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Archiv "Verona: Briefe an Julia" (08.04.2011)

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A 776 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 14

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8. April 2011

V

erliebte. Glücklich Verliebte.

Unglücklich Verliebte. Ro- mantiker. Tagebuchschreiber. Ein- same. Manchmal Verrückte. Sie al- le schreiben Briefe an Julia – Vero- na – Italia. An jene Julia, die Shakespeare mit der Tragödie „Ro- meo und Julia“ unsterblich in der Literaturgeschichte verankert hat.

Seit Jahrzehnten kommen diese Briefe nicht nur an, sie werden so- gar beantwortet. Individuell. 5 000 solcher Briefe erreichen Verona jährlich per Post, seit ein paar Jah- ren kommen circa 2 000 E-Mails pro Jahr dazu.

Sie holt mich ab. Im „Hotel Giu- lietta e Romeo“, nur ein paar Schrit- te von der weltberühmten Arena di Verona entfernt, in der in der nächs- ten Festspielsaison auch „Romeo und Julia“ auf dem Programm steht.

Sie heißt nicht Julia, sondern Ma- nuela Uber, 41 Jahre alt, Vorfahren:

Deutsche, offizielle Fremdenführe- rin für Verona. Ihr Hobby: Julia spielen, nicht auf der Bühne, son- dern im wahren Leben. Manuela ge- hört zu den 14 Veroneserinnen, die jene 7 000 Briefe an Shakespeares Julia beantworten. Alle tun das eh-

renamtlich. Alle schreiben im Durchschnitt 1,2 Briefe pro Tag.

„Wir unterzeichnen als die Sekretä- rinnen von Julia“, berichtet Manuela, während wir über die Piazza Bra schlendern. In der Regel müssen die Briefeschreiber aus aller Welt nur zwei bis vier, in seltenen Fällen bis zu sechs Wochen auf eine Antwort von Manuela, Giovanna, Veronica, Cristina oder den anderen zehn Juli- as aus Verona warten.

„Er ist an allem Schuld“, erklärt Manuela und deutet auf eine Bron- zebüste an der Portini de la Bra. Er war nie in der Stadt und hat sie dennoch berühmt gemacht. Wil- liam Shakespeare schrieb mit „Ro- meo und Julia“ die wohl berühm- teste Liebesgeschichte der Welt, wenngleich er sie nicht einmal er- sonnen hat: Luigi da Porto erfand schon im Jahr 1524 die Figuren Romeo und Julia. „Die Geschichte war so möglich, sie ist glaubhaft, aber sie ist nicht bewiesen. ‚Romeo und Julia‘ ist ein Mythos“, sagt Ju- lia Manuela. „Aber Shakespeare machte Julia vier Jahre jünger. Bei ihm ist sie 14, da Porto schrieb von einer 18-Jährigen.“

Das Glück suchen und finden Kurz vor dem Haus von Romeo, ein Casa Torre vom Ende des 13. Jahr- hunderts, lädt Manuela auf ein Julia- Küsschen ein. In der „Pasticceria de Rossi“ gibt es die Baci di Giulietta, eine süße Verführung aus Marzipan und Zuckerguss. „Für die meisten sind die Briefe an Julia wie ein Tage- bucheintrag. Viele reflektieren und erwarten gar keine Antwort. Und dennoch schreiben wir zurück. Der Mythos soll leben. Wir Julias ant- worten alle unterschiedlich, aber wir sind uns einig: Jeder muss sein Glück suchen und finden.“ Manch- mal, bei komplizierten Anfragen, wenn es um Rassen-, Religions-

„Die Welt braucht die Liebe“: Men- schen aus aller

Welt schreiben über ihre Erfah- rungen – nicht alle

sind so glücklich wie Uwe.

VERONA

Briefe an Julia

Jedes Jahr schreiben Tausende Liebende an Shakespeares tragische Heldin – und der Mythos antwortet.

K U L T U R

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8. April 2011 A 777 oder soziale Konflikte geht, welche

die Liebe beeinträchtigen, schläft Manuela auch mal eine Nacht dar - über, ehe sie antwortet: „Ich fühle mich da oft in der Verantwortung und denke entsprechend nach.“

Eine Menschentraube deutet an:

Romeos Domizil ist erreicht. „Das Backsteinhaus mit Turm zeigt, dass Romeos Familie – die Montecchi – mächtig und reich war“, sagt Manue- la. Gleich ums Eck der Via Arche lie- gen die Grabmäler der Scaligeri, der Adelsfamilie, die Verona mehr als ein Jahrhundert lang beherrschte.

Auch die Montecchis gehörten den Ghibellini an, waren also Anhänger der Kaiser-Partei, während Julias Fa- milie Cappelletti zu den Guelfi ge- hörten, den Papst-Anhängern. Eben jene Konstellation, die eine Liebe zwischen Julia und Romeo nicht zu- ließ. „90 Prozent der Briefeschreiber haben Liebesprobleme, zehn Prozent geben ihrem Glück Ausdruck. Zur Hälfte sind es junge Leute zwischen 16 und 25 Jahren, aber auch 70-Jäh- rige schreiben uns“, erklärt Manuela.

In der nahen „Cantina di Giuliet- ta“ kann man nicht nur Julia-Wein kaufen, sondern man kann auch direkt einen Brief an Julia hinter - lassen. Im Haus von Julia stehen sogar vier Terminals für elektroni- sche Briefe und natürlich ein Post- kasten für romantisch Veranlagte, die Mehrheit, die ihre Briefe noch per Hand schreibt. „Es geht wirklich um alles, was sich irgendwie um die Liebe dreht“, erzählt Manuela. Su- san aus Schottland woll te wissen, ob romantische Liebe in einem kühlen Klima überhaupt möglich sei. Gra- ziella aus Mailand schrieb zum Valentinstag, dass sie nun schon 50 Jahre alt sei und immer noch kei- nen Romeo gefunden habe. Lenka aus Prag wollte wissen, warum die Welt die Tschechen nicht liebe. Auch ich habe Julia geschrieben, um zu sehen, ob, wann und was Julia denn antwortet. Manuela ist sofort neu- gierig, aber die Menschenmasse nimmt uns in der Toreinfahrt in der Via Cappello gefangen. Rechts und links schreiben Menschen jeden Al- ters und Geschlechts Liebesbot- schaften an die Wände oder kleben später, wenn alles vollgeschrieben ist, Zettel darüber. Als ob man in ei-

nen Fischschwarm geraten ist, wird jeder in den Hof gedrängt, wo Julias Statue steht und ihr Balkon zu be- wundern ist. Die wenigsten küssen sich in Julias Hof oder schwören sich ewige Liebe, aber alle strahlen Freude aus. Bis auf Goethe, der soll bei seiner italienische Reise schwer enttäuscht gewesen sein.

Julias Bronzestaue gibt es erst seit 1972. Die rechte Brust ist wie glatt- poliert. Beinahe jeder Besucher grapscht sie ungeniert an. Denn wer das tut, dem wird die Liebe ewig hold bleiben. Sagt man. Woher das kommt, weiß niemand. Der Balkon ist zwar aus dem 13. Jahrhundert, wie das Cappelletti-Haus auch, nur hatte das ursprünglich keinen Balkon. Den hat Shakespeare ja nur erfunden, wie letztlich zwei Drittel der tragischen Geschichte, die 414 Jahre später zu einer Besucher anziehenden und Geld spuckenden Komödie wurde.

Manuela stellt im „Club de Giu- lietta“ im ersten Stock Julio Tamassia vor. Der 77-Jährige ist Präsident des Clubs und erzählt von den Anfängen.

1937 gingen erstmals Briefe an Julia

– Verona – Italia ein, wenngleich be- reits um 1890 Botschaften an Julia gefunden wurden, wie die Autorin Ceil Friedman in ihrem Buch „Let- ters to Juliet“ bestätigt. Ein Romeo namens Ettore Solimani beantworte- te sie in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg. „Um 1970 gründete ich dann mit ein paar Veronesi einen Ju-

lia-Club, weil uns der Mythos interessierte“, sagt il Presiden- te. „Und 15 Jahre später fragte der Kulturreferent der Stadt, ob wir die unzähligen Julia- Briefe denn nicht wieder be- antworten wollten wie einst Ettore.“ Der Kulturreferent hatte einen Riecher. Die Julia- Briefe wurden zur Erfolgsge- schichte. Die Stadt bezahlt bis heute das Porto – aber auch nicht mehr – und hat dafür ei- nen der besten Marketinggags im Tourismus weltweit. „Seit 1985 sammeln wir alle Briefe. Es sind inzwischen mehr als 120 000 aus allen Teilen der Welt.“ Der Stolz des alten Mannes aus Verona blinzelt durch bei diesem Satz. „Und wissen Sie was? Neuerdings haben wir als Verstärkung für unsere Julias auch wieder einen Romeo, einen netten jungen Mann aus Nigeria, der in Ve- rona lebt, und seit sieben Jahren als einzige externe Julia unsere Olga in Moskau, denn keiner von uns spricht Russisch.“

Die Stadt zahlt das Porto

„Die Welt braucht die Liebe“, sagt Manuela, „auch wenn sie im Tod mündet.“ Wir stehen inzwischen vor dem vermeintlichen Grab von Julia, etwas außerhalb des Stadtkerns.

Dort wurden die ersten Nachrichten an Julia gefunden. Dort wurden Julia-Rituale abgehalten. Und dort kann man heutzutage heiraten. „Ich hoffe, dass auch die muslimische Pakistanerin ihre Liebe heiratet und nicht den Mann nehmen muss, den ihre Eltern für sie ausgesucht ha- ben“, bemerkt Manuela zu einem aktuellen Brief. Und überhaupt, was denn jetzt mit meinem Brief an Julia sei? „Okay“, antworte ich, „meine Geschichte erzähle ich beim Mittag- essen – in der ‚Osteria Giulietta e Romeo‘, nicht weit von hier . . .“ ■

Jochen Müssig

Unterkunft: Hotel Giulietta e Romeo, 3-Sterne-Haus hinter der Arena, Vicolo Tre Marchetti 3, Telefon:

0039 045 8003553, info@giuliettaeromeo.com, www.giuliettaeromeo.com

Interessant: Club di Giulietta, Via Galilei 3, 37133 Vero- na, Telefon: 0039 045 533115, info@julietclub.com, www.julietclub.com

Auskunft: Touristinformation, Via degli Alpini 9, Telefon:

0039 045 8068680, info@veronatuttintorno.it, www.veronaitaly.it

INFORMATIONEN

„Der Mythos soll leben“: vier der 14 Veroneserinnen, die jeden Brief an Julia individuell beant- worten.

Fotos: Jochen Müssig

K U L T U R

Referenzen

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