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Archiv "Kontroverse um Cholesterinsenkung: Ein Mißverständnis" (12.12.1991)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kontroverse

um Cholesterinsenkung:

Ein Mißverständnis

Frank P. Schelp

Tn

der Auseinandersetzung zwi- schen den Gegnern und Befür- wortern einer Verminderung des Cholesterinspiegels hat kürzlich der Deutsche Kassenarztverband einge- griffen (1). Der Bericht über ein Symposium „Cholesterinsenkung für alle — Consens oder Nonsens" wurde einer großen Anzahl von Ärzten per Post ins Haus geschickt. Auf dem Symposium kamen nur Gegner einer Cholesterinsenkung zu Wort. An- geblich waren Vertreter der Befür- worter eingeladen worden, aber nicht zu der Tagung gekommen.

Verhindert hätten sie die erneut in die allgemeine Ärzteschaft getrage- ne Verunsicherung wohl nicht.

Die Befürworter und Gegner der Cholesterinsenkung unter den Ärzten fühlen sich sicherlich glei- chermaßen der Gesundheit der Be- völkerung verpflichtet. Wenn den- noch die Fronten so unerbittlich ge- zogen werden, sollte vermutet wer- den, daß ein grundsätzliches Mißver- ständnis vorliegt. Wären die Grund- sätze von „public health" im Allge- meinen und Epidemiologie im Be- sonderen in Ausbildung und Praxis in Deutschland unter den Ärzten verbreiteter, hätten die Verantwort- lichen im Deutschen Kassenärzte- verband wohl erkannt, welchen po- tentiellen Schaden sie durch ihre Aktion der Gesundheit breiter Be- völkerungsgruppen zufügen können.

Sind alle Personen über 200 mg/dl Gesamtserum- cholesterin krank?

Der Angelpunkt des Streites ist die Festlegung auf einen Choleste- rinwert von 200 mg/dl als Trennwert zwischen gesund und krank. So zu- mindest scheint es der überwiegende Anteil der kurativ ausgerichteten Ärzteschaft zu verstehen. Die Befür-

worter einer Cholesterinsenkung ha- ben versäumt, allgemein deutlich zu machen, daß es nicht darum geht, ei- ne Bevölkerung entsprechend dem Trennwert in Gesunde und Kranke zu unterteilen, sondern einen Richt- wert für bevölkerungsbezogene Maßnahmen im Bereich der Präven- tion festzulegen. Als Grundlage für die Entscheidung dienten Verglei- che, die zeigten, daß erhebliche Un- terschiede in der bevölkerungsbezo- genen Verteilung des Serumchole- sterinspiegels zum Beispiel zwischen Japan und Finnland festzustellen sind. Generell niedrige Cholesterin- spiegel in Japan gingen einher mit ei- ner niedrigen, generell hohe Chole- sterinspiegel in Finnland mit einer ho- hen Mortalität an koronaren Herzer- krankungen. Schottland und Neu- fundland sind gleichermaßen Gebiete mit ungewöhnlich hohem Fettverzehr und hoher Mortalität an KHK (2).

Weiterhin war bei der Festle- gung eines Richtwertes zu berück- sichtigen, daß das für die Abschät- zung des Erfolges von Präventivmaß- nahmen wichtige „bevölkerungsbe- zogene Risiko" (attributable, bevöl- kerungsbezogene Fraktion) bei mä- ßig erhöhten Werten des Gesamt- cholesterins am höchsten ist. Zwar steigt das „relative Risiko", an koro- naren Herzerkrankungen zu verster- ben, mit steigenden Cholesterinse- rumspiegeln an und ist bei einem Wert zwischen 300 und 350 mg/dl wesentlich höher als bei Werten zwi- schen 200 und 250 mg/dl, aber nicht das „bevölkerungsbezogene Risiko".

So zum Beispiel sind bei 55- bis 64jährigen Männern mit einem Cho- lesterinwert von 220 bis 250 mg/dl 11 zusätzliche Todesfälle bei 1000 Män- nern innerhalb von zehn Jahren zu erwarten, verglichen mit der Gruppe von Männern, die einen Cholesterin- spiegel von 160 bis 190 mg/dl aufwei- sen. Bei sehr hohen Cholesterinwer-

ten im Blut von 310 bis 370 mg/dl sinkt dieser Wert auf drei zusätzliche Todesfälle pro 1000 Individuen ab.

Dieses Phänomen, „Grenzwertpara- dox" genannt, ergibt sich aus der ab- nehmenden Zahl der zum Risikofak- tor exponierten Personen, wenn der Schwellenwert immer weiter in den höheren Konzentrationsbereich ver- schoben wird.

Diese Tatsachen führten zu der Entscheidung, den Richtwert so fest- zulegen, wie es geschehen ist, und zu versuchen, durch präventive Maß- nahmen anzustreben, sich diesem Richtwert auf Bevölkerungsbasis zu nähern. Bei dem Versuch, die allge- meine Ärzteschaft mit in bevöl- kerungsbezogene Präventivmaßnah- men einzubinden, wurden mit den Empfehlungen der Konsensus-Kom- mission offenbar „public health"- Vorstellungen in das übliche Denk- schema des kurativ tätigen Arztes übersetzt, ohne die Hintergründe dieser Entscheidung genügend zu verdeutlichen. Zwar haben die Emp- fehlungen an die Ärzteschaft, basie- rend auf den Ergebnissen der Kon- sensus-Konferenz, der Tatsache, daß Cholesterinwerte zwischen 200 und 250 mg/dl nicht eine Krankheit aus- weisen, schon Rechnung getragen, indem vorgegeben wurde, daß, wenn keine weiteren Risikofaktoren vor- handen sind, neben einer Ernäh- rungsberatung nur eine Kontrollun- tersuchung nach dem 35. Lebensjahr alle zwei Jahre anzusetzen sei (3).

Dies wurde aber offenbar von der Ärzteschaft nicht als Aufforderung zur Teilnahme an Maßnahmen der Prävention verstanden, sondern als eine Überreaktion einer Gruppe ein- seitig orientierter Fachleute, die Ge- sunde zu Kranken stempelt.

Ergebnisse der Interventior bei Hochrisikogruppen unbefriedigend

Um die Argumente der Gegner einer aktiv betriebenen Cholesterin- senkung bei Werten unter 250 mg,/d1 richtig einschätzen zu können, ist es notwendig zu wissen, daß Erfahrun- gen aus zwei grundsätzlich unter- schiedlichen Ansätzen für Inter- ventionsmaßnahmen vorliegen. Zu- A-4506 (70) Dt. Ärztebl. 88, Heft 50, 12. Dezember 1991

(2)

nächst wurde versucht, eine Anzahl von Risikofaktoren, einschließlich Hypercholesterinämie bei Hochrisi- kogruppen zu vermindern. Der vom Deutschen Kassenarztverband ein- geladene Professor Oliver ist ein in- ternational bekannter Kritiker einer Cholesterinsenkung bei niedrigeren Cholesterinserumwerten. Er hat an der Clofibrat-Studie teilgenommen, die wegen eines bisher nicht ganz ge- klärten Anstiegs der Gesamtmortali- tät an anderen Erkrankungen abge- brochen werden mußte. Seine Reak- tion ist schon auf Grund dieser trau- matischen persönlichen Erfahrungen verständlich. Die Argumente der an- deren Referenten beziehen sich im wesentlichen auf andere Interven- tionsversuche mit Hochrisikogrup- pen. Eine größere Anzahl der an den Studien beteiligten Individuen mag bereits eine Vorschädigung gehabt haben, was zu sehr umstrittenen Re- sultaten geführt haben könnte. Die im Symposium des Kassenarztver- bandes angeführten Beispiele sind allgemein bekannt und international vielmals diskutiert worden.

In der Regel lassen sich Studien mit Hochrisikogruppen nur mit einer begrenzten Anzahl von Probanden durchführen mit letztlich sehr gerin- gen Fallzahlen, wie zum Beispiel bei der LRC-Studie (Lipid Research Clinic Coronary Primary Prevention Trial) (4). Um die durchaus günsti- gen Ergebnisse zu verdeutlichen, werden Prozentzahlen der Verände- rungen angegeben, wo, in absoluten Zahlen gemessen, sich zwar ein viel- versprechender Trend ergeben hat, aber auf Grund der geringen Fall- zahlen das Ergebnis viele Kritiker nicht überzeugt. Bei anderen Projek- ten, zum Beispiel der MRFIT-Studie (Multiple Risk Factor Intervention Trial) ergab sich zunächst nach etwa sieben Jahren kein befriedigendes Resultat, aber eine weitere Untersu- chung nach 10,5 Jahren zeigte dann doch eine Besserung der Gesamt- mortalität sowie der koronaren und allgemeinen kardiovaskulären Mor- bidität und Mortalität, auf die Schettler kürzlich in dieser Zeit- schrift hinwies und deren Ergebnisse durchaus geeignet sind, die Präventi- on koronarer Herzkrankheiten auch beim Älteren zu erwägen (5; 6).

Umstellung der Lebens- und Ernährungsgewohnhei- ten in Bevölkerung möglich Nicht zuletzt wegen dieser häu- fig so umstrittenen Ergebnisse wurde im weiteren dann größere bevölke- rungsbezogene Interventionsstudien begonnen, die in der Gesamtsicht bisher den Schluß zulassen, daß Prä- vention, die auf eine generelle Sen- kung des Cholesterinwertes in der Gesamtbevölkerung zusammen mit der Reduzierung weiterer Risikofak- toren, insbesondere Rauchen und Bluthochdruck, aber auch Bewe- gungsmangel zielt, durchaus zu einer Senkung der Mortalität an korona- ren Herzerkrankungen führen kann.

Eines der bekannteren Projekte die- ser Art ist die Nord-Karelien-Studie in Finnland. Innerhalb von zehn Jah- ren kam es zu einer deutlichen Re- duktion der Risikofaktoren und zu einer Abnahme der Sterblichkeit an koronaren Herzerkrankungen um 22 Prozent, im Kontrollgebiet um zwölf Prozent und im restlichen Finnland um elf Prozent (7).

Seit den 70iger Jahren ist es in einer Reihe von Industrieländern zu einer deutlichen Abnahme der kar- diovaskulären aber auch der isch- ämischen Herzkrankheiten gekom- men. Zum Beispiel hat zwischen 1970 und 1986 in den USA die Mor- talität an koronaren Herzkrankhei- ten bei 40- bis 69jährigen um 52 Pro- zent, in Neuseeland um 32 Prozent und in England und Wales um 13 Prozent abgenommen (8).

Auch in diesem Zusammenhang ist ein Streit im Hinblick auf die Ursa- chen dieser Entwicklung entstanden, jedoch lassen die bisherigen Erkennt- nisse den Schluß zu, daß die Wahr- scheinlichkeit sehr groß ist, daß insbe- sondere die Umstellung der Lebens- und Verzehrsgewohnheiten zu dem Absinken der Mortalitätsraten ge- führt hat. Es wird geschätzt, daß die Reduktion der Mortalität an korona- ren Herzkrankheiten in den USA zu etwa 30 Prozent auf die Senkung des Serumcholesterins und zu 24 Prozent auf die Abnahme des Zigaretten- verbrauchs zurückzuführen ist (9).

Prävention auf Bevölkerungsbasis scheint somit Wirkung zu zeigen.

Ärzteschaft Promoter der Prävention

Falls die Ärzteschaft bei Kennt- nis der Zusammenhänge zu der Überzeugung gelangt, daß die Emp- fehlungen der Konsensus-Konferenz ein untaugliches Mittel zur Präventi- on sind, dann sollten sich die beiden gegensätzlichen Lager zusammenset- zen und eine bessere Strategie erar- beiten. Es geht darum, die Bereit- schaft der Bevölkerung zu einer Um- stellung ihrer Lebens- und Verzehrs- gewohnheiten zu erhöhen, und letzt- lich auch darum, daß die Bereit- schaft tatsächlich in eine Verände- rung des Lebensstils umgesetzt wird.

Die Präventionsmaßnahmen müssen das gesamte „Risikobündel" umfas- sen und können sich nicht nur auf ei- ne bevölkerungsbezogene optimale Einstellung des Cholesterinspiegels beschränken (6). Einem präventiv- medizinischen 'Nihilismus steht je- doch die ärztliche Ethik entgegen.

Literatur

1. Cholesterinsenkung für alle - Consens oder Nonens? Bericht über ein Symposium des Deutschen Kassenarztverbandes. Notabene Medici (Sonderdruck, 1991)

2. WHO Study Group. Diet, nutrition, and the prevention of chronic diseases. Techn. Rep.

Ser. 797. WHO, Geneva, 1990.

3. Assmann, G. Nationale Cholesterin-Initiati- ve. Deutsches Ärzteblatt, 37: 116-118, 1990 4. The Lipid Research Clinics Coronary Prim- ary Prevention Trial. JAMA, 251: 351-374, 1984.

5. The Multiple Risk Factor Intervention Trial Research Group, Mortality rates after 10.5 years for participants in the Multiple Risk Factor Intervention Trial. JAMA, 263:

1795-1801, 1990.

6. Schettler, G. Prävention der koronaren Herz- krankheiten beim Älteren. Deutsches Ärzte- blatt 27 (A): 2385-2389, 1991.

7. Puska, P. et al. Ten years of the North Kare- lia project. Acta Med. Scand., 701 (S): 66-71, 1985.

8. Beaglehole, R. International trends in coron- ary heart disease mortality, morbidity, and the risk factors. Epidem. Rev., 12: 1-15, 1990.

9. Goldman, L., Cook, E.F. The decline in ischemic heart disease mortality rates: An an- alysis of the comparative effects of medical interventions und changes in lifestyle. Ann.

Intern. Med., 191: 825-836, 1984.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Frank P. Schelp

Arbeitsgruppe Epidemiologie

Institut für Soziale Medizin der Freien Universität Berlin Augustastraße 37

W-1000 Berlin 45

Dt. Ärztebl. 88, Heft 50, 12. Dezember 1991 (73) A-4509

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