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(1)Das Yuan dao des Han Yu (768-824

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Das Yuan dao des Han Yu (768-824) -

Analyse und vollständige Übersetzung

Christoph Kaderas, Berlin

Einleitung

In der älteren Literatur Chinas hat es immer wieder Schriften gegeben,

die im Titel einzelner Abschnitte den Ausdruck „usprüngliches dao"

(yuan dao [W--'M]) führen.' Im Gegensatz zu gleichnamigen Traktaten aus

früherer Zeit ist die Streitschrift Yuan dao des Han Yu [^^] aber keine

rein schöngeistige Abhandlung, sondern eine schneidende Polemik mit

pohtischem Hintergrund. Sie gehört zu den bedeutendsten Prosawerken

Han Yus, dem auch in stilistischer Hinsicht seit jeher große Anerkennung

gezollt wurde. 2

Dieser Aufsatz vereinigt neben einer kommentierten und vollständigen

Übersetzung auch eine Rekonstruktion jener historischen Hintergründe,

in deren Zusammenhang die Abfassung dieses Werkes steht.

Der Inhalt des Yuan dao

Han Yu entwirft in seiner Schrift Yuan dao eigene Definitionen der Stan¬

dardbegriffe des Konfuzianismus, die er in aller Schärfe von den Begriffs¬

bestimmungen abhebt, die Daoisten und Buddhisten für die gleichen Ter¬

mini entwickelt haben. Nachdem Han Yu die kardinalen konfuzianischen

Begriffe Menschlichkeit (ren [f~]), Rechtlichkeit (yi [^]), rechter Weg

(dao [jM]) und Tugend (de [j^]) erläutert, stellt er sie daoistischen und bud-

' Die vielleicht berühmtesten Beispiele stammen aus Wenxin diaolong [^'L^if

fll] 1 (yuan dao [If.jM]) oder Huainami [f^^T] 1 (yuan dao xun [l^italll]); cf Liu Xie [JflJS?.] [Hrsg.], Zhou Zhenfu [j^Mfl] [Übers.]: Wenxin diaolong zhushi [jt'll"

it*tt#]- 2. Aufl. Beijing 1983, S. 1-10, und Huainanzi, in: Zhuzi jicheng [^J-:^

^], hrsg. von Guoxue zhengli she [M^MM^tl Bd. 7. 6. Aufl. Beijing 1986, S.

1-18.

2 Die Aufnahme des Yuan dao in die wohl wirkmächtigste Anthologie für

Gttwew-Prosa, dem Guwen guanzhi ['^'^^it] (1- Aufl. 1695), ist ein klarer Beleg

für Han Yus literarische Brillanz; cf Xinyi Guwen guanzhi [§f\^tj^M\t], hrsg.

von Liu Zhenqiang [gjJJI^S] u. a. Taibei 1987, S. 414-422.

(2)

dhistischen Bestimmungen gegenüber.» In diesem Zusammenhang spricht

er von der Herabsetzung der Konfuzianer durch Daoisten und Buddhi¬

sten, die in seinen Augen durch Schwächen der Konfuzianer selbst begün¬

stigt wurde.

Anschließend stellt Han Yu grundsätzliche Überlegungen über den Ur¬

sprung der Menschheit an, die ganz ohne Seitenhiebe auf den ideologi¬

schen Gegner auskommen. Dieser Werkabschnitt enthält die philoso¬

phisch gehaltvollsten Aussagen des Textes. Der Mensch wird hier keines¬

falls als ein Wesen dargestellt, dem alle Kulturleistungen schon von

Geburt an von der Natur mitgegeben sind. Han Yu malt nicht das Bild

eines heilen Urzustands Rousseauschei-* Prägung, sondern zeichnet den

Urmenschen als ein lebensunfähiges Wesen, das zum Überleben auf die

Segnungen von Kulturheroen angewiesen war. Für ihn haben die Men¬

schen erst durch jene Kulturtechniken, die ihnen von Weisen übermittelt

wurden, das erhalten, was sie zu wirklichen Menschen gemacht hat. In

diesem Zusammenhang insistiert Han Yu auf der Feststellung, daß vom

Anbeginn der Menschheit das Leben jeden Individuums von der sozialen

Einbindung in einen gesellschaftlichen Rahmen abhängig war, der Nütz¬

liches förderte und den Einzelnen vor Schädliciiem bewahrte. Aussagen

der Daoisten, die den Menschen glauben machen, rnit den Lehren der Kul¬

turheroen {shengren [MA]) brechen zu müssen, wecken folgerichtig bei

Han Yu einen Sturm der Entrüstung.^

» Bei seiner Kritik an Buddhisten und Daoisten fuhrt Han Yu allerdings keine

Ausgangstexte oder Quellenbezüge an, weshalb eine genaue Gegenüberstellung

unterschiedlicher Kemaussagen wesentlich erschwert wird.

''In seiner preisgekrönten Schrift Diticourn nur (ks sciences et des arts (1750)

verneint Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) die Preisfrage der Akademie von

Dijon, ob der Fortschritt der Kultur etwas zur Läuterung des Menschen beigetra¬

gen habe: Rousseau vertritt die Auffassung, der Mensch sei von Natur aus gut und

hätte vor Entwicklung sozialer Differenziertheit noch gänzlich ohne Feindschaft

und Neid gelebt. In der europäischen Geistesgeschichte hat das Bild vom „glück-

lich-naturhaften" Urzustand der Menschheit über Jahrhunderte Spuren in der

pädagogischen und sozialpolitischen Diskussion hinterlassen; in Leipzig legte

J. D. Titius 1751 eine erste LJbersetzung des Textes ins Deutsche vor.

5 Han Yu wehrt sich entschieden gegen eine Geringschätzung tradierter Kultur¬

leistungen. Der daoistischen Herabsetzung der Kulturstifter, die in konfuziani¬

schen Überlieferungen gepriesen wurden („Bevor die weisen Kuiturheroen nicht

gestorben sind, werden die großen Räuber nicht inm- halten"), setzt er trotzig ent¬

gegen, daß die Menschheit ohne Hilfestellungen weiser .4hnen niemals fortbestan¬

den hätte („Hätte es nicht im Altertum die weisen Kulturheroen gegeben, wäre

die Gattung Mensch schon lange ausgestorben!"); cl. Anm. 65.

(3)

Der politische Charakter der Abhandlung wird klar erkennbar, wenn

Han Yu das Verhältnis anspricht, das zwischen Herrscher, Minister und

Volk besteht. Für ihn ist die Einbindung des Untergebenen in ein klar

definiertes Herrschaftssystem notwendige Voraussetzung für die Ver¬

wirkhchung eines funktionierenden Zusammenlebens einer Gesellschaft.

Ohne einen regierungspolitischen Rahmen, der jedem Mitghed der Gesell¬

schaft eine verbindliche Stellung zuordnet, habe der einzelne weder

Schutz noch Hilfestellungen von anderen zu erwarten. Daher geißelt Han

Yu die Praxis der Buddhisten, deren Streben nach dem eigenen Seelen¬

frieden und der persönlichen Einkehr die Aufhebung aller sozialen Bin¬

dungen zwischen Herrscher, Minister, Vater und Sohn in Kauf nimmt.

Die Kritik der religiös motivierten Abkehr von gesellschaftlichen

Pflichten richtet sich aber nicht nur gegen die Buddhisten, sondern glei¬

chermaßen auch gegen die Daoisten. Dem daoistischen Prinzip des

„Nichteingreifens" {wu wei [^^]) setzt er die konfuzianischen Theoreme

des „aufrechten Bewußtseins" {zheng xin [lE'll^]) und der „lauteren Ab¬

sicht" {cheng yi [MM.]) entgegen, die ein verantwortliches Eingreifen

befürworten und geradewegs gegen die gemeinschaftsfeindliche Grund¬

haltung der Daoisten und Buddhisten gerichtet sei.

Gegen Ende seines Traktats entwirft Han Yu eine Darstellung der

Überlieferungsgeschichte des Konfuzianismus. Für ihn ist die Geschichte

der Tradierung konfuzianischer Lehrinhalte das Protokoll einer fortwäh¬

renden Verfremdung der „reinen Lehre". Nach Konfuzius und Menzius sei

die ursprüngliche Weisheit der Kulturheroen mehr und mehr verloren

gegangen, so daß - spätestens ab der Sanguo-Zeit (220-265) - nur noch

Irrtümer und Mißverständnisse das Bild vom Konfuzianismus geprägt hät¬

ten. Diese Sicht von der fragmentarischen Vermittlung der rechten Lehre

{daotong [IM,^]) wurde seit der Song-Zeit - besonders durch Zhu Xi [^^]

- ein konstituierender Bestandteil für das Selbstverständnis konfuziani¬

scher Gelehrter."

6 Konfuzianer konnten schon in der Han-Zeit auf eine lange Reihe von Gelehr¬

ten zurückschauen, die darüber Klage geführt haben, daß die Lehre des Konfuzius im Laufe ihrer Überlieferung zunehmend verfälscht worden sei (s. Ch.a.rles Hart¬

man: Han Yil and the T'ang search for unity. Prineeton, NJ, 1986, S. 160). In die¬

sem Zusammenhang ist jedoch der Hinweis von Chen Yinke [F^'^tS] bedenkens¬

wert, der darauf aufmerksam machte, daß Han Yus Wehmut über die problema¬

tische Überlieferungstradition konfuzianischer Schriften möglicherweise eine

Reaktion auf cÄaw-buddhistische Darstellungen von der ungebrochenen „Über¬

mittlung des dharma" {chuanfa [!$)£]) sei; cf Chen: Lun Han Yu [^^M]- In:

Lishi yanjiu 2 (1954), S. 105-114.

(4)

Zum Abschluß folgt dann ein abrupter Wechsel der Diktion, und Han

Yu versteigt sich zu seiner berühmt-berüchtigten Demagogie gegen Dao¬

isten und Buddhisten, die im Aufruf zur Bücherverbrennung und Zwangs¬

säkularisierung gipfelt. In diesem Frontalangriff gegen die einflußreich¬

sten Religionsgemeinschaften der Tang-Zeit liegt ein Schlüssel für das

Verständnis dieses Textes, der nur auf den ersten Blick ein Disput über

unterschiedliche Weltanschauungen ist.

Nach der ersten Lektüre dieses Traktats fordern vier Themenkomplexe

besondere Aufmerksamkeit. Zum einen gilt es zu prüfen, ob Han Yu recht

hat, wenn er behauptet, der Konfuzianismus sei bis zur Tang-Zeit nur

noch von marginaler Bedeutung gewesen. Zum anderen ist es notwendig,

die Grundlagen für die Polemik gegen Daoisten und Buddhisten näher zu

untersuchen. Zudem erscheint es klärungsbedürftig, unter welchen bio¬

graphischen Bedingungen diese Polemik entstanden ist. Schließlich ergibt

sich aus den vorangegangenen Problempunkten die Notwendigkeit, die

politischen Hintergründe der Streitschrift näher zu erläutern.

Konfuzianismus der Tang'-Zeit

Wer Han Yus nachdrückliches Lamento über den Verfall des Konfuzia¬

nismus wörtlich nimmt, könnte den Eindruck gewinnen, konfuzianische

Lehren seien zur Tang-Zeit nahezu der Bedeutungslosigkeit anheim gefal¬

len. Bei unvoreingenommener Durchsicht der historischen Quellen ergibt

sich allerdings ein vollkommen anderes Bild. Historische Dokumente ent¬

halten unzweifelhafte Belege, daß der konfuzianischen Lehre ein zentra¬

ler Platz im intellektuellen Leben der Tang-Zeit zukam. So besteht für

den bedeutenden Tawgr-Historiker David McMullen auch kein Zweifel

an der großen Bedeutung des konfuzianischen Kanons für die Kultur der

Tang-Zeit:

„It was [...] the government's policy throughout the dynasty to make

detailed knowledge ofthe canons and their commentaries a requisite of

the examination system, through which the scholarly elite within the

official hierarchy was recruited. The use of the canons in this way was

never seriously questioned; [...]."'

Ein Blick in die regierungsamtlichen Dokumente zu Anfang der Tang-

Dynastie zeigt, daß es zur etablierten Rhetorik der Herrschenden ge¬

hörte, den Verfall des Konfuzianismus zu beklagen, um sich gleichzeitig

'David McMullen: State and scholars in Tang-China. Cambridge 1988,

S. 68.

(5)

als dessen Retter empfehlen zu können. Schon die ersten Kaiser der

Tangr-Dynastie, Gao Zu (reg. 618-626)» und Tai Zong (reg. 626-649), for¬

derten zu Beginn ihrer Regierung in offiziellen Verlautbarungen die

Pflege des „wahren" Konfuzianismus. Gao Zu klagte, „Sämtliche Texte

des Konfuzianismus sind verbrannt worden, und die Lehren (des Herzogs)

von Zhou und von Konfuzius sind untergegangen und werden nicht mehr

gepflegt" - um dann für sich gegenüber den einflußreichen Aristokraten

die Rolle eines Schutzpatrons der „rechten Lehre" zu reklamieren. " Kon¬

fuzianischen Gelehrten wurden die höchsten Ehren im Staat zuteil. So

wurde beispielsweise im Jahre 624 am Kaiserhof eine Debatte zwischen

den drei Lehrrichtungen Konfuzianismus, Buddhismus und Daoismus

abgehalten, an deren Ende Kaiser Gao Zu (obwohl er persönlich dem

Daoismus am nächsten stand) dem konfuzianischen Gelehrten Lu Deming

[BW-M] (560-630) den Sieg zusprach.'"

Auch der zweite Kaiser der Tang, Tai Zong, beteuerte, nicht die Leh¬

ren des Buddhismus und Daoismus, sondern die des Konfuzius seien fiir

eine gute Regierung so wichtig wie „Flügel den Vögeln und Wasser den

Fischen" und legte seine Regierung auf „den Weg (der Kulturheroen) Yao

und Shun, des (Herzogs von) Zhou und des Konfuzius" fest." Unter Tai

Zong gab es verschiedene Maßnahmen, die konfuzianische Tradition auf¬

zuwerten. So wurde beispielsweise im Jahre 624 ein direkter Nachfahre

des Konfuzius, Kong Delun, als Marquis von Baosheng geehrt.'^ Unter Tai

* Bei der Bestimmung der Regierungsperioden folge ich den Angaben von Paul

W. Kroll, dessen Datierungen auf 7'örfoi no koyomi [iSftt^B] (In: Tödai kenkyü

no shiori [lifft{^f%(^ Udo '9 ], hrsg. von Jimbunkagaku Kenkyüsho. Kyöto 1954,

Bd. 1) zurückgehen; s. P. W. Kroll: The true dates of the reign-periods of T'ang.

In: T'ang Studies 2 (1984), S. 25-30, und Basic data on reign-dates and local

government. In: T'ang Studies 5 (1987), S. 95-104.

" Siehe Cefu yuangui [Mjff tcS], zusammengestellt von Wang Qinruo [iElJi;^]

u. a. Beijingl960, jitare 50, S. 2A.

'0 Jim Tangshu [ÄÄ#]. zusammengestellt von Liu Xu [f!jB<i)] u. a. Beijing 1975,

21/816 und 189 A/4945. Das gleiche Ergebnis fiel beispielsweise auch bei einer

vergleichbaren Debatte von 638, bei der Kaiser Tai Zong dem berühmten konfuzi¬

anischen Gelehrten Kong Yingda [fLUiS] (574-648) ebenfalls den Sieg zusprach;

cf. Luo Xianglin [,S^#]: Tangdai sanjiao jianglun kao [IS'('tHf^|#S^#]. In:

Journal ofOriental Studies 1 (1954), S. 85-97 (s. besonders S. 87-88).

" Siehe Zhenguan zhengyao [^IRjE^Jg]- Shanghai 1978, 6/185, und Zizhi tong¬

jian [Ä^piSS], hrsg. von Sima Guang [lf],^7t] u.a. Nachdr. Zhonghua 1997,

192/6054.

'2 Für diese und weitere Ehrungen der Familie Kong cf Cefu yuangui, 50/4b-

15b. Eine allgemeine Darstellung der kaiserlichen Ehrungen findet sich auch in

Tongdian, 53/305.

(6)

Zong wurde die Anzahl der konfuzianischen Schulen in der Hauptstadt

auf über 3000 beziffert.'» Der Staat organisierte aber auch außerhalb der

Hauptstadt eine offizielle Schulbildung mit konfuzianischen Lehrinhal¬

ten. In den Provinzen wurde auf der Ebene von Präfekturen und Kreisen

Schulen eingerichtet, in denen neben einem Konfuziusschrein auch

die wichtigsten Standardschriften der konfuzianischen Lehre verwahrt

wurden.'*

Im Jahre 666 erhöhte der dritte Kaiser der Tang, Gao Zong (reg. 649-

683), den Rang des Konfuzianismus durch Vergabe des Ehrentitels „Gro¬

ßer Lehrer" an Konfuzius. Im Jahre 690 wurde Konfuzius sogar noch der

Titel „Herzog Longdao" (Förderer des rechten Weges) verliehen. Auch

nach dem Interregnum der Kaiserin Wu Zetian (reg. 684-705) erfuhr der

Konfuzianismus mancherlei Anerkennung von offizieller Seite. Noch um

das Jahr 705 erhielten die Tempelanlagen in Lu, der Heimat des Konfu¬

zius, von Kaiser Zhong Zong (reg. 705-710) Sonderzuwendungen, und Mit¬

gliedern der Familie Kong wurden Ehrentitel verliehen.'^ Unter Xuan

Zong (reg. 712-756) wurde ab 738 ftir alle Examenskandidaten, die aus

der Provinz zu Staatsprüfungen in die Hauptstadt kamen, vor Abnahme

der Prüfungen ein formaler Besuch im Konfuziustempel vorgeschrieben.'"

Im Jahre 739 wurde Konfuzius nochmals in der Hierarchie der Vereh¬

rungswürdigen erhöht. Ihm wurde der Titel „Prinz Wenxuan" verliehen,

und in offiziellen Tempeln wurde seine Statue nicht mehr nach Westen

ausgerichtet, sondern im ganzen Reich mit Blickrichtung nach Süden

positioniert - eine Ausrichtung, die seit der Zhou-Zeit traditionell aus¬

schließlich den Kaisern vorbehalten blieb." Obwohl Kaiser Xuan Zong

unstrittig eine große Affinität für den Daoismus (und geringfügiger auch

fiir den Buddhismus) bewiesen hatte, sind doch auch seine persönlichen

'» Das Tang huiyao [IJ^'^J (s. Tang huiyao, zusammengestellt von Su Mian [||

^] u. a. Beijing 1955, 35/633) beziffert die Anzahl der staatlichen Schulen auf

3260 Einrichtungen, ähnliches gibt auch das Jiu Tangshu (189A/4941) und das

Tang zhiyan [/Sftlg] an (s. Tang zhiyan, hrsg. von Wang Dingbao [i5i?f^].

Shanghai 1957, 1/56); das Xin Tangshu [1S\i^W\ (s- Xin Tangshu, zusammenge¬

stellt von Ouyang Xiu [i5i;Pil|] u. a. Beijing 1975, 198/5636) berichtet von 3 200,

das Tongdian [jS^] von 2610 Schulen (s. Tongdian, hrsg. von Du You [|±ft]. Tai¬

bei 1962, 15/85.1).

Jiu Tangshu, 189A/4940.

'5 Siehe Cefu yuangui, 50/4B.

Siehe Jiu Tangshu, 24/919.

" Tang huiyao, 35/638. (Das Tang huiyao fiihrt hier allerdings auch ein Edikt

aus dem Jahr 705 an, das den Schluß nahelegt, eine Anordnung zur Ausrichtung

aller Konfuziusstatuen nach Süden könnte noch früher erfolgt sein.)

(7)

Zuwendungen und Ehrungen für konfuzianische Einrichtungen bemer¬

kenswert. So heß er im Jahre 742 an der Stehe einen Tempel errichten,

an dem der Überlieferung nach im Jahre 213 v. Chr. konfuzianische

Gelehrte lebend begraben wurden.'**

Vor der Rebellion des An Lushan'» [^^lilil] (755) nahm der Staatskult

für Konfuzius bis dahin unerreichte Ausmaße an. In der Zeit nach der

Zurückeroberung der Hauptstadt (757) bis zum Ende der Dynastie war es

dann allerdings aus Finanzknappheit nicht mehr möglich, die aufwendi¬

gen Staatskulte und rituellen Feierlichkeiten in dem gleichen Umfang

durchzuführen, in dem sie vor der Rebellion praktiziert wurden. Dennoch

kann von einer mangelnden Wertschätzung oder gar Herabsetzung des

Konfuzianismus zu keiner Zeit ernsthaft die Rede sein. Aus diesem Grund

ist die Frage zwingend, welche Motivation Han Yus Klage über den Nie¬

dergang des Konfuzianismus zugrunde gelegen haben mag: Gemessen an

den historischen Tatsachen, scheint das vordergründige Grundthema des

Yuan dao jedenfalls nicht gerechtfertigt.

Daoismus und Buddhismus der Tang-Zeit

Schon zu Beginn der Tang-Zeit gab es für die neue Dynastie aktive Unter¬

stützung von Seiten des daoistischen Klerus. Als Gegenleistung gewähr¬

ten die Kaiser der Tang daoistischen Einrichtungen offizielle Gunstbe¬

weise. Der Schlüssel für die besondere Wertschätzung des Daoismus

durch die Monarchen der Tang lag in einer alten Weissagung, nach der

ein kommender daoistischer Heilsbringer, der „perfekte Herrscher", den

Namen Li [$] tragen würde - den gleichen Familiennamen, den auch die

Mitglieder der Herrscherfamilie der Tang trugen. 2" Diese Weissagung war

'* Siehe Jiu Tangsliu (24/926), Cefu yuangui (50/1 lA) und Wenyuan yinghua

[Xl^^m- Taibei 1965, 847/lA.

'ä Für eine Gesamtdarstellung der politischen Hintergründe dieser Rebellion s.

Edward G. Pulleyblank: The background of the rebellion of An Lu-shan. Lon¬

don 1973.

2u Siehe J. Russell Kirkland: The last Taoist Grand Master at the T'ang impe¬

rial court: Li Han-kuang and T'ang Hsüan-tsung. In: T'ang Studies 4 (1986), S.

43-67; Anna Seidel: The image of the perfect Ruler in early Taoist messianism.

In: History of Religions 9 (1969), S. 216-247; für das Verhältnis zwisehen Daois¬

mus und dem Herrscherhaus der Tang cf Howard J. Wechsler: Offering of jade

and silk: ritual and .symbol in the legitimation of the T'ang dynasty. New Heaven

u. London 1985, S. 62-69; für eine Gesamtdarstellung der Bedeutung des Daois¬

mus zur T'ang'-Zeit cf Timothy H. Barrett: Taoism under the T'ang: religion and

empire during the golden age of Chinese history. London 1996.

(8)

zwar schon vor der Tang-Zeit in weiten Kreisen der Bevölkerung verbrei¬

tet, wurde aber erst nach der Etablierung der neuen Herrscherfamilie Li

von daoistischen Würdenträgern - besonders durch Vertreter des Shang-

qing-DsLoismus^^ - tatkräftig propagiert. Aus diesem Grund wurden ein¬

zelnen Repräsentanten des daoistischen Klerus offizielle Zuwendungen

zuteil: Die Bindung des T'ang'-Hauses an den Shangqing-Deioismus wurde

fiir alle erkennbar, als der Gründer der neuen Dynastie von dem Shang-

qing-Meister Wang Yuanzhi [.=I£ji^-a] (528-635) die Übernahme des himm¬

lischen Herrschaftsmandats regelrecht „bestätigt" bekam. 22 Mit Wang

gewannen die „Himmlischen Meister" (tianshi [Aßf]) erstmals wieder

eine vergleichbare Stellung am Hof zurück, wie sie ihnen vierhundert

Jahre zuvor am TFei-Hof gewährt wurde. Durch die Bestätigung der

Machtübernahme von Gao Zu als Sohn des Himmels verschaffte Wang

Yuanzhi dem Daoismus großes Ansehen beim Kaiser, der die formale

Anerkennung seiner Regierungsgewalt durch ranghohe daoistische Kleri¬

ker zu schätzen wußte.

Auch die Nachfolger des Gao Zu förderten den 8hangqing-T)ai,ois,m\is.

Doch während Kaiser Gao Zong, Kaiserin Wu und die Kaiser Zhong Zong

und Rui Zong (reg. 684-690) in ihren Gunstbeweisen für daoistische Wür¬

denträger eher allgemein blieben, intensivierte Kaiser Xuan Zong seine

persönlichen Beziehungen zu herausragenden Persönlichkeiten des Daois¬

mus. Seine engen Kontakte zu Sima Chengzhen [r];^^^^] (646-735) gin¬

gen weit über das amtliche Protokoll hinaus. 2» Was die konfuzianischen

Beamten sehr verärgerte, war die Aufnahme des Lao Zi in die fingierte

Ahnenreihe der Herrscherfamilie Li. Damit verbunden war die formale

Eingliederung daoistischer Tempel in die Verwaltung der kaiserlichen

21 Zur Schulrichtung Shangqing [Ji^] (ein anderer Name ist Maoshan [^Üj]) s.

Michel Strickman: Le Taoisme du Mao Chan: chronique d'une revelation. Paris

1989; ftir eine Studie in deutscher Sprache s. Florian C. Reiter: Kategorien und Realien im Shang-ch'ing Taoismus (Shang-ch'ing tao lei-shih hsiang): Arbeitsma¬

terialien zum Taoismus der frühen T'ang Zeit. Wiesbaden 1992; im oben ange¬

sprochenen Zusammenhang s. auch Anna Seidel: Taoist Me,s.sianism. In: Numen

31 (1984), S. 171-172, und Poul Andersen: The method of holding the three ones:

a Taoist manual of meditation of the fourth century A.D. London 1980, S. 14-

15.

22 Cf. die Biographie von Wang Yuanzhi in: Jiu Tangshu, 192/5125-5126, und

Xin Tangshu, 204/5803-5804; für Angaben über den zunehmenden Einfiuß

Wangs am Hofs. Wechsler, op. cit., S. 69-73.

23 Cf J. Rüssel Kirkland: T'aoists of the high T'ang: an inqiry into the per¬

ceived significance of eminent T'aoists in medieval Chinese society. Bloomington, Ind.: Diss., Ph. D., 1985; s. besonders S. 43-70 und S. 218-300.

(9)

Ahnentempel {zongzheng si [t^jE^])- Kaiser Xuan Zong erwies dem

Daoismus besondere Ehre, indem er für den zentralen Text dieser Schule,

dem Daode jing [jM^M], einen eigenen Kommentar verfaßte. 2* Zudem

erließ er eine Verordnung, nach der jeder Haushalt ein Exemplar des

Daode jing besitzen mußte. 2-^'

Im Jahre 741 richtete Xuan Zong sogar besondere Schulen zum

Studium daoistischer Lehren ein (Chongxuan xue [M^^]), aus denen

Kandidaten für daoistische Staatsexamen {daoju [jSI^]) hervorgehen soll¬

ten, die den konfuzianischen Mingjing [0^,^1]-Examen nachempfunden

waren. 2« Zur großen Erbitterung seiner konfuzianischen Beamten wurde

im Jahre 747 dem Daode jing sogar der Titel „wichtigstes aller kanoni¬

schen Bücher" verliehen - ein klarer Affront für alle konfuzianisch gebil¬

deten Gelehrten. 2' Xuan Zong war es auch, der die dritte Regierungsde¬

vise seiner Regentschaft in „Juwel des Himmels" {tianbao [^^], 742-

756) umändern ließ - eine direkte Anlehnung an das Vokabular des Daois¬

mus. 2**

Ähnlich wie der Daoismus wurde auch der Buddhismus unter den Tang

zu einer einflußreichen Institution, die nicht nur politisch, sondern

gerade auch ökonomisch von großer Bedeutung war. Während das Tang-

Reich nach der Rebelhon des An Lushan vor kaum lösbaren Finanzpro¬

blemen stand, verfügten die großen buddhistischen Klöster über einen

2* Siehe Tang liuiyao, 36/657-659. Auf Xuan Zong gehen drei verschiedene

Fassungen dieses Kommentars zurück: 722 stellte er dem Reich seine erste Fas¬

sung vor {diu Tangshu, 8/183), der 735 eine weitere folgte {Cefu yuangui,

53/16B); im Jahre 743 wurden beide Fassungen dann neu ediert. Für eine Stan¬

dardversion des kaiserlichen Kommentars s. HY 706 Daode zhenjing jizhu [iS®

ÄSÄtt]-

^■^Xin Tangshu, 44/1164.

20 Siehe Jiu Tangshu, 9/213 und 24/925-928, Xin Tangshu, 44/1164, sowie

Tang huiyao, 77/1403-1404.

2' Cf Denis Twitchett: Hsüan-tsung (712-756). In: The Cambridge history of

China. Bd. 3. Sui and T'ang China, 589-906. Teil 1, hrsg. von Denis Twitchett.

Nachdr. d. Ausg. Cambridge 1979. Taibei: 1989, S. 412.

2**Eine Erklärung für die Einführung der neuen Regierungsdevise fmdet sich in

dem Kommentar zu einer Schrift aus dem daoistischen Kanon (TT 593 Lidai

chong dao ji 8B). Dort wird von einem Militärkommandeur berichtet, der dem

Kaiser übermittelte, Lao Jun habe ihn aufgefordert, den Kaiser zur Suche nach

einer goldenen Kassette anzuregen: «Dies wird erfolgreich durchgeführt. Der

Fund führt zur Umbenennung des Fundorts wie auch der Herrschaftsdevise nach

dem Motto „T'ian-pao" (Juwel des Himmels)» (zitiert nach Florian C. Reiter:

Leben und Wirlcen Lao-Tzu's in Schrift und Bild: Lao-chün pa-shih i-hua t'u-

shuo. Würzburg 1990, S. 43, Anm. 96).

(10)

immensen Reichtum. Neben der Anhäuhing von umfangreichen Lände¬

reien und Klosterbesitztümern, die von der Besteuerung ausgenommen

waren, war für die Regierung besonders die Ordination wehrfähiger Män¬

ner in buddhistische Orden ein zunehmendes Problem, da alle Mönche

automatisch von der Wehrpflicht befreit wurden. Ob Mann oder Frau,

alle, die in ein buddhistisches Kloster aufgenommen wurden, waren dem

direkten Zugriff des Staates entzogen, der mit dem Eintritt der Gläubigen

in die organisierten Glaubensgemeinschaften gerade in Zeiten staatlicher

Finanznöte eine schwer verkraftbare Anzahl von Steuerpflichtigen ver¬

lor.

Schon in den Jahren 621 und 624 gab es am Hof konfuzianische Be¬

amte, die wegen des unerhörten Reichtums buddhistischer Klöster in

Memoranden den Buddhismus als „nicht-chinesische" Religion angriffen

und Säkularisierungen anmahnten.^» So lag auch der Hauptgrund für die

Reglementierung buddhistischer und daoistischer Klöster in dem Ver¬

such, den Ausfall von Steuereinnahmen zu begrenzen: Die Reduzierung

der hauptstädtischen Kloster- und Tempelanlagen wurde per Erlaß ver¬

fügt, wobei die Anzahl der staatlich genehmigten daoistischen Einrich¬

tungen von zehn auf eine und die der buddhistischen von 120 auf nur noch

drei Anlagen reduziert wurde.»" In der Folge gab es immer wieder Ma߬

nahmen der Regierung gegen buddhistische Klöster. Während bei den

ersten Tawgf-Kaisern die Freigebigkeit gegenüber dem buddhistischen

Klerus von der konfuzianischen Bürokratie weitgehend toleriert wurde,»'

gab es jedoch schon zu Beginn des achten Jahrhunderts von Seiten der

Regierungsbürokratie wiederholt erbitterten Widerstand gegen die Ver¬

schwendung von Finanzmitteln und Arbeitskräften, die aus der staat¬

lichen Duldung buddhistischer Tempelanlagen resultierte. Beispielsweise

verfaßte der hochrangige Beamte Xin Tipi [^#-??] im Jahre 711 ein

Memorandum, in dem er Kaiser Rui Zong darauf hinwies, wie hoch die

Verluste an Steuereinnahmen und Arbeitsleistungen waren, die dem

Reich durch die stetig wachsende Zahl ordinierter Mönche und Nonnen

entstanden waren. Als Reaktion auf dieses Memorandum ordnete der

Kaiser eine strenge Überprüfung der Besitzverhältnisse buddhistischer

2"Cf Tang huiyao, 47/835, Zizhi tongjian, 191/6001-6002, und A. F.

Wright: Fu I and the rejection of Buddhism. In: Journal ofthe History of Ideas 12

(1951), S. 33-47.

3"Cf Tang huiyao, 47/836, Jiu Tangshu, 1/16-17 und Tongdian, 52/381.

»' Arthur F. Wright: T'ang T'ai-tsung and Buddhism. In: A. F. Wright und D.

Twitchett (Hrsg.): Perspectives of the T'ang. New Heaven - London 1973, S. 239-

262.

(11)

Liegenschaften an und verfügte auch die Verstaathchung zweifelhaften Klosterbesitzes.»2

Auch Kaiser Xuan Zong setzte die Eindämmung des finanziellen Reich¬

tums buddhistischer Einrichtungen fort. Im Jahre 713 untersagte er den

einflußreichen Aristokratenfamilien, weiterhin private Tempelanlagen

und „Ehrenklöster" {gongde yuan [it}l§.'^'K,]) zu gründen, die von reichen

Landadligen dazu genutzt wurden, Grundbesitz und Ernteerträge an den

Steuerbeamten vorbeizuschleusen.»'' Im folgenden Jahr führte eine Über¬

prüfung illegal ordinierter Geistlicher dazu, daß mehr als 30000 buddhi¬

stische Mönche und Nonnen per Dekret zur Rückkehr in das weltliche

Leben - und unter die gesetzliche Steuergerichtsbarkeit - gezwungen

wurden; zudem wurde die Gründung von neuen Tempelanlagen untersagt

und bestehende Klöster einer strengeren Kontrolle unterstellt.»* Auf

Xuan Zong gehen auch durchgreifende Maßnahmen gegen die unum¬

schränkte Tolerierung buddhistischer Missionierungsbestrebungen zu¬

rück. Aus Furcht vor den verschiedenen Rebellen im Land, die sich teil¬

weise auch auf religiöses Sektierertum beriefen, erließ die Zentralregi-

rung eine Reihe von Edikten, die alle aufdie Beschränkung staatsgefäh-

dender Aktivitäten einflußreicher Klöster und Glaubensgemeinschaften

zielten. »5

Im Gegensatz zu seinen öffentlich wirksamen Reglementierungen bud¬

dhistischer Konvente zeigte Xuan Zong allerdings großes Interesse an

persönlichen Kontakten zu herausragenden Vertretern des tantrischen

Buddhismus. Indische Buddhisten wie der berühmte Subhakaradirnha

oder Vajrabodhi hatten in den zwanziger bis vierziger Jahren des achten

Jahrhunderts erheblichen Einfluß am Hof des Kaisers und erhielten wie

die chinesischen Exponenten des tantrischen Buddhismus Yixing [—^7]

und Bukong [^^5] von Kaiser Xuan Zong großzügige Gunstbeweise.»"

Angesichts der eindeutigen Parteinahme für daoistische und buddhisti¬

sche Glaubensvertreter von Seiten einzelner Tang-Ka,iser kann Han Yus

»2Cf Quan Tangiven [^lS3t]> zusammengestellt von Dong G.A.O ['Sfo] u.a.

Nachdr. der Palastausgabe von 1814. Taibei 1979, 19/3B.

33 Cf Tang huiyao, 50/878.

»♦Qitaw Tangwen, 26/17B, Tang hiiiyao, 47/826-827, und Zizhi tongjian,

211/6696.

3'"' Siehe Quan Tangwen, 26/lOA. 29/5B und 30/lOA-l lA.

3« J?'m Tangshu, 9/213; für eine Gesamtdarstellung der Rolle des tantrischen

Buddhismus am chinesischen Kaiserhofs. Michel Strickman; Mandras et man¬

darins: le Buddhisme tantrique en Chine, Paris 1966, und Chou I-liang: Tan¬

trism in China. In: Harvard Journal of Asiatie Studies 8 (1945), S. 241-332.

(12)

Polemik auf konkrete politischen Ereignisse seiner Zeit bezogen werden.

Seine Kritik verlieh den konfuzianischen Beamtengelehrten eine Stimme,

denen die gewachsenen Einflußmöglichkeiten aller ein Dorn im Auge war,

die nicht aus ihren eigenen Reihen kamen. In diesem Zusammenhang

markierte die An Lushan-Rebellion eine deutliche Zäsur: Das Debakel der

Zentralmacht konnte für die konfuzianischen Gelehrten als eine Bestra¬

fung durch den Himmel interpretiert werden, die vom Herrscher provo¬

ziert wurde, als er sich bei seiner Amtsführung von „unorthodoxen" (das

heißt: „nicht-konfuzianischen") Glaubenslehren zu Handlungen verleiten

ließ, die im Widerspruch zum rechten Weg der Ausführung des himm¬

lischen Mandats standen. Bis zum Anfang des neunten Jahrhunderts

waren die Wunden noch überall zu sehen, die der Krieg geschlagen hatte.

Nachdem die Dynastie nur knapp ihrem Untergang entronnen war, galt

es in der Zeit danach, Reformen durchzuführen, die das Kaiserhaus vor

weiterem Unheil bewahren konnten. Han Yu hat mit seiner Polemik

gegen Daoisten und Buddhisten eigene Antworten aufdie Probleme seiner

Zeit gefunden.

Biographische Hintergründe

Die Schriften des Han Yu gehören zu jenen Werken der Tang-Ze\t, die

sich recht genau zweifelsfrei datieren lassen. Dank der hervorragenden

Quellenarbeit, die Hanabusa Hideki [?b^^#f] zur Rekonstruktion ein¬

zelner Texte vorgelegt hat, gilt es als sicher, daß das Traktat Yuan dao

höchstwahrscheinlich im Sommer des Jahres 805 entstanden ist.»' Somit

sind biographische Motive für die Abfassung dieser Abhandlung entlang

der historischen Ereignisse zu suchen, die in den ersten Jahren des neun¬

ten Jahrhunderts das Leben Han Yus maßgeblich beeinflußt haben. Es gilt

zu zeigen, vor welchem Hintergrund Han Yu seine Streitschrift formuliert

hat, um den konkreten Anlaß zu verstehen, den es für seine Polemik

gab.

Han Yu begann seine Beamtenlaufbahn in der Hauptstadt, als sich die

konfuzianische Beamtenschaft in einer schwierigen Situation befand.

Durch die An Lushan-Rebellion hatte die reguläre Verwaltung in vielen

Regionen an Einfluß verloren und mußte sich in mehreren Provinzen mit

regionalen Militärmachthabern die Herrschaft teilen. Mit den regulären

3' Zur genauen Datierbarkeit der meisten Werke Han Yus s. Hanabusa Hideki:

Kan Yu kashi sakuin [^.^gf fC^-jl]. Kyöto 1964, S. 67-69, und Luo Liantian [H

Wl$]-Han Yu yanjiu Taibei 1977, S. 70.

(13)

Beamten der Zentralregierung rangen auf vielen Ebenen Palast-Eunu¬

chen, die ihren Einfluß am Hof auch in der Tagespolitik zur Geltung

brachten. Die bäuerliche Landbevölkerung wurde durch ein überholtes

Steuersystem und eine erdrückende Abgabenlast in die Armut getrieben.

Der betagte Kaiser De Zong, der das Reich über zwanzig Jahre regiert

hatte, verwandte gegen Ende seiner Regentschaft immer weniger Zeit auf

die Staatsführung, so daß die täglichen Verwaltungsarbeiten immer stär¬

ker in die Hände opportunistischer Günstlinge und prinzipienloser Kar¬

rieristen gerieten.

In der ersten Hälfte des Jahres 803 herrschte eine schlimme Trocken¬

heit in der Region um die Hauptstadt. Ende Juli wurden daher sogar die

kaiserlichen Examen für den Zeitraum 803/804 abgesagt - zweifellos war

die schlechte Lebensmittelversorgung in der Hauptstadt der Hauptgrund

hierfür. Am Ende des Jahres 803 reichte Han Yu, zu jener Zeit hochrangi¬

ger Beamter im Zensorat, zusammen mit einigen Kollegen dem Thron ein

Memorandum ein, das dem Kaiser empfahl, den von Dürre und Hungers¬

not geplagten Bauern der Hauptstadtregion einen Teil ihrer Steuerschul¬

den zu erlassen.»** Obwohl das Reich unter sinkenden Steuereinnahmen

litt, plädierte Han Yu für eine Senkung der Abgaben, da das schlechte

Wetter die normale Ernte der Bauern um neun Zehntel reduziert hatte.

(Die Armut zwang in jenen Tagen die ausgehungerte Bauernschaft schon

dazu, die eigenen Kinder zu verkaufen, um Geld für die überhöhten Steu¬

erschulden zusammenzubringen.) Das Memorandum ergriff aber nicht nur

deutliche Partei für das hungernde Volk, sondern konnte auch als ver¬

steckter Angriff auf Li Shi Jf] (gest. ca. 806) gelesen werden, der zu die¬

ser Zeit das Amt des Präfekten der Hauptstadt Chang'an innehatte und

für seine rücksichtslose Verwaltung und drückende Steuerpolitik ver¬

rufen war.

Wegen dieses Memorandums wurden Han Yu und andere Zensoratsbe-

amte, die an der Abfassung der Throneingabe beteihgt waren, noch im sel¬

ben Jahr degradiert und ins Exil geschickt: Han Yu wurde in den fernen

Süden nach Lianzhou in die Provinz Lingnan versetzt, um in dem malaria¬

verseuchten Distrikt Yangshan die Dienststelle eines Richters anzutre¬

ten.(Diese Versetzung war für Gelehrte aus dem Norden ein schweres

Verdikt, da die Grenzregionen der Südprovinzen nicht nur wegen ihrer

38 Tong Dide [M^BV- Hanyu wenxuan [^MXMl Beijing 1980, S. 76-79.

39 Charles Hartman, op. cit., S. 56-57, führt allerdings gute Argumente dafür

an, daß Han Yus Memorandum für seine politischen Gegner nur ein willkommener

Anlaß gewesen ist, seine zuvor schon geplante Suspendierung zu begründen.

(14)

Verseuchung mit Sumpffieber und Malaria, sondern auch wegen ihrer

bizarren Sitten und Gebräuche den Beamten der Metropole ein Grauen

waren.*")

Am 8. Februar 805 starb der betagte Kaiser De Zong, und nur drei Tage

später bestieg Shun Zong (reg. 805) den Thron. Im darauffolgenden Monat

wurde eine Generalamnestie verkündet, die auch allen ins Exil verbann¬

ten Beamten die Rückkehr in die Hauptstadt ermöglichte. Die Anmnestie

eröffnete Han Yu eine Möglichkeit zur Heimkehr nach Chang'an und

weckte in ihm die Hoffnung auf ein neues Regierungsamt. Die schlechte

Gesundheit des neuen Kaisers führte jedoch schon bald dazu, wiederum

einen Nachfolger zu ernennen. Schon am 27. April wurde der zukünftige

Kaiser Xian Zong (reg. 805-820) zum offiziellen Thronerben ernannt und

die bisherige Regierung aufgelöst.*' Bei genauer Betrachtung dieser histo¬

rischen Eckdaten wird erkennbar, gegen wen sich die Abhandlung Yuan

dao richtete und welche unmittelbaren Ziele Han Yu mit seinem Traktat

verfolgte.

Um den Thronfolger Shun Zong hatte sich eine Gruppe junger Beamter

zusammengefunden, an deren Spitze Wang Shuwen [ stand.*2 Der

Kreis um Wang löste mit seinen politischen Reformen in der Hauptstadt

große politische Unruhe aus, in deren Verlauf nicht nur Verbrechen von

Eunuchen, sondern auch die Verelendung großer Teile der Landbevölke¬

rung infolge korrupter Beamter aufgedeckt wurde. Insgesamt schufen

sich die Reformer auf allen Regierungsebenen viele Feinde, so daß mit der

Abdankung des erkrankten Thronfolgers ein rasches Ende seiner Regie-

*" John Lee: The dragons and tigers of 792: the examination in Tang history.

In: T'ang Studies C (1989), S. 25-47) spricht der Verbannung Han Yus aUerdings

keine besonderen Härten zu; er möchte Han Yu eher als typischen Vertreter

einer aufstrebenden Gesellschaftsschicht verstanden wissen, deren familiärer

Hintergrund nach der An Lushan-Rebellion sowieso in den Süden des Reiches ver¬

lagert war (cf. loc. cit., S. 44).

•" Es gibt nur sehr wenige Primärquellen, die den tatsächlichen Verlauf der Thronnachfolge erkennen lassen. Offizielle Dokumente, die der Geschichtswi.ssen-

schaft heute noch vorliegen, sind voller Unstimmigkeiten und Widersprüche; s.

Bernhard S. Solomon: The veritable record of the T'ang emperor Shun-Tsung

(February 28, 805 - August 31, 805), Han Yu's Shun-tsung shih-lu, tanslated

with introducfion and noles. Harvard, Mass., 1955; für wichtige Emendationen

dieser Darstellung s. Edward G. Pulleyblank: The Shun-tsung shih-lu. In: Bul¬

letin ofthe School ofOriental and Afriean Studies 19.2 (1957):,S. 336-344, und

Jack L. Dull: Han Yu: a problem in T'ang dyna,sty historiography. In: Proceed¬

ings of the second conference of historians of Asia. Taibei 1964, S. 71-99.

*2 Cf Denis Twitchett: The writing of official history under the T'ang. Cam¬

bridge Univ. 1992, S. 79, S. 92 und S. 151.

(15)

rung absehbar war. Tatsächhch gelang es einer Reihe altgedienter Han-

lin-Akademiker um den ranghohen Beamten Zheng Yin [§|5I@] (752-829),

dem siechenden Kaiser als Thronnachfolger Prinz Guanglin, den späteren

Kaiser Xian Zong. vorzuschlagen.*» Mit dem Scheitern des Versuchs, dem

Schwinden seiner Einflußmöglichkeiten am Hof durch Übernahme der

Kontrolle über die Palastarmee zuvorzukommen, begann flir Wang Shu¬

wen das jähe Ende seiner politischen Karriere. Nach Widerständen unter

den Palasteunuchen und den Generälen der Grenzprovinzen schlössen

sich zahlreiche Militärgouverneure und Hanlin-Akademiker zu einem

Bündnis gegen den Kreis um Wang zusammen und forcierten die Inthroni¬

sation des neuen Kaisers Xian Zong. Wang Shuwen wurde gefangenge¬

nommen und im darauffolgenden Jahr exekutiert; alle anderen, die mit

ihm verbündet waren, wurden ins Exil geschickt. Nun war der Weg für

eine andere Politik unter einem neuen Kaiser geebnet.**

Vor diesem Hintergrund liest sich der Text des Yuan dao wie ein streit¬

bares Regierungsprogramm, mit dem Han Yu die Aufgaben bestimmen

wollte, die eine neue Regierung zum Wohle des Landes erfiillen müßte.

Han Yu greift mit seinem Traktat alle Übel an, die seiner Meinung nach

zum Niedergang des Kaiserhauses geführt haben. Für ihn gibt es nur einen

Weg aus dem Dilemma schwindender Steuereinnahmen und zunehmen¬

den Machtverlusts. und zwar die Rückführung der Gesellschaft zu den

konventionellen Dienstverhältnissen einer konfuzianischen Staatsfüh¬

rung. Sein Rat an den künftigen Herrscher ist die Einforderung sozialer

und kultureller Verpflichtungen des einzelnen gegenüber den Ansprüchen

des Staates. Durch Überwindung daoistischer und buddhistischer Ver¬

fremdungen der konfuzianischen Gesellschaftsordnung soll das Kaiser¬

reich wieder zu neuer Blüte geführt werden. Die wichtigste Maßnahme

zur Konsolidierung der maroden Staatsfinanzen sei die Wiederherstellung

der ursprünglichen Vierteilung der Gesellschaft und die Rücknahme der

Existenzberechtigung eines daoistischen oder buddhistischen Klerus.*'^'

*» Für eine konzise Darstellung der Ereignisse s. Michael T. Dalby: Court poli¬

tics in late T'ang times. In: The Cambridge history of China. Bd. 3. Sui and T'ang China, 589-906! Teil 1, S. 601-607.

" Für eine kritische Darstellung dieses Zeitraums s. Yan Qi [|rll^]: Pingjia Han

Yu he Yongzheng gexin guanxi de jidian qianjian [Wt^M-M^y\^il^ 'S\Wi Wti'^^'^

l^ll,]. In: Tangdai wenxue 1 (1981). S. 254-267, sowie Jiang Fan [H FL]: Han Yu

yu Wang Shuwen jituan de ,Yongzheng gra?'^e'[^^^3£,fÄ5;ÄH6'57KÄi?Ä¥]- In:

Fudan xuebao 4 (1980), S. 67-74.

Han Yu betont in seinem Yuan dao, daß die ordinierten Buddhisten und Dao¬

isten (die zwei Gruppen, die zu den traditionellen vier hinzugekommen waren) auf

(16)

In dieser Hinsicht ist das Yuan dao auch ein indirekter Angriff auf die

aristokratische Ausbeutung der bäuerhchen Landbevölkerung. Die Prak¬

tiken der buddhistischen und daoistischen Klöster waren nicht nur für

das intakte Familienleben eine Bedrohung, da sie die traditionellen Bezie¬

hungen zwischen den Familienmitgliedern zersetzten. Sie brachten auch

die Befehlshierarchien des politischen und öffentlichen Lebens durchein¬

ander und sprengten die Beziehung zwischen Herrscher und Ministern.

Zum Schaden der Staatskasse machten die Klöster auch mit den wohlha¬

benden Landadligen gemeinsame Sache, wenn es darum ging, Steuern zu

hinterziehen, indem säkulare Ernteerträge als steuerbefreite Klösterein¬

künfte deklariert wurden. Mit seinem Traktat sprach Han Yu den Inter¬

essenkonflikt an, der aus dem gewachsenen Beziehungsgeflecht resul¬

tierte, das zwischen Mitgliedern der Hanlin-Ak&demie, den Eunuchen,

den Aristokratenfamilien und den verschiedenen daoistischen und bud¬

dhistischen Klöstern entstanden war. Dieser Interessenkonflikt hatte

dazu geführt, daß bis zum Ausbruch der An Lushan-Rebellion der Einfluß

der konfuzianischen Regierungsbeamten immer mehr zurückgegangen

war. Mit seiner Streitschrift versuchte Han Yu nun, den „rechten Weg"

für die Taw^-Dynastie erneut aufzuzeigen: Er versuchte die konfuziani¬

sche Ordnung als kulturelle Orthodoxie festzuschreiben, um den neuen

Kaiser auf die traditionelle Ethik der Beamtengelehrten einzuschwören.

Übersetzung*"

Umfassende Zuneigung wird „ren" [fZ] genannt, sie angemessen auszu¬

üben, wird „yi" [^] genannt. Wenn man diesen beiden folgt (in seinen

Handlungen), spricht man von „dao" [M], und ist dieses ohne Hilfestellung

von außen sattsam in einem selbst, spricht man von de [^]. „Ren" und

Kosten der übrigen Bevölkerung lebten: «Auf eine Bauernfamilie kommen sechs

Familien, die deren Ernte essen. Auf eine Handwerkerfamilie kommen sechs

Familien, die deren Gerätschaften benutzen. Auf eine Händlerfamilie kommen

sechs, die von deren Besitz zehren. Wie könnte es da sein, daß das Volk nicht ver¬

armt und noch dazu räuberisch wird?»; cf. Anm. 62.

*6 Als Vorlage der Übersetzung dient die Textfassung der Quan Tangwen,

zusammengestellt von Dong Gao. Beijing 1983, Bd. 3, S. 2535-2536. Bei der Zei¬

chensetzung und Einteilung der Abschnitte folge ich der Vorlage von Liu Zhenqi¬

ang (s. op. cit., S. 414-422). Ältere Teilübersetzungen (beispielsweise Herbert A.

Giles: Gems of Chinese literature. Nachdr. d. 2. verb. Aufl. 1922. Taibei 1964, S.

115-121, oder Wing-Tsit Chan [Übers.]: A souree book in Chinese philosophy.

Nachdr. d. Ausg. Prineeton, NJ, 1963, S. 454-456) wurden zwar gesichtet, haben

die vorliegende Übertragung aber nicht beeinflußt.

(17)

„yi" sind feststehende Begriffe {dingming [aE^]), (dagegen) sind „dao" und

„de" unbestimmte Kategorien (xu wei [MÜL]). Daher gibt es das „dao" des

Herrschers und des Gemeinen (xiao ren [^J^A]),*^ und so gibt es bei [dem

Begriff] „de" ein gutes und ein schlechtes. Daß Lao Zi*** „ren" und „yi" für

klein gehalten hat, bedeutet nicht, daß er sie herabsetzen wollte, (nur) ist

sein Blickwinkel hierauf eben eingeengt.*» Wer am Boden eines Brunnens

sitzt und den Himmel betrachtet,^" sagt, der Himmel sei klein - und doch

ist es nicht der Himmel, der klein ist. [Lao Zi] verstand unter „ren" kleine

Gefälligkeiten und unter „yi" geringfügige Gunstbeweise,was dann für

seine Einengung (der Begriffe) angemessen ist. Was von ihm „dao"

genannt wird, ist (nur) sein (eigenes) „dao", es ist nicht das, was ich „dao"

nenne. Was von ihm „de" genannt wird, ist (nur) sein (eigenes) „de"; es ist

nicht das, was ich „de" nenne.Was von mir für gewöhnhch als „dao" und

„de" bezeichnet wird, das meint die Verbindung von Menschhchkeit und

*' Diese Stelle ist eine Anspielung auf das Yijing, in dem es heißt: „ft:©^ M^kJ"«

A» ^^jI^o /J^Ajl?ft'iiL""; s- Zhou Yi zheng yi [/^MlE^]. In: Shisan jing

zhushu [-{-EiM^^l], hrsg. von Ruan Yuan [Ktc]- Verb. Nachdr. d. Ausg. Jiangxi

1816. 2. Bde. Beijing 1980, Bd. 1, S. 288B.

***Für eine sehr lesenswerte Abwägung, welche Fakten sich auf eine historisch

faßbare Person namens Lao Zi beziehen lassen, s. A. C. Grahams: The origins of

the legend of Lao Tan. In: Sudies in Chinese philosophy and philosophical litera¬

ture. Albany, NY, 1990, S. 111-124; für eine deutschsprachige Darstellung der

Bedeutung des Buches Laozi s. Florian C. Reiter: Lao-tzu zur Einfülirung.

Hamburg 1994.

*8Han Yu denkt an dieser Stelle vermutlich an Passagen wie Laozi [^-f] 38,

die für Konfuzianer ein Greuel waren: „^jMMfSt < ^tMfSÄ < ^^ÄMISfa > ^

W.^.1S4nZM < mniZM'"; s. Yu Peilin [^ig#] [Ühers.]: Xinyi Laozi duben [ffgf igi^M^]- Taibei 1987, S. 69. (Cf Victor H. Mair [Übers.]: Tao te ching: the clas¬

sic book of integrity and the way. New York 1990, S. 3-4.)

50 Han Yu verwendet hier eine Wendung (zuo jing er guan tian [^f^Wi^^]),

die sich auf eine Anekdote im Zhuangzi bezieht und noch heute in der modernen

Umgangssprache eine geflügelte Redensart zur Kritik an bornierten Menschen

ist. Zur Rekonstruktion der ursprünglichen Quelle dieser Wendung cf Zhuangzi

17.10 (Qiu shui [^y^i])- In: Xinyi Zhuangzi duben [MWM^M^], übers, u. kom¬

ment. von Huang Jinhong [^I|^]. 7. Aufl. Taibei 1987, S. 202-203.

•'1 Im Laozi 18 heißt es hierzu: „AllÜ < ; ^MtH - ^Afe ; f^m^^^^

B - HiC©SL^Ä-E."; s. Yu Peilin, op. cit., S. 43. (Cf D. C. LAo:Lao Tzu: Tao Te Ching. London 1963, S. 74.) An einer anderen Stelle (Laozi 21) heißt es ergänzend:

„M%ZW > 'Itil^liKo"; siehe Yu Peilin, op. cit. S. 47. (Cf Robert G. Henrichs:

Lao-tzu Te-Tao Ching: a new translation based on the recently discovered Ma-

wang-tui texts. New York 1989, S. 228.)

52 lm Laozi 51 heißt es hierzu: „^üXM'^M^WMmm^ » iI^S| . ^

:iltM#S^"" Siehe Yu Peilin, op. cit., S. 86. (Cf D. C. Lao, op. cit., S. 112.)

(18)

Rechtlichkeit - und das ist die allgemein vorherrschende Meinung aufder

ganzen Welt. Dasjenige, das I^ao Zi „dao" und „de" nennt, das meint die

Preisgabe von Menschlichkeit und Rechtlichkeit - und das ist nur die per¬

sönliche Meinung eines einzelnen.

Nach dem Verfall des „dao" unter den Zhou, dem Tode des Konfuzius

und der Bücherverbrennung unter den Qin^'-^ gab es unter den Han [die

Lehre] „Huanglao"-"^ und unter den (Dynastien) Jin, Wei, Liang und Sui

den Buddhismus.'"'' Wenn jene, die das „dao", „de", „ren" und „yi" darleg¬

ten, sich nicht der (I^ehrmeinung) des Yang [Zhu] anschlössen, so schlös¬

sen sie sich der des Mo [Di] an.^^ (Wer) sich nicht (der Lehrmeinung des)

•'"■'Der auf das Jahr 213 v. Chr. datierten Bücherverbrennung fielen zahlreiche

Schriften der konfuzianischen Schule zum Ojifer. Für eine konzise Darstellung

dieses folgenreichen Ereignisses s. Derk Bodde: Chinas fir hI unifier: a study of

the Ch'in dynasty as seen in the life of Li Ssu (280^-208 B.C.). Nachdr. d. Ausg.

Leiden 1938. Hong Kong, S. 162-166, und The Cambridge history of China. Bd. 1,

hrsg. von Denis Twitchett und Michael Loewe. Nachdr. d. Ausg. Cambridge

1986. Taibei 1987, S. 69-72.

■"■'In Texten daoistischer Provenienz aus der Hari-Zeii findet sich häufig das

Kompositum „Huanglao", das sich auf den Gelben Kaiser (Huang Di [^'i^]) und

auf Lao Zi bezieht. Die, die diesen Begrifi'prägten, verfochten den Glauben, Opfer¬

feiern und Gebete für daoistische Gottheiten, magische Getränke .sowie rituelle

Gymnastikübungen wiesen den Weg ins Paradies. Besonders unter Kaiser Huan

(reg. 146-168) genossen Huanglao-Vertreter großen Einfluß am Kaiserhof. Für

eine detaillierte Analyse dieses sehr unscharfen Begriffs s. Reinhard Emmerich:

Bemerlcungen zu Huang und Lao in der frühen Han-Zeit: Erkenntnis.se aus Shiji

und Hanshu. In: Monumenta Serica 43 (1995), S. 53-140; zu diesem Thenienkom-

plex cf. auch Anna Seidel: La divinisation de Lao Tseu sous les Han. Paris 1969,

S. 34 und S. 50.

•"'" Die erste offizielle Aufwertung des Buddhismus kann auf die Regierungszeit

des Kaisers Ming Di (57-75) zurückverfolgt werden; cf. Eric Zürc:her: The Bud¬

dhist conqueM of Ch ina. Bd. 1. Verb. Nachdr. d. Ausg. Leiden 1959. Leiden 1972,

S. 22. Interessant an dieser Stelle ist, daß die Wirkung der Verbreitung der

Huanglao-hehren und des Buddhismus mit den fatalen Folgen der Bücherverbren¬

nung auf eine Stufe gestellt werden.

Für konzise Angaben zu der Schule des Mo Di s. A. C. Graham: Disputers of

the Dao: Philo.sophical argumentation in ancient China. La Salle, III., 1989, S. 33- 53. Eine gemeinsame Kritik an Yang Zhu (5. Jh. v. Chr.) und Mo Di (4. Jh. v. Chr.) findet sich in vielen konfuzianischen Schriften. Der locus cla.s.sicus der kombinier¬

ten Kritik an Mo Di und Yang Zhu findet sich bei Meng Ke (4. Jh. v. Chr.); s.

Mengzi 3B9. In: Shisan jing zhushu, Bd. 2, S. 2714C-2715A. (Cf. D. C. Lau: Men¬

cius. 4. Aufl. London 1984, S. 114-115.) Daher halte ich Liu Zhenqiangs Kom¬

mentierung dieser Passage fiir richtig, bei der „Yang" als Hinweis auf Yang Zhu

interpretiert wird (cf Liu, op. cit., S. 418, Anm. 12). Einführende Hinweise zur

Lehrrichtung des Yang Zhu finden sich in A. C. (Jraham. op. cit., S. 53-64, der

den „Yangisten" (Graham) ein eigenes Kapitel widmet.

(19)

Lao Zi anschloß, schloß sich (jener der) Buddhisten an. Wer sich dem

einen anschloß, wandte sich gewiß von dem anderen ab. Die (einer Lehr¬

meinung) Beitretenden, hielten diese für überlegen, die sich (von einer

Lehrmeinung) Abwendenden, hielten diese für unterlegen. Die beitraten,

gaben sich der Lehre völlig hin, die sich abwandten, zogen sie in den

Dreck. Oh weh! Jene in späterer Zeit, die von der Lehre des „ren", „yi",

„dao" und „de" zu hören wünschten - von wem könnten sie [die Lehre]

hören? Die Anhänger des Lao Zi sagen: „Konfuzius war ein Schüler mei¬

nes Meisters."^'' Die Anhänger des Buddha sagen: „Konfuzius war ein

Schüler meines Meisters."^^ Und die sich als Anhänger des Konfuzius

gerieren {wei [^]), haben sich an solche Reden gewöhnt, finden Spaß an

diesen Prahlereien und erniedrigen sich selbst, wenn sie auch noch sagen:

«Mein Lehrer schätzte auch die Unterweisung (eures) Lehrers! »s» Das

haben sie nicht nur in ihren Mund genommen, sondern auch noch in ihre

Bücher geschrieben! Oh weh! Jene in späterer Zeit, selbst wenn sie von

der Lehre des „ren", „yi", „dao" und „de" zu hören wünschten - von wem

könnten sie [die Lehre] erbitten? Welch ein Jammer! Es liegt an der Vor¬

liebe der Menschen fiir das Wundersame, daß sie nicht nach dem Ur¬

sprung suchen und (auch) nicht nach den Folgen fragen, nur von Wundern

möchten sie etwas hören.""

5' Daoisten konnten auf eine Passage in Zhuangzi 14 {tianyun [AS]) verwei¬

sen, in der beschrieben wird, wie Konfuzius auf Lao Dan [^fl^] (i.e. Lao Zi) trifft

und dabei als devoter Schüler in Erscheinung tritt; cf. Xinyi Zhuangzi duben, S.

184-186.

5**In der buddhistischen Literatur des sechsten und siebten Jahrhunderts finden

sich verschiedene Zitate aus der Sütra der Ausübung des reinen Dharmas (Qing-

jing faxing jing [~^#)£ffS])> in denen berichtet wird, daß Buddha Konfuzius als

Schüler in China zurückgelassen habe (cf. Xinyi Guwen guanzhi, Anm. 14, S.

418); zur fragmentarischen Überlieferung dieser Sütra s. Zürcher, op. cit.. S.

313.

■""'Im Buch der Riten {Liji fragt Zeng Zi ['^E'] an vier Stellen, welche

Belehrungen Konfuzius über die Riten von Lao Dan erhalten habe (cf. z.B. Liji 18.

In: Shisan jing zhushu, Bd. 2, S. 1393A). Ähnliche Darstellungen über Unterwei¬

sungen des Konfuzius durch Lao Zi finden sich auch im Lao Zi Han Fei lie zhuan [^

i^^^^^ijfll] des Shiji üg, 63 (cf Shiji, zusammengestellt von Sima Qian [tfl,l|

iS]. Unveränd. Nachdr. d. Ausg, Beijing 1978. Beijing 1997, S. 2139-2140.)

6" Han Yu spielt mit dieser Wendung vermutlich auf das Lunyu (7.21) des Kon¬

fuzius an, in dem es heißt, der Meister habe es verschmäht, über Wunder {guai),

Kraftstücke, Aufruhr und Geister zu sprechen („T^m'STjSLft"; s. Lunyu. In:

Shisan jing zhushu, Bd. 2, S. 2483A. (Cf D. C. Lau [Übers.]: Confucius: the Ana¬

lects. 9. Aufl. London 1979, S. 88.) Bei dem Bezug auf Wunder handelt es sich um

eine Kritik an dem im Volk weit verbreiteten Aberglauben, der zu allen Zeiten

(20)

Im Altertum teilte man die Bevölkerung in vier Gruppen,«' heute teilt

man sie in sechs.^^ Im Altertum gab es nur eine einzige Lehrmeinung,

heute gibt es drei."* Auf eine Bauernfamilie kommen sechs Familien, die

deren Ernte essen. Auf eine Handwerkerfamilie kommen sechs Familien,

die deren Gerätschaften benutzen. Auf eine Händlerfamilie kommen

sechs, die von deren Besitz zehren. Wie könnte es da sein, daß das Volk

nicht verarmt und noch dazu räuberisch wird?

Im Altertum hatten die Menschen vielerlei Not. Dann traten weise Kul¬

turheroen (shengren [MA]) auf, die sie im rechten Weg des miteinander

lebens und gegenseitigen Unterstützens unterwiesen. Sie waren ihnen

Herrscher, sie waren ihnen Lehrer, vertrieben ihnen Gewürm, Schlangen,

Vögel und Wildtiere und siedelten sie im Mittelland (zhongtu [4'+.])"'' an.

War (den Menschen) kalt, dann (brachten sie ihnen bei,) Kleidung herzu¬

stellen. War ihnen hungrig, dann (brachten sie ihnen bei,) Essen zu

beschaffen. Wohnten sie auf Bäumen, so konnten sie herabfallen, hielten

sie sich am Boden auf, konnten sie krank werden, und so schufen sie

ihnen Paläste und Wohnstätten. Sie unterwiesen sie in der Handwerks¬

kunst, um ihnen Gerätschaften zur Verfügung zu stellen. Sie unterwiesen

sie im Handel, um Austausch von Gütern (zwischen ihnen) einzuführen.

Sie unterwiesen sie in ärztlicher Krankheitsbehandlung und brachten

ihnen Heilmittel nahe, um sie vor einem vorzeitigen Tod zu retten. Sie

brachten ihnen Bestattungszeremonien und Ahnenopfer bei, um ihre Güte

und Zuneigung zu vertiefen. Sie unterwiesen sie in Riten, um bei ihnen

Ränge einzurichten. Sie unterwiesen sie in Musik, um ihnen etwas zu

geben, mit dem sie Gefühlen der Schwermut und Trauer Ausdruck verlei¬

hen konnten. Sie erließen ihnen Ordnungsregeln, um sie zu führen, wenn

den agnostizistischen Konfuzianern ein Dorn im Auge war und der in daoistisch

und buddhistisch beeinflußten Gesellschaftskreisen der Tang guten Nährboden

fand.

6' Cf Guliang zhuan [lä^Äl (Cheng gong yuan nian [ÖJ^tC^]). In: Shisan

jing zhushu, Bd. 2, S. 2417B: „e^^^Hß : - < - ^IR."

62 Gemeint ist, daß neben den traditionellen vier Gruppen der Gesellschaft,

bestehend aus Angehörigen des Dienstadels (shi [d:]), Bauern (nong [^]), Hand¬

werkern (gong [I]) und Kaufleuten (shang []^]) nun noch die Mitglieder buddhisti¬

scher und daoistischer Glaubensgemeinschaften hinzugekommen sind.

63 Diese Wendung spielt darauf an, daß es zur Tang-Zeit neben dem Konfuzia¬

nismus auch noch die Schulrichtung des Buddhismus und die des Daoismus gab.

6* Im modernen Chinesisch entspricht der Ausdruck zhongtu dem noch heute in

Texten verwandten zhongyuan [i=[^{S], einer Bezeichnung der zentralen Gebiete

Chinas am Mittel- und Unterlauf des Huanghe.

(21)

sie nachlässig und erschöpft waren. Sie stehten für sie Gesetze auf um

Gewahtäter und unrechthch Handelnde auszumerzen. Gegen wechselsei¬

tiges Täuschen führten sie Siegel und Kreditive, Hohlmaße und Gewichte

ein, um unter ihnen Vertrauen zu schaffen. Gegen Raub untereinander

führten sie Stadtmauern, Rüstzeug und Waffen ein, um sie zu beschützen.

(Auf diese Weise lehrten sie die Menschen,) wie sie sich gegen heran¬

nahendes Unheil wappnen und vor Schaden hüten konnten. Heute gibt es

jene, die da sagen: «Bevor die weisen Kulturheroen nicht gestorben sind,

werden die großen Räuber nicht innehalten. Zerstört die Gewichte, zer¬

brecht die Maße und das Volk wird nicht mehr streiten.»"^ Oh weh! Sie

haben wirkhch nicht zu Ende gedacht! Hätte es nicht im Altertum die

weisen Kulturheroen gegeben, wäre die Gattung {lei [^]) Mensch schon

lange ausgestorben! Warum ist das so? (Die Menschen) haben weder

Gefieder und Pelz, noch Schuppen und Panzer oder ein Heim, um in Hitze

und Kälte überleben zu können, sie haben (auch) keine Klauen und Zähne,

um ihre Ernährung erkämpfen zu können. Aus diesem Grund erteilen die

Regierenden Befehle. Die Minister führen die Befehle der Regierenden

aus und sie sind es, die sie dem Volk unterbreiten. Das Volk erzeugt

Getreide, Korn, Hanf und Seide, erzeugt Geräte sowie Gebrauchsgüter

und tauscht Waren aus, um ihren Gebietern zu dienen. Wenn die Herr¬

scher nicht Befehle erteilen, dann verheren sie das, was sie zu Herrschern

macht. Wenn die Minister nicht die Befehle des Fürsten ausführen und sie

dem Volk unterbreiten, dann verlieren sie das, was sie zu Ministern

macht. Wenn das Volk nicht Getreide, Korn, Hanf und Seide erzeugt,

nicht Geräte sowie Gebrauchsgüter fertigt und Waren austauscht, um

ihren Gebietern zu dienen, dann wird es gezüchtigt.

Heutzutage heißt die Leitlinie {fa [^]) [der Buddhisten]: «Schafft Herr¬

scher und Minister unbedingt beiseite, beseitigt (die Bindung zwischen)

Vater und Sohn und verbietet das Prinzip der gegenseitigen Fürsorge»,

um nach dem zu streben, was sie „perfekte Reinheit" und „Überwindung

der Welt der Sinneswahrnehmung" {qingjing jimie [fMW'MM,]) nennen.""

Oh weh! Es ist nur von Glück [für die Buddhisten], daß sie erst nach den

Drei Epochen {sandai [Hit])"' hervorgetreten sind und so nicht die Ver-

65 Die beiden gereimten Passagen „MA'T?E, A^^lh" und „Jg4ff# >

^" sind wörtliche Zitate aus Zhuangzi 10 {qu qie [KSD: cf Xinyi Zhuangzi

duben, S. 136.

66 Für die buddhistischen Fachtermini qingjing und jimie s. Foxue da cidian [i^

PAÄfA]. hrsg. von Ding Fubao [TISf*]. Beijing 1984, S. 989.2 und S. 953.3.

6' Die Bezeichnung .sandai bezieht sich hier ohne Zweifel nicht auf den gleich¬

namigen Zeitabschnitt von 220-277, sondern aufdie Epoche der drei Dynastien

(22)

nichtung durch Yu, Tang, [König] Wen, [König] Wu, den Herzog von Zhou

und Konfuzius erleben mußten.«* Es ist wiederum ein Unglück für sie, daß

sie nicht vor den drei Epochen hervorgetreten sind und so nicht erlebten,

von Yu, Tang, [König] Wen, [König] Wu, dem Herzog von Zhou und Kon¬

fuzius zurechtgewiesen zu werden. Die Bezeichnungen Kaiser und König

unterscheiden sich, (doch) wodurch sie zu Kulturheroen wurden, ist das

gleiche. Im Sommer trugen sie Leinen,«» im Winter trugen sie Felle,

waren sie durstig, tranken sie, waren sie hungrig, aßen sie - ihre Betäti¬

gungen unterschieden sich zwar, (doch) die Weisheit, mit der sie sie ver¬

richteten, war die gleiche. Heutzutage heißt es in den Reden [der Daoi¬

sten]: «Warum lernt ihr nicht das einfache Dasitzen ohne etwas zu tun

(nach dem Vorbild) des Altertums?»'" Das gleicht dann jemandem, der im

Winter Felle trägt, tadelnd zu sagen : »Warum trägst du nicht Leinen, das

ist einfacher?", oder den Hungernden, der ißt, zu fragen «Warum trinkst

du nicht, das ist einfacher?» In den Uberlieferungen (zhuan [{$])" heißt

es: «Jene, die früher im Reich danach strebten, die leuchtende Tugend

(de) erstrahlen zu lassen, ordneten zunächst ihr Reich. Jene, die danach

strebten, ihr Reich zu ordnen, brachten zunächst ihre Familie in Ord¬

nung. Jene, die danach strebten, ihre Familie in Ordnung zu bringen, kul¬

tivierten zunächst sich selbst. Jene, die danach strebten, sich selbst zu

kultivieren, korrigierten zunächst ihr Bewußtsein (xin ['Ü^]). Die danach

Xia, Shang und Zhou, die kulturprägenden Einfluß aufdie chinesische Zivilisa¬

tion ausgeübt haben.

Alle hier aufgezählten Gestalten gelten bei Konfuzianern als Kulturheroen.

6" Mit „Leinen" ist im allgemeinen jene Kleidung gemeint, die aus den Fasern

der Pueraria thunbergiana gewirkt ist.

Diese Stelle spielt wahrscheinlich auf Aussagen an, wie sie sich in Laozi

48 („fX^T^i-:^*«* - ÄÄ^* - :f ÄU»AT") oder 57 („^AMAB : SÜSME^

gfh > fc*fllMKSiE - ftĻMSil"") finden; s. Yu Peilin, op. cit., S. 83 und

S. 93. (Cf. D. C. Lao: Lao Tzu: Tao Te Ching. London 1963, S. 109 und S. 118.)

" Chen Yinke hat daraufhingewiesen, daß sich Han Yu mit dem nachfolgenden

Zitat aus dem Daxue einer Technik (geyi [t&^]) bedient, die schon im frühen

Chan-Buddhismus zur Erklärung neuer Begriffe verwandt wurde. Nach Chen

benutzt Han Yu also eine buddhistische Methode der Exegese, um die ursprüng¬

liche Bedeutung konfuzianischer Begriffe zu rekonstruieren, die durch die Infiltra¬

tion buddhistischer und daoistischer Ideen nivelliert wurden; s. Chen: Lun Han

Yu [äfe^ÄJ]. In: Lishi yanjiu 2 (1954), S. 105-114 (besonders S. 107). Für allge¬

meine Hinweise zur Übersetzungsteehnik des geyi s. Tang Yongtong: On , Ico-yi',

Ihe earlie.ü method by which Indian Buddhi-im and Chinese thought were .synthe¬

sized. In: W. R. Inge u. a. [Hrsg.]: Radhakrishnan: Comparative studies in philoso¬

phy presented in honour ofhis sixtieth birthday. London 1951, S. 276-286, und

Eric Zürcher, op. cit., S. 184,

(23)

strebten, ihr Bewußtsein zu korrigieren, läuterten zunächst ihr Den¬

ken. »'^ So sehen wir denn, was im Altertum „Korrigieren des Bewußt¬

seins" und „Läutern des Denkens" genannt wurde, sollte seinen Nieder¬

schlag in praktischen Handlungen finden. Heutzutage ist es so, daß sie

danach streben, ihr Bewußtsein zu kontrollieren, und zugleich weisen sie

die ganze Welt, das Reich und die Familie von sich und löschen ihre

Sozialbindungen aus: Söhne behandeln ihre Väter nicht mehr als Vater,

Minister behandeln ihre Herrscher nicht mehr als Herrscher, das Volk

kümmert sich nicht mehr um die Angelegenheiten, die ihnen zukommen.

Als Konfiizius das Chunqiu schuf,betrachtete er jene Lehensftirsten, die

barbarische Riten befolgten,'* als Barbaren, (während) er solche (Lehens¬

fürsten), die den Riten Chinas nachkamen, als Chinesen betrachtete. In

der kanonischen Schrift {jing heißt es: «Barbaren, die einen Für¬

sten haben, kommen nicht den Chinesen gleich, denen (ein Fürst) fehlt.»

Im Buch der Lieder heißt es: „«Widersetzt euch den Horden aus dem

Westen und Norden, bestraft die Stämme von Jing und Shu.»'« Heute

dagegen führen sie die Gesetze der Barbaren ein und stellen diese über die

Lehren der früheren Könige. Bedeutet dies nicht, daß sich in Kürze alle zu

Barbaren wandeln?

Was ist es, was ich die Lehren der früheren Könige nenne? Umfassende

Zuneigung wird „ren" genannt, sie angemessen auszuüben, wird „yi"

genannt. Wenn man diesen beiden folgt (in seinen Handlungen), spricht

man von „dao", und ist dieses ohne Hilfestellung von außen sattsam in

'2 Diese Passage ist ganz wörtlich dem Liji [^gfE] {Daxue [APD entnommen (cf.

Shisan jing, Bd. 2, S. 1673A). Zu Beginn der Tang-Zeit wurde diese Textstelle

wenig beachtet, erst durch Han Yus nachdrückliche Erwähnung des Daxue wurde

dieser Schrift wieder besondere Beachtung zuteil. Zur Song-Zeit kam es dann

durch Aufnahme des Daxue als eigenständiger Bestandteil im Sishu des Zhu

Xi zu einer Aufwertung dieses Lij?-Kapitels als herausragender Klassiker der kon¬

fuzianischen Lehre; cf. Zhu Xi: Daxue zhangju jizhu [A^$''ä]Ää]- In: Sishu

wujing [\!5-^'£.M.l Bd. 1. Beijing 198.5, S. 1-8.

'3 In Mengzi 6B findet sich eine Stelle, von der sich die Autorenschaft des Kon¬

fuzius für das Chunqiu ableitet; cf. Mengzi. In: Shisan jing zhushu, Bd. 2, S.

2714C.

'* Siehe Chunqiu Zuozhuan zhengyi [#|;'c£'ffIE^]. In: Shisan jing zhushu,

Bd. 2, S. 1822B: „fög^/>5t5|l3 = ffl Äit » iKS^«"

Mit „kanonischer Schrift" ist hier das Lunyu des Konfuzius gemeint, aus dem

auch das nachfolgende Zitat entnommen ist; s. Lunyu 3.5. In: Shisan jing

zhushu, Bd. 2, S. 2466A. (Cf D. C. Lau [Übers.]: Confucius, S. 67.)

'»Cf Shijing [s|M] (Mao 300). In: Shi.san jing zhushu, Bd. 1, S. 617A. (Cf

James Legge [Übers.]: The Chinese classics. Bd. 4. The She King. Unveränderter

Nachdruck der Ausgabe Oxford University Press [1891]. Taibei 1985, S. 626.)

(24)

einem selbst, spricht man von „rfe". Ihre Klassiker waren das Buch der

Lieder, das Buch der Uricunden, das Buch der Wandlungen und die Früh¬

lings- und Herbstannalen; ihre Gesetze waren die Riten, Musik, Bestra¬

fungen und Ordnungsregeln; ihre Bevölkerung (bestand aus) Angehörigen

des Dienstadels, Bauern, Handwerkern und Händlern; ihre gesellschaft¬

lichen Stellungen waren die zwischen Fürst und Minister, Vater und

Sohn, Lehrer und Freund, Gast und Gastgeber, älterem und jüngerem Bru¬

der sowie zwischen Ehemann und Ehefrau; ihre Kleidung war aus Hanf

oder Seide; ihre Wohnstätten waren Paläste oder Behausungen. Ihre

Speise war Getreide und Korn, Obst und Gemüse, Fisch und Fleisch. Der

Weg, den sie praktizierten, war leicht zu verstehen, und was sie lehrten,

war leicht auszuführen. Dies ist der Grund, weshalb alle, die den Weg auf

sich selber anwandten, erfolgreich und zufrieden wurden; wenn [der

rechte Weg] auf andere Menschen angewandt wurde, so konnte es mit

Zuneigung und Gerechtigkeit erfolgen; wurde er auf das Bewußtsein ange¬

wandt, ergaben sich Harmonie und Ausgeglichenheit, wurde er auf das

Reich und die Lehensfürstentümer angewandt, gab es an keiner Stelle

etwas Unangemessenes. Dies ist der Grund, weshalb sie im Leben ihren

Gefühlen gerecht wurden und im Tod das Unveränderliche (chang)'^'^

erfüllten; führten sie die Himmelsopfer aus, so nahmen die himmlischen

Gottheiten (die Opfer) an, brachten sie im Ahnentempel Opfer dar, fanden

die Geister der Verstorbenen Gefallen daran.

Wenn (nun) jemand sagt: «Dieses „dao", um welches „dao" handelt es

sich hier?», antworte ich: «Was von mir „dao" genannt wird, ist nicht das,

was die Anhänger des Lao Zi und die Buddhisten „dao" nennen.» Yao

überlieferte es an Shun, Shun überlieferte es an Yu, Yu überlieferte es an

Tang, Tang überlieferte es an [König] Wen, [König] Wu und den Herzog

von Zhou;'* [König] Wen, [König] Wu und der Herzog von Zhou überlie-

" Mit dem Wort chang bezieht sich Han Yu auf ein Wortfeld, das auf chang dao

(Grundprinzip) hinweist. Mit diesem Wort sind im sozialen Kontext alle Regeln

des angemessenen Umgangs der Mitglieder einer Lebensgemeinschaft gemeint,

die zu erfüllen, das Lebensziel jedes Konfuzianers war. Im daoistischen Kontext

hat chang dao zudem noch metaphysische Nebenbedeutungen. Die berühmteste

Stelle hierfür ist die Anfangspassage (iSoJil - 4^^3Ä) des Laozi 1; s. Yu Peilin, op. cit., S. 17. (Cf Victor H. Mair [Übers.], op. cit., S. 59.)

Auch wenn die tatsächlichen Lebensdaten der „Kulturheroen" Yao [^] (trad,

um 2357-2258 v. Chr.), Shun [#] (trad. 2258-2206 v. Chr.), Yu [g] (trad. 1994-

1523 V. Chr.), Tang [M] (trad, um 16. Jh. v. Chr.), Wen [X] (trad, um 12. Jh.

V. Chr.) und Wu [jg;] (trad, um 1133-1116 v. Chr.) nicht zweifelsfrei bestimmbar sind, spricht die chinesische Tradition ihrem Wirken seit jeher historische Fakti-

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