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Sterben für Tutsiland

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4 IP Dezember 2008

Brennpunkt

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Journal

Sterben für Tutsiland

Im Kongo droht der zweite Weltkrieg Afrikas. Nur eine internationale Elitetruppe könnte das Morden beenden. Doch wer will Blut dafür vergießen?

Thomas Knemeyer | Vor zehn Jahren tobte im Kongo ein Krieg, den die dama- lige US-Außenministerin Albright den

„ersten Weltkrieg Afrikas“ nannte.

Truppen aus fünf benachbarten Ländern kämpften entweder auf Seiten der In- vasoren aus Ruanda oder auf Seiten der Regierung in Kinshasa. Die Gefechte forderten drei bis vier Millionen Tote.

Seitdem wurden Friedensverträge unterzeichnet, ein Referendum abgehal- ten und im August 2006 Präsident Jo- seph Kabila bei demokratisch legitimier- ten, von UN und EU organisierten und bezahlten Wahlen im Amt bestätigt. Der Kongo erhält mehr als eine Milliarde Dollar westliche Entwicklungshilfe. Mit über 20 000 Mann, soeben aufgestockt, läuft im größten Flächenstaat Schwarz- afrikas seit Jahren die weltweit umfas- sendste Blauhelm-Mission.

Die aktuelle Bilanz all dieser Bemü- hungen und Zahlungen muss fassungs- los machen: Es droht der zweite Welt- krieg Afrikas. Die einfachste Antwort

auf die Frage, wie es so weit kommen konnte: Heute wie damals liegt dem Konflikt das tiefe Misstrauen der Tutsi (Minderheitsstamm in Ruanda und Kongo) gegenüber den Hutu zugrunde;

es geht zudem um Lebensraum und letztlich um Rohstoffe.

Ein Rückblick erhellt die derzeitige Lage. Als am 6. April 1994 die Präsiden- ten Ruandas und Burundis, beide Hutu, beim Anflug auf Ruandas Hauptstadt Kigali von einer Bodenrakete ermordet werden, beginnt eine Stunde später der schnellste Genozid der Menschheitsge- schichte. Binnen 100 Tagen töten fana- tische Hutu-Soldaten und Milizionäre, unter aktiver Mithilfe der Hutu-Bevöl- kerung, 800 000 Tutsi sowie moderate Hutu. „Es war, als seien die Nazis im Zentrum Afrikas auferstanden“, schreibt der Afrika-Autor Bartholomäus Grill.

Erst als die Tutsi-Rebellen von Paul Kagame (Front Patriotique Rwandais) aus Nordosten einmarschieren, fliehen 30 000 Hutu-Soldaten und die Inter-

Soldaten der kongolesischen Regierung am 11. November 2008 beim Einsatz an der Front im Osten

des Landes © Karel Prinsloo / Associated Press

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IP Dezember 2008 5

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Brennpunkt

ahamwe-Miliz über die Grenze in den Ostkongo – mit ihren Waffen, gefolgt von einer Million Hutu.

Nach wiederholten Übergriffen marschiert Ruanda im November 1996 im Kongo ein. Kagame, jetzt Präsident, vertreibt nicht nur die Milizen, seine Armee marschiert quer durch den Dschungel in das 1600 Kilometer ent- fernte Kinshasa, vertreibt den krebs- kranken Diktator Mobutu und instal- liert Laurent Kabila als Galionsfigur.

Der Krieg scheint beendet. Denn mit Kabila hatte Kagame einen „Vertrag“

geschlossen, wie später enthüllt wird:

Kabila habe versprochen, die Kivu-Pro- vinz im Osten an die Tutsi beiderseits der Grenze abzutreten. Geografisch und demografisch macht das Sinn: Ru- anda, ein Land kleiner als Branden- burg, ist mit 359 Menschen pro Qua- dratkilometer dichter besiedelt als In- dien; im Kongo, dem zwölftgrößten Flächenstaat der Erde, leben nur 26 Menschen pro Quadratkilometer.

Als Kabila sein Wort bricht und die Tutsi aus der Hauptstadt vertreibt, marschiert Ruanda im August 1998 erneut ein. Es kommt zum ersten Welt- krieg Afrikas, als Kabila Truppen aus Angola, Simbabwe und Namibia zu Hilfe ruft. Kabila wird im Januar 2001 von seinen Generälen umgebracht, als er, im Stile eines Hitlers im Endstadi- um, seinen Offizieren Feigheit vorwirft und sie erschießen lässt. Als Nachfol- ger wird kurzerhand sein unfähiger Sohn eingesetzt, damals 29 Jahre alt.

Aus Sicht Ruandas hat sich seit zehn Jahren nichts geändert. Der wehr- hafte Kleinstaat sieht sich als das Israel Zentralafrikas: Die Duldung der restli- chen „genocidaires“ jenseits der Grenze zum Kongo sei unerträglich, heißt es in Kigali. Folgerichtig rüstet die Regierung

von Paul Kagame den abtrünnigen kon- golesischen General Laurent Nkunda aus, um seine Rebellenarmee kampf- bereit zu halten: Nkunda ist ein Tutsi, der neuerdings davon träumt, den ge- samten Kongo einzunehmen. Dass hunderttausende Menschen flüchten müssen und zehntausende sterben, ficht weder Joseph Kabila in Kinshasa noch Paul Kagame in Kigali noch Lau- rent Nkunda in der Kivu-Provinz an.

Wer den Kongo-Konflikt dauerhaft lösen will, muss eine hochbrisante Lö- sung ins Auge fassen. Teil eins: die Entsendung einer Elitetruppe von etwa 3000 Mann mit dem Auftrag, die ge- samte Kivu-Provinz binnen sechs Mo- naten zu befrieden und zu entwaffnen.

Die Völkermörder würden ausgeliefert und vor Gericht gestellt, sei es in Ru- anda oder vor dem Strafgerichtshof für Ruanda in Arusha. Das ist machbar, wie die Briten im Mai 2000 mit nur 800 SAS-Elitesoldaten in Sierra Leone be- wiesen haben. Allerdings forderte dies Blutzoll, was sofort die Frage aufwirft:

Sterben für den Kongo? Wirklich?

Und Teil zwei: Schaffung eines neues Staates, Arbeitsname „Tutsi- land“. Der Kongo würde Land abtreten, um endlich Frieden zu erhalten.

Wütende Proteste seitens der Kongo- lesen im Kivu wären nur von vorüber- gehender Dauer. Sicherheit – sowohl was körperliche Unversehrtheit als auch Nahrung angeht – zählt auf lange Sicht mehr als Patriotismus. Zumal der neue Staat mit seinen Rohstoffen wu- chern könnte. Die Kivu-Provinz ist die weltweit wichtigste Abbaustätte für das in der Mikroelektronik verwendete Mineral Coltan – und zudem reich an Diamanten, Gold, Kupfer und Kobalt.

Thomas Knemeyer lebt seit 1984 in Südafrika und ist Korrespondent der WELT.

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