DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
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ie Pressesprecherin des Bundesgesundheitsmini- steriums hat dementiert, daß dieses die Einführung ei- nes neuen Berufes „Diplom- Mediziner" plane (siehe DÄ 37, Seite 2419). „Die Einfüh- rung einer Bezeichnung ,Di- plom-Mediziner' oder ,Magi- ster der Medizin' durch die Bundesärzteordnung ist we- der beabsichtigt noch mög- lich", heißt es in dem „De- menti". Ganz wortwörtlich genommen, stimmt das auch.Aber nun nehmen wir mal das Ministerium beim Wort. Ge- plant ist ein Gesetz zur Ände- rung der Bundesärzteord- nung, durch die in erster Linie die Verschiebung der Einfüh- rung des „Arztes im Prakti- kum" auf Mitte 1988 abgesi- chert werden muß. Ferner soll aber an einer Stelle — nämlich
§ 3 Absatz 1 Satz 1 Nr. 4 der Bundesärzteordnung — nach
„ärztliche Prüfung" eingefügt
Raffiniertes
"Dementi"
werden: „(Abschluß des Me dizinstudiums)". Diese Worte sollen besagen, daß Absol- venten eines Medizinstudi- ums, die keine ärztliche Tä- tigkeit und daher keine Ap- probation anstreben, die neue
„AIP"-Phase nicht abzulei- sten brauchen. Sie sind dann eben auch keine Ärzte.
Das Ministerium erinnert je- doch daran, daß das Hoch- schulrahmengesetz Ländern und Hochschulen die Mög- lichkeit gibt, „aufgrund von staatlichen Prüfungen, die ein Hochschulstudium abschlie- ßen, Hochschulgrade zu ver- leihen". Und in der Begrün-
dung wird direkt dazu aufge- fordert, daß „im Interesse von Absolventen. . ., die nicht das Berufsziel ,Arzt' haben, die Möglichkeiten für ein solches Vorgehen geprüft werden sollten". Das angebliche De- menti besagt also in Wirklich- keit: Das Bundesgesundheits- ministerium wolle den Di- plom-Mediziner nicht einfüh- ren — es kann's nämlich gar nicht.
Die Konsequenzen aber — ein neuer medizinischer Beruf, der etwa in Industrie, For- schung oder Verwaltung auf bisherige Arbeitsplätze für Ärzte drängen würde, oder der sich nach dem Heilprakti- ker-Gesetz betätigen könnte, mit einem vollen medizini- schen Studium (und mit dem akademischen Titel „Diplom- Mediziner" etwa) —, diese Konsequenzen hält irgendwer in Bonn offenbar für wün- schenswert. . . gb
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ie aktuelle Kernkraftdis- kussion wird immer wie- der mit Zitaten geführt;kein Wunder, denn die we- nigsten Diskutanten können ausreichend eigenes Wissen in der Kernphysik und der Re- aktortechnik besitzen. Daß es aber riskant ist, sich auf Zitate einzulassen, wenn man den Zusammenhang nicht kennt, zeigt eine Veröffentlichung über die „Havarie" von Tschernobyl in der von der so- wjetischen Botschaft in Bonn sowie der Presseagentur No- wosti herausgegebenen Zeit- schrift „Sowjetunion heute"
(8, 1986, 10-15). Ein weitge- hend interessanter, allerdings auch ausdrücklich als „vor- läufig" gekennzeichneter Be- richt.
An einer Stelle allerdings wird es schlimm: „Unmittel- bar nach der Havarie von Tschernobyl", schreibt Pjotr Awanessow, „wurden im Ausland Vermutungen geäu- ßert, daß der Havarieblock keinerlei Antihavariehülle gehabt habe. Dr. Edwin Ze-
Zitate können Lüge sein
borski, Chefexperte für Kern- energiewirtschaft am For- schungsinstitut für Elektro- energie in Palo Alto (Kalifor- nien), bestätigte jedoch, daß sich der Reaktor in Tscherno- byl in einer massiven Kon- struktion von 200 Fuß Länge, 70 Fuß Höhe und 70 Fuß Brei- te befunden habe. Zeborski, der sowjetische Reaktoren be- sichtigte und die Konstruk- tionszeichnungen studierte, nannte in bezug auf die Fe- stigkeit der Schutzkonstruk- tion folgende Zahlen: Sie ha- be Stahlwände von ein bis zwei Fuß Dicke, die durch Be- tonwände von sechs bis acht Fuß Dicke verstärkt sind."
Das nun ist ein starkes Stück.
Statt eigene oder wenigstens heimische Quellen anzuzap- fen, wird ein Amerikaner zi-
tiert, und das in indirekter Re- de. Die „massive Konstruk- tion" ist die Reaktorhalle; die angegebenen Maße lassen sich allerdings auf den uns zur Verfügung stehenden Zeichnungen nicht verifizie- ren (DEUTSCHES ÄRZTE- BLATT 34/35, 1986, 2277).
Die Dickeangaben im näch- sten Satz beziehen sich nicht auf die Reaktorhalle, sondern auf den stählernen Druckbe- hälter des Reaktorkerns, also sozusagen den „Dampfkes- sel" — ganz normale Maße üb- rigens — und auf den umge- benden „biologischen Schild"
aus Beton, ebenfalls mit nor- malen, auch bei uns in glei- cher Größenordnung ange- wandten Dicken. Der „biolo- gische Schild" aber ist oben offen, ebenso wie die Beton- konstruktion der Halle, es handelt sich also nicht um ei- ne „Antihavariehülle", ein Containment. Genosse Awa- nessow hat höchstwahr- scheinlich zwei an sich richti- ge Sätze des Dr. Zeborski so aneinandergereiht, daß sie im Zitat zur Lüge wurden. bt
Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 38 vom 17. September 1986 (1) 2489