FEUILLETON
Ausstellung "Krank-worum?"
Reise durch die ganze Welt
Anschauungen und Vor- stellungen von Gesundheit und Krankheit gibt es wie Sand am Meer, seit Men- schengedenken, zu allen Zei- ten und in allen Kulturkrei- sen, rund um den Globus.
Was bislang wirklich fehlt, ist nicht ein neuer oder ergän- zender Aspekt oder über- haupt eine ganz neue Theo- rie, sondern eine Supervision der Anschauungen im Sinne einer metaphysischen Be- trachtung aller Vorstellun- gen. Genau das leistet nun ei- ne medizinisch-ethnologische Ausstellung des Deutschen Hygiene-Museums unter dem Titel "Krank-warum? - Vorstellungen der Völker, Heiler, Mediziner", die bis zum 16. Juli 1995 in Dresden zu sehen ist.
Der unvoreingenommene und unvorbereitete Betrach- ter sieht sich von der Fülle der disparat zusammengestellt er- scheinenden Exponate zu- nächst wie erschlagen. Was hat eine Twiggy-Schaufenster- puppe der späten 60er Jahre mit einem Akupunkturmodell zu tun, was eine tibetische Ge- betsmühle mit einem sächsi- schen Taufstein? Die Ausstel- lung "Krank- warum?", kon- zipiert von dem Zürcher Eth- nologen Frank Beat Keller, zeigt nicht nur, wie kulturell unterschiedlich die Gesund- heitsvorstellungen und die Auffassungen von den Ursa- chen einer Krankheit sind, sondern macht auch in ihrer systematischen Aufbereitung Parallelen und Querverbin- dungen der verschiedenen Vorstellungen deutlich.
Kellers These zur Beant- wortung der Leitfrage
"Krank-warum?" besteht in
der Auffassung der Gleich- wertigkeit dreier potentiell krankmachender Bereiche.
0 Erstens die vorgeburtli- chen Einflüsse, also die Anla-
gen, mit denen wir auf die Welt kommen und die unser Leben bestimmen werden: Je nach Kulturkreis liegt die Ge- wichtung auf der Genetik, dem Karma, der Erbsünde, der Astrologie oder dem Schicksal. So löst sich das Rätsel: die tibetische Gebets- mühle soll die Wiedergeburt verbessern helfen. Auch Schrecksteine, Neidfäuste und andere Amulette gegen vorgeburtlich krankmachen- de Einflüsse oder auch eine 40 m lange DNA-Doppel- helix, die sich durch den ganzen Raum zieht, stehen für diese Abteilung.
@ Der zweite Bereich be- faßt sich mit den im Laufe des Lebens erworbenen, von außen treffenden Krank- heitsursachen. Unfälle und Kriege zerstören die Gesund- heit, Viren und Bakterien, Medikamentenmißbrauch, Strahlen und schädliche Le- bensbedingungen machen krank. In anderen Kultur- kreisen fällt in diese Gruppe auch die als real empfundene Strafe der Götter für Fehlver- halten, grollende Ahnen, die über die Einhaltung der Tra- dition wachen, sowie böse Geister und Dämonen. Hier steht die Hülle einer Atom- bombe neben einer Bilderge- schichte aus Nigeria, auf der der Künstler darstellt, was ei- nem Mann passiert, der eine Opfergabe raubt: er be- kommt extreme Blähungen- und kein Arzt kann ihm hel- fen.
@ Der dritte Bereich wid- met sich den im Leben erwor- benen, aus dem Inneren wir- kenden Krankheitsursachen.
Dazu gehören der Prozeß des Alterns, individuelle Ängste, Überbeanspruchung des Körpers, Beziehungsproble-
me, falsche Lebensweise, Ta-
bu- und Regelbrüche oder
"Verrutschen der Seele". Auf
· voltaren Emulgg)
zum Festbetrag
Bildern wird der Einfluß des bösen Blicks und des neidi- schen Nachbarn dargestellt.
Neid macht in Europa bei- spielsweise den Neider krank, im Mittelmeerraum das Objekt des Neides, und in Mexiko wird der Beneidete selbst krank.
Für alle Ausstellungsbe- reiche hat Keller in dreijähri- ger Arbeit rund 350 Objekte zusammengetragen. In allen Kontinenten wurden eigens für diese Ausstellung Künst- lerinnen und Künstler beauf- tragt, Gemälde und Installa-
Kolog: Die Seele hat den Menschen verlassen. Installotion mit Menschen- figur aus Zement, Drohtgeflecht und Stahl, Stoff, Droht, Farbe etc. Alme Urdujo Qinto und To Austrio, Quezon City, Manila, Philippinen, 1994. 4,80 m hoch. Körper lebensgroß. Die Schmerzen der Seele sind symbolisiert durch die Holzstöbe, die überoll im von der Seele verlassenen Körper stecken. Foto: Mortin Wiehl
tionen zu schaffen. Sie zeigen Antworten, die in ihrer Kul- tur gültig sind: Kunst aus Australien, Papua Neugui- nea, Sri Lanka, Thailand, Ni- geria, Äthiopien, der Türkei, aus Österreich, Mexiko, Peru und weiteren Länden. Wert- volle Sammlungsstücke kom- men aus klassischen archäo- logischen Museen, Völker- kundemuseen und medizinhi- storischen Sammlungen. Vie- le Privatsammler steuerten ihre Kunstwerke bei.
Modelle lebensbedrohen- der Schädlinge, afrikanische Masken mit magischen Kräf- ten, altindische Skulpturen, das Modell eines Wallfahrts- tempels, eine indianische Schwitzhütte, katholische Re- liquien aus den Alpen und etruskische Amulette begeg- nen dem Besucher der Aus- stellung und lassen ihn eine Reise durch die ganze Welt machen.
~ Ihren besonderen Reiz erhält die Ausstellung durch die hervorragende. Inszenie- rung der Wiener Künstlerin Eva Eder. Die unter der Schirmherrschaft der Weltge- sundheitsorganisation stehen- de Ausstellung ist als Wander- ausstellung konzipiert und ist anschließend im Oberöster- reichischen Landesmuseum Schloß Linz zu sehen. Weitere Museen in der Schweiz und in Deutschland haben ihr Inter- esse angemeldet. Der 400 Sei- ten starke Katalog kostet im Deutschen Hygiene-Museum 42 DM, Im Buchhandel 78
DM. Martin Wiehl
Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 17, 28. April1995 (67) A-1261