texte widmet der Autor dem unvergesslichen Andenken an Dr. Heinz Millotat, dem Vater des Autors. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf das jeweilige Vorwort der besagten Bände der

„Jugenheimer Märchen und Legenden Band 1, 2, 3, 4,5, 6 und 7!

Märchen und Legenden (siehe die Bände 1-6 und den hier vorliegenden Band 8) sowie literarische Texte werden erzählt oder vorgelesen. In den hier aufgenommenen Märchen und Legenden bzw. literarischen Vorlagen wurde der Stoff freilich recht frei behandelt. Denn führt man Märchen und Legenden sowie szenisch-dialogische Bearbeitungen literarischer Vorlagen der Puppenbühne oder Schaubühne zu, sollen Erweiterungen bzw. kleine Änderungen zugunsten des Spielcharakters erlaubt sein, wenngleich die eigentliche Stimmung und der Gehalt des Märchens und der Legende bzw. der literarischen Vorlage im Kern dabei unberührt bleiben muss. Vielmehr wird diese märchen- und legendenhafte bzw. fiktionale Stimmung durch die Vielfalt der Figuren deutlich verdichtet, und die kleinen, aber auch die großen Zuschauer erleben die Grundaussage des Märchens und der Legende bzw. der literarischen Vorlage, nämlich den Kampf zwischen Gut und Böse, reflektiert und zugleich betroffener mit.

Schärfere Personalisierung der Handlungsfiguren, auch gelegentliche aktuelle Bezüge, die sich in ihrem feinen Humor in erster Linie an die Erwachsenen richten und die Zeitlosigkeit der Kernaussagen betonen, tragen maßgeblich hierzu bei.

Im vorliegenden Text wird vom bedeutendsten und seinerzeit meistgelesenen deutschen Dichter der 30iger Jahre des 20. Jahrhunderts eine entfaltete Märchenhandlung vorgestellt, die das gottvertrauende und selbstlose Erdulden aller Schicksalsprüfungen über das Böse, Fremde und Unerwartete hin thematisiert. In dem Beispiel eines 14jährigen Mädchens, das in einer Welt voller Vorurteile und Zweifel dem Unbekannten gegenüber aufwächst, siegt am Ende ihre aufgeklärte Haltung und ihr bis zur Selbstaufgabe umfassendes Festhalten an den guten Werten echter Menschlichkeit. So ausgestattet, wagt sich das Mädchen trotz aller Warnungen ins unbekannte Moor und sucht den von allen Mitmenschen gefürchteten Moormann auf.

Freilich verweist die vorliegende Bearbeitung des Stoffes die eigentlichen

märchenhaften Inhalte des ursprünglichen Textes in die Traumwelt des

Mädchens, deren jeweilige Deutung mit Hilfe der drei hier neu ins Geschehen

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eingebrachten Intellektuellen (sie sind überdies allesamt Außenseiter der Gesellschaft) gelingt, was für die weibliche Haupthandlungsfigur ebenso wie für alle Leser oder Theaterbesucher eine echte Lebenshilfe im Umgang eines jeden einzelnen mit den tiefen Fallgruben des Lebens bedeutet.

Bisher erschienen sind:

Band 1:

- Rotkäppchen (2013)

- Brüderchen und Schwesterchen (2013)

- Einer, der auszog, das Fürchten zu lernen (2013) - König Drosselbart (2013)

- Rumpelstilzchen (2013)

Band 2:

- Die Mondhexe (2013)

- Genoveva (2014) - Der arme Heinrich (2015) - Das kalte Herz (2015)

Band 3:

- Griseldis (2016) - Die starken Weiber zu Weinsberg (2016)

Band 4:

- St.Brendan auf Atlantis (2016) - Atlantis, ein Essay (2016)

Band 5:

- Das blaue Licht (2017)

Band 6:

- Parzival dankt ab (2018)

Band 7:

- Gesamtkonferenz (2019)

Band 8:

- Der Moormann (2019)

Ulmet im Sept. 2019 Dr. Paul Millotat

als fiktive Fortsetzung einer einst von Dr. Heinz Millotat begründeten Reihe:

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Puppentheater im Alten Amtshaus zu Jugenheim, Hauptstraße 51

Der Moormann

Schauspiel in drei Bildern nach dem Märchen „Der Moormann“ von Ernst Wiechert

es spielen:

Der Moormann

sagenumwobener Bewohner des Ebbeberger Moores, Ausstei- ger, eigentlich Dr. Olgus Gloy, akad. Rat a.D. an der Lenneberg - Universität Eveking

Lottchen Lamm 14jähriges Einzelkind, eines angeborenen Hüftschadens wegen Dauermobbing-Opfer der Dorfjugend

Lydia Pieper-Lamm

Lottchen

s Mutter, alleinerziehend, vom Leben frustriert und vor- zeitig altersböse

Dr. med. Walter Lorbass Aussteiger und nur noch gelegentlich ambulant praktizierender Armenarzt im Helfrichhaus Böllenberg, zuvor Chirurg und Chef- arzt a.D. der chiropraktischen Abteilung am Kreiskrankenhaus Trempershof

Pfr. a.D. Kaspar Kerinnes Aussteiger und Dekan a.D. des protestantischen Dekanats von Großendrehscheid, Gelegenheitsdichter

Zusteller der Firma Rohfrost (Spezereien und Edelkost) Zusteller des Mercur-Paketdienstes

Zusteller des Sauerland-Post-Dienstes (SPD)

Eule, Fuchs und Wolf gespenstische Traumbilder als Moormanns Gäste Alte, Zwerg, Wassermann

Schlange, Kröte, Salamander Rabe, Elster, Gespensterkind Irrlichter

Bilder: 1. Bild: Lottchens Rückkehr von der Ziegenhut am Ebbeberger Moor 2. Bild: Beim „Moormann

3. Bild: Die Operation Lottchens an Hüfte und Bewusstsein

Orte der Handlung:

erstes Bild: in der Küche des Elternhauses am Rand des Ebbeberger Moores zweites Bild: im Hause des Moormanns

drittes Bild: im Hause des Moormanns Zeit: immerdar und jederzeit

Text des Spiels: Zum Andenken an Dr. Heinz Millotat (1915-2000)

Idee und Text von Dr. Paul Millotat (September 2019)

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1. Bild: „Lottchens Rückkehr von der Ziegenhut am Rande des Moores“

Mutter (klatscht mit der Rechten demonstrativ den Schrubber auf dem nassen Steinboden auf, dass es klatscht und Wasser spritzt, sie zischelt böse, dabei wild mit der Linken gestikulierend) Ah! Na endlich! Das Fräulein Hinkebein! He! He! --- Na? Zurück? Was?

He? Du dämliche Transuse, du!

Lottchen (humpelt müde zum Küchentisch und stützt sich mit beiden Händen darauf ab) Guten Abend, Mama! Es ist später geworden! Tut mir leid! Die Ziegen sind jetzt alle auf der Weide in ihrem Stall. Und einen Sack Mirabellen habe ich auch mitgebracht.

Mutter (wechselt im Folgenden vom hinterhältigen Zischen zum gefährlichen Brüllkreischen und dann in einen ganz bedrohlich schrillen Diskant)

(noch zischelnd) Das will ich dir auch geraten haben, mein Frollein, gell?! --- Geschlagene zwei Stunden ist es her, dass es draußen Feierabend geläutet hat, zwei Stunden! Hach! Hast du denn dicke Tomaten auf den Ohren? He? -- Und wie pomadig du dich wieder bewegst!

(überlaut) Komm mir bloß nicht irgendwann jetzt mitten in der Erntezeit ohne Obstkorb nach Hause, du ungelenker Krüppel! He?

Und für die Äpfel und den Rest der Mirabellen nimmst du morgen auch schön den Leiterwagen mit! Hast du das verstanden, he? --- Hast heute wohl wieder getrödelt? Was? Wie? –Pass nur auf!

Ansonsten Gnade dir Gott, --- du, du, du nichtsnutzige Ziege, du!!

Lottchen (kraftlos stöhnend und abgeschlagen) Ach, Mama!

Mutter (schrill) Und überhaupt! Zu nichts bist du zu gebrauchen! Nicht als Gesinde im Haushalt und erst recht nicht als Braut eines starken Eidams, ja, nicht einmal in der Schule bist du zu gebrauchen! Zu rein gar nichts!

(schmeißt den Schrubber auf den Boden und stößt mit dem rechten Fuß heftig gegen den Eimer, dass es schwappt, dann die Hände jetzt beide in die Seite gestützt übertrieben klagend) Verdammt!

Verdammt nochmal! Kein Wunder auch, dass dich alle verlachen, dass das ganze Dorf hinter dir herläuft und dass alle dich verspotten und ständig verhohnepipeln!

(voller Verachtung, Klagelaute überbetont imitierend) Ja, ja, die Hüfte! Ich weiß! Die ungelenke und verkrüppelte Hüfte!

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‚Hinkebein, Hinkebein‘ rufen sie hinter dir her! Jawohl,

‚Hinkebein! Hinkebein!‘ Und wie Recht sie dabei haben!

Lottchen (vernichtet) Ach lass doch! Mama! Ich bin ganz müde.

Mutter (mit höhnischem Gesicht und so laut wie zuvor, zudem noch voll beißendem Spott) Sollen sie dich vielleicht ‚Schwanenschwinge‘

nennen? He? Da klingt ‚Hinkebein‘ doch geradezu angemessen!

He? Na, was meinst du? He?---

(bitter) Hach! Wäre ich doch damals, als wir noch keinen Elektrozaum um die Ziegenweide hatten und als ich dich noch unter meinem Herzen trug, nur nicht bei Nacht durch das dunkle Moor gelaufen! Ich ganz allein, verlassen von deinem nichtsnutzigen Erzeuger und damals auch hochschwanger! Und das alles bloß wegen einer blöden abgängigen Ziege! ---

Hach! Da ist es halt passiert! Hach! Nur der Moormann –dieser hinterhältige Teufel- ist schuld! Jawohl, schuld! --- Und nur weil ich in dieser Nacht von der vergeblichen Suche nach der blöden Ziege völlig frustriert im Sumpfland umkehren musste und nach einem seiner blauen hin- und her tanzenden Irrlichter einen Stein geworfen hatte --sie schienen mich ja auch geradezu zu verspotten – hat er mich mit dir als Krüppel verflucht!

„Frau“, rief er, „du hast eines meiner Kinder getroffen!“, – und ich erinnere mich noch ganz genau- „du hast es mit deinem Stein an der Hüfte verletzt“, rief er dann, „so passe jetzt auch nur auf dein Kind auf“, fuhr er daraufhin mit unheimlicher Stimme höhnisch fort und lachte schließlich unheilvoll dröhnend und dumpf, dass es mir ganz durch Mark und Bein ging! ----

(ganz bitter) Und jetzt? Was jetzt? Ich arme Wutz! Hach! Jetzt habe ich mit dir tatsächlich einen Krüppel im Haus, und zwar zeitlebens habe ich das Mensch im Haus, dich mit deinem hässlichen Hüftschaden. Jawohl, zeitlebens, also: für alle Zeiten!

He? Oder meinst du etwa, dass du noch irgendwann einen abkriegst mit deiner Hüfte, he?, dass also irgendwann einer um dich freit? He? Meinst du? ---- Neee! Du bleibst bombensicher unbemannt und bleibst mir damit ständig auf der Tasche, du tollpatschiger Trampel!

Gelt? He? Da guckst du jetzt dumm durch die Wurstküche, du strohdumme Dirne! He? Und dass dich am Ende noch der Moormann holt, das ist so gut wie sicher!

Punkt! Aus! Sense! Amen!

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Lottchen (wie eine, die das Gejammer der Mutter nicht zum ersten Male hört, fatalistisch und laut) Ja, ja, der Moormann! Der böse, böse arme Moormann!

(murmelt dann aber für sich leise, ohne dass die Mutter es versteht) Immer diese dumpfen Vorurteile! Und wieder gegen die Behinderten! Und immer gegen mich!

(fatalistisch weiter murmelnd) Warum sollte ich eigentlich nicht mal heiraten?

(verzweifelt und trotzig) Und nicht nur gegen alles Behinderte!

Wie immer auch gegen alles Fremde, gegen den Moormann natürlich, der halt so anders ist als du, Mutter, den Moormann, den du nicht verstehst!

(weiter in einer Mischung aus Verzweiflung und Trotz murmelnd) Es kann schließlich ja auch ganz anders sein! Aber das siehst du –wie immer- einfach nicht ein! Vielleicht hast du dir das mit dem Moormann nur eingebildet? Oder vielleicht gibt es gar keinen Moormann? Und wenn es ihn doch gibt, vielleicht ist der Moormann ja ganz harmlos und nur ein Aussteiger aus der Gesellschaft! Ja, vielleicht ist er am Ende auch genauso verzweifelt wie ich? --- Ich jedenfalls würde ihn gerne mal kennen lernen!

(wieder laut) Ich habe heute Abend keinen Hunger und gehe gleich ins Bett. Gute Nacht, Mama! (gähnt und geht sich die Hüfte haltend nach hinten ab)

Mutter (ruft ihr hämisch nach) Ja, ja! Geh nur, mein Frolleinchen, geh nur, wenn man das Gehen nennen kann! He, he, he!!!

Und du weißt hoffentlich auch, dass du ab morgen bis Sonntagabend fünf Nächte allein sein wirst, wenn ich zusammen mit den Verse-Landfrauen zum alljährlichen Gauklerfest nach Attendorn fahre, he? Also stelle mir nichts an, hörst du?

(Vorhang)

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2. Bild: Beim Moormann

Lottchen Lamm Zu Bett oh, Mädchen, leg dich brav Und finde endlich deinen Schlaf.

Du wachst und träumst und windest dich, Mich Fragen plagen, drängen mich.

Wer bist du, Moormann?

Bist ein Geist du?

Suchst im Moor Ruh‘?

Bist allein du?

Gib Antwort mir, ich will es wissen!

So wind‘ ich mich auf meinem Kissen, Zermartre meinen Kopf beflissen, Entsage dabei allen Bissen.

Ha, heute Nacht werd‘ ich’s ergründen, und werd‘ dich finden, werd‘ dich binden!

Muss erkunden dich, ja, deine Sünden, Will aller Welt dein‘ Unschuld künden!

Der Sandmann löffelt manchen Sand Ins Mädchenaug‘ mit sanfter Hand, sodass das Lottchen einnickt endlich, irrt im Traum durchs Moor erdenklich.

Dann auf, frisch Vorhang, heb dich auf, Zeig an uns der Geschichte Lauf!

(Vorhang auf)

Lottchen (sich hin- und her auf dem Bette wälzend und dabei unruhig im Traume sprechend, im Augenblick auf der linken Seite liegend) Mit düsterm Schleier hält die dunkle Nacht die ganze Welt bedeckt, die schwache Neumondsichel und die tausend blassen Sterne, sie haben die Büsche und Birken, haben das feuchte weite Heidekraut des Weges und des Weidegrundes, ja und dann natürlich auch das Grün des ganzen sichtbaren und weiten Moores geheimnisvoll verzaubert. Hm!

(sich selbstbewusst auf die rechte Seite werfend) Doch vorwärts, Lottchen! Vorwärts! Heute Nacht, heut gilt ‘s! Weiter! Weiter!

Immer weiter!

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Da. da ist das Moor! Das Moor, ja da, mein ahndungsvolles, mein geheimnisvolles Moor!

(selbstbewusst) Zum Moormann will ich! Jawohl, zum Moormann!

Wo bist du, Moormann? Wo bist du? Ich, Lottchen Lamm, ich komme jetzt! Ich komme zu dir, Moormann, zu dir!

(sich auf den Rücken drehend und nach Art einer Schlafwandlerin) Ah, da sind ja auch meine guten Weideruten! Da und da, ja, da, meine lieben Wegweiser, die ich an so manchen Sommertagen vom Weidegrunde meiner Ziegen aus bis tief ins Moor zum sicheren Knüppeldamm abgesteckt habe, und zwar weiter und immer weiter, jeden Tag ein Stückchen weiter! Ja, da! Und da und da! Doch Vorsicht, Lottchen! Schritt für Schritt! Jawohl, Schritt für Schritt!

Aber ach! Wie sonderbar verzaubert wirkt der abgesteckte Pfad, der Damm im schwankenden Schummerlicht der Nacht! (sie wälzt sich auf den Bauch)

Das schummrige Licht! Es hat alles eingehüllt, was bei Tage mir so bunt und so verführerisch geleuchtet hat! Die feuchten Moosbeete –sie sind jetzt grau-, der blassgelbe Wasserschlauch, der weite lila Blütenteppich der Glockenheide und die Blätter des immergrünen Heidekrauts –alles grau-, auch die heiter im Wind spielenden Blätter der Moorbirken –grau-, und dann auch die tiefgelben Moorlilien und die majestätisch weißgelblichen Blüten des Sonnentaus, deren tiefrote Drüsenhaare mit ihren klebrigen Tautropfen wie Tentakel auf ahnungslose Insekten warten –grau, grau, grau! (sich mit einem Ruck wieder auf den Rücken drehend) Alles grau? Wirklich alles grau? Und was sind denn das für blaue Flämmchen, für Lichter, die ich überall jenseits meines mir bereits bekannten Weges sehe? Da, da und da, auch da, ja, halt überall!

Überall sehe ich kleine Lichtchen! --- Sie tanzen, die kleinen blauen Lichtchen! Sie tanzen hin, und sie tanzen her! Und sie scheinen mich zu grüßen! (sich auf die linke Seite drehend lächelt sie)

Hallo, kleine Lichtchen! Ich heiße Lottchen Lamm und suche den Moormann! Kennt ihr vielleicht den Weg zum Moormann? Zeigt ihr ihn mir? Bitte, bitte, zeigt ihn mir! Vielleicht kennt ihr auch meine Frau Mutter? Frau Lydia? Sie hat vor vielen Jahren auf der Suche nach einer entlaufenen Ziege nach euch mit Steinen geworfen. Wisst ihr noch? Bitte, verzeiht ihr und verzeiht damit auch mir, wenn sie einen von euch dabei getroffen hat! Verzeiht ihr uns, bitte?

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(mit einem Ruck sich entschlossen auf die rechte Seite drehend) Ich folge euren Fingerzeigen, jawohl, ich wage es, auch wenn der Boden jetzt unter jedem Tritt schmachtend schmatzt und schmatzt und schmatzt.

(wirft sich jetzt hin und her) Ist das auch der Weg zum Moormann?

Ist er das, ihr Lichter? Was seid ihr überhaupt für Lichter? Seid ihr Irrlichter? Seid ihr, ihr blauen Flämmchen, seid ihr vielleicht Irrlichter, Lichter im Moor, vor denen mich die Mutter so oft gewarnt hat? ---

Aaah! (wie im Fieber klagend und verzweifelt laut, strampelt sich im Schlaf frei und wirft dabei die Decke weg) Ich stecke fest! Ach lieber Gott! Oh hilf! Die Hüfte schmerzt! Das Moor saugt mich fest und tief, tiefer, immer tiefer! Da komme ich nicht mehr frei!

Ihr Lichter, ihr habt mich in den sicheren Tod geführt, ihr irrlichternden Lichter! --- (ohne Bitterkeit) Aber dennoch, ihr könnt sicher nichts dafür. Unschuldig seid ihr! (selbst zerfleischend) Ich selbst bin schuld, bin ganz alleine schuld. --- Wäre ich doch zu Hause geblieben! Hätte ich doch der Versuchung widerstanden! --

(geradezu im Duktus eines gestammelten Gebetes) Ach, lieber, lieber Gott, so vergib mir dummen, dummen Tochter! Ich bereue meine Flucht, bereue meine Flucht von zu Hause, von meiner Mutter! Vergib mir, Herr, vergib mir, vergib deiner törichten Tochter! Und tröste meine Mutter, die mich sicher bald suchen wird! Das erbitte ich von dir! Dir anempfehle ich meinen Geist!

(sie windet sich wie im Fiebertraum wild hin und her, sodass sie plötzlich den Halt verliert und aus dem Bett fällt)

Aaaach! Au! Was ist? Wo bin ich? Sind die Menschenfresser fort?

Moormann (gütig lächelnd und verbindlich) Na? Aufgewacht, he, junge Dame, wie? Na, wie geht’s uns denn so nach dem großen Abenteuer im dunklen Moor, he?

Lottchen (orientierungslos, ängstlich) Wo bin ich? Was ist passiert? Wie komme ich hierher? Und wer sind Sie?

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Moormann (lächelnd beruhigend und wohlwollend) Hm, gut, Menschenfresser, mein Kind, gibt es hier bestimmt nicht! Du musst also auch keine Angst haben! Du bist in meinem Haus mitten im Ebbeberger Moor!

So! --- Und ich habe dich gestern früh aus dem Moor gerettet, habe dich in deinem Fiebertraum bis hierher getragen, in mein Haus. Du warst bewusstlos und völlig unterkühlt. Das heißt: Du musstest wohl schon bestimmt über mehrere Stunden im Moor, also dort, wo ich dich gefunden habe, festgesteckt haben, immerhin hattest du noch gestern Abend um die 40o Fieber. Ich habe dir jedenfalls hierzu während der ganzen Messung das Fiberthermometer im Mund über gehalten. So, und jetzt weißt du es!

(ein wenig amüsiert) Und wer ich bin‘? Hm! Ich bin der, den die abergläubischen Leute wie wohl auch du den Moormann nennen!

Meine Studenten von der Lenneberg Universität allerdings kennen mich als Dr. Olgus Gloy, der vor drei Jahren freilich nach dem Tode seiner allseits geliebten Frau und dann auch seiner ebenso lieben Mutter, Frau Katasterdirektorwitwe Olga Gloy, ins Moor übergesiedelt ist und seitdem zusammen mit zwei weiteren Moormännern, beide wie ich Aussteiger, seinen Lebensunterhalt durch Torfstechen finanziert. Hm!

Mein Haus hier hatte übrigens jahrelang leer gestanden, ich habe es von den Erben eines wahren Kauzes gekauft, von dem die Leute im Dorf sagen, er habe mit den Tieren sprechen können, jedenfalls wenigstens immer dann, wenn er einigermaßen nüchtern war.

Nun ja, so ist es kein Wunder, dass das Haus damals völlig heruntergekommen war. Ich habe mit meinen beiden Freunden aus der Moormänner-Gruppe viel Energie in die Reparatur hineingesteckt, und jetzt ist alles einigermaßen gut. Auch habe ich seit diesem Frühjahr endlich Strom für meine Tiefkühltruhe und für meinen Fernseher sowie endlich auch einen festen modernen Betonweg als Zufahrt von Hochstein-City her, sodass auch die Versorgung ganz leidlich modern sichergestellt ist. Jeden Donnerstag kommt gegen 11.00 Uhr der Rohfrostmann mit seinem Angebot bis vor die Haustür.

(mit fürsorglicher Dienststimme, die sagt, wo es langgeht) So! Genug der vielen Worte, genug erklärt! Hm! (nimmt vom Nachttisch ein Fieberthermometer) Jetzt aber steck dir erst einmal mindestens 5 Minuten lang das Fieberthermometer unter die Achsel und antworte mir in der Zwischenzeit möglichst klar und deutlich (wohlwollend und zugleich die Situation klar beherrschend):

Wer bist du eigentlich, wo kommst du her und was hast du so

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gottverlassen alleine im Moor gemacht?

Lottchen (mit schwacher Stimme und in Dankbarkeit stammelnd) Sie, Herr Moormann, Sie haben mich aus der Todesgefahr gerettet! Ach! Ich weiß ja gar nicht, wie ich Ihnen danken soll! Danke, danke, lieber Moormann oder lieber Herr Gloy!

(weiterhin mit schwacher Stimme niedergeschlagen, aber dennoch eilfertig) Ich jedenfalls heiße Lottchen Lamm, bin 14 Jahre und wohne mit meiner Mutter zusammen alleine auf einem kleinen Bauernhof in Stottmert. Wir haben uns auf die Herstellung von Ziegenkäse spezialisiert. Und weil gerade Sommerferien sind, besuche ich jeden Morgen unsere mittelgroße Ziegenherde am Westrand des Moores, wo wir saftiges Grasland samt einer großen Streuobstwiese besitzen, –und das alles wegen der Wölfe durch einen hohen Elektrozaun gesichert. Tja! Und da war und ist halt in der Nachbarschaft auch das Moor, geheimnisvoll, einsam, bunt, wild und schön!

(wischt sich mit matter Hand den Schweiß von der Stirne) Nie habe ich mich je hinein getraut, zumal die Leute im Dorf und auch die Lehrer meiner Schule mir wie auch allen Kindern vor dem Moor und vor dem Moormann immer tüchtig Angst eingejagt haben.

(mit matter aber leicht erhöhter Stimme )‚Pass auf, sonst holt dich der Moormann!‘ So hieß es immer. Und meine Mutter gar hat die Fehlstellung meiner Hüfte mit der Rache des Moormanns erklärt, weil sie selbst einmal im Moor auf der Suche nach einer entlaufenen Ziege mit Steinen nach den Irrlichtern geworfen habe.

Das habe ihr der Moormann übel genommen. Das jedenfalls hat sie immer erzählt.

Moormann (beruhigend lächelnd und Kompetenz ausstrahlend, anordnend und bewertend) So! gib mir mal das Thermometer! Aha! 37,70. Das ist ja schon viel besser! Aber du hast immer noch Fieber und musst dich dringend schonen. Am besten bleibst du heute über Nacht hier.

Hm! Tja!

(beiseite, dann aber dem Mädchen zugewendet) Mist, dass ich kein Telefon im Hause habe, hm, deine Mutter muss ja unbedingt benachrichtigt werden! Hm!

(freudig) Aber heute ist ja Donnerstag, -Gott sei Dank- und heute kommt der Rohfrostmann, jedenfalls normalerweise, vielleicht kommt auch der Paketbote des SPD, also des Sauerland-Post- Dienstes, oder es kommt sogar auch noch der Mercur-Dienst, jedenfalls habe ich bei Rambazon verschiedene Sachen bestellt.

Ergo, das heißt: Ich werde einfach den Rohfrostmann oder einen

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der Paketboten bitten, deine Mutter zu benachrichtigen, dass sie sich keine Sorgen mehr zu machen braucht. Jawohl! Genau! So machen wir es!

Lottchen (bestürzt) Was? Donnerstag? Heute? Wie? Ist heute schon Donnerstag? Ach du liebe Güte! Ich bin ja am Dienstagabend gegen 19.30 Uhr ins Moor aufgebrochen! Und das war ja vorgestern! Du lieber Gott!

(schnell und wieder matt sprechend) Aber meine Mutter ist bis Sonntagabend ja gar nicht zu Hause. Sie ist in Attendorn und betreibt dort auf dem Gauklerfest zusammen mit den Verse- Landfrauen den Gyrosstand! Und eine Telefonnummer hat sie mir wie üblich nicht hinterlassen.

(sie stützt sich mit der Rechten am Kopf auf und greift sich mit der freien Hand an den nach rechts leicht geneigten Hinterkopf, sie schielt keck –wenngleich fiebertrunken- und zugleich auch ein wenig furchtsam nach oben) Vielleicht braucht sie ja auch gar nichts von meinem Ausflug ins Moor zu erfahren. Sie hat es mir nämlich bei Strafe deutlich verboten, ins Moor zu gehen.

Moormann (wie ein Pädagoge wohlwollend Abwägung mimend) Hm! Tja! Hm!

So ist es! Mal sehen, was wir machen können!

(fest und ernsthaft resümierend) Es ist alles einfach nicht mehr zu ändern! Denn Faktum ist: Heute ist Donnerstag 09.00 Uhr morgens, und ich habe dich gestern in aller Frühe im Moor gefunden. Du warst ganz und gar ohnmächtig und stecktest bis zur Hüfte in einem Wasserloch! Dabei muss man sagen, hast du auch noch ein Riesenglück gehabt, dass du in deiner misslichen Lage nicht umgefallen bist! Du wärest ansonsten mit Sicherheit ertrunken!

Doch –Gott sei Dank- du bist nicht ertrunken, du lebst, wenngleich du ziemlich mitgenommen warst! Auf dem Wege hierher habe ich dich die ganze Zeit getragen, denn du warst richtig weggetreten, hast geschlafen und hast den ganzen Weg gezittert, und hier jedenfalls bei mir hast du dann unentwegt weitergeschlafen und im Fiebertraum den ganzen Tag und die ganze Nacht lang Unverständliches vor dich hin gebrabbelt. Hm!

Lottchen (lässt sich matt auf den Rücken fallen und wischt sich erneut die Stirn) Ich hatte auch einen furchtbaren Albtraum von Irrlichtern, die mich auf dem nächtlichen Wege zu dir vom sicheren Pfad ins ungewisse Moor gelockt haben!

Moormann (nach einer kurzen Pause des Abwägens mit fester entschlossener Stimme) Hm! Die Mutter können wir im Moment nicht benachrichtigen! Hm! Also: Weißt du was, Lottchen? Du bleibst

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jetzt vorläufig einfach hier, jedenfalls solange bis du fieberfrei bist!

Du bleibst also im Bett und kannst ja, wenn du magst, Fernsehen schauen. Leider kriegen wir hier nur das erste Programm, das ZDF und WDR 3! Na, was soll`s! Da ist die Fernbedienung! Und wenn es dir zu viel ist, dann machst du einfach die Augen zu. Denn Schlaf heilt schließlich jedes Fieber! Glaub mir!

Lottchen (von draußen hört man eine dreifaches Tuuuut! Tuuut! Tuuut!) Ich gucke später, aber was ist das? Ein Auto?

Moormann (freudig und launig) Ahh! Das ist der Rohfrostwagen! Du kannst ihn gleich vom Bett aus durch das Fenster sehen! Da! Siehst du?

Lottchen (sich ein wenig mühsam aufrichtend starrt sie durch das Fenster und liest amüsiert die lustige Reklame auf der Plane des Lloyd-Dreirad- Kabinenrollers vor)

In Stadt und Land Ist weit bekannt:

Es liefert dir der Rohfrost-Bote Feinkost mit besond‘rer Note!

Wo

Eule

nschlag den Wald bewacht, Wo

Fuchs

dem

Wolf

wünscht ‚Gute Nacht‘,

Gebricht dem Hunger alle Macht, Weil Rohfrost lecker Essen macht.

Des Gourmets Gaumen flugs erwacht, die stolze Hausfrau fröhlich lacht.

(lacht und fragt belustigt lachend in den Raum) Ha, ha! Eule, Fuchs und Wolf, die sich in den Armen liegend ‚Gute Nacht‘ wünschen!

Das gibt es vermutlich wirklich nur hier am Ende der Welt! Ist denn das hier, lieber guter Moormann, so etwas wie das Paradies? Na, dann wird der Rohfrostbote ja auch schon etwas ganz besonders Gutes bringen? Nektar und Ambrosia vielleicht? Ha, ha, ha!

Moormann (geht nach draußen und ruft über die Schulter zurück) Täusche dich nicht, mein Lottchen! Du wirst noch staunen! Das Essen nämlich ist zwar nicht ganz billig, aber dafür einfach phantastisch, zudem ich eigentlich auch gar nicht richtig kochen kann!

(aufgeräumt zum Rohfrostboten) Na Chef, alles klar? Gut, dass Sie kommen! Ich habe einen Mordshunger! Ich habe einen Gast drinnen, und zum Mittagessen kommen nachher meine Kollegen von der Moormanngruppe! Was gibt es denn heute Besonderes von der Firma Rohfrost?

Rohfrostbote (preist bei weiterlaufendem Motor mit seiner Schnakenstimme

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geschäftig an) Da werden Sie staunen, Herr Doktor! Außer dem üblichen Wochenpaket zu € 68,25, das ich wie immer für Sie abgepackt habe, biete ich Ihnen heute –und jetzt aufgepasst-:

Mariniertes Rebhuhn mit Füllung von Rehragout an Hasenpfeffer im zarten Thymian-, Rosmarin- und Majoran-Sahnebett als Doppelpack zum Sonderpreis von nur € 23,50! Die Alu-Packung einfach 15 Min in sprudelndem Wasser erhitzen! Fertig! Na, da sagen Sie jetzt gar nichts mehr?

Moormann (lachend das Portemonnaie ziehend) Genau! Prima! Das nehme ich heute zusätzlich! Abgemacht! (hat Scheine in der Hand und kramt in der Hosentasche nach Münzen, die er übergibt) Macht € 91,75. Hier bitte!

Rohfrostbote (geschäftig) Nix zu danken, Herr Doktor, nix zu danken (ihm das vorbereitete Rohfrostpaket zusammen mit der gefüllten Rebhuhn- Doppelpackung übergebend) Und wie immer passend! Der Herr Doktor! Prima! Danke! Sie wissen ja: Immer frisch von Rohfrost schnelle, immer frisch für Sie zur Stelle! (Schwingt sich routiniert in die Fahrerkabine seines Dreirades) Also dann, bis zum nächsten Donnerstag! (ruft noch aus dem Wagenfenster) Vorsicht! Da kommt der SPD-Bote auf seiner Quickli plus Anhänger und wie immer mit einem neuen Super-Werbeaufdruck: ‚Nichts tut weh – SPD‘

Moormann (freudig erregt, ruft Lottchen durch die Tür zu) Ja, heute ist wirklich was los im Moor! Der Herr Bote vom Sauerland-Paket-Dienst kommt also auch noch!

Lottchen

(weiterhin amüsiert, aber auch vom Fieber geplagt, stützt sich erneut auf, um durch das Fenster das Geschehen zu beobachten) Ist das immer so hier? Ich habe Kopfweh!

Moormann (schnell das abgezählte Geld bereithaltend nimmt vom SPD-Boten ein koffergroßes Paket entgegen) Prima, dass das mit dem Nachnahmepaket so wunderbar geklappt hat. Wir haben schon lange auf den Besteckkasten gewartet, und mein Freund Dr.

Lorbass braucht ihn dringend. Also, danke nochmal und auf Wiedersehen!

SPD-Bote (geschäftig) Noch eine Unterschrift, bitte schön, als Quittung für den Empfang der Nachnahme! Verbindlichsten Dank! So! Ach!

Moment e‘mal, Herr Doktor! Ich hab ja noch was! Der Kollege vom Mercur-Dienst ist mein Cousin und hat mich gebeten, es für Sie mitzunehmen. Da isses! Noch en Paket! Von Werkzeug Salamander! Aha! Dafür kostet ‘s auch nix, nur eine Empfangsunterschrift! Bitte sehr, hier kurz unterschreiben!

Dankeschön! (steckt seine Unterlagen samt dem elektronischen

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Unterschriften-Quittier-Gerät umständlich in seine Bauchtasche) Also bis zum nächsten Mal! Man sieht sich! Tschüssi!

Moormann (laut) Tschüss und vielen Dank nochmal! (erregt beiseite) Mein Werkzeugkasten! Endlich! Na, da habe ich aber lange darauf gewartet! Hm! Die Firma Salamander ist ganz offensichtlich nun wirklich nicht die schnellste! Aber immerhin, er ist da, der Werkzeugkasten, meine neue Hammerkollektion, ha, von 100g bis 500g! Sie ist da, endlich!

Lottchen (matt) Hier gefällt es mir, lieber Moormann, ach, wenn ich doch bloß nicht so müde wäre! (sie gähnt und wischt sich erneut die Fieberstirn) Was ist denn das für ein großes Kofferpaket? Und da unter dem Arm ein nicht minder großes Riesenpäckchen?

Moormann (das zweite ‚ha‘ mit besonderer Betonung nach oben ziehend) Ha, ha! (aufgeräumt) Weißt du, Lottchen, heute ist ein Glückstag für unsere kleine Moorgemeinde, erst der Rohfrostmann mit tollen Spezereien und dann der Bote vom SPD mit gleich zwei Paketen.

(ziemlich schnell und weiterhin heiter erklärend) Das eine ist übrigens ein Arztbesteckkasten, den ich für meinen Freund und Arzt Dr. Walter Lorbass, der selbst keinen Laptop besitzt, vom Internetkonzern Rambazon bestellt habe. Er braucht ihn dringend und wartet schon ganz lange darauf.

Und in dem anderen Paket –ich mache es gerade mal auf -meine Güte- das hat ja auch so eine lustige Reklameaufschrift- in dem anderen Paket also ist mein –na? Na? - Salamander- Werkzeugkasten (!), den ich schon vor über drei Monaten bestellt habe. Ich habe ja schon gar nicht mehr daran geglaubt, dass der noch kommt! Aber, das isser! Hm! Na ja, was lange währt, wird endlich gut!

(aufgeräumt) Ach und übrigens erwarte ich heute noch Freund Lorbass etwa gegen zwei Uhr zum Mittagessen. Und er bringt auch noch unseren gemeinsamen Freund, den Pfarrer und Dichter Kaspar Kerinnes mit. Wir drei sind nämlich die drei Moormänner und trinken gelegentlich zum Mittagessen zusammen eine gute Flasche Moormeister-Kräuterlikör. Na, du wirst sie ja gleich kennen lernen!

(er stellt dabei beiläufig den Arztkoffer und den Werkzeugkasten auf dem Tisch ab, sodass Lottchen beider Aufschrift lesen kann, und sagt) Ich gehe noch einmal für eine halbe Stunde vor die Tür, um die Torfernte vom Dienstag auf den Anhänger umzuladen. Wenn meine Gäste kommen, ist das Essen ja dank Rohfrost binnen 15 Minuten bereitet. Also bis dann! (er tritt aus der Tür)

(17)

Lottchen (matt) Ja, ja! (Lottchen spricht zu sich selbst) Was steht denn drauf, auf den Paketen? Huch! (sie richtet sich mühsam ein wenig auf, kneift die Augen zusammen und liest langsam, was dort groß und klein geschrieben steht)

Auf dem Werkzeugkasten steht:

Mit Schweißtuch in der Warteschlange!

Sei keine Kröte, sei nicht bange!

Frag mich, den Fachmann, such mein‘ Rat!

Ich geb ihn gern von früh bis spat.

Um Hammer, Nägel, Eisenwaren Musst du nicht zum Baumarkt fahren!

Sachverstand, das find ein jeder Stets bei Werkzeug-

Salamander!

(sie schüttelt leicht den Kopf, was sie aber im gleichen Moment bereut und sich mit der freien Hand an den Kopf greift) Was für ein blöder Name: Salamander! Doof! Und was hat eine Kröte mit einem Schweißtuch und beides mit einem Werkzeugsortiment zu tun? Richtig blöd, der Spruch! Hm! Und auf dem Arztkofferpaket – hm- von einer Firma Wassermann -wieder ein so komischer Name- da steht ganz rot und schwarz:

Vorsicht! Nicht stürzen!

Arztware!

Arztbesteck, Spritzen, Medikamente

Das ist okey! Aber darunter steht ganz klein und in enger schwarzer Schrift:

Wenn jemand wirklich alles kann, Dann ist’s die Firma Wassermann!

Denn Wassermann schleift alte Messer Als die sieben Zwerge besser!

Brauchst du Becher, Töpfe, Schlüssel:

Wassermann hat‘s auf der Schüssel!

(sinnend und dabei wieder in die Rückenlage gleitend) Arztbesteck?

Was hat ein Arztbesteck mit Zwergen und alten Messern, mit Töpfen gar und Schlüsseln zu tun? Hm! Und überhaupt! Ein Arztbesteck von Rambazon! Und dann noch von einer Firma Wassermann? Was es alles gibt?

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(sie schließt die Augen) (Vorhang)

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3. Bild: Die Operation Lottchens an Hüfte und Bewusstsein

Lottchen Lamm Das Fieber drückt.

Im Schlaf entrückt,

Wild wälzt sich Lottchen hin und her, Im Kopfe spukt ein Bildermeer!

Geht es mir gut?

Was macht mir Mut?

Geht es mir schlecht?

Geschieht mir recht?

Denn in der Bilder reichen Flut Wirkt auch so manche Teufelsbrut.

So tapfer kämpft, vom Traum geplagt, Mein freier Geist, doch Zweifel nagt.

Gerettet zwar, doch in Gewalt

Des Moormanns bin ich, Lottchen, halt.

Will er mich fressen oder pflegen?

Dient ‘s zum Schaden oder Segen?

Ich muss recht machen, was er will!

Will dankbar sein und halten still!

Denn Gottes Demut lenkt mein Leben, Immerdar auf allen Wegen.

Jetzt Moormanns Gäste sind gekommen, dass halb im Schlaf und das benommen, lausch ich dem Gespräch der Gäste, Dass alle wollen nur das Beste!

(Vorhang auf)

(der Moormann erhitzt gerade am Küchenherd einen großen Topf Wasser, um darin das Rohfrost-Menu zuzubereiten, während im Notbett das Raumes Lottchen sich gewohnt unruhig im Schlafe hin- und her wälzt und gelegentlich ein ‚Ach‘ oder ‚Oh‘ oder sonst einen Ausruf tätigt; Der ebenfalls im Raum vorhandene Tisch ist gedeckt mit Tellern, Besteck und unterschiedlichen Trinkgefäßen –Humpen für Bier und Wassergläser für den würzig-kräftigen Moormann – Kräuterschnaps in der bequemen Magnum-Flasche)

(die Tür öffnet sich und herein poltern des Moormanns Gäste: der Pfarrer a.D. Kaspar Kerinnes und der Armendoktor Dr. Walter Lorbass)

Kaspar Kerinnes (spricht mit leicht näselnder Stimme und einem leicht sopranen

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Diskant) Lieber Kamerad Olgus! Sei gegrüßt! (sieht das unruhig schlafende Lottchen) Du hast ja lieben Besuch. Geliebt! Deine Nichte vielleicht? (gibt dem Moormann seine Hand) Und dein Haus! Dein goldiges Haus! Ha, ha, ha! Du hast dir mit unserer und Gottes Hilfe hier ja ein wirkliches Sanssouci erschaffen!

Moormann Kommt doch rein! (gibt nun auch dem nur milde lächelnden Dr.

Lorbass die Hand) Ja, mein Haus wird immer komfortabler, eine richtige Zufahrt, Strom, TV und eine gefüllte Tiefkühltruhe, nur fließendes Wasser fehlt mir noch. Der Teenager da übrigens heißt Lottchen Lamm aus Stottmert. Sie ist mir vorgestern zugelaufen bzw. mit ihrem angeborenen Hüftschaden zugehinkt, na ja, vielmehr habe ich sie aus einem Wasserloch im Moor gerettet. Sie schläft gerade ihr Fieber aus.

Dr. Walter Lorbass (interessiert) Hüftschaden?

Kaspar Kerinnes (zwischendurch) Entschuldigt, ihr Kinnersche, ich muss einmal kurz verschwinde! (steigt von einem Bein auf das andere und eiert mit merkwürdigen Schritten zur Tür)

Moormann (ruft ihm schnell nach) Der Abort ist immer noch draußen! Du kennst ja den Weg! (den Gesprächsfaden wieder aufnehmend) Ja, ja! Hüftschaden! Sie hinkt, das heißt, sie sagt, sie hinke wegen eines angeborenen Hüftschadens. Gesehen habe ich es noch nicht so recht, da ich sie aus dem Moor hierher getragen habe und sie seitdem im Bett liegt, das heißt, ich habe es doch mit einem Auge bei der Verladung der Torfernte flüchtig gesehen, als sie vor einer Stunde ungefähr auf mein Plumpsklo nach draußen gehumpelt ist.

Dr. Walter Lorbass (elektrisiert) Da kann man vielleicht noch etwas machen! Ich schau mir das nachher einmal genauer an! Gut! Was anderes! Ist mein Medikamenten-, Besteck- und Spritzenkasten angekommen? Ich brauche das Bestellte nämlich dringendst! Wir hatten im Helfrichhaus Böllenberg erst jüngst drei Magendurchbrüche.

Moormann (beruhigend) Ja, ja, alles da! Und hier habe ich die Überraschung für heute! Ich sage nur Rohfrost! Tandaradei! (nach einer kurzen Kunstpause, die den Spannungsbogen deutlich steigert, und mit triumphierender Stimme) Mariniertes Rebhuhn mit Füllung von Rehragout an Hasenpfeffer im zarten Thymian-, Rosmarin- und Majoran-Sahnebett, und das im Doppelpack zum Sonderpreis von nur € 23,50! Die Alu-Packung einfach 15 Min in sprudelndem Wasser erhitzen! Fertig! Da guckst du? Gell? Und das Wasser ist schon heiß. Hinein also mit den beiden Alu-Boxen! So! Messer zum Aufschlitzen bereit legen! Und 15 Minuten warten! Fertig!

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Ha!

Wir zwei genehmigen uns gleich mal einen zünftigen Moormann- Kräuterschnaps! (kippt mit verschmitzten Gesicht in zwei Wassergläser jeweils halbvoll den Kräuterschnaps aus einer Magnum-Flasche ein) So! Na, dann also Prost!

Dr. Walter Lorbass (schmunzelt) Prost, altes Sumpfhuhn!

Moormann Und noch einen! Was? Wir gehen halt also mit zwei in Vorlage!

Wenn unser geistlicher Herr Dichter vom Großendrehscheid nicht von seinen Geschäften herunterkommt, ist er geradezu selber schuld! (schenkt erneut ein) Also: Prost!

Dr.Walter Lorbass Also dann: zum Wohl! He, he! Hm! Bevor das Essen richtig gar ist, hole ich unseren geistlichen Beistand am besten auf der Stelle von seiner Sitzung! Also bis gleich! (während sich der Moormann ans Aufschlitzen der Rohfrostbehälter zu schaffen macht und damit beginnt, auf vier Tellern die Köstlichkeiten zu verteilen und mit Glockenheideblättern zu garnieren, eilt Dr. Lorbass zum Außenabort)

Kaspar Kerinnes (von wo man Dr. Lorbass hört:) An alle Gourmets: Es ist serviert!

(und von wo man kurz darauf einen empörten Schrei im typischen Singsang mit einer deutlichen Betonung auf dem gedehnten ‚i‘

hört)

Ich hatte doch geriegelt! Aber, ich komme, ihr Kinnerscher, ich komme!

Kaspar Kerinnes (Kerinnes und Lorbass treten ein) Aaah! Oooh! Das ist ja herrlich!

Ein Festmahl! Wie lange habe ich das nicht mehr genossen!

Geliebt! Und was du uns da auftischst, ich glaube, das ist was ganz Neues! Fasan?

Moormann Nein! Doppelt gefülltes Rebhuhn! (mit einladender Geste) So jetzt setzt euch doch, sonst wird es noch kalt! Aber zuvor möchte ich euch mit einem wohl gefüllten Wasserglas Moormann- Kräuterschnaps begrüßen! (greift nach einem vorbreiteten Glas) Bestens zum Wohl!

Die beiden Gäste (alle prosten sich routiniert zu) Prost! Zum Wohl! Und auf ein Neues!

Dr. Walter Lorbass (besorgt) Und der vierte Teller ist wohl für die Kleine? He? Na, dann sollten wir sie mal wecken, dass sie auch etwas vom Rebhuhn hat!

Moormann (schnell) Ich denke, wir sollten besser auf ein natürliches

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Aufwachen des Mädchens warten. Es hat ja noch Fieber, 37,70 noch vor ca. vier Stunden. Ich verwahre ihren Tellerinhalt noch einmal in der Alufolie und wärme es ihr später einfach auf! (was er eilig tut) So! Jetzt lasst es euch schmecken, Kollegen des Moors und des Lebens!

Kaspar Kerinnes (salbungsvoll mit seiner leicht näselnden Singsang- Stimme) Du hast wohl Recht, mein lieber Olgus! Der Herr wird sie schon zur rechten Zeit erwecken. Und wie heißt es doch so treffend in der Apostelgeschichte 529, man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!

Dr. Walter Lorbass (engagiert) Hier magst du Recht haben, mein lieber Kerinnes, nicht zuletzt auch weil sich dein Apostelgeschichtenspruch mit dem sogenannten gesunden Menschenverstand deckt. Wer will auch schon eine Fieberkranke aus ihrem Gesundheitsschlaf wecken?

Was aber sagt im ersten Römerbrief 131-7 und in vielen anderen Bibelstellen wie Matth. 2221 der Apostel bzw. der Evangelist zum Verhältnis des Christenmenschen zur Obrigkeit, also heute zum demokratisch verfassten Staat? He? Demnach nämlich sei der Mensch nach Gottes Willen der rechten Obrigkeit und ihrer exklusiven Gerichtshoheit untertan bzw. soll man Gott geben, was Gottes ist und dem Kaiser, wie die Obrigkeit zu Zeiten Jesu hieß, was dem Kaiser zukommt!

Kaspar Kerinnes Geliebt! Du hast ja Recht! Dass das irdische Recht von der Obrigkeit von Gott gewollt organisiert und wahrgenommen wird, hat schon der alte Kirchenvater Augustinus In seiner Predigt zum Johannis evangelium tractatus VI25/26 formuliert: ‚Per jura regum possessiones possidentur!‘ heißt es da oder neben vielen ähnlichen Einlassungen: ‚De iure humano agitur!‘

Moormann Meinen Studenten von der Lenneberg-Universität Eveking habe ich immer gepredigt: Wir leben in einem Rechtsstaat, dessen Modalitäten das alles und allem übergeordnete Grundgesetz regelt. Nur im Rahmen des Grundgesetzes sind alle Lebensäußerungen, Ansprüche und Überzeugungen und Ordnungsvorstellungen der Menschen in unserem Land leb- und erfahrbar, und zwar immer dann, wenn sie den Lebensraum, die Sphäre, auch nur eines meiner Mitmenschen berühren.

Dazu zählen auch und ganz besonders religiöse oder sonstige weltanschauliche Überzeugungen. Gut! Sie sind wohl alle frei, aber sie sind auch immer stets nur privat, d.h.: sie sind nicht öffentlich-rechtlich und nicht allgemein verbindlich, und ihre Entfaltung und Wirkung ist deshalb auch stets von den Werten

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des Grundgesetzes eingehegt.

Kaspar Kerinnes (Empörung spielend) Ich kann doch als Geistlicher nicht zwei Herren dienen, also Gott und dem Mammon, wie der Staat zur Zeit des goldenen Kalbs geheißen haben mag. In welchen Nöten standen da meine katholischen Brüder zur Zeit des Bismark’schen Kirchenkampfes zum Beispiel!

Dr.Walter Lorbass (mit Nachdruck die gespielte Ironie seines Vorredners ignorierend) Doch! Pass auf! Man könne zwar nicht zwei Herren [gleichzeitig) dienen, Gott und dem Mammon, wie es bei Matth. (624) und bei Lukas (1613) heißt und wie es die Israeliten in ihrem Tanz um das goldene Kalb in der Abwesenheit des Mose praktiziert haben sollen. Du musst aber einfach zwischen privat und öffentlich- rechtlich unterscheiden!

Dieses Bibelwort also muss ganz auf die private Sphäre der religiösen Überzeugungsträger verwiesen werden, es ist nämlich ganz und gar interpretationsbedürftig und hat im öffentlichen Raum unserer staatlichen Werteordnung keinen etwa anderes ausschließenden Geltungsanspruch.

Das heißt: Die 10 Gebote, die Gott durch Moses dem israelischen Volk gegeben haben soll, bilden gründend im ersten Gebot, dem ausschließlichen Gottesgebot, also letztbegründend, einen einheitlichen (Werte-)Raum, der im Falle der Zulassung weiterer Götter zu Widersprüchen führen würde. Es gibt aber in unserer Gesellschaft auch viele Menschen, die nicht an die Geschichte der 10 Gebote glauben, die den Werten der 10 Gebote nur insofern folgen, als sie das Gleiche meinen wie die Gesetze und Werte des Grundgesetzes, so zum Beispiel die Verbote des Tötens, Stehlens und Verleumdens. Vielleicht ist ihre religiöse Überzeugung, dass es überhaupt keinen Gott gibt.

Eine christliche oder andersartige religiöse Überzeugung gilt also nur für den individuell religiösen Raum eines Menschen unserer Ordnung, und zwar für den, der daran glaubt, sie gilt also wohl für seine Privatsphäre, aber nicht für die Privatsphäre anderer, die nichts oder etwas anderes glauben mögen, können und dürfen.

Somit haben ergo andere Überzeugungen vor dem Grundgesetz den gleichen Wert wie die Überzeugungen derer, die an die 10 Gebote glauben, das heißt auch: Alle weltanschaulichen Überzeugungen stehen –soweit sie den Werten des Grundgesetzes nicht widerstreiten- im fairen Wettbewerb miteinander.

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(er steht jetzt pathetisch auf und spricht wie auf einem Vortrag mit erhöhter rhetorisch- pädagogischer Stimme) Ja, ich gehe noch weiter: Man kann somit sagen: Nur diejenigen, die den Werten des Grundgesetzes verpflichtet sind, sind überhaupt diskursfähig, nur sie können im fairen, also gleichwertigen Diskurs auf Augenhöhe der Teilnehmer, nach vereinbarten und für alle gültigen Regeln um Problemlösungen ringen. Wer sich aber nicht zu den Werten des Grundgesetzes bekennt, ist eben nicht diskursfähig. Mörder, die anderen das Leben nehmen, oder Verfassungsfeinde sind einfach nicht zum Diskurs qualifiziert.

An den zahlreichen Fernsehrunden sollten deshalb weder Mörder noch menschenfeindliche Verächter von Minderheiten oder von Einzelmenschen geschweige denn Vertreter von verfassungsgefährdenden Parteien oder Gruppen welcher Art auch immer und auch keine Hassprediger teilnehmen dürfen.

(setzt sich erschöpft nieder und gießt jedem das Wasserglas mit Kräuterschnaps voll)

Moormann Das ist ein Wort, das ich gerne unterschreiben möchte. (ergreift sein randvolles Glas und prostet seinen Freunden zu) Darauf trinken wir, Freunde! Prost! (setzt das Glas mit etwas zu viel Schwung auf dem Tisch auf und fährt launig fort)

Ich überlege sogar, ob ich meinen gegenwärtigen Aussteiger- Status, der mir durch die tägliche Selbstreflexion in der Einsamkeit des Moores so viele grundlegenden Einsichten wie die der rechten Diskurs-Ethik gebracht hat, nicht alsbald wieder verlassen sollte, mit anderen Worten also: ob ich nicht besser zurückkehren sollte ins öffentlich-rechtliche Leben, um dort für die Aufklärung der Menschen an einflussreicher Stelle, etwa mit einem neuen Lehrauftrag an der Lenneberg-Universität in Eveking zu wirken?

Kaspar Kerinnes (mit verwegen klingendem und ein wenig alkoholisiertem Organ) Warum eigentlich nicht, Kamerad Olgus? Auf uns Moormänner, auf die edelste Gemeinschaft der Freidenker vom Moor! (sie stoßen ein wenig zu fest mit ihren Bierhumpen an)

Lottchen (gähnt herzhaft, ohne die Hand vor den Mund zu nehmen) Äh, Scheiße! Oder was? Oh Mann, was geht hier ab? Echt?

Kaspar Kerinnes (mit wohlwollender Stimme) Mein kleiner Landser!

Moormann (beiseite) Hm! Entlarvende Sprache! Das Fieber scheint jetzt wenigstens überwunden! Ich denke, wir sparen uns eine weitere Messung!

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Dr. Walter Lorbass (fürsorglich, wie ein Arzt seinem Patienten gegenüber) Da ist ja jemand aufgewacht? Na? Wie geht’s? Geht’s gut?

Moormann (heiter) Darf ich vorstellen: Dr. Walter Lorbass und Pfarrer Kaspar Kerinnes, zwei echte Moormänner wie ich und Fräulein Lottchen Lamm aus Stottmert, Teilhaberin an den Gefahren des Moores.

Lottchen (stöhnt, hat aber wieder richtig wache Augen) Ach, ich hab da einen durch und durch grauenhaften Traum geträumt! Puuuh!

(sie schüttelt sich)

Moormann (aufmunternd) Komm und setz dich her! Du wirst sicher Hunger haben! Ich habe auch etwas ganz Besonderes für dich! Warte, ich muss es nur wieder heiß machen! Das Wasser über dem Feuer ist leider nur noch lau. Es dauert also ein bisschen! Du kannst uns ja in der Zwischenzeit von deinem Traum erzählen!

Lottchen (schüttelt sich erneut)

Der Traum war wirklich furchtbar! Also: Ich war ja beim Einbruch der Dunkelheit ins Moor gezogen um einerseits mein Schwesterkind, so nenne ich das blaue Licht, das meine Mutter einst mit Steinen beworfen und verletzt hatte, und um andererseits auch dich, den Moormann, um Verzeihung zu bitten.

Auch hatte es mich gereizt, die Vorurteile der Menschen über dich zu enttarnen.

Kaspar Kerinnes (pastoral) Das ist durchaus sehr lobenswert, wenn doch nur jeder oder jede so gute Anlagen hätte wie du, mein Kind! Aber weiter!

Lottchen (durch das Lob bestärkt) Gut! Da bin ich aber von blauen Irrlichtern verleitet vom Weg abgekommen und in das Wasserloch geraten, wo ich richtig feststak und von wo ich aus eigener Kraft nicht mehr loskommen konnte. Wie habe ich da gotterbärmlich um Hilfe geschrien und wie viele Gebete habe ich da gesprochen. Ich war zu Tode verzweifelt in meiner Not.

Kaspar Kerinnes (salbungsvoll im gewohnt näselnden Singsang) Ja, ja! Die Irrlichter!

Sie sind wie die Lilien auf dem Felde, sie säen nicht und sie spinnen nicht, und der Herr erhält sie doch!

Lottchen (engagiert und mit treuem Blick auf den Moormann) Doch endlich!

Nach einer schier unendlich langen Zeit kamst plötzlich du und hast mich gerettet, hast mich in deinen Armen vom Moorloch weggetragen durch das ganze wilde Moor bis in dein Haus, wo du mich zur Ruhe gebettet hast und wo ich –wie ich jetzt weiß- zwei Nächte lang durchgeschlafen habe. Richtig unheimlich war das, das Moor mit seinen Irrlichtern und deinen dort immerfort

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schmatzenden Schritten und dann auch dein mir so ganz fremdes dunkles Haus mit seinem tiefen schwarzen Schilfdach.

Moormann (mit der Stimme eines Pädagogen) Ich bin doch nicht unheimlich und in meinem Haus ist es eigentlich vielmehr doch richtig gemütlich! Stimmt doch oder?

Lottchen (ernsthaft) Mir aber war im Traum ganz unheimlich!

Und noch unheimlicher war, dass mir der Kopf hin und her schwirrte und dass ich den ganzen Weg über nicht ein Sterbenswörtchen habe sprechen können. Und als wir dann das dunkle Schilfhaus gerade betraten, hörte ich von oben auf dem schwarzen Schornstein eine Eule, die ganz unheimlich immerzu rief: „Menschenkinder schmecken gut!“ Mich durchfuhr da vielleicht eine panische Angst! Haben die Leute, sagte ich mir, also haben die Leute, die vom Moormann sprechen, vielleicht doch Recht? Ist der Moormann vielleicht gar doch ein wilder Menschenfresser?

Moormann (mit Schmunzeln) Na du, bin ich ein Menschenfresser, he, he?

Lottchen Nein, natürlich nicht, du bist kein Menschenfresser, ich weiß, und im Traum hoffte ich es wenigstens ganz inständig!

(mit dankbarem Augenaufschlag) Und du hast ja auch meine gelegentliche Frage im Traum entsprechend beantwortet und mir stattdessen uneigennützig Unterkunft und Logis gewährt, ich solle dir nur für deine Gastfreundschaft demütig dienen, hast du im Traum, als ich schon im Bett lag, gesprochen, ich solle dir das Haus in Ordnung halten und dir kochen, was ich dir im Traum auch zu tun versprach.

(mit Schaudern) Doch dann mitten in der Nacht kamen die Zweifel zurück, ich lag folglich ganz gelähmt unter der Decke. Es kamen nämlich Besucher…

Dr.Walter Lorbass (witzig schmunzelnd) Wir etwa? Kerinnes und ich? He?

Lottchen (die Stimme schaudernd senkend) Nein, es waren merkwürdige Besucher, zuerst die Eule von vorhin, jetzt aber zusammen mit einem Fuchs und einem Wolf. Die drei brachten dir ein Rebhuhn, einen Hasen und ein Reh. ‚Für den Herrn der Lebendigen‘, rief die Eule, ‚für den Herrn der Toten‘, so der Fuchs, und schließlich der Wolf: ‚Für den Herrn der Gespenster!‘

Was für ein mächtiger und furchtbarer Dämon mag der Moormann sein? So durchschoss es mich! Ist er der Beherrscher

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der Natur, der lebendigen und der toten Natur und gar der Beherrscher der Untoten in der Zwischenwelt, die keiner kennt?

Ein Geist? Einer, der mit dem Teufel in Verbindung steht? Oh Gott! Mir aber wird er wohl nichts tun, jedenfalls hat er nichts getan! Ich lebe ja noch und liege hier in seinem warmen Bett! Er hätte mich ja längst umbringen können oder mich im Moor meinem Schicksal überlassen können! Das alles hat er nicht!

Wenigstens redete ich mir das alles gebetsmühlenartig und eindringlich ein. Jawohl! Der Moormann hatte mich gerettet und hat mich aufgenommen! Nein, er ist ganz bestimmt gut!

Doch die Zweifel nagten weiter, auch wenn man es nicht will, zumal mein Schwesterkind am frühen Morgen mit seiner verrenkten linken Hüfte plötzlich bis an die Tür herbei gehinkt kam. Es winkte mir mit seiner durchsichtigen Hand zu, es lächelte geheimnisvoll und warnte mich dann mit zischelnder Stimme:

‚Trau dem Moormann nicht! Heute Nacht wird er dich mit seinem scharfen Messer schlachten, so wie er mich geschlachtet hat!‘ Ich wollte es nicht glauben und verjagte das Kind.

Aber des Nachts kamen wieder beunruhigende Gäste. Eine verwachsene Alte brachte ein langes Messer ‚Damit es tiefer schneidet!‘, sagte sie mit einer schneidenden Quetschstimme, und ein Zwerg stellte einen Schleifstein vor das Feuer, ‚Damit es schärfer schneidet!‘, krächzte er, und dann stellte noch zuletzt ein durchsichtiger und tropfender Wassermann eine silberne Schale auf die Schwelle mit den Worten: ‚Damit das Blut nicht überfließt!‘ Mich durchfuhr es geradezu! Denn wozu braucht der Moormann ein solches ganz scharfes Messer und wofür eine Blutschale? Will mich der Moormann vielleicht doch schlachten?

Ich konnte in meinem Traum jetzt nicht mehr schlafen und zitterte die ganze Nacht!

(jetzt ganz leise und stoßweise sprechend, dadurch ihre existentielle Furcht spiegelnd und zudem ihre ganze Abscheu vor dem Rat des Wesens aus der Zwischenwelt ausdrückend) Und schließlich erschien -um die Szene noch abzurunden- ganz in der Frühe erneut das durchsichtige Kind am Fenster und behauptete durchtrieben lächelnd, das Messer sei tatsächlich, um mich zu schlachten! Es wisse schließlich, was es sage, es selbst sei ja gestern erst ebenso vom Moormann geschlachtet worden!

Daraufhin verwandelte sich das durchsichtige Kind in eine Elster und flatterte krächzend auf das Dach. Von oben herab krähte die schwarze Elster durch den Schornstein furchteinflößend, ich aber könne dem Moormann, wenn ich wolle, noch zuvorkommen, wenn ich aus seinem Werkzeugkasten einen der Hämmer und einen der riesigen Baunagel entnähme, den ich ihm dann im Schlaf von hinten mit einem kräftigen Schlag in den Kopf treiben

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sollte. Überdies sollte ich schließlich mit einem Schweißtuch sein schwarzes Blut auffangen und über meine verrenkte Hüfte streichen, die dann daraufhin geheilt sein würde!

(sich schüttelnd und voller Inbrunst versichernd) Brrrr! Das aber mache ich auf keinen Fall! Wenn ich halt schon sterben muss, dann ergebe ich mich meinem Schicksal. Wenn Gott will, dass ich durch den Moormann sterbe, dann sterbe ich eben. Darüber hinaus war ich ganz starr vor Schrecken und flüchtete mich voller Todesangst in flehentliche stumme Gebete.

(die Stimme zum Höhepunkt der Schilderung erhebend, aber auch endlich doch erleichtert) Und als sich nach ungewiss langer Zeit endlich die Tür öffnete und du, lieber Moormann, mit einem Messer, einem Schweißtuch und der silbernen Blutschüssel den Raum betratest, sodass ich mich mit vergehender Stimme schon in mein vermeintliches Schicksal zu fügen bereit war, da wachte ich –Gott sei Dank- durch ein dumpfes Geräusch auf, durch und durch schweißgebadet, wie du weißt und wie ihr alle es wisst.

Dr. Walter Lorbass (Betroffenheit mimend) Das sind ja wilde Geschichten! Hm! (ins Sachliche unvermittelt überschwenkend) Mich interessiert aber an dir etwas ganz anderes! Hm! Stehe einmal auf und gehe zur Tür, ja, gehe dorthin und komme wieder zurück. Na, los!

Lottchen (nicht gerne) Ich mag eigentlich nicht beim Gehen beobachtet werden. Die Schulkinder hänseln mich immer wegen meiner verrenkten Hüfte, ich sei ein Hinkebein, rufen sie mir nach und verspotten mich.

Dr. Walter Lorbass (mit pädagogischem Engagement) Ich will dich doch nicht verspotten, was denkst du, ich bin Arzt, ich will dir helfen! Also, hopp! Ja! Na also! Hm! (beiseite) Ich habe es ja gleich vermutet.

Beiseite) Tatsächlich! Nur eine hundsgemeine und ganz alltägliche Fehlstellung der Hüfte! (mit schwungvollem Optimismus) Also meine junge Dame, ich verstehe gar nicht, warum man dir bislang nicht geholfen hat! Das nämlich ist in deinem Fall ganz einfach und unkompliziert! Du musst ja noch nicht einmal ins Krankenhaus, musst überhaupt nicht operiert werden! Ach, was!

Ein beherzter Ruck von einem Experten der Chiropraktik, und du bewegst dich wie eine Schwanenschwinge! Hm! Du hast Glück!

Ich bin nämlich ein solcher Chiropraktiker, und ich kann dich heilen! Ja! Heute noch! Auf der Stelle!

Kaspar Kerinnes (im näselndem Singsang eines Seelsorgers) Na, so schnell sollen die Preußen jetzt noch nicht schießen, mein lieber Lorbass. Das Mädchen bedarf zunächst auch unseres seelischen Zuspruchs. So!

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