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Archiv "Kassenärztliche Vereinigungen: Neuanfang oder Anfang vom Ende?" (09.04.2004)

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on Monopolen und Kartellen war im Vorfeld der jüngsten Gesund- heitsreform viel die Rede. Sie verhinderten den Wettbewerb und trieben die Kosten in die Höhe. Politi- ker jeglicher Couleur versäumten es in keinem Interview, diese angeblichen Missstände anzuprangern. Gemeint waren die Kassenärztlichen Vereini- gungen (KVen), deren Vertragsmono- pol den Wettbewerb um innovative und effizientere Versorgungsstruktu- ren blockiere. Bundeskanzler Gerhard Schröder befand, das Kollektivver- tragssystem habe sich überlebt, seine Gesundheitsministerin Ulla Schmidt versprach, das Vertragsmonopol der KVen zu beseitigen. Sogar Bundes- außenminister Joschka Fischer mel- dete sich in der Diskussion mit ei- nem klaren „Ja“ zu Einzelverträgen zwischen Krankenkassen und Ärz- ten zu Wort und mit der Frage:

„Wozu brauchen wir die teuren Kassenärztlichen Vereinigungen?“

Aber auch Systemkundigere wie Ex- Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) plädierten für mehr Vertragswettbewerb. Letzterer woll- te jedoch im Gegensatz zu SPD und Grünen die Verantwortung der KVen für die Sicherstellung der ambulanten medizinischen Versorgung der Bevöl- kerung nicht antasten.

Für die KVen stellte sich mit den er- sten Gesetzentwürfen zur Gesundheits- reform die Existenzfrage. Danach soll- ten sie nur noch hausärztlich tätige Ärz- te unter ihrem Dach vereinen.Alle ande- ren Fachärzte und Psychotherapeuten sollten Einzelverträge mit den Kranken- kassen schließen. Da die Bundesregie- rung aus ihrer Vorliebe für Gesundheits- zentren und Polikliniken keinen Hehl machte, hätte dies das Ende der ambu- lanten fachärztlichen Versorgung bedeu- tet. Die KVen als „Resteverwalter“ hät-

ten ihren Einfluss auf die Versorgungs- strukturen zum großen Teil verloren.

Doch Maximalforderungen wie die Ab- schaffung der KVen, der generelle Um- stieg auf Einzelverträge und die Verla- gerung des Sicherstellungsauftrages auf die Krankenkassen erwiesen sich als nicht durchsetzbar. Ernst gemacht hat die Politik – und zwar in einem partei- übergreifenden Kompromiss – mit der Liberalisierung des Vertragswettbe- werbs. Künftig können die Krankenkas- sen im Rahmen der hausarztzentrierten Versorgung Einzelverträge mit „beson- ders qualifizierten“ Hausärzten schlie-

ßen. Bei den Verträgen zur Integrierten Versorgung bleiben die KVen als Ver- tragspartner explizit außen vor. Pikant dabei ist, dass sie zur Förderung der sektorenübergreifenden Versorgung ein Prozent der Gesamtvergütung ab- geben müssen. Bei den Medizinischen Gesundheitszentren sind die KVen nur noch über die Bedarfsplanung mit im Boot. Der Druck vor allem auf die nie- dergelassenen Fachärzte wird auch da- durch wachsen, dass die Krankenhäuser künftig bestimmte spezialisierte Lei- stungen ambulant erbringen dürfen, die der Gemeinsame Bundesausschuss noch definieren muss.

Doch der Gesetzgeber hat die ärztli- chen Körperschaften nicht nur in ihrer Außenwirkung beschnitten. Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) hat er den KVen und der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung (KBV) eine Organisationsreform verordnet, über deren Folgen die Ansichten innerärztlich noch auseinander gehen. Unter dem Motto „Professionalisierung“ wird es wie bei den Krankenkassen künftig auch bei den KVen einen hauptamtlichen Vorstand geben, dem bis zu drei Mitglie- der angehören können. Diese müssen keine Ärzte sein. Sind sie Ärzte, können sie ihre ärztliche Tätigkeit allenfalls noch in bescheidenem Umfang wei- terführen. Der Vorstand wird laut Gesetz für sechs Jahre gewählt. Er verwaltet die KV und vertritt sie ge- richtlich und außergerichtlich. Die Vertreterversammlung ist künftig al- leiniges Selbstverwaltungsorgan. Die Zahl ihrer Mitglieder ist auf höch- stens 30 beschränkt. Ausnahmen gel- ten für große KVen. Deren Vertreter- versammlungen können bis zu 40 oder 50 Mitglieder angehören. Im Vergleich zu heute schrumpfen sie damit deutlich zusammen. Die Ver- treterversammlung ist Legislativ- und Kontrollorgan. Ihr obliegen die autono- me Rechtssetzung, die Feststellung des Haushalts und Grundstücksgeschäfte sowie die Kontrolle des Vorstands. Das Gesetz sieht außerdem ausdrücklich vor, dass die Hausärzte in eigenen Angele- genheiten alleine stimmberechtigt sind.

Mit den kleinen Regional-KVen soll nach dem Willen der Politik ebenfalls Schluss sein. Das GMG sieht deshalb vor, soweit in einem Land mehrere KVen mit weniger als 10 000 Mitgliedern bestehen, diese zusammenzulegen. Be- troffen von dieser Regelung sind die je- weils vier KVen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, die massiv, aber

Kassenärztliche Vereinigungen

Neuanfang oder Anfang vom Ende?

Der Gesetzgeber hat den KVen eine Organisationsreform zur „Professionalisierung und Ver-

schlankung“ verordnet. Auch innerärztlich geht der Streit um die Zukunft der KVen weiter.

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erfolglos gegen diese „Zwangsfusion“

protestiert haben. „Wir sehen immer noch nicht den Sinn“, sagt beispielsweise Dr. med. Carl-Heinz Müller. Der Vorsit- zende der KV-Trier – mit rund 850 Mit- gliedern ein Winzling unter den Körper- schaften – betont: „Man hat nie unsere Effektivität bezweifelt.“ Es sei sogar be- legt, dass die meisten Groß-KVen höhe- re Verwaltungskosten hätten. So müss- ten beispielsweise die Ärztinnen und Ärzte der KV Bayerns, die per EDV ab- rechnen, 2,8 Prozent ihres Umsatzes an Verwaltungskosten abführen, während der Anteil in der KV Trier bei 1,77 Pro- zent liege. Müller, der zugleich Sprecher des Lenkungsausschusses für die Zu- sammenlegung der vier KVen in Rhein-

land-Pfalz ist, vermutet deshalb, dass es der Politik mit der Fusion um „Zentrali- sierung und Anonymisierung“ geht.

„Uns geht die Bindung zu den Ärztinnen und Ärzten an der Basis verloren“, be- fürchtet Müller.

Die KVen Trier, Koblenz, Pfalz und Rheinhessen haben sich auf Mainz als Standort für die neue Landesstelle der KV Rheinland-Pfalz geeinigt. Die bishe- rigen Standorte Koblenz, Trier und Neu- stadt werden zu Bezirksstellen umfunk- tioniert. Die gemeinsame Vertreterver- sammlung, die dann rund 6 500 Ärzte und Psychotherapeuten vertritt, soll 40 Mitglieder umfassen. Ihr stehen über- gangsweise für die erste Wahlperiode vier Vorstandsmitglieder vor, damit die regionale Repräsentanz gesichert ist.

Aufgrund des engen Zeitplans seien die vier Vertreterversammlungen jedoch nicht in der Lage gewesen, einen einheit-

lichen Vorschlag für Satzung und Wahl- ordnung der neuen KV Rheinland-Pfalz zu verabschieden, erklärten die vier KV- Vorsitzenden. Auf Basis der bisher vor- gelegten Vorschläge der Körperschaften wird dies jetzt das rheinland-pfälzische Sozialministerium im Rahmen einer Er- satzvornahme erledigen.

Neben den Kassenarztfunktionären, die sich quasi selbst abschaffen müssen, haben sich auch die rund 500 Mitarbeiter der vier KVen heftig gegen die Fusion gewehrt. Im vergangenen August hatten 300 Beschäftigte vor dem Sozialministe- rium in Mainz für den Erhalt ihrer Ar- beitsplätze demonstriert. Die 150 Mitar- beiter der KV Koblenz schalteten zu die- sem Zweck eigens eine ganzseitige An-

zeige in der Rhein-Zeitung. Die Furcht um die Arbeitsplätze ist nicht unbegrün- det, denn im Rahmen der Fusion werden Aufgabenbereiche verlagert und um- strukturiert werden. So soll beispielswei- se der gesamte EDV-Bereich der neuen KV Rheinland-Pfalz in Koblenz angesie- delt werden. Offen ist, was dann mit den IT-Mitarbeitern an den anderen Stand- orten geschieht. Dazu der Personalrats- vorsitzende der KV Koblenz, Thorsten Kind: „Die Stimmung ist mies, weil noch niemand sagen kann, was aus den einzel- nen Mitarbeitern wird.“

Auch er zweifelt am wirtschaftlichen Nutzen der Fusion. Dass in der KV Ko- blenz bei 2 300 Mitgliedern und 150 Be- schäftigten rein rechnerisch auf 15 Ärz- te ein KV-Mitarbeiter kommt, sagt sei- ner Ansicht nach nichts über die Wirt- schaftlichkeit aus: „Die kleineren KVen sind die effizienteren. Sie beschränken

sich aufs Kerngeschäft.“ Damit erklär- ten sich zum Teil auch die im Vergleich niedrigeren Verwaltungskosten.

Auch in Baden-Württemberg lehnt man die angeordnete Fusion ab. „Sie ist ausschließlich politisch motiviert und ökonomisch sinnlos“, urteilte der Vor- sitzende der KV Südwürttemberg, Prof.

Dr. med. Wolfgang Brech, beim Kas- senärztetag im vergangenen Oktober in Friedrichshafen. Doch auch hier steht der Fahrplan zur Bildung einer Landes- KV. Die Zusammenlegung der KVen Nordbaden, Nord-Württemberg, Süd- baden und Südwürttemberg muss wie die der vier KVen in Rheinland-Pfalz bis zum 1. Januar 2005 vollzogen sein. Aus ähnlichen Gründen wie in Rheinland- Pfalz wird auch in Baden-Württemberg das Sozialministerium auf der Basis der Vorschläge von Ärzteseite Organisati- onsregelung, Satzung und Wahlordnung erlassen. Damit ist der Weg frei für die Wahlen der gemeinsamen Vertreterver- sammlung und des Vorstands.

Dem hauptamtlichen Vorstand wer- den drei Mitglieder angehören, in der ersten Wahlperiode jedoch fünf, sodass zumindest in der Integrationsphase die regionale Repräsentanz gewährleistet ist. Hauptsitz der neuen KV wird Stutt- gart. Das Fusions-Konzept ähnelt dem in Rheinland-Pfalz: Die bisherigen Standorte in Karlsruhe, Reutlingen und Freiburg bleiben als Bezirksdirektio- nen erhalten. Damit sei die Nähe zu den Ärzten vor Ort gewährleistet, und die regionale Mitgliederbetreuung bleibe erhalten. In den Bezirksdirektionen sol- len Kompetenzzentren für bestimmte Aufgabenbereiche entstehen. Damit seien die Arbeitsplätze der mehr als 1 000 Mitarbeiter in den vier KVen zunächst gesichert. Die künftige KV Baden-Württemberg wird 16 900 Ver- tragsärzte und knapp 1 900 Psychologi- sche Psychotherapeuten betreuen – ei- ne Größe, in der manche Amtsträger bereits eine kritische Masse sehen.

„Von der Größe her liegen wir schon ohne Fusion im Mittelfeld der KVen“, sagt Dr. med. Wolfgang Herz, Vorsitzen- der der rund 5 000 Mitglieder starken KV Nordbaden. „Wir werden jetzt mit weiteren Mittelfeldlern fusioniert.“

Herz bezweifelt, dass es gelingen wird, die dann 19 000 Mitglieder der KV Ba- den-Württemberg von einer Zentrale A

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Verschlankung per Verordnung: Die Vertreterversammlungen werden deutlich kleiner.

Fotos:Bernhard Eifrig

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aus zu managen. Außerdem gehe in ei- nem derart großen Apparat die Basis- nähe verloren. „Die Kollegen haben kei- nen Ansprechpartner mehr vor Ort.“

Unglücklich über die Fusion und de- ren Zeitrahmen ist auch der Vorsitzen- de der KV Nord-Württemberg, Dr.

med. Werner Baumgärtner. Er sieht

„Riesenkosten“ auf die Zwangsverein- ten zukommen, denn die unterschied- lichen Honorarverteilungsmaßstäbe, Verträge mit Krankenkassen sowie die Arzneimittelobergrenzen, aber auch die Vermögen und die unterschiedli- chen Versorgungsansprüche der Mitar- beiter müssten harmonisiert werden. Er ist in guter Gesellschaft: Laut Ärzte- blatt Baden-Württemberg hat eine Blitz- umfrage in Südwürttemberg ergeben, dass mehr als 90 Prozent der dortigen Ärzte und Psychotherapeuten die Zu- sammenlegung ablehnen.

Obwohl in den KVen niemand der Fusion etwas abgewinnen kann, dürfte zumindest das Ziel der schlankeren Strukturen erreicht werden: Bislang wa- ren in Rheinland-Pfalz 115 Delegierte und 25 Vorstände in Amt und Würden, künftig werden es 40 Delegierte und in der ersten Wahlperiode fünf Vorstände sein. In Baden-Württemberg waren 220 Delegierte und 30 Vorstände am Werk, künftig werden es 50 und fünf sein.

Der gesetzlich vorgegebene Zeitrah- men für die Organisationsreform ist straff: Die Fusions-KVen haben ihre er- forderlichen Organisationsänderungen im Einvernehmen mit den Aufsichtsmi- nisterien bis zum 30. Juni durchzu- führen. Bis zum 30. September müssen in allen KVen die Wahlen zu den Ver- treterversammlungen gelaufen sein, so- dass diese bis zum 1. Dezember ihre Vorstände gewählt haben. Derzeit ar- beiten die KVen mit Hochdruck daran, ihre Wahlordnungen und Satzungen un- ter Dach und Fach zu bringen. Der Stand der Umsetzung ist unterschied- lich. In einigen KVen wie Nordrhein und Thüringen sind Satzung und Wahl- ordnung bereits genehmigt. In anderen wie Brandenburg und Berlin scheiterte eine Einigung an innerärztlichen Que- relen. In wieder anderen KVen wie Hessen und Niedersachsen haben die Aufsichtsbehörden die jeweiligen Sat- zungen nicht genehmigt, weil sie den Bezirksstellen zu viele Kompetenzen

Ruhe im Staat

1931 gründete der Staat die Kassenärztlichen Vereinigungen, um ein Gleichgewicht der Kräfte zu schaffen.

Bei der aktuellen Diskussion um die Kas- senärztlichen Vereinigungen (KVen) wird die historische Entwicklung der ärztlichen Körper- schaften oft außer Acht gelassen. Die KVen ver- weisen auf eine rund 50-jährige Geschichte und beziehen sich damit auf die Zeit des Wie- deraufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch ihre Wurzeln reichen wesentlich tiefer.

1883 wird in Deutschland die Versiche- rungspflicht für Arbeiter eingeführt, die Kran- kenkassen müssen die ärztliche Versorgung ihrer Versicherten und deren Angehörigen ge- währleisten. Mit welchen Ärzten und zu wel- chen Konditionen sie das tun, ist ihnen über- lassen. Die Kassen verfügen über das Vertrags- monopol.

Um 1900 ist ein Drittel der Deutschen in ge- setzlichen Krankenkassen versichert – in indu- striellen Ballungsgebieten sogar mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Die Ärzte sind völlig ab- hängig vom Wohlwollen der Kassen. Es kommt zu Unruhen, die Ärzteschaft organisiert sich im Leipziger Verband unter der Führung von Her- mann Hartmann, nach dem der heutige Hart- mannbund benannt ist. Die Forderungen der Ärzte sind eindeutig: Zulassung aller organi- sierten Ärzte zur Kassenpraxis; Organisation der Ärzteschaft in Selbstverwaltung; Kollektiv- statt Einzelverträge; freie Arztwahl für die Versi- cherten. Als der Reichstag im Jahr 1911 die Reichsversicherungsordnung als Vorläufer des heutigen Sozialgesetzbuches V verabschiedet, sind die Ärzte tief enttäuscht: Die „Diensther- ren-Gewalt“ der Krankenkassen bleibt un- berührt. Zwei Jahre später spitzt sich die Lage zu. Auf einem außerordentlichen Ärztetag fällt im Oktober 1913 der Beschluss für einen Gene- ralstreik zu Beginn des Jahres 1914. Die Regie- rung lenkt ein und fordert Kassen und Ärzte an den Verhandlungstisch. Das Berliner Abkom- men wird geschlossen – eine Art Burgfrieden für die nächsten zehn Jahre. Erstmals wird die so genannte Verhältniszahl eingeführt: auf 1 300 Versicherte muss jetzt ein Arzt kommen.

Ein Arztregister wird geschaffen, Richtlinien re- geln die Zulassung interessierter Ärzte, ein Ver- tragsausschuss kontrolliert die Verträge zwi- schen Kassen und Ärzten. Dies sind die Anfänge der späteren gemeinsamen Selbstverwaltung.

Krieg und Inflation behindern die weitere Ent-

wicklung. Es geht weder dem Staat noch den Kassen, noch den Ärzten gut. Die gesundheit- liche Versorgung der Bevölkerung ist in Ge- fahr. Der Staat greift erneut ein und über- nimmt das Berliner Abkommen weitgehend in gesetzlichen Regelungen. 1923 gibt es erst- mals einen Reichsausschuss der Ärzte und Krankenkassen, der sich um Zulassung und Verträge kümmert. Schiedsämter werden für den Streitfall eingerichtet. Erstmals taucht auch das Gebot der Wirtschaftlichkeit bei Be- handlung und Verordnung auf.

Die entscheidenden Notverordnungen des Staates – und damit die eigentliche Geburts- stunde der KVen – fallen in die Jahre 1931 und 1932. Der Staat gibt den Ärzten ein Honorie- rungsmodell vor: die Kopfpauschale. Danach stellen die Kassen als Gesamtvergütung pro Mitglied einen Geldbetrag zur Verfügung, mit dem die Ärzte bei der Behandlung und Verord- nung auskommen müssen. Jetzt kommt auf 600 Versicherte ein Kassenarzt – und als Gegenge- wicht zu den mächtigen Krankenkassen werden die KVen gegründet. Die Kassenärzte erhalten ihre seit Jahrzehnten geforderte Selbstverwal- tung als Körperschaften des öffentlichen Rechts.

Fortan herrscht zwischen Kassen und Ärzten

„Waffengleichheit“. Krankenkassen und KVen sind gleichberechtigte Verhandlungspartner.

Der Staat zog damals die Konsequenzen aus den jahrelangen Unruhen – ausgelöst durch das Ungleichgewicht zwischen Kassen und Ärzten. Mit der Gründung der KVen er- hielten die Ärzte deutlich mehr Rechte, aber auch neue Pflichten. Das Streikrecht wurde abgeschafft – ein Verzicht, der zu verschmer- zen war, weil unter dem Dach der KVen die all- gemeine Zulassung zur Kassenpraxis, Ho- norarvereinbarungen und Kollektivverträge die Existenz der Ärzte sicherten.

Die gemeinsame Selbstverwaltung lebte nach dem Zweiten Weltkrieg und der Wieder- gründung der KVen wieder auf. In den folgen- den Jahrzehnten bewährte sich das Prinzip des Gleichgewichts der Kräfte erneut – bis zum er- sten Mal der Begriff von der „Kostenexplosion im Gesundheitswesen“ die Runde machte. Der Staat versuchte mit Kostendämpfungsgeset- zen in den Siebzigerjahren und zahlreichen Ge- sundheitsreformen seit Beginn der Neunziger- jahre die steigenden Ausgaben in den Griff zu bekommen. Mehr und mehr wurden die Ärzte für die finanzielle Entwicklung der Gesetzli- chen Krankenversicherung verantwortlich ge- macht. Inzwischen sind vor allem die KVen ins Visier der Politik gerückt: Sie gelten zumindest im Regierungslager als „Kartelle“, die einer sinnvollen Weiterentwicklung der GKV entge- genstehen und deshalb in ihrem Einfluss zu be-

schneiden sind. Josef Maus

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ließen. In Schleswig-Holstein hat die Aufsichtsbehörde die Wahlordnung be- anstandet. Die dortige Abgeordneten- versammlung hatte sich für die Beibe- haltung der kreisbezogenen Wahl aus- gesprochen, weil sie sich davon unter anderem mehr Basisnähe versprach.

Das hielt das Ministerium für einen Bruch der Listenwahlsystematik. „Die Länderministerien haben ein einheitli- ches Vorgehen vereinbart und schreiten ein, wenn die KVen versuchen, die alte Basisnähe zu bewahren“, sagt Dr. med.

Klaus Bittmann, Vorsitzender der KV- Schleswig-Holstein.

Gravierende Änderungen mit ähnlich gelagerter Problematik stehen auch auf Bundesebene an. Die neue Sat- zung der KBV wird in den nächsten Monaten beschlossen werden. Der Entwurf des Satzungsausschusses sieht vor, dass die neue Vertreterver- sammlung aus 60 Mitgliedern beste- hen soll. Bisher waren es 110 Dele- gierte. Der Vorsitzende und einer sei- ner Stellvertreter jeder KV werden der Vertreterversammlung als gesetz- liche Mitglieder angehören. Das sind 34 Sitze, weil sich die Zahl der KVen von bisher 23 aufgrund der gesetzlich vorgegebenen Zusammenschlüsse auf 17 reduziert. Hinzu kommen sechs Psychologische Psychothera- peuten und/oder Kinder- und Jugend- lichenpsychotherapeuten sowie 20 Delegierte aus den Vertreterver- sammlungen der KVen. Der bisherige Länderausschuss, in dem die Vorsit- zenden der Länder-KVen vertreten waren, entfällt.

Der künftige hauptamtliche Vorstand der KBV soll dem Satzungsentwurf zu- folge aus zwei Mitgliedern bestehen – ei- ner mit der Verantwortung für das Res- sort hausärztliche Versorgung, der ande- re mit der Zuständigkeit für die fachärzt- liche Versorgung. Bisher setzte sich der Vorstand aus neun ehrenamtlichen Mit- gliedern zusammen: acht niedergelasse- nen Ärzten, die zugleich auch einer KV vorstanden, und einem Vertreter der außerordentlichen Mitglieder (gemeint sind damit die Krankenhausärzte). Der hauptamtliche Vorstand wird auf sechs Jahre gewählt (bisher dauerte die Amts- periode vier Jahre).

Für mehr Effizienz spricht der Um- stand, dass die beiden großen Blöcke der

hausärztlichen und fachärztlichen Ver- sorgung von je einem Vorstandsmitglied verantwortet werden. Funktioniert die Zusammenarbeit, könnte das Konflikt- potenzial wesentlich geringer ausfallen als in der Vergangenheit.

Weil die hauptamtlichen KBV-Vor- stände nicht mehr zugleich in der Ver- antwortung für eine regionale Kas- senärztliche Vereinigung stehen, kön- nen regionale „Zwänge“ ausgeblendet werden. Andererseits wird die neue Vertreterversammlung deutlich mehr Einfluss auf die Vorstandsarbeit haben.

Das kann sich positiv auswirken – näm- lich dann, wenn der hauptamtliche

KBV-Vorstand und die Vertreterver- sammlung, die zu mehr als der Hälfte ebenfalls aus hauptamtlichen Kräften besteht, an einem Strang ziehen. Unter diesen Voraussetzungen wird es mut- maßlich nicht mehr zu wechselnden, sich mitunter völlig widersprechenden Beschlüssen der Vertreterversammlung kommen.

Anhänger der reinen Management- lehre werden dies begrüßen. Befürwor- ter der Basisarbeit dürften hingegen er- hebliche Sorgen umtreiben: Das Prinzip der Hauptamtlichkeit birgt die Gefahr, dass langfristig eine Entfremdung zwi- schen den Ärzten an der Basis und ihrer (hauptamtlichen) Führung Platz greift, dass sich die niedergelassenen Ärzte

verwaltet, aber nicht mehr vertreten fühlen.

Eine derartige Entwicklung könnte durchaus im Sinne der Politik sein, die sich mit der klassischen Selbstverwal- tung schwer tut und deshalb die KBV und die KVen sehr viel lieber als reine Verwaltungsapparate sehen würde.

Dass aber KBV und KVen in ihrer neu- en Struktur künftig nicht mehr als In- teressenvertretungen der Kassenärzte wahrgenommen werden, ist nicht aus- gemacht. Sollte es gelingen, mithilfe der hauptamtlichen Strukturen die mitun- ter lähmende innerärztliche Zerstrit- tenheit zu überwinden und gute Ergeb- nisse für die niedergelassenen Ärzte zu erzielen, stünden die ärztlichen Körperschaften sogar besser da.

Doch starke Zweifel an der Zu- kunft der KVen als Körperschaften des öffentlichen Rechts kommen selbst aus den eigenen Reihen. Im Dezember vergangenen Jahres ent- brannte auf der Vertreterversamm- lung der KBV in Berlin ein heftiger Streit über die Frage, ob die KBV und die KVen so genannte Consults grün- den sollen. Gemeint sind damit Toch- terunternehmen mit der Aufgabe, Be- ratung und Unterstützung für nieder- gelassene Ärzte beim Abschluss von Einzelverträgen mit den Kranken- kassen zur hausarztzentrierten Ver- sorgung, bei Verträgen zur Integrier- ten Versorgung oder etwa bei der Gründung und Führung Medizini- scher Versorgungszentren zu bieten – eben in den Feldern, in denen die KVen nach dem GKV-Modernisie- rungsgesetz ihr direktes Verhandlungs- mandat verlieren. Die KBV-Spitze um die beiden Vorsitzenden Dr. med. Man- fred Richter-Reichhelm und Dr. med.

Leonhard Hansen befürwortet die Gründung von Consults, um auf diese Weise die Interessenvertretung für alle Kassenärzte wahren zu können. Dr.

med.Werner Baumgärtner,Vorsitzender der KV Nord-Württemberg und der ärztlichen Parallelorganisation Medi, lehnt dies entschieden ab.

Hinter der Auseinandersetzung um die Consults verbirgt sich allerdings ein grundsätzlicher Richtungsstreit: Baum- gärtner glaubt nicht, dass der körper- schaftliche Status der KVen noch mit der Freiberuflichkeit der Kassenärzte ver- A

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Proteste in Rheinland-Pfalz: KV-Mitarbeiter wehrten sich gegen die Fusionspläne – letztlich vergeblich.

Foto:dpa

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einbar ist. Der nordwürttembergische KV-Chef stellt sich damit an die Spitze einer Bewegung, die die permanenten staatlichen Eingriffe in die Selbstverwal- tung der Ärzte nicht länger hinnehmen will. In einem offenen Brief Baumgärt- ners an Richter-Reichhelm heißt es:

„Die Situation der KV als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist doch heute so, dass, wenn morgen im SGB V steht, Ärzte und Psychologen haben sich mor- gens um 7 Uhr vor dem Bild von Herrn Prof. Lauterbach (ein enger Berater von

Bundesgesundheitsministerin Schmidt, Anm. d. Red.) zu verbeugen, dies von den Körperschaften geprüft und umge- setzt werden müsste. Die Belieferung der Praxen mit den Bildern von Prof.

Lauterbach hätte zudem zuvor ausge- schrieben werden müssen.“

Was Baumgärtner damit zum Aus- druck bringen will, beschreibt er an an- derer Stelle so: „Weg mit dem ,körper- schaftlichen Nasenring‘ der KVen!“

Der Vorsitzende von Medi Deutschland ist davon überzeugt, dass „wir ohne den körperschaftlichen Status weder ein In- kasso der Praxisgebühr noch Kollektiv- regresse, noch Monopolygeld hätten“.

Dies alles sind nach seiner Auffassung Folterinstrumente, die von der Politik nur eingesetzt werden können, weil die KVen als Körperschaften dem direkten Zugriff und der Weisung des Gesetzge- bers unterliegen.

Auch Richter-Reichhelm bestreitet die Vielzahl der Drangsalierungen durch die Eingriffe des Gesetzgebers nicht. Anders als Baumgärtner ist er aber der Meinung, dass „nur über die KV als Körperschaft des öffentlichen Rechts eine einheitliche, flächendek-

kende und qualitätsgesicherte Versor- gung der Kranken in Deutschland zu gewährleisten ist“. Nur diese Organisa- tionsform sei in der Lage, die Interessen aller Kassenärzte und Psychotherapeu- ten zu wahren. Parallelorganisationen wie Medi könnten hingegen nur die In- teressen ihrer Mitglieder vertreten.

Richter-Reichhelm und andere be- fürchten, dass es ohne die ordnende und einende Funktion der KVen zu einer Zersplitterung der ambulanten Versor- gungsstruktur kommen wird. Einzel- verträge mit den Krankenkassen und miteinander konkurrierende Interes- senvertretungen von Ärzten würden das über Jahrzehnte erkämpfte Gleich- gewicht der Kräfte zwischen Kassen und Ärzten zerstören (siehe „Ruhe im Staat“). Diese Befürchtung war im Übrigen der Anlass, Mitte der Neunzi- gerjahre die so genannten Vertragsärzt- lichen Vereinigungen zu gründen. Dies waren die ersten Parallelorganisatio- nen, die – personell eng verbunden mit den KVen – erst dann „zum Leben er- weckt“ werden sollten, wenn die Politik mit ihrer Drohung ernst machen würde, die KVen abzuschaffen.

Während die Vertragsärztlichen Ver- einigungen weiter im Hintergrund wir- ken, drängten andere Parallelorganisa- tionen nach vorne: Medi und die Genos-

senschaften, die sich zunächst in Schles- wig-Holstein unter der Führung des dor- tigen KV-Vorsitzenden Dr. med. Klaus Bittmann organisierten. Bittmann sieht allerdings das Verhältnis zwischen KV und Genossenschaft als „Symbiose, nicht als Konkurrenz“. Bittmann: „Da, wo die KV nicht mehr handeln kann, brauche ich die Genossenschaft.“

Das ist Konsens, denn so sieht auch Richter-Reichhelm die Funktion der Parallelorganisationen. Auch Baum- gärtner legt Wert auf die Feststellung, dass er die KVen nicht abschaffen wol- le. Er sieht sich aber im Einklang mit der „Stimmung bei den niedergelasse-

nen Ärzten“, wenn er den „Erhalt einer Körperschaft, welche die Ärzte nur noch drangsaliert“, dem Ziel unterord- net, „endlich von der Politik nicht mehr erpresst werden zu können“.

Wie die „Ärzte an der Basis“ die Dinge wirklich beurteilen, ist nur schwer zu ermitteln. Klar ist, dass nahezu alle das Übermaß an Bürokratie, die gesetz- lich verordnete strikte Budgetierung und die vielen Reglementierungen satt haben. Exakt das, was Baumgärtner den

„körperschaftlichen Nasenring“ nennt.

Offenkundig ist aber auch, dass die Mehrheit der niedergelassenen Ärzte auf die KVen nicht verzichten will. So haben sich bei einer Umfrage des Deut- schen Ärzteblattes (Berufsreport Ärz- te, Heft 21/2003) immerhin 66,1 Prozent der Befragten positiv gegenüber der KV als ärztlicher Selbstverwaltung aus- gesprochen. Zwei Drittel wollen keine Einzelverträge mit den Krankenkas- sen, weil sie der Meinung sind, dass die Ärzte mit derartigen Verträgen den Kassen ausgeliefert würden. Ein weite- rer Indikator für die Wertschätzung der KV ist die Wahlbeteiligung der Ärzte.

Die ist hoch – deutlich höher als bei den meisten Landtagswahlen. Bei den Hamburger KV-Wahlen im Jahr 2000 lag die Beteiligung bei rund 75 Prozent, im Saarland bei 88 Prozent, in Bremen bei 68 Prozent, in Rheinhessen bei 62 Prozent. Heike Korzilius, Josef Maus Richter-Reichhelm: Nur die Körperschaften

garantieren eine flächendeckende Versorgung

Klaus Bittmann: „Die ärztlichen Genossen- schaften sind keine Konkurrenz zu den KVen.“

Werner Baumgärtner: „Weg mit dem körper- schaftlichen Nasenring!“

Fotos:Georg Lopata

Referenzen

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