A-3129
Seite eins
Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 49, 10. Dezember 1999 (1)
M
it Abschiedsversen von Mascha Kaléko beendete Dr. Winfried Schorre sei- ne persönliche Erklärung: Damit könne man lächelnd auseinander- gehen. Zum Lächeln war indes keinem bei der Vertreterversamm- lung der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung (KBV) am 4. Dezem- ber im Kölner Maritim zumute, am wenigsten Schorre selbst. Mit Rat- losigkeit quittierten die Delegierten vielmehr Schorres überraschende Ankündigung, mit Schluß der Ver- anstaltung von sämtlichen Ämtern zurückzutreten. Schorre machte persönliche Gründe geltend und bat, diesen nicht weiter hinterher- zuforschen. Das sei respektiert, so wie auch die irritierte Versammlung Schorres Erklärung schließlich mit anhaltendem, verhaltenem Beifall Respekt zollte.Vorangegangen war eine üb- liche Vertreterversammlung, die sich insbesondere mit der Gesund- heitspolitik der Bundesregierung auseinandersetzte. Schorres Be- richt zur Lage rechnete mit der sogenannten Gesundheitsreform und dem chaotischen gesetzgebe- rischen Verfahren ab. Und Dr.
Schorres innerärztliche Gegner meldeten sich wie gewohnt mit Kritik und Überlegungen zum
„Trainerwechsel“ zu Wort. Alles wie gehabt.
Kommissarisch wird nun Schorres Stellvertreter Dr. Eck- hard Weisner (Schleswig-Holstein) die Amtsgeschäfte führen. Für den 15. Januar 2000 wurde eine außer- ordentliche Vertreterversammlung anberaumt, bei der ein neuer Vor- sitzender gewählt (und außerdem
die heikle Lage nach Inkrafttreten der Gesundheitsreform erörtert) werden soll. Der Vorstand der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung hat sich für Dr. Manfred Richter- Reichhelm (Berlin) als Nachfolger von Schorre ausgesprochen – ei- ne ungewöhnliche Vorgehenswei- se, jedenfalls nach den Maßstäben der KBV; anderswo in der Politik sind solche Empfehlungen freilich gebräuchlich. Richter-Reichhelm hatte im März 1997 bereits für den KBV-Vorsitz kandidiert und war damals Schorre knapp (56 : 54 Stim- men) unterlegen, arbeitete dann gleichwohl loyal im Vorstand mit.
In den nächsten Tagen wird sich zeigen, wer sich ansonsten noch positionieren wird. Ins Ge- spräch gebracht wurden bereits kurz nach Schorres Abschied alt- bekannte Hardliner aus dem Süd- deutschen, die bereits in den ver- gangenen Monaten und Jahren Schorre das Leben und das Amt schwergemacht hatten.
Schorres Amtszeit war von Turbulenzen geprägt. Neben die politischen Auseinandersetzungen, anfänglich mit Seehofer, neuer- dings mit Fischer, traten die in- nerärztlichen. Vor allem diese in- ternen Querelen haben zu den un- ruhigen Schorre-Jahren beigetra- gen.
Die erste Amtsperiode Schor- res war wesentlich gekennzeichnet durch Intrigen und Angriffe inner- halb des eigenen Vorstandes, be- trieben durch Vorstandsmitglieder, die es schwer verwinden konnten, nicht selbst an der Spitze zu stehen.
Es folgten die schier endlosen Streitereien um Hausarztfragen,
Pauschal- oder Einzelleistungsver- gütung, Laborgebühren und Arz- neibudgets. Letztere waren auch Ursache für die jüngste Auseinan- dersetzung, betrieben von regiona- len KV-Fürsten und durchexer- ziert im Länderausschuß der KBV.
Vordergründiger Anlaß war ein
„Notprogramm“, mit dem Arznei- mittelregressen in letzter Minute begegnet werden sollte. Schorre hatte auf der Basis dieses Not- programms schließlich mit Kassen und Bundesgesundheitsministerin ein „Aktionsprogramm“ ausge- handelt, um auch den Gegenpart in die Verantwortung für die Arz- neimittelbudgets hineinzunehmen.
Die Hardliner kreideten ihm das als Appeasement an; der Länder- ausschuß sprach schließlich dem Vorstand der KBV (gemeint war aber Schorre) mit 28 : 19 Stimmen das Mißtrauen aus. Schorre hat sich dadurch nicht zum Rücktritt zwingen lassen, sondern ist aus ei- genem Entschluß und mit eigenen Motiven zurückgetreten.
Dr. Schorre hat unter den Be- lastungen seines Amtes gelitten, aber er hat auch gerne und über- zeugt für seine Auffassungen – ob sie anderen paßten oder nicht – gestritten. Er stand einmal für ei- nen Perspektivenwechsel in der Kassenärzteschaft, mußte sich aber zunehmend der Macht des Faktischen beugen. Was kämpfe- risch und frohgemut begonnen hatte, mutierte zunehmend zur dienstlichen Pflicht. Nun ist diese Dienstreise, die 1993 mit einer Kampfabstimmung begann und weiterhin turbulent verlief, zu Ende. Norbert Jachertz