nter einem Kunden stellt man sich jemanden vor, der eine Ware oder Dienstleistung aus- sucht, erwirbt und bezahlt. Im Ideal- fall hat er sich über das Produkt infor- miert, was ihm durch zahlreiche Rat- geber erleichtert wurde. Ist die Ware nicht in Ordnung, reklamiert er und bekommt ein makelloses Gegenstück oder sein Geld zurück – soweit die Theorie.
Wollen Patienten stärker als bis- her als Kunde behandelt werden?
Sind sie als Kranke in der Lage dazu?
Paßt „Kunde sein“ überhaupt zum Gesundheitswesen, speziell zur Arzt- Patient-Beziehung? Um das Für und Wider einer stärkeren Kunden- orientierung im Gesundheitswesen ging es Anfang September auf einer Tagung der Evangelischen Akademie in Hofgeismar. In Vorträgen, Arbeits- kreisen und Diskussionsrunden ana- lysierten Referenten und Tagungsteil- nehmer das Thema.
„Ich bin Ökonom, und als solcher spreche ich“ – das stellte Prof. Dr.
Günter Neubauer, Mitglied des Sach- verständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, gleich zu Anfang klar. Er vertrat die These, daß Leistungstransparenz und Patien- tenorientierung notwendige Voraus- setzungen für mehr Eigenverantwor- tung im Gesundheitswesen seien.
Eigenverantwortung wollte er dabei nicht allein als Umschreibung für
„Geld auf den Tisch“ verstanden ha- ben, sondern als umfassende Sorge für die eigene Gesundheit.
Durch Wahlmöglichkeiten und Leistungstransparenz könnten Pati- enten „mit den Füßen“ abstimmen, sprich: sich ihren Arzt und ihre Ver- sorgung wählen. „Sie werden zum
Kunden, sobald sie Alternativen ha- ben“, erläuterte Neubauer. Die Arzt- oder Klinikwahl allerdings verglich er mit dem Blinde-Kuh-Spiel. Patienten könnten heute nicht auf echte Infor- mationen zurückgreifen: „Die Infor- mationsgesellschaft lebt hier noch von der Mund-zu-Mund-Propaganda.“
Neubauer sagte, daß ihm die Ein- wände der Ärzteschaft gegen die Of-
fenlegung ihrer Arbeit bekannt seien.
Er meine jedoch, daß die Zeiten vor- über seien, in denen man Menschen Informationen vorenthalten habe mit Argumenten wie „Der versteht das nicht/Sie kann das nicht beurteilen“.
Außerdem könnten zumindest Ärzte etwas mit Daten über Leistungen von Kollegen anfangen. Selbst ihnen stün- den sie aber nicht zur Verfügung. Als Beispiel führte er an, daß er unlängst einen Krankenhausführer für Mün- chen geplant habe. Er sollte darüber informieren, welches Haus welche
Eingriffe vornehme und in welchem Umfang. „Nur zehn von 55 Kliniken haben mir Daten übermittelt – aber keiner hat mir gesagt, mein Vorhaben sei falsch“, berichtete Neubauer. Sei- nem Eindruck nach sei die Akzeptanz gegenüber Transparenz bei den Ärz- ten groß, aber ebenso die Furcht vor den Konsequenzen.
Den Gegenpart übernahm der Berliner Ärztekammer-Präsident Dr.
med. Ellis Huber. Er hielt Neubauer entgegen, daß es schon seit den 70er Jahren den Begriff „patientenorien- tierte Medizin“ gebe, der etliches von dem zuvor Gesagten umfasse. Huber vertrat die Auffassung, daß Trans- parenz die Probleme des Gesund- heitswesens nicht lösen helfe. Sein Hauptkritikpunkt war jedoch, daß
„in den Marktmetaphern der Öko- nomen kein Platz für die Armen und Kranken“ sei. Er plädierte dafür, nicht den marktorientierten ameri- kanischen Weg zu gehen, sondern die Probleme des deut- schen Gesundheits- wesens durch eine bes- sere Zusammenarbeit von Krankenkassen, Ärztekammern und Kassenärztlichen Ver- einigungen zu lösen.
Beide Ansätze griff der Diplom-Pädagoge Christoph Kranich an, in der Verbraucher- zentrale Hamburg Fachbereichsleiter für Fragen des Gesund- heitswesens. Neubauer vertrete nur die Öko- nomie, Huber nur die Sozialromantik. Er sei der Auffassung, daß ökonomische Ideen ihr Gutes hätten, es aber schlecht sei, wenn sie nicht in den Dienst von Idea- len gestellt würden.
Zum Tagungsthema meinte er, daß ein Patient aus verschiedenen Gründen nicht wirklich Kunde sein könne. Im Gegensatz zu anderen Le- bensbereichen gebe es für das Ge- sundheitswesen kaum unabhängige Informationen oder Hilfsangebote, obwohl viele Entscheidungen minde- stens so kompliziert seien wie ein Au- tokauf. Kunde sei man im übrigen, weil man zahle. Das übernehme ein A-2748 (28) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 44, 30. Oktober 1998
P O L I T I K TAGUNGSBERICHT
Gesundheitswesen
Der Patient als Kunde:
Irrweg oder Chance?
Viele Bürger meinen, daß man als Patient zu wenig
Mitspracherechte und zu wenig Macht habe. Als „Kunde“
wollen sie trotzdem nur bedingt behandelt werden.
U
Christoph Kranich, Verbraucherzentrale Hamburg, illustrierte seinen Vortrag mit Karikaturen zum Thema „Der Patient als Kunde“.
Patient aber nur selten direkt. Außer- dem könnten Patienten über vieles nicht entscheiden, so über ihre Krankheit, die Diagnose und meist auch die Behandlung. Es mache aber Sinn, Patienten in der Form als Kun- den zu behandeln, daß man ihnen Wahl- und Entscheidungsmöglichkei- ten einräume.
Kranich erläuterte an anderer Stelle, welche Institutionen Patienten in Deutschland beraten und betreuen.
Ob Patientenfürsprecher, Selbsthilfe- gruppe oder Schlichtungsstelle/Gut- achterkommission: Es mangelt seiner Meinung nach an einem sinnvol- len Gesamtkonzept, an gesetzlichen Grundlagen und an der Unabhängig- keit der vorhandenen Angebote. Was die Ärzteschaft anbelangt, so meinte Kranich, daß sie keineswegs aus ei- nem unabhängigen System der Pati- enteninformation und -beratung aus- geschlossen werden sollte. Man brau- che ihre Kompetenz. Viele Einwände und Befürchtungen hätten bei ihm aber den Eindruck entstehen lassen,
„daß die Ärzteschaft nicht selbstbe- wußt ist“. Sonst könne sie doch keine Probleme mit unabhängigen Stellen haben.
Institutionelle
Unabhängigkeit gefordert
Die Forderung nach institutio- neller Unabhängigkeit stieß unter an- derem bei Herbert Weltrich auf Be- fremden. Der Jurist ist Vorsitzender der Gutachterkommission für ärzt- liche Behandlungsfehler bei der Ärz- tekammer Nordrhein (siehe auch
„Spektakuläre Prozesse sind die Aus- nahme“, DÄ 38/1998). Weltrich be- tonte, daß die von der Kammer unab- hängige Kommission gute Arbeit lei- ste. Das sei daran abzulesen, daß sich die Parteien in rund 85 Prozent der Fälle außergerichtlich einigten. In den Fällen, in denen Ansprüche vor Ge- richt geltend gemacht wurden, sei der Schaden meist aufgrund der Kom- missionsgutachten reguliert worden.
Weltrich vertrat die Auffassung, daß es doch stark auf die persönliche Un- abhängigkeit der Kommissionsmit- glieder ankomme. Kranich, aber auch viele Teilnehmer meinten hingegen, daß man grundsätzlich einer institu-
tionellen Unabhängigkeit den Vorzug geben solle.
In einzelnen Arbeitsgruppen wurde deutlich, daß es vielen Ta- gungsteilnehmern weniger um Be- nennungen wie „Kunde“ ging und mehr um die Komponenten, die ein gutes Arzt-Patient-Verhältnis ausma- chen. Diesem Thema widmete sich Diplom-Sozialpädagogin Birgitt Sei- fert. Sie berichtete, daß ein unbe- friedigendes Arzt-Patient-Verhältnis immer wieder Thema in ihrer Arbeit mit HIV-Positiven beziehungsweise AIDS-Kranken sei. Dies habe sie zum Anlaß genommen, sich grundsätzlich damit zu befassen.
Seifert vertrat die These, daß sich der Kommunikationsprozeß Arzt-Pa- tient oft von vornherein in der Schief- lage befinde. Ein großes Problem sei dabei der Faktor Zeit. Oft ärgerten sich Patienten, daß sie dies oder jenes nicht gesagt oder gefragt hätten. Meist würden sie jedoch versäumen abzu-
klären, wieviel Zeit der Arzt für sie habe. Seifert riet, sich vor einem Arzt- termin zu überlegen, was man (zeit- lich) erwarte und wie man Defizite an- gehen könne.
Insgesamt stießen sich viele an dem Begriff „Kunde“. Damit wurde weniger der „König Kunde“ assoziiert als vielmehr eine kühle, von finanziel- len Überlegungen dominierte Ver- tragsbeziehung zum Arzt. Seifert wi- dersprach zudem einer Behauptung Neubauers, wonach es nicht auf die
Intention eines Anbieters ankomme, sondern allein auf das Angebot, von ihm salopp umschrieben mit „Haupt- sache, es wird gelächelt, egal wes- halb“. Wenn Kommunikation nicht authentisch sei, dann funktioniere sie nicht. Ein „aufgesetztes Lächeln“ sei keine Grundlage für eine tragfähige Arzt-Patient-Beziehung. Einige weni- ge meinten, „Kunde“ stehe doch in er- ster Linie für eine andere Art des Um- gangs mit Patienten. Daß der finanzi- elle Aspekt der Beziehung als unan- genehm empfunden werde, sei falsch, denn schließlich verdiene der Arzt Geld mit seinem Beruf.
Arztkontakt über das Internet
Neue Ansätze der Patientenin- formation stellte schließlich Dieter Hebel vor, Vorstandsvorsitzender der Schwäbisch Gmünder Ersatzkasse (GEK). Sie bietet ihren Versicherten in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Hochschule Hanno- ver über das Inter- net Informationen zu Krankheitsbildern an.
Den Anfang machen die Themen Mam- mographie, Rücken- schmerzen sowie Pro- statakrebs.
Hebel begründete dieses Angebot da- mit, daß man das Ver- ständnis für medizini- sche Zusammenhän- ge, Maßnahmen und Verfahren auch bei uninformierten Versi- cherten verbessern wolle. Für 1999 ist eine Ausweitung geplant. Dann sollen Versicherte der Schwäbisch Gmünder Ersatzkasse per e-mail direkt mit der Medizini- schen Hochschule in Hannover Kon- takt aufnehmen können, um die eige- ne Krankheitsgeschichte darzulegen und die Meinung von beratenden Ärzten einzuholen. Hebel räumte aber ein, daß man zuvor noch rechtli- che Fragen klären müsse und zudem nicht wisse, ob ein solches Angebot angenommen werde. Sabine Rieser A-2749
P O L I T I K TAGUNGSBERICHT
Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 44, 30. Oktober 1998 (29) Das vorliegende Buch faßt
die Referate und Diskussio- nen der Tagung „Patienten- rechte und Patientenunter- stützung in Europa“ zusam- men, die im Mai 1997 in Hamburg ausgerichtet wur- de. Damals diskutierten rund 200 Experten aus 14 Ländern zwei Tage lang das Thema. Manche der dort geäußerten Ansichten wer- den Ärztinnen und Ärzte nicht teilen. Wer sich jedoch generell für die Sichtweise von Patienten und für Infor- mationsdefizite in der Arzt- Patient-Beziehung interes- siert, für den bietet das
Buch zahlreiche Hinweise und Anregungen („Patientenrechte und Patien- tenunterstützung in Europa“, 216 Seiten, 1. Auflage 1997, 34 DM). Rie