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Archiv "Multiple endokrine Neoplasie Typ 1: Stand der Diagnostik und Tumorprävention" (17.03.2000)

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(1)

ie Diagnose der multiplen en- dokrinen Neoplasie Typ 1 (MEN1) gilt als gesichert, wenn in mindestens zwei der mögli- cherweise betroffenen Organe typi- sche Veränderungen nachgewiesen werden (Tabelle). Angehörige einer MEN1-Familie, bei denen nur der Be- fall eines Organs nachweisbar ist, gel- ten ebenfalls als MEN1-Patienten. Ty- pisch sind multizentrische endokrine Tumoren, die zu komplexen klinischen Manifestationen führen können (Tabel- le) (6, 10, 14, 29, 42). Die Prävalenz wird mit 0,02 bis 0,2/1 000 Personen angege- ben (20), die Penetranz beträgt bis zum Alter von 50 Jahren über 90 Prozent.

Die Nebenschilddrüsen sind mit 90 bis 100 Prozent am häufigsten betroffen.

Die Symptome des Hyperparathyreoi- dismus sind in der Regel mild (20, 44).

Im Gegensatz zum sporadischen Hy- perparathyreoidismus, der sich erst ab dem mittleren Lebensalter manifes- tiert, lassen sich eine Hyperkalzämie und eine Erhöhung des Parathormon-

spiegels bei MEN1-Patienten durch- schnittlich bereits im Alter von 19 Jah- ren nachweisen. Veränderungen des en- dokrinen Pankreas und des Duodenum stellen mit 30 bis 80 Prozent die zweit- häufigste Manifestation des MEN1- Syndroms dar (24, 31, 33, 43). Meist fin- den sich nebeneinander mehrere Tu- moren, bei denen immunhistochemisch häufig ein Hormon dominiert und das klinische Syndrom bestimmt. Am häu- figsten kommt es zur Entwicklung von Gastrinomen, die bei Patienten mit MEN1-assoziiertem Zollinger-Ellison- Syndrom häufig solitär oder multipel

im proximalen Duodenum liegen (Ab- bildung 1) (10, 29). Der häufigste funk- tionelle Tumor im Pankreas ist das Insulinom, welches bei etwa 30 Pro- zent der MEN1-Patienten beobachtet wird. Nichtfunktionelle Pankreastumo- ren können über Jahrzehnte asympto- matisch bleiben und erst durch die Fol- gen der Tumorexpansion auffallen. Die Frühdiagnose der Tumoren ist bioche- misch möglich und kann der bildgeben- den Diagnostik vorausgehen (32, 33, 36). Über die Hälfte der duodenalen Tumoren sind zum Zeitpunkt der Dia- gnose maligne und stellen bei MEN1- Patienten die häufigste Todesursache dar (20, 31, 33, 35). Hypophysenverän- derungen, meist Mikroadenome, zeigen typischerweise die Symptome der Hor- monüberproduktion oder verdrängen- den Tumorwachstums. Die Suche nach entsprechenden Veränderungen an- hand biochemischer Untersuchungen ermöglicht eine frühe Diagnose und Therapie zur Vermeidung irreversibler metabolischer Veränderungen und tu-

Multiple endokrine Neoplasie Typ 1

Stand der Diagnostik und Tumorprävention

Babette Simon1 Detlef Bartsch2 Harald Rieder3 Klaus Joseph4 Matthias Rothmund2 Rudolf Arnold1

Die multiple endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN1) ist ein au- tosomal-dominant vererbtes Syndrom, das durch syn- oder metachrones Auftreten von Tumoren vorzugsweise der Ne- benschilddrüsen, des endokrinen Pankreas und Duodenum sowie der Hypophyse charakterisiert ist. Die Prädisposition für MEN1 beruht auf Keimbahnmutationen im MEN1-Gen (Chromosomenregion 11q13). Nach Identifizierung des Gendefekts bei Erkrankten kann Risikopersonen ein gene- tischer Test angeboten werden. Im Hinblick auf eine effi- ziente Tumorvorsorge sollten bisher nicht erkrankte Mu-

tationsträger gezielten Vorsorgepro- grammen zugeführt werden. Nichtan-

lageträgern können die belastenden MEN1-Vorsorgeunter- suchungen erspart bleiben. Bei der Seltenheit der Erkran- kung und der Vielschichtigkeit der Organmanifestationen erscheint es sinnvoll, die Betreuung in dafür interdisziplinär spezialisierten Zentren durchzuführen.

Schlüsselwörter: Multiple endokrine Neoplasie Typ 1, neu- roendokrine Tumoren, Tumorsuppressorgen, MEN1-Gen, prädiktive Gendiagnostik

ZUSAMMENFASSUNG

MEN Type 1: Genetics and Clinical Management

Multiple endocrine neoplasia type 1 (MEN1) is an auto- somal dominant tumor syndrome characterized by the syn- chronous or metachronous occurrence of tumors of the para- thyroid glands, endocrine pancreas and duodenum, and anterior pituitary. The gene responsible for the disease, called MEN1, has recently been isolated (chromosome 11q13), and germline mutations have been identified in affected MEN1 patients. The detection of germ-line mutations in MEN1 patients allows a reliable predictive diagnosis in per- sons at risk for MEN1 within their families. Attention and

resources can be focused on carriers of the mu- tant gene who should be enrolled in a clinical

screening program to enable early detection and effective treatment of MEN1-associated tumors. Exclusion of family members not carrying the mutated MEN1 gene spares un- necessary clinical screening tests. The rarity and complexity of the disease argue for the management of MEN1 family members in specialized interdisciplinary centres.

Key words: Multiple endocrine neoplasia Type 1, endocrine tumors, tumor suppressor gene, MEN1 gene, predictive genetic testing

SUMMARY

D

1 Zentrum für Innere Medizin, Abteilung Ga- stroenterologie und Endokrinologie (Leiter:

Prof. Dr. med. Rudolf Arnold)

2 Zentrum für Operative Medizin (Leiter:

Prof. Dr. med. Matthias Rothmund)

3 Abteilung für Klinische Genetik (Leiterin:

Prof. Dr. med. Helga Rehder)

4 Zentrum für Radiologie, Abteilung für Nuklearmedizin (Leiter: Prof. Dr. med. Klaus Joseph) Philipps-Universität, Marburg

(2)

morbedingter lokaler Komplikationen (30). Zusätzlich zu den Tumoren in den Nebenschilddrüsen, dem Pankreas und Duodenum sowie der Hypophyse kön- nen sich neuroendokrine Tumoren in Thymus, Lunge, Magen und Ileum ent- wickeln. Ihr biologisches Verhalten un- terscheidet sich nur wenig von dem spo- radischer Formen. Ein malignes Ver- halten zeigen besonders die neuroen- dokrinen Tumoren (Karzinoide) der Lunge und des Thymus. Gelegentlich kommen auch Tumoren der Schilddrü- se sowie Lipome vor, seltener Tumoren der Nebennieren (5, 6, 8, 9, 13, 28, 31, 34, 37, 42, 44).

Molekulargenetische Grundlagen

Ein wichtiger Schritt bei der Auf- deckung des zugrunde liegenden Gendefekts war 1988 die Identifizie- rung des MEN1-Locus auf dem lan- gen Arm von Chromosom 11 (11q13) (17). Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass Tumoren von MEN1-

Patienten im Bereich des MEN1-Lo- cus Allelverluste aufweisen, wobei das Allel des gesunden Elternteils be- troffen war (38). Diese Eigenschaften unterstützten das „Zwei-Treffer-Mo- dell“ von Knudson (15), das zusätz- lich zu dem genetischen Alleldefekt den somatischen Allelverlust eines Tumor-Suppressor-Gens als entschei- denden Schritt in der Pathogenese erblicher Tumoren postuliert (Grafik 1). 1997 gelang es durch den Nach- weis von Mutationen in MEN1-Fami-

lien das MEN1-Gen zu identifizieren (7, 19). Das MEN1-Gen erstreckt sich über 9 kb (Kilobasen) und umfasst zehn Exons, wobei Exon 1 und der di- stale Teil von Exon 10 nicht kodie- rend sind. Das ubiquitär exprimierte, 2,8 kb große MEN1-Transkript ko- diert ein Protein bestehend aus 620 Aminosäuren (Menin), dessen Funk- tion noch unklar ist. Die beschriebe- nen Mutationen im MEN1-Gen sind über die Exons 2 bis 10 verstreut, ein- zelne liegen auch in Introns. Das Mu- Tabelle

Organmanifestationen und Symptomatik bei MEN1

Organveränderung Häufigkeit (%) Hormon Klinik

Nebenschilddrüsen > 90 Parathormon Primärer Hyperparathyreoidismus (Vier-Drüsen-Hyperplasie)

Endokrines Pankreas und Duodenum 30–80 (Multiple Mikroadenome

Einzelne Makroadenome Maligne Tumoren)

– Gastrinom Gastrin Zollinger-Ellison-Syndrom

– Insulinom Insulin Hypoglykämie-Syndrom

– Vipom VIP Verner-Morrison-Syndrom

– Glukagonom Glukagon Glucagonom-Syndrom

– Ppom Pankreatisches Polypeptid Funktionell inaktiv

– Somatostatinom Somatostatin Funktionell inaktiv

Adenohypophyse 30–65

(Mikro-/Makroadenome)

– Prolaktinom Prolaktin Akromegalie

– GTHom Wachstumshormon (GH) Amenorrhö, Hypogonadismus,

Galaktorrhö

– ACTHom ACTH Cushing-Syndrom

– Nichtfunktionelles Adenom Hypophyseninsuffizienz, Gesichts-

feldausfälle Seltenere Tumoren

– Neuroendokrine Tumoren (Karzinoid) Serotonin Karzinoid-Syndrom – Schilddrüsentumoren

– Dermale Tumoren

– Nebennierentumoren Meist funktionell inaktiv

Abbildung 1: a) Somatostatinrezeptor-Szintigraphie.Lokalisation eines Gastrinoms durch pathologische Mehr- anreicherung in Projektion auf den Pankreaskopf. b) Intraoperativer Ultraschall und c) intraoperativer Situs eines Gastrinoms in der Duodenalwand.

a b c

(3)

tationsspektrum umfasst hauptsäch- lich Nonsense- und Frameshift-Muta- tionen, die zu einem Translations- stopp und damit einem verkürzten Protein führen. Weniger häufig fin- den sich Missense-Mutationen und Inframe-Deletionen (1, 3, 19). In Analogie zu anderen hereditären Tu- moren ist anzunehmen, dass die MEN1-Keimbahnmutation den ini- tialen Defekt darstellt und über die Akkumulation weiterer genetischer Veränderungen die endokrinen Tu- moren entstehen.

Diagnostische Verfahren

Neben dem für MEN1 typischen Organbefall können aus der Fami- lienanamnese weitere Hinweise auf ein MEN1-Tumorsyndrom gewonnen werden. Es muss unterschieden wer- den zwischen einem prädiktiven Gen- test und der klinischen Diagnostik.

Der prädiktive Gentest gibt bei Risi- kopersonen (Verwandte, die aufgrund des Erbgangs innerhalb der Familie die ursächliche Mutation geerbt ha- ben können) darüber Auskunft, ob die Erbanlage für MEN1 vorhanden ist. Wann und mit welchem klinischen Bild die Erkrankung tatsächlich auf- treten wird, kann nicht vorausge- sagt werden. Die Diagnose wird durch klinische Untersuchungen gestellt.

Durch den prädiktiven Gentest kön- nen jedoch klinische Kontrolluntersu- chungen auf die tatsächlichen Anlage- träger beschränkt bleiben.

Molekulargenetische Ermittlung von Genträgern Zur Identifizierung der Genträ- ger unter Risikopersonen ist eine di- rekte und indirekte Genotypdiagnos- tik möglich. Jeder prädiktiven Dia- gnostik muss eine humangenetische Beratung vorausgehen. Wegen der weitreichenden Konsequenzen sollte eine prädiktive Diagnostik zur Ver- meidung denkbarer Fehler oder Ver- wechslungen anhand einer zweiten Blutprobe bestätigt werden.

Die direkte Genotypanalyse (Nachweis der Mutation im MEN1- Gen) erfolgt aufgrund der großen Zahl möglicher Mutationen häufig zweistufig, indem eine Suchmethode

Mutation MEN1-Allel

Chromosomen 11

3' 5'

10 9 8 7 6 5 4 3 2 1

10 9 8 7 6 5 4 3 2 1

10 9 8 7 6 5 4 3 2 1

10 9 8 7 6 5 4 3 2 1

Pankreas Hypophyse

Nebenschilddrüse Andere Organe

Tumor

Vererbte Mutation in einem MEN1-Allel in jeder Körperzelle (Keimbahnmutation)

1. Treffer

Verlust des intakten MEN1-Allels in einer Zelle in einem Organ

Verlust der Funktion von Menin 2. Treffer Grafik 1

Pathogenese MEN1-assoziierter Tumoren. Erster Treffer: Ein defektes (mutiertes) MEN1-Allel wird nach den Mendelschen Regeln vererbt und liegt damit in jeder Körperzelle vor. Der zweite Treffer besteht im Verlust des gesunden Allels als somatisches Ereignis im jeweiligen betroffenen Organ und führt über den Verlust der Tu- morsuppressor-Funktion von Menin zur Initiierung der Tumorentstehung.

LOH

PYGM Exon 3

N T K F5II1 F5II1 K

SSCP Sequenz

a) b) c)

G A

G A T C G A T C

Abbildung 2: a) Verlust der Heterozygotie (LOH) auf Chromosom 11q13 in einem Vipom eines MEN1-Patienten (F5II1), nachgewiesen durch Reduktion des Markers PYGM in der Tumor-DNA (T) im Vergleich zur Blut-DNA (N).

b) SSCP-Analyse von Exon 3 mit Nachweis einer Variante (Pfeil) in der Blut-DNA des MEN1-Patienten (F5II1) im Vergleich zu einem Nichtanlageträger (K) als Hinweis auf eine MEN1-Mutation. Die Methode der SSCP (single strand conformation polymorphism) basiert auf der Veränderung der Konformation von DNA-Einzelstrangfrag- menten durch Sequenzveränderung und dadurch bedingter unterschiedlicher elektrophoretischer Mobilität. Va- rianten werden im Vergleich zur Migration normaler PCR-Produkte identifiziert. c) Die DNA-Sequenzierung be- stätigt, dass die Variante in F5II1durch eine Missense-Mutation CAG zu CGG im Codon 168 (reverser Strang) mit Aminosäurenaustausch von Leucin zu Prolin (L168P) bedingt ist. Reproduziert mit Genehmigung der Society of Endocrinology, UK.

(4)

vorgeschaltet wird (beispielsweise SSCP [single strand conformation polymorphism], ddF [Dideoxy-Fin- gerprinting]). Anschließend werden auffällige Genabschnitte durch Se- quenzierung überprüft (Abbildung 2).

Erbringt die Suchmethode keine Auf- fälligkeiten, so wird die kodierende Region des MEN1-Gens einschließ- lich der Exon/Intron-Übergänge di- rekt sequenziert. Die Identifizierung einer MEN1-Mutation bei einem In- dexpatienten erlaubt eine verlässliche prädiktive Diagnose bei verwandten Risikopersonen (Abbildung 3) (4).

Die indirekte Genotypanalyse (Kopplungsuntersuchung) wird ein- gesetzt, wenn der Gendefekt bei ei- nem Indexpatienten mit typischem klinischen Bild anhand direkter Ge- notypanalyse nicht nachgewiesen werden kann und die Familie für eine Kopplungsuntersuchung geeignet ist.

Hier wird die Segregation polymor- pher DNA-Marker, die den MEN1- Locus zu beiden Seiten flankieren, in der Familie untersucht. Die Iden- tifizierung des Haplotyps, der mit MEN1 segregiert, erfordert Analy- sen von mindestens zwei betroffenen Familienmitgliedern (18). Bei jeder indirekten Genotypdiagnostik ver- bleibt durch die Möglichkeit der Re- kombination eine gewisse Restun- sicherheit.

Biochemische Screeningverfahren Die Untersuchun- gen erfolgen bei Genträ- gern und Risikopersonen ab dem 16. Lebensjahr in zweijährlichen Interval- len (Grafik 2 und Textka- sten). Das Alter, in dem biochemische Tests von negativ zu positiv kon- vertieren, liegt bei 14 bis 18 Jahren. Anlageträger können in der Regel vor Ausbruch der Erkran- kung biochemisch er- kannt werden (21, 33).

Hyperkalzämie und er- höhtes Parathormon wei- sen auf einen primären Hyperparathyreoidismus hin. Bei Hypophysen- Veränderungen ist vor- rangig der Nachweis von Prolaktin oder Wachstumshormon (GH) wegweisend. Die frühe Diagno- se MEN1-assoziierter Pankreas- und Duodenaltumoren basiert auf bioche- mischen Untersuchungen, die dem ra- diologischen oder sonographischen Nachweis um etwa fünf Jahre voraus- gehen können (32, 33, 36). Bei jungen MEN1-Patienten ist die Be-

stimmung von Markern für endokrine Tumoren wie Chromogranin A im Serum mit einer Sensitivität von bis zu 60 Prozent am zuverlässig- sten (24, 33, 43). Der Zeit- punkt der Diagnose von endo- krinen Pankreas- und Duo- denaltumoren bei MEN1 kann durch den Einsatz stan- dardisierter Mahlzeit-Stimula- tionstests mit Messung von Pankreatischem Polypeptid (PP) und Gastrin im Serum noch vorverlegt werden (32, 33). Bei asymptomatischen und biochemisch unauffäl- ligen MEN1-Verwandten ist Pankreatisches Polypeptid ein sehr sensitiver Marker und weist im Alter von 25 Jahren in 75 Prozent der Fälle auf einen Pankreastumor hin. Die Über- wachung hinsichtlich der Ent- wicklung eines Cushing-Syn- droms sollte durch Analyse

von Urin-Kortisol und Plasma-ACTH erfolgen. Erhöhung von menschlichem Choriongonadotropin (HCG) alpha und beta können Indikatoren für mali- gne Transformation sein (27).

Bildgebende Diagnostik Bei begründetem klinischen Ver- dacht auf ein MEN1-Syndrom bietet sich als sensitives bildgebendes Ver- fahren die Ganzkörper-Somatosta- tinrezeptor-Szintigraphie an. Ergänzt wird die Szintigraphie durch Sonogra- phie, Endosonographie, Angio-Com- putertomographie und/oder Magnet- resonanztomographie (2, 22, 39). Die Erkennung durch bildgebende Ver- fahren setzt allerdings eine Mindest- größe der Tumoren in Hypophyse, Ne- benschilddrüsen und Pankreas voraus.

Genetische Beratung und Empfehlungen zur Vorsorge

Der genetischen Diagnostik bei Familienangehörigen von MEN1-Pa- tienten hat eine genetische Beratung vorauszugehen (siehe Richtlinien der Bundesärztekammer, Dt Ärztebl 1998;

95: A-1396–1403 [Heft 22]).

Abbildung 3: Stammbaum der Familie des MEN1-Patienten aus Abbildung 2 und Ergebnisse der prädiktiven Diagnostik. Die PCR-Amplifikation von Exon 3 erbrachte ein 197 Basenpaar großes (bp) Fragment. Die Mutati- on L168P führt zu einer neuen Erkennungsstelle für die Restriktionsen- donuklease SmaI. SmaI-Spaltung des Amplifikationsprodukts erzeugt bei heterozygoten Familienmitgliedern zwei zusätzliche, sich überla- gernde Fragmente von 97 bp und 100 bp. M = Marker, K = Kontrolle.

Entnommen aus: Bartsch et al.: Keimbahnmutationen im MEN1-Gen:

Basis für prädiktives genetisches Screening und klinisches Management von MEN1-Familien. DMW 1998, 123: 1535–1540.

Normal

Biochemisches Screening ab dem 16. Lebensjahr

Normal

Normal Pathologisch

Pathologisch

Pathologisch Therapie Screening

alle 2 Jahre

Kontrolle

in 6 Monaten Erweiterte Untersuchungen (bildgebend, dynamisch) Wieder-

holung Grafik 2

Flussdiagramm für das biochemische Vorsorgeprogramm bei MEN1-Mutationsträgern.

erkrankt noch gesunder Mutationsträger nicht untersucht 200 bp

100 bp

M K

I II III

1

1 2 3 4 5

5 4

6 2

2 1

(5)

Im Rahmen der genetischen Be- ratung werden die Möglichkeiten und Konsequenzen der prädiktiven Diagnostik mit der betreffenden Fa- milie besprochen. Die molekularge- netische Diagnostik sollte nach dem derzeitigen Wissensstand bei asym- ptomatischen Risikopersonen erst ab dem 16. Lebensjahr durchgeführt werden, wenn die klinischen Vorsor- geuntersuchungen beginnen. Ein sy- stematisches Vorsorgeprogramm ge- währleistet am ehesten die frühzeiti- ge Diagnose MEN1-assoziierter Er- krankungen bei Risikopersonen (16).

Ein Konsensus zur Vorsorge wird derzeit von der Deutschen MEN1- Studiengruppe erarbeitet. Ist bei ei- ner Risikoperson die in der Familie entdeckte MEN1-Mutation nicht nachzuweisen, kann diese aus dem Vorsorgeprogramm entlassen wer- den.

Therapeutische Strategien und Nachsorge

Die Therapie und Nachsorge bei nachgewiesenen Tumoren erfolgt ku- rativ oder palliativ nach chirurgischen und internistischen Richtlinien. Dar- über hinaus müssen die bei MEN1- Patienten auftretenden Zweiterkran- kungen bedacht und das Nachsorge- programm analog zu dem oben er- wähnten Vorsorgeprogramm darauf ausgerichtet werden. Der Hyperpara- thyreoidismus ist eine Indikation für eine chirurgische Therapie, wobei Zeitpunkt und Ausmaß der Resekti- on kontrovers diskutiert werden. Eine präoperative Lokalisation ist nicht notwendig (12, 22). Das häufigste Ver- fahren ist eine subtotale Parathyreoid- ektomie. Alternativ kann eine totale Parathyreoidektomie mit Autotrans- plantation durchgeführt werden. Die Behandlung von Hypophysentumo- ren erfolgt medikamentös, operativ oder strahlentherapeutisch. Die häu- figen Prolaktinome werden erfolg- reich mit Dopaminagonisten zur Re- duktion der Prolaktinspiegel und Tu- morgröße behandelt. Selten ist eine neurochirurgische Therapie oder Be- strahlung notwendig (26). Bei Patien- ten mit Akromegalie wird primär die Operation angestrebt. Bei postopera- tiv persistierender Hypersekretion

werden langwirkende Somatosta- tinanaloga oder Strahlentherapie ein- gesetzt (25). Die seltenen Corticotro- pinome werden in der Regel trans- sphenoidal reseziert, wobei große in- vasive Tumoren bestrahlt werden können (23). Das Hauptaugenmerk ist auf die Pankreas- und Duodenaltu-

moren gerichtet, die das Risiko der malignen Entartung bergen. Tumor- größe und Hormonprofil sind aller- dings unzuverlässige Kriterien für ei- ne maligne Entartung. Die chirurgi- sche Entfernung wird zumindest bei jungen MEN1-Patienten von einigen, jedoch nicht allen Experten als die einzige Methode der Vermeidung einer späte- ren Metastasierung an- gesehen. Das anzustre- bende operative Verfah- ren bei MEN1-assoziier- ten Gastrinomen ist die von Thompson empfoh- lene Operation (40, 41) (Abbildung 4).Bei Insu- linomen ist die Enuklea- tion von Kopftumoren, bei Tumoren im Korpus- und Schwanzbereich die Linksresektion zu emp- fehlen (40, 41). Aller- dings können trotz die- ser Maßnahmen später erneut neuroendokrine Pankreastumoren auftre- Angewandte biochemische, funktionelle und

bildgebende Untersuchungsmethoden

Biochemische Marker (alle 2 Jahre):

Nebenschilddrüsen:Kalzium, intaktes Parathormon

Endokrines Pankreas/Duodenum: Glukose, Insulin, Proinsulin, Gas- trin, Glukagon, VIP, Chromogranin A, Pankreatisches Polypeptid (PP), a-und b-HCG

Hypophyse: Prolaktin, GH, IGF-1, ACTH, Kortisol

Weitere: Calcitonin, Serotonin, U-5-HIES, Aldosteron, U-Katechol- amine

Biochemische Funktionstests (alle 2 Jahre):

560 kcal-Mahlzeit-Stimulationstest (Gastrin, PP) Bei Verdacht auf Insulinom: Hungerversuch Bei Verdacht auf Gastrinom: Sekretin-Test

Wenn pathologisch: Tumorlokalisationsdiagnostik:

Somatostatinrezeptorszintigraphie CT Abdomen

Endosonographie Operative Exploration

Bildgebende Diagnostik (alle 4 Jahre):

Sonographie Abdomen und Hals MRT Hypophyse

CT Abdomen und Thorax Gastroskopie

U, Urin; 5-HIES, 5-Hydroxyindol-Essigsäure; HCG, menschliches Choriongonadotropin;

GH, Wachstumshormon; VIP, Vasoaktives intestinales Polypeptid

Abbildung 4: Operationsverfahren beim Zollinger-Ellison-Syndrom nach Thompson (38): (1) Distale Pankreatektomie, (2) Enukleation von iso- lierten neuroendokrinen Tumoren im Pankreaskopf, (3) Duodenotomie und Exzision von neuroendokrinen Tumoren sowie (4) regionale Lymph- knotendissektion.

(6)

ten. Darüber hinaus findet man in Re- sektionspräparaten nicht selten zuvor unerkannte Mikroadenome. Eine to- tale Pankreatektomie dürfte aller- dings nach gegenwärtigem Kenntnis- stand eine Übertherapie darstellen.

Eine symptomatische Therapie mit Protonenpumpeninhibitoren wird prä- operativ zur Vermeidung säurebe- dingter Komplikationen bei Gastrino- men eingesetzt oder ist bei bereits ein- getretener Metastasierung eines Ga- strinoms zwingend. Die radiologisch- interventionelle Embolisation kann Tumorvolumen und exzessive Hor- monspiegel durch hepatische Meta- stasen reduzieren, wobei Somatosta- tinanaloga, Interferon alpha und Che- motherapeutika einen additiven Ef- fekt haben können (11).

Registrierung von MEN1-Patienten

Die Patienten sollten mit ihrem Einverständnis in das nationale Re- gister der deutschen MEN1-Studien- gruppe zur Erfassung von MEN1-Er- krankungen und zur Erfahrungs- sammlung des seltenen Krankheits- bildes aufgenommen werden. Infor- mationen hierzu sowie zu den betreu- enden Zentren, weiterführende Lite- raturhinweise sowie Informationen für Patienten finden sich auf einer speziell eingerichteten Internet-Seite (siehe Verweis am Textende).

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A-698–704 [Heft 11]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonder- druck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Weitere Informationen im Internet www.uni-marburg.de/gastro/MEN1 Anschrift für die Verfasser

Priv.-Doz. Dr. med. Babette Simon Zentrum für Innere Medizin Abteilung Gastroenterologie und Endokrinologie

Philipps-Universität Marburg 35033 Marburg

E-Mail: simonb@mailer.uni- marburg.de

Obwohl mit der hochaktiven an- tiviralen Therapie bei Aids (ein Pro- tease-Inhibitor kombiniert mit zwei nukleosidischen Reverse-Transkrip- tase-Inhibitoren) niedrige oder nicht messbare Spiegel der HIV-1-RNA und normale CD4-Zellzahlen erreich- bar sind, hat diese Therapieform für die Patienten eine Reihe von Nachtei- len. Das sind die hohe Anzahl der täg- lich einzunehmenden Tabletten, die genau einzuhaltenden Zeitintervalle, die Interaktion der Medikamente un- tereinander sowie mit den Nahrungs- mitteln als auch die spezifischen Ne- benwirkungen wie Exantheme, Durch- fälle oder Neutropenien. Darüber hin- aus sind Auswirkungen auf den Glu- kose- und Fettstoffwechsel mit zum Teil ausgeprägten Fettverteilungs- störungen (Lipodystrophie-Syndrom) Anlass, neuere antivirale Medika- mente zu entwickeln und klinisch ein- zusetzen.

In einer internationalen Multi- centerstudie wurde daher an 450 Aids-Patienten Efavirenz, ein neuer nichtnukleosidischer Reverse-Trans- kriptase-Inhibitor (nn-r-TI) in Kom- bination mit zwei herkömmlichen nu- kleosidischen Reverse-Transkriptase- Inhibitoren (n-r-TI) und in Kombina- tion mit einem Protease-Inhibitor (PI) gegen ein Standard-Therapiere- gime mit einem Proteinaseinhibitor und zwei nukleosidischen Reverse- Transkriptase-Inhibitoren verglichen.

Die Behandlungsgruppe mit Efavirenz (nn-r-TI), Zidovudin (n-r-TI) und La- mivudin (n-r-TI) schloss signifikant am besten ab. Bei 70 Prozent der Pati- enten ließen sich nicht mehr nachweis- bare Plasma-HIV-RNA-Spiegel erzie- len.

Dagegen war dies in der Gruppe mit Efavirenz (nn-r-TI) und Indinavir (PI) nur bei 53 Prozent und in der Gruppe mit einer herkömmlichen Therapie mit Indinavir (PI), Zidovu- din (n-r-TI) und Lamivudin (n-r-TI) nur bei 48 Prozent der Fall. Letztere Gruppe wies auch die höchste Rate an Nebenwirkungen auf.

Die CD4-Zellzahl dagegen stieg in allen drei Gruppen gleichermaßen an. Die Autoren kommen zu dem

Schluss, dass die eingesetzte Drei- fachtherapie mit dem neuen nichtnu- kleosidischen Reverse-Transkriptase- Inhibitor Efavirenz die größere anti- virale Wirksamkeit aufweist und bes- ser toleriert wird als die hochaktive antiretrovirale Standardtherapie mit Proteinaseinhibitoren und nukleosi- dischen Reverse-Transkriptase-Inhi-

bitoren. acc

Staszewski S et al.: Efavirenz plus lami- vudine, efavirenz plus indinavir, and indinavir plus zidovudine and lamivudi- ne in the treatment of HIV-1 infection in adults. N Eng J Med 1999; 341:

1865–73.

Dr. Manion, Dupont Pharmaceuticals Company, Chestnut Run Plaza, Rm. HR 2003, 974 Centre Road, Wilmington, DE 19805, USA.

Nichtnukleosidische Reverse-

Transkriptase-Inhibitoren bei Aids

Dass die Einnahme von nicht- steroidalen Antirheumatika (NSAR) zu Magen- und Zwölffingerdarmge- schwüren führt, ist allgemein bekannt.

Weniger geläufig ist das Auftreten von Dünn- und Dickdarmulzera, in- testinalen Strikturen und Perforatio- nen unter Medikamenten mit hohem enterohepatischen Kreislauf, wobei häufig erst die Komplikationen auf die NSAR-Enteropathie hinweisen.

Die Autoren berichten über eine Stu- die an 312 Patienten, bei denen Indi- um-111-markierte weiße Blutkörper- chen im Stuhl über vier Tage analy- siert wurden.

Ferner wurde die Calprotectin- Konzentration im Stuhl analysiert.

Erhöhte Calprotectinwerte waren bei 44 Prozent der untersuchten Patien- ten nachweisbar. Bei 20 Prozent der Patienten waren die Marker für eine Entzündung im Darm genau so hoch wie bei chronisch entzündlichen Darm-

erkrankungen. w

Tibbel JA, Sighthorsson G, Foster R, Scott D, Fagerhol MK, Roseth A, Bjarnason I: High prevalence of NSAID enteropathy as shown by a simple faecal test. GUT 1999; 45: 362–366.

Department of Medicine, Guys, King’s, St. Thomas School of Medicine and Den- tistry, London, Großbritannien.

NSAR-Enteropathie

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