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Meer sand, mehr K ohle

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Zur Pflichtlektüre der Hausärztin gehört der Blick.

Nicht wegen Artikeln von Nobelpreisträger Zinker- nagel. Oder Tipps von Gesundheitsprechstündeler Stutz. Sicher nicht wegen Kochrezepten wie «Ente à la Djamile». Sondern weil meine PatientInnen ihn lesen. Da darf frau nicht durch Unwissen dumm auf- fallen. So wie 1995, als das Praxistelefon heiss lief.

Dank Blick wussten meine Patientinnen nämlich bereits, was Harvard-Professor Colditz zu Hormon- ersatztherapie und Brustkrebsrisiko meinte. Mein NEJM mit der Colditz-Publikation lag hingegen unberührt im Fachliteraturstapel, den ich zu lesen gedachte. Ich fluchte auf den Blick, kaufte und las ihn. Denn Blick bringt Wissen ins Haus. In Print und auf DVD. Schön knapp. Alle Weltereignisse auf zehn DVD. Kein Satz länger als 13 Worte. Genau rich- tig für die arbeitende Bevölkerung und überarbeiteten Hausärztinnen. Das Blatt liefert zudem wertvolle medizinische Infos. Über Beckhams Anatomie schreibt Blick: «Diese Silberkugeln sind nichts für den Weihnachtsbaum.» (Anmerkung des Layouters:

Es handelte sich um Victorias Brüste, nicht um Davids Body!) Blick erkennt Ätiologien: «Darum ist Angelina so dünn.» Blick erfragt Prognosen quoad vitam: «Überlebt einer?» (Anmerkung des Layouters:

Das war der Fahrbericht Chrysler Nassau und Jeep Trailhawk!) Blick erteilt therapeutische Ratschläge:

«Hans, hör auf zu koksen!» Kurz – der tabloide Blick ist für die Hausärztin fast so wichtig wie der kli- nische Blick. 20 Minuten ist zwar seit 2003 viel stär- ker als Blick. Denn gratis ist noch geiler. Aber Blick ist «fun». Was auch Top-Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann-Maier-Leibnitz so sieht. Angeblich habe sie gesagt, dass Boulevardblätter mit einer Zeitung im eigentlichen Sinne wenig zu tun hätten, da der Unterhaltungswert der Information deutlich übergeordnet würde. Im Gegensatz zum Unter- haltungswert könne der Informationswert solcher Blätter nämlichh beliebig tief gesenkt werden, ohne dass dies eine nennenswerte Abnahme der Käu- ferzahlen nach sich ziehen würde. Nun, am 15. Juni hat Blick die Käuferzahl gesteigert. Alle Allgemein- praktiker kauften das Blatt, aber es tat ihrem Blutdruck nicht gut. Mein Telefon lief wieder heiss.

«Hast du das gelesen? Rechnen die diesen Lohn auf unsere 100 Stunden Wochenarbeitszeit um?»

schnaubte ein Kollege (89 753,40 Franken/Jahr).

«Schreib jetzt einen deiner säuischen Leserbriefe!», röhrte ein anderer (95 742,95 Franken/Jahr), der sonst immer versucht, mein Vokabular zu glätten.

Ein dritter (101 020,50 Franken/Jahr) drohte an, mir

oder Redaktor Reto Kohler seinen Steuerausweis zu zeigen. Dabei glaube ich ihm aufs Wort, dass er im Monat nur sechs Mille verdient, wenn ich seinen Opel sehe. Der ist noch klappriger als der Toyota Corolla von Dr. Pierre Gachoud (97 000 Franken/

Jahr). Doch gibt es noch ärmere Schlucker. Zum Beispiel Breitschnauzträger Peter Marbet von santé- suisse. Der hat gar kein Auto, sondern fährt täglich Velo. Dass er mindestens einmal pro Woche Sport treibt, nicht raucht und versucht, sich einigermassen ausgewogen zu ernähren* ist gut. So tut er etwas für seine Gesundheit. Denn vielleicht ist sein Hausarzt ja ab jetzt sauer auf ihn? Locker schob der Rote Peter (??? Franken/Jahr) den Grundversorgern mal wieder den Schwarzen Peter zu, wie dies zu erwarten war.

Kaum hatte Hansueli Späth (140 000 Franken/Jahr) im Beobachter angekündigt: «Nächstes Jahr wird es knallen!», den Unterarm mit geballter Faust in Abwehrhaltung, schon schepperte es im Hause Ringier. Die «Hausarztlüge» wurde geboren. Reto Kohler schrieb über unsere Kohle. Unser Gehalt sei in zwei Jahren um 10 Prozent angestiegen. Wir seien Jammerer und Schwindler, denn es gäbe uns nicht nur wie Sand am Meer, sondern es ginge uns besser denn je zuvor. Möglicherweise ist mir (88 241.30 Franken/Jahr) das entgangen. Oder ich mache etwas falsch. Aber Blick stärkt mein Sozialprestige. Endlich verliere ich mein Mutter-Theresa-Image. Eine Gold- aura umstrahlt mich – dank Blick. Heute zeigten all meine männlichen Patienten so viel Respekt, wie wenn ich eine Twenty-Million-Dollar-Woman wäre.

Selbst Herr Ilovic´ aus Pristina. «Frau», sagte er zu mir, «Du gut. Du Geld. Blick schreibt 190 000 Mäuse in Jahr. Jetzt du kauf endlich konkret besseres Auto.»

Wie alle anderen Topverdiener und Golden Girls werde ich in Zukunft Patienten schneller abfertigen, denn dank Blick kann ich barsch sagen: «Lassen Sie mich mit Ihrer Fibromyalgie in Ruhe. Bei meinem Stundenlohn habe ich dafür nun wirklich keine Zeit.

Time is money.» Dann kann ich länger mit Kollege Simon D. am Telefon plaudern. Mit Schwarzenburger Coolness witzelte er soeben: «Ig bin ä modärnä Mediziner. Und mir hei chä Angscht mä vor äm

‹Bösen Blick›, oder?»

*In: Atupri Magazin. Das Kundenmagazin der Atupri Kran- kenkasse. Nr 3/2003, S. 4-5

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ARS MEDICI 13 2007

arsenicum

Meer sand, mehr K ohle

Von Gastkolumnistin Annette Thommen, Basel

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