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Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 41, 11. Oktober 1996 (1) chon seit geraumer Zeit
liegen die „Eckpunkte zur dritten Stufe der Gesund- heitsreform“ vor (siehe DÄ 40/
1996). Doch die Reaktionen der Betroffenen kommen nur spärlich.
Wichtige Organisationen im Ge- sundheitswesen wie Bundesärzte- kammer, Kasssenärztliche Bun- desvereinigung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft halten sich mit offiziellen Stellungnah- men zurück. Das große Grübeln über die Konsequenzen der See- hoferschen Pläne scheint jeden- falls voll im Gange zu sein.
Die Auswirkungen sind in der Tat schwer abzuschätzen. Mit Ko- stenerstattung und Beitragsrück- zahlung werden Elemente der pri- vaten in die gesetzliche Kranken- versicherung (GKV) hineingetra- gen, die durchaus das Solidaritäts- prinzip der GKV in Frage stellen.
Wenn die einzelnen Kassen indivi- duelle Pakete für ihre Versicherten schnüren, könnte das tatsächlich
der Einstieg in die Zwei-Klassen- Medizin werden. Und wie sieht es mit der vielbeschworenen Risiko- durchmischung zwischen den Kas- sen aus, wenn es die teure Kasse mit den vielen Gestaltungsleistun- gen und die billige mit den weni- gen gibt? Zudem ist es durchaus vorstellbar, daß die Krankenkas- sen unter der Maßgabe der Bei- tragssatzstabilität ihren Katalog von Satzungsleistungen durchfor- sten. Von folgenden Ausgrenzun- gen wären dann wohl auch die Lei- stungserbringer betroffen.
Eine erste Meinung zu den neuen Reformplänen haben zu- mindest die Kassen. Die Arbeits- gemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen ist der Auffas- sung, daß der Minister ihnen mit
seinen neuen Eckpunkten den Schwarzen Peter zugeschoben hat.
Die Koppelung von Beitragssatz- erhöhungen an eine Erhöhung der Zuzahlungen, die dazu noch mit ei- nem erleichterten Kassenwechsel für die Versicherten verbunden ist, werde nicht zu der gewünschten Kostendämpfung führen, sondern zum „Kassen-hopping“ der Versi- cherten. Außerdem schafften die breiteren Möglichkeiten bei der Gestaltung der Satzungsleistungen nur oberflächlich mehr Freiraum für die Kassen. In Wirklichkeit be- deute das nur, daß die Verantwor- tung für Rationierungsmaßnah- men an die Kassen weitergereicht werde. Eine wirkliche Reform ver- sprächen die Eckpunkte jedenfalls nicht. Heike Korzilius
S Eckpunkte zur Gesundheitsreform
Schwer verdaulich
er sogenannte „Alltags- test“ ist heutzutage in. Seit verschiedene private Fern- sehsender in diversen Boulevard- magazinen mit versteckter Kamera Handwerker auf Ehrlichkeit oder ehrliche Finder auf moralische Standfestigkeit hin testen, mag auch der öffentlich-rechtliche WDR nicht länger zurückstehen.
Wenn man dabei die ahnungslosen Opfer auch noch kräftig reinlegen kann, dann ist die Freude hier wie dort besonders groß.
Unlängst hatte ein WDR-Re- dakteur im Wettstreit der Tarner, Täuscher und öffentlichen Vorfüh- rer eine „pfiffige Idee“ (Bild-Zei- tung). Er schickte zwei „Schau- spieler“ vom Institut für ange- wandte Verbraucherforschung auf Ärztetour durch Köln, Bonn und Leverkusen. Wie schnell schreiben die Doctores krank, wollten die vermeintlichen Patienten wissen.
Sie klagten – offenbar durchaus professionell – über allgemeines Unwohlsein und brachten dies den Ärzten gegenüber mit einem un-
mittelbar bevorstehenden Ar- beitsplatzwechsel in Verbindung.
Welch wunderbares Ergebnis für den WDR: Alle Ärzte schrie- ben am Ende eine Arbeitsunfähig- keitsbescheinigung aus – und das, obwohl die Testpersonen eigent- lich „kerngesund“ waren. Die Mo- ral von der Geschicht’: Patient ge- sund, Ärztemoral krank. So klang es jedenfalls über den Äther.
Mal unterstellt, die beiden
„Schauspieler“ haben ihr allge- meines Unwohlsein überzeugend vermittelt, hätten dann die Ärzte die psychische Befindlichkeit igno- rieren sollen? Krankschreibung nur bei Hals- und Beinbrüchen?
Derselbe WDR wäre wahrschein- lich über dieselben Ärzte mit dem
Vorwurf hergefallen, den Men- schen nur als „organische Maschi- ne“ zu betrachten.
Der Vorsitzende der KV Nordrhein und der KBV, Dr. Win- fried Schorre, wies in einer Ent- gegnung auf diesen Umstand hin.
„Daß Ärzte Schwindlern aufsit- zen, kommt eben genauso häufig vor wie die Tatsache, daß Redak- tionen gefälschten Filmbeiträgen aufsitzen“, fügte er hinzu.
Vielleicht hat der WDR aber auch nur eine absonderliche Kon- sequenz aus der Affäre um ge- fälschte Filmbeiträge, angeboten von einem freien Produzenten, ge- zogen – und gleich selbst Fälscher und Täuscher auf „Recherche“ ge-
schickt. Josef Maus