Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 48⏐⏐1. Dezember 2006 A3217
A K T U E L L
Dem Gemeinsamen Bundesaus- schuss (G-BA) zufolge sind Wirk- samkeit und Nutzen der Gesprächs- psychotherapie (GT) für die Be- handlung der wichtigsten psychi- schen Erkrankungen nicht wissen- schaftlich belegt. Ausnahme ist die Depression. Der G-BA hat deshalb beschlossen, das Verfahren nicht in den Leistungskatalog der gesetzli- chen Krankenversicherung (GKV)
aufzunehmen. 2002 hatte der Wis- senschaftliche Beirat Psychothera- pie die GT zur vertieften Ausbil- dung anerkannt, die Prüfung zur sozialrechtlichen Zulassung dauer- te dagegen rund vier Jahre. Dr. jur.
Rainer Hess, Vorsitzender des G-BA,
räumte ein, dass dieser Zeitraum
„sehr lang“ gewesen sei. Doch die Begutachtung von mehr als 100 Stu- dien nach den Kriterien der evidenz- basierten Medizin habe sehr viel Zeit gekostet. Nur eine Studie habe eindeutig belegt, dass die GT zur Behandlung von Depressionen eben- so hilfreich sei wie bereits etablierte Verfahren. „Die Wirksamkeit bei nur einer Indikation reicht aber nicht aus“, sagte Hess. Eine breite Versor- gungsrelevanz sei ein wesentliches Kriterium für die Aufnahme in den GKV-Leistungskatalog.
Die in der GKV etablierten Ver- fahren – Psychoanalyse, tiefenpsy- chologisch fundierte Psychothera- pie, Verhaltenstherapie – wurden nicht nach den Kriterien der evi- denzbasierten Medizin geprüft. Um dem Einwand der Ungleichbehand- lung zu begegnen, bekräftigte Hess die Absicht, auch diese Verfahren erneut entsprechend zu prüfen.
Die Bundespsychotherapeuten- kammer kritisiert die Entscheidung zur GT. Sie wirft dem G-BA den Ausschluss geeigneter Studien und mangelnde Transparenz vor. PB
Es ist nicht immer schön, alte Be- kannte wiederzusehen. Und manch- mal triftt einen dieses Schicksal ganz unvorbereitet. Jeder kennt wohl diesen kurzen Augenblick, in dem man darüber nachdenkt, ob es nicht vielleicht möglich ist, so zu tun, als habe man sein Gegenüber übersehen. Doch meist ist es dann schon zu spät.
Als ich neulich meine alte Studi- enfreundin Kathrin auf der Straße sah, war das ganz anders, denn ich treffe sie gern, sie ist eine in- teressante Gesprächspartnerin.
Schon zu Beginn unseres Medizin- studiums schenkte Kathrin mir das Buch „Patient: Nebensache – Tage- buch eines Kassenarztes“. Ich muss gestehen, dass ich das Buch nie ge- lesen habe, aber die Botschaft war klar: Kathrin wollte alles besser ma- chen und eine gute Ärztin werden, die sich Zeit für ihre Patienten nimmt, natürlich auch für die Pro- bleme und Nöte, die nichts mit La- borparametern zu tun haben.
Nun – etwa zehn Jahre später – haben sich die Töne etwas geän- dert. Zwar ist Kathrin nach wie vor davon überzeugt, dass sie den rich- tigen Beruf gewählt hat, aber vieles hatte sie sich doch anders ausge- malt. Der hohe Anspruch ist einer bitteren Realität gewichen: zu viel zu tun, keine Zeit. „Da wird der Patient echt zum Feind“, sagt sie und scheint sich fast über die Härte ihrer eigenen Worte zu erschrecken.
Wenn ihr Kollege nach dem Nacht- dienst frei hat,erhöht sich die Zahl der „Feinde“ auf knapp dreißig – in jedem Bett einer. Auf der Station lautet das Motto dann eher Scha- densbegrenzung. Bei Kathrin hat das Gesundheitswesen wirklich ganze Arbeit geleistet als hoch effi- ziente Maschinerie – zur Vernich- tung von Idealismus.
RANDNOTIZ
Birgit Hibbeler
Der Feind im Krankenbett
GESUNDHEITSREFORM
Ungewohnte Allianz
Um die geplante Gesundheitsre- form zu verhindern, haben Vertreter von Ärzten, Krankenhäusern, Apothekern sowie der gesetzli- chen und der privaten Kranken- versicherung eine umfangrei- che „Mängelliste“ vorgelegt.
Darin haben die Kritiker Hin- weise auf mögliche Verfas- sungsverstöße zusammengetra- gen. Dabei geht es unter ande- rem um die Ausgestaltung des Ge- meinsamen Bundesausschusses, die Konstruktion der geplanten Gesund- heitsprämie oder den Basistarif, den die privaten Krankenversicherer künftig anbieten müssen.
Man habe sich zu dieser „Not- gemeinschaft“ zusammengefunden, um der Politik zu verdeutlichen, dass dieses Gesetz in die falsche
Richtung gehe, erklärte der Vorsit- zende der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung (KBV), Dr. med.
Andreas Köhler, bei der Vorstellung der Liste in Berlin. Gemeinsam mit seinen neuen „Verbündeten“ hoffe er nun, dass das Reformwerk ausge- setzt oder zumindest in den parla- mentarischen Beratungen noch er- heblich verändert werde. TB
Foto:Georg J.Lopata Foto:BilderBox
GESPRÄCHSPSYCHOTHERAPIE
Keine Anerkennung als GKV-Leistung
KBV-Vorsitzender Köhler:„Dieses Ge- setz geht in die falsche Richtung.“