• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Geschichte des Gesundheitsunterrichtes und der Gesundheitserziehung in den Schulen" (10.03.1977)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Geschichte des Gesundheitsunterrichtes und der Gesundheitserziehung in den Schulen" (10.03.1977)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen

GESCHICHTE DER MEDIZIN

Nach dem Bericht im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT, Heft 40 vom 3. Okto- ber 1974, hat Dr. med. Horst Bour- mer (Vizepräsident der Bundesärz- tekammer) auf dem 23. Deutschen Kongreß für ärztliche Fortbildung die Einführung der Gesundheits- kunde als Schulfach gefordert, „da durch ein gesundheitsgerechtes Verhalten schon in der Jugend sich später aufwendige Heilmaßnahmen vermeiden lassen". Im Heft 31 des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES von 1973 heißt es: „Als erstes Bundes- land will Hessen versuchen, syste- matischer als bisher die Gesund- heitserziehung der Kinder zu för- dern und gleichzeitig für richtungs- weisende Schritte für die Gesund- heitserziehung der gesamten hes- sischen Bevölkerung einzutreten.

Es ist geplant, Gesundheitsobmän- ner, -Inspektoren an den Schulen einzuführen." Zur Durchführung dieses Planes ist es allerdings noch nicht gekommen.

Entwicklung in Preußen

Bei der Verfolgung der Geschichte des deutschen Schulwesens er- kennt man, daß die ersten Bestre-

bungen zur Einführung des Ge- sundheitsunterrichtes und der -er- ziehung in der Schule auf das Jahr 1772 zurückgehen. Bei der Darstel- lung will ich mich beispielhaft auf die Entwicklung in Preußen be-

Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852), Be- gründer der deutschen Turnerei — nach einem Ölgemälde von Heine

schränken, da Preußen der Initiator für die Gesundheitserziehung in den Schulen war.

Die Rechtsgrundlage für die preu- ßische Volksschule wurde 1717 von Friedrich Wilhelm I. durch die Ein- führung des allgemeinen Schul- zwanges geschaffen und von sei- nem Nachfolger Friedrich II. durch das General-Landschul-Reglement von 1763 erweitert (1). Darauf grün- det Friedrich Eberhard von Ro- chow auf seinem Gut Reckahn in der Mark Brandenburg eine Schu- le, die unter ihrem Lehrer Heinrich Julius Bruns in den Jahren von 1772 bis 1794 eine Musterschule wird und von vielen Pädagogen be- sucht wurde.

Rochow schrieb 1972 „Versuch eines Schulbesuchs für Kinder der Land- leute oder zum Gebrauch in Dorf- schulen" mit 16 Abhandlungen, darunter eine „Von den Mitteln, die Gesundheit zu erhalten und einige einfache Vorschläge, die verlorene Gesundheit wiederherzustellen".

Es folgte 1776 „Der Kinderfreund", das erste Schulbuch, das eine gro- ße Verbreitung auch über die Grenzen Deutschlands in Überset- zungen fand (2).

Rochow forderte Schulgebäude mit hellen Räumen und geeigneten Bil- dern sowie eine angemessene Leh- rerbesoldung und, da nach seiner Ansicht die Bauernkinder und die Kinder höherer Stände die glei- chen seelischen Anlagen haben, daß alle Kinder die „erste Schule"

besuchen sollen, was erst im Jah- re 1920 durch die Einführung der Grundschule erreicht worden ist, die „zweite Schule" sei dage- gen für „künftige Gelehrte" be- stimmt (3).

Vorher hatte der Franzose Jean Jaques Rousseau mit seinem Erzie- hungsroman „Emile" seine An- schauungen über die Natur, über die Freiheit und Gleichheit der Menschen, über Religion, Gesell- schaft und Erziehung leidenschaft- lich und glänzend vorgetragen. Sie übten eine nachhaltige Wirkung auf die ganze Kulturwelt aus. Männer

Geschichte

des Gesundheitsunterrichtes und der Gesundheitserziehung in den Schulen

Gerhard Schwarz

Aus der sportmedizinischen Beratungsstelle der Universität Göttingen

(Leiter: AK. Dir. Dr. med. Gerhard Schwarz) am Institut für Leibesübungen

(Direktor: Professor Dr. P. W. Henze) der Universität Göttingen

698 Heft 10 vom 10. März 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(2)

wie Kant, Herder, Goethe, Schiller, Pestalozzi und Fichte waren von seinen Ideen tief ergriffen (4). Kant schreibt in seiner Anthropologie

„Die wichtigste Angelegenheit des Menschen ist es zu wissen, was man sein muß, um ein Mensch zu sein". Und Goethe sagt in seinen

„Wahlverwandtschaften": „Dem Einzelnen bleibt die Freiheit sich mit dem zu beschäftigen, was ihm Freude macht, was ihm nützlich deucht, aber das eigentliche Stu- dium der Menschheit ist der Mensch." Und nach einem Wort von Justus von Liebig „erfüllt uns das Verständnis des menschlichen Körpers mit Staunen und Ehr- furcht".

Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen

Jahn bei der Einweihung des ersten deutschen Turnplatzes in der Berliner Hasen- heide 1811 — zeitgenössische Bleistiftzeichnung aus der Jostschen Sammlung Leipzig

Erziehung ohne Strafen mit Spielen und Wanderungen Johann Bernhard Basedow ver- suchte in einer „Schule der Men- schenfreundschaft und Kenntnis- se", dem Philanthropinum in Des- sau, Rousseaus Gedanken zu ver- wirklichen. Seine pädagogischen Schriften fanden weite Beachtung.

Das Ziel der Erziehung ist nach ihm: die Bildung eines Europäers, der gemeinnützig und glückselig ist (5).

Christian Gotthilf Salzmann, der nach der Auflösung des Philanthro- pins 1789 mit Hilfe des Herzogs Ernst von Gotha die Erziehungsan- stalt Schnepfental bei Gotha grün- dete, legte besonderen Wert auf die einfache, gesunde Leibespflege und Erziehung ohne Strafen mit Spielen und Schülerwanderungen.

Der in seiner Anstalt tätige Erzie- her Johann Christoph Friedrich Guths-Muths verfaßte 1793 eine der bedeutsamsten Schriften für die Leibeserzieher „Gymnastik für die Jugend" und 1796 „Spiele zur Übung und Erziehung des Körpers und Geistes" (6).

Um dieselbe Zeit — 1794 — verfaß- te Bernhard Christoph Faust, Gräf- licher Leibarzt in Bückeburg, sei- nen „Gesundheitskatechismus zum Lehramt in den Schulen und beym häuslichen Unterricht". Danach

sollte der Lehrer zweimal wöchent- lich eine Stunde während eines ganzen Jahres zeigen, „wie der Mensch von seiner Kindheit an le- ben muß um gesund zu seyn":

1) „Weyl die wenigsten Menschen den unschätzbaren Wert der Ge- sundheit deutlich erkennen.

2) Weyl sie unbekannt mit dem Bau und der Beschaffenheit des menschlichen Körpers sind.

3) Weyl sie nicht wissen, was der Gesundheit nützlich oder schädlich ist" (7).

Es bleibt

bei fortschrittlichen Plänen

Nach der Zerschlagung Preußens durch Napoleon 1806/7 durchzog eine Welle der Ernüchterung und Besinnung das ganze Land mit dem Willen zur Erneuerung des Volkes. Fichtes „Reden an die Deutsche Nation", die auch die Forderung enthielten, daß das Er- ziehungswesen gänzlich erneuert werden sollte, wurden mit Begei- sterung aufgenommen. Sogar der zaghafte Friedrich Wilhelm III. be- kannte: „Es ist mein ernstlicher Wille, daß dem Volksunterrichte

die größte Sorgfalt gewidmet wird" (8). Mit besonderer Hingabe wandte man sich Pestalozzis So- zialpädagogik zu. Friedrich Ludwig Jahn zog 1811 unter den Augen der französischen Besatzung mit der Berliner Jugend vor die Tore der Stadt nach der Hasenheide zu Spiel und Leibesübungen.

Die Pädagogen bemühten sich, dem Turnen Eingang in die Schu- len zu verschaffen. Professor Sü- vern wurde 1809 in Königsberg in das Ministerium berufen, um das Schulwesen zu reformieren. Er schuf 1812 die „Ordnung der Reife- prüfung", 1816 den ersten Normal- lehrplan für die preußischen Gym- nasien und legte 1817 den Gesetz- entwurf „Über die Verfassung des Schulwesens im Preußischen Staa- te" vor, der eine wohlgegliederte dreistufige Einheitsschule vorsah ( 9).

Aber nach den Befreiungskriegen wurden diese fortschrittlichen Plä- ne durchkreuzt, und der Entwurf von Prof. Süvern wurde zu den Ak- ten gelegt, und ein Jahrhundert war für die Einheitsschule verloren. Der durch Metternich bedrängte König verfügte 1819 die Schließung aller DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 10 vom 10. März 1977 699

(3)

Sebastian Kneipp (1821-1897) auf einem Spaziergang mit Gleichgesinnten — nach einer Zeichnung von Hosemann

Spektrum der Woche Aufsätze Notizen Gesundheitsunterricht

Turnplätze. Es waren einige neun- zig in den Schulen. Jahn wurde sechs Jahre in Untersuchungshaft gehalten (10).

Nach zwanzig Jahren Turnverbot:

Leibesübungen in der Erziehung Erst nach 20 Jahren wehte wieder ein etwas freierer Wind. Der Auf- satz des schlesischen Medizinal- rats Linser in der Medizinischen Zeitung „Zum Schutze der Gesund- heit in den Schulen", der im glei- chen Jahr als Sonderdruck der Preußischen Medizinischen Ver- eins-Zeitung 1836 Nr. 1 in Berlin er- schien, erregte großes Aufsehen.

Minister von Altenstein forderte sämtliche Provinzialkollegien zu gutachtlichen Äußerungen auf und faßte in dem Erlaß vom 24. Ok- tober 1837 die für die Gesundheit der Schüler zu beachtenden Ge- sichtspunkte zusammen und hob das Verbot des Turnens auf (11).

Ein Immedialbericht der Kriegsmini- ster, Minister des Innern und der

geistlichen Unterrichts- und Medi- zinalangelegenheiten von 1842 an den König betont, daß sich „der Mangel wohlgeordneter Leibes- übungen besonders bei der städti- schen Jugend der Gymnasien be- merkbar mache", so daß deren Einführung als „ein notwendiges und nützliches Glied des öffentli- chen Unterrichts, welches die kör- perliche Gesundheit erhalten und sie bei erhöhter geistiger Anstren- gung vor Gefährdung schützen könne", notwendig sei. Für die Ju- gend des platten Landes seien die Leibesübungen — dieser zusam- menfassende Begriff des Turnens, Gymnastik und Spiels wurde da- mals schon amtlich gebraucht —

„nicht so dringend, da es ihr an Gelegenheit zur Übung der körper- lichen Kräfte nicht fehlt".

Darauf genehmigte der König (12), daß die Leibesübungen als ein not- wendiger und unentbehrlicher Be- Standteil der männlichen Erziehung förmlich anerkannt und in den Kreis der Volkserziehung aufge-

nommen werde. Dabei muß jedoch die Teilnahme der Schüler an die- sen Übungen lediglich vom freien Ermessen der Eltern oder ihrer Stellvertreter abhängig bleiben.

Ausbildung von Gymnastiklehrern Daraufhin wurden in dem Ministe- rialerlaß vom 17. Februar 1844 die- se Richtlinien der Provinzialschul- kollegien und Regierungen zur Nachachtung übersandt und 1845 wurde die von Eiselen 1832 errich- tete Landesturnanstalt auch den Lehrern für Leibesübungen zu- gänglich gemacht. Aber dieser Fortschritt dauerte nur kurze Zeit.

Die nach 1848 einsetzende Reak- tion, die ihren Ausdruck in den Preußischen Regulativen vom 1., 2.

und 3. Oktober 1854 (13) über die Einrichtung des evangelischen Se- minar-Präparanden- und Elemen- tarunterrichts fanden — man sah die Lehrerseminare und Realschu- len als „Brutstätten unchristlichen Geistes" an —, beschränkten den Lehrstoff in der Naturkunde auf das Notwendigste, jedoch waren die Leibesübungen nicht betroffen.

So erhielt die königliche General- turnanstalt, die ursprünglich nur für die Zwecke der Armee und ih- res Bildungsinstituts geschaffen war, die Bestimmung, auch für die öffentlichen Sport-, Erziehungs- und Bildungsanstalten zuverlässige theoretisch und praktisch kundige Lehrer der Gymnastik in einem sechsmonatigen Kursus auszubil- den. Seit 1856 wurden auch Semi- narlehrer zu diesem Unterricht be- rufen, und seit 1861 wurden auch Elementarlehrer berücksichtigt (14).

• Wird fortgesetzt

Anschrift des Verfassers:

Akadem. Dir.

Dr. med. Gerhard Schwarz Leiter der sportmedizinischen Beratungsstelle

der Universität Göttingen

Sprangerweg 2, 3400 Göttingen 700 Heft 10 vom 10. März 1977 DEUTSCHES ARZTEBLATT

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

• In einem dritten Schritt würden sich die Schüler nun mit einem Mitglied der jeweils anderen Gruppe zusammenfinden, somit material- differenziert, und sich über ihre Ergebnisse

Der Meister kann die Form zerbrechen Mit weiser Hand, zur rechten Zeit, Doch wehe, wenn in Flammenbaechen Das gluehnde Erz sich selbst befreit.. Blindwuetend mit des Donners

folgte „Janusartige“ 17 – von Gottscheds Dichtungskonzeption entgegen der ver- härteten Lehrmeinungen zu rekonstruieren und zu profilieren, indem der euro- päische Kontext

lichen Ausgaben sowie der grössere Teil der Mindereinnahmen wurden bereits früher im Jahr 2008 beschlossen und sind auf die gute Finanzlage der Kantone aufgrund der

Anthologie, sowie seine selbstrezension im 'Wirtembergischen Repertorium' willkommen ist vielleicht auch die vorrede des Verlegers Metzler zur zweiten, ohne Schillers

nennt.“ Sieh nach bei Adelung. Seit 1774 gibt es im Deutschen eine syste- matische Worterklärung im Wörterbuch. Neue deutsche Sprachlehre – diskursiv und argumentativ Die

Leopold Lucas – the founder of the Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums, who worked at the Hochschule für die Wissenschaft des Juden-.?. Die Entstehung des

das Motiv der Liebe Gottes zur Welt (Joh 3,16f.) als eine interpretatorische Leitinstanz johanneischen Denkens versteht, so ist die Schärfe mancher dualistischer Motive zu