völkerungsgruppen bei einer leistungsgerechten Bezahlung der Ärzte zu sichern. Ich bin durch meine Ausbildung als Arzt und Wirtschaftswissen- schaftler davon überzeugt, dass dies möglich ist – sofern der politische Wille in beiden großen Volksparteien vorhan- den ist. Doch dieser politische Wille ist nicht zu erkennen.
Noch nicht . . .
Dr. Andreas Grove,Im Steinacker 5, 76547 Sinzheim
Patient und Kunde
Zu dem Beitrag „Die Rolle von Pati- enten und Kunden: Ethische Verant- wortung des Therapeuten“ von Prof.
Dr. med. Hermes A. Kick in Heft 18/2006:
Längst überfällig
Endlich! Endlich mal jemand, der darauf hinweist, dass es außer der Ware-Geld-Bezie- hung zwischen Menschen auch noch etwas anderes geben kann. Dass Hilfe in Not nicht geschäftlich verhandelbar ist, sondern Menschenpflicht.
Und wie das begründet wird:
mit sehr sparsamen Hinweisen auf Moral, dafür aber mit sachlicher Analyse der Unter- schiede zwischen der Arzt-Pa- tienten-Beziehung und der Händler-Kunde-Beziehung. Es wird hohe Zeit, darüber nach- zudenken, wo noch überall zwischen Menschen Beziehun- gen bestehen, in denen die wirtschaftlichen Aspekte zwar wichtige Rahmenbedingungen sind, der Kern aber durch Mit- menschlichkeit und Solidarität in all ihren Erscheinungsfor- men gebildet wird. Und über- all, wo das zutrifft, müssen wir den wirtschaftlichen Rahmen diesem Kern anpassen und nicht umgekehrt.
Dr. med. Dietrich Loeff, Schillerstraße 44, 03046 Cottbus
Nur die halbe Wahrheit
Richtig: Gesundheit und Krankheit haben keinen Wa- rencharakter und können ihn auch nicht annehmen. Patien- ten sind keine Kunden. So weit
gut. Wenn denn tatsächlich un- ser Hauptproblem darin be- stehen würde, wie die persona- le Interaktion zwischen Pati- ent und Arzt bezahlt wird, wä- re der Aufsatz schlüssig. Das ist es aber nicht . . . Bestand- teil der meisten somatisch-the- rapeutischen Situationen und der eigentliche Sprengstoff ist ein Prozess der Allokation von Ressourcen in volkswirtschaft- lich als kritisch wahrgenom- menem Ausmaß durch den Arzt (Medikamente, Hilfsmit- tel, Eingriffe, Maßnahmen durch Dritte, die nicht der Pa- tient bezahlt und von denen der verschreibende Arzt nicht profitiert) . . . Die ethischen Konsequenzen aus der Tatsa- che, dass der Arzt über solida- risch aufgebrachte Mittel ver- fügen muss, sind aber drama- tisch – und die psychologi- schen nicht minder. In diame- tralem Gegensatz zum Han- delspartner als Vermarkter seines Angebotes (der das Recht hat, ein schlechtes Pro- dukt zu einem überhöhten Preis in den Markt zu drücken) steht der Arzt näm- lich in doppelter Pflicht: Zu- sätzlich zur besonderen Bezie- hung zum Patienten nun auch noch gegenüber der Gesell- schaft, wenn er über Ressour- cenallokation in der therapeu- tischen Mikrosituation ent- scheidet. Die Limitierung der Theorie Kicks gründet sich in einer groben Unterschätzung dieser doppelten Verpflich- tung . . . Allokationsentschei- dungen sind Wertentscheidun- gen: „Erhält dieser Patient in dieser Situation einen akzep- tablen Gegenwert, wenn ich für ihn diese Ressourcen frei- gebe?“ Wenn der Patient nicht selbst bezahlt und damit die Bewertung aushandelt, ande- rerseits die Gesellschaft nicht sagt, ab wann der Preis zu hoch für den Gegenwert ist, hilft auch der postulierte „ge- schützte Status“ dem Thera- peuten nicht aus dem Dilem- ma. Es bleibt der Konflikt im Arzt. Eine Externalisierung in die Sphäre sozialethischer Verantwortung ist nicht vorge- sehen. Leider . . .
Dr. med. Mathias Bertram, Bahnhofstraße 45 c, 25474 Hasloh
A
A1958 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 28–29⏐⏐17. Juli 2006
B R I E F E / B Ü C H E R
Die Förderung einer frauen- und mädchengerechten Be- ratung und ambulanten Be- handlung bei Essstörungen ist das Ziel der vorliegenden Praxisstudie, die vom Bun- desfamilienministerium ge- fördert und von der Stiftung Bildung und Behindertenför- derung durchgeführt wurde.
Die Stärke der von der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psycho- therapie des Universitätskli- nikums Göttingen durchge- führten Studie liegt in der großen Zahl von eingeschlos- senen Einrichtungen, wobei leider durchgängig nicht zwi- schen „Beratung“ und „The- rapie“ unterschieden wird.
Dies ist sicher einerseits der heterogenen personellen Aus- stattung der untersuchten In- stitutionen zuzurechnen, ver- wischt jedoch die wichtige Grenze zwischen einem mög- lichst niederschwelligen und gegebenenfalls auch gender- spezifischen Beratungsange- bot und einer spezialisier- ten ambulanten Richtlinien- psychotherapie. Dass bei psychogenen Essstörungen (hohe Letalität der Anorexia nervosa) das Behandlungs- spektrum notwendigerweise auch die psychosomatisch- psychotherapeutische oder psychiatrische Krankenhaus- behandlung umfassen muss, sucht man in diesem umfang- reichen Studienbericht, dem ein Schlagwortverzeichnis fehlt, vergebens. Die in dieser Studie Untersuchten hatten immerhin Krankheitsdauern
„zwischen zwei und fünf Jah- ren“, sodass offensichtlich Patienten mit bereits chroni- fizierten Essstörungen die un- tersuchten Institutionen auf- suchten.
Stärken des Buches sind die Transparenz der Daten- präsentation und eine umfas-
sende Dokumentation aller eingesetzten Erhebungsin- strumente im Anhang. Als
„gewagt“ muss das Kapitel drei „Leitlinien für die Bera- tung und ambulante Therapie bei Essstörungen“ angespro- chen werden, denn hier wer- den im Sinne einer Quintes- senz der Studie Empfehlun- gen zur Beratung und Be- handlung von Essstörungen zusammengestellt und mit dem in der Medizin klar defi- nierten Begriff der Leitlinie konnotiert, die in keinem Fall diesen Kriterien genügen: un- ter anderem keine evidenz- basierten Studienergebnisse, kein Delphi-Prozess, keine Beteiligung der einschlägi- gen wissenschaftlich-medizi- nischen Fachgesellschaften.
Dem entspricht ein eher mageres Literaturverzeichnis (55 Quellen), dass nur – an- gesichts eines derart dyna- mischen Forschungsfeldes – aus den Jahren 2004 und 2005 jeweils eine Literaturstelle umfasst.
Zusammenfassend ent- steht der Eindruck, die För- derer wären gut beraten ge- wesen, bei der Vergabe eines solchen Projektes auf eine stärkere Interdisziplinarität der Studiengruppe zu setzen.
So ist eher ein Studienbericht entstanden, in dem die Hauptorientierung der Bera- ter und Therapeuten die „hu- manistische Psychologie, ge- folgt von der systemischen Therapie, war. Eine große Rolle spielten zudem fe- ministische, integrative und dynamische, eine relativ ge- ringe kognitiv-behaviorale Konzepte. Die Arbeit war spezifisch auf die Essstörung ausgerichtet.“ Wie, bleibt konzeptuell ebenso offen wie die Bedeutung der medizi- nisch-psychosomatischen Di- mension. Gereon Heuft
Essstörungen
Psychosomatische Dimension unklar
Günter Reich, Gabriele Witte-Lakemann, Uta Killius: Qualitätssi- cherung in Beratung und ambulanter Therapie von Frauen und Mädchen mit Essstörungen. Eine Praxisstudie.V & R unipress,Vanden- hoeck & Ruprecht, Göttingen, 2005, 394 Seiten, zahlreiche Abbildungen, kartoniert, 39,90 A