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Zukunft durch Toleranz

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Bayerisches Ärzteblatt 4/2004 191

Leitartikel

Selten war der Gegenwind, der uns niederge- lassenen Ärzten und Psychotherapeuten ins Gesicht bläst, rauer als heute. Es wird immer deutlicher, wie viele Zumutungen das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Kran- kenversicherung (GMG) enthält. Trotz der an einigen Stellen spürbaren Einflussnahme durch CDU/CSU und FDP strotzt das GMG geradezu von staatsmedizinisch geprägten Gängelungen. Diese sind im Gemeinsamen Bundesausschuss ebenso spürbar wie bei der bevorstehenden Gründung eines Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit oder in der weiteren Zementierung der Chronikerpro- gramme und potenziellen Gefährdung des Da- tenschutzes getreu der Orwell’schen Horrorvi- sion „Big brother is watching you“.

Der Gesetzgeber nimmt ganz bewusst die wirtschaftliche Bedrohung der niedergelasse- nen Ärzteschaft und insbesondere der Fach- ärzte in Kauf. Man denke nur an die von Ulla Schmidt in höchsten Tönen gepriesenen

„Medizinischen Versorgungszentren“. Diese werden eine Domäne für kapitalkräftige Krankenhausgesellschaften sein, die frei wer- dende Vertragsarztsitze durch gute Preisange- bote aufkaufen. Ich bin Verfechter eines Wett- bewerbs, bei dem die Rahmenbedingungen nicht durch Gesetze verzerrt sein dürfen. Ge- nau das ist bei den Versorgungszentren der Fall. Ich bin wenig optimistisch, dass die am- bulant tätigen Ärzte, besonders die Fachärzte- schaft, eine Chance bekommen – zu sehr ist ih- nen bereits die Finanzierungsbasis genommen.

Die Fallpauschalenregelung (DRG) bringt er- hebliche Veränderungen für den stationären Bereich und bedroht viele kleinere und mittlere Krankenhäuser in ihrer Existenz. Den Erhalt der Stellen im Krankenhaus sehen ver.di und

kurzsichtige Ideologen offensichtlich nur noch über den Abbau der ambulanten Facharztme- dizin. Es erfüllt mich mit tiefer Sorge, was an weiteren perfiden Folterinstrumenten in dem Gesetz steht, um die von vielen Politikern wohl als überflüssig empfundene „doppelte Facharztschiene“ in Klinik und Praxis zu be- seitigen. Dabei besteht heute schon Nach- wuchsmangel aufgrund der Ungewissheit, die mit dem Aufbau einer Existenz als Vertrags- arzt verbunden ist. Bedroht werden die Niedergelassenen dazu durch die faktische Öff- nung der Krankenhäuser. Die Ein-Tages- Fallpauschalen – mit einer deutlich besseren Vergütung als im EBM vorgesehen – werden die ambulanten Fachärzte massiv gefährden.

Nicht einmal der große Katalog der „stations- ersetzenden Leistungen“ bedeutet eine Ent- warnung für die ambulanten Operateure, so- lange keine Vereinbarung mit gleichen Vergü- tungszielen besteht.

Haben die niedergelassenen Fachärzte eine solche „Bestrafung“ denn wirklich verdient?

Ich denke nein. Meinungsumfragen in der Be- völkerung zeigen immer wieder, wie hoch das Renommee der Ärzte nach wie vor ist – trotz aller politisch induzierten Versuche der De- montage. Es sind die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten, die dafür sorgen, dass es in Deutschland praktisch keine Wartezeiten gibt, wie sie in vielen anderen europäischen Ländern gang und gäbe sind. Eigentlich könnten wir in Deutschland zurecht stolz sein auf eines der besten, fortschrittlichsten Ge- sundheitssysteme der Welt, das mit dazu beige- tragen hat, den „sozialen Frieden“ zu schaffen und zu erhalten.

Die auf dem großen Engagement von nieder- gelassenen Ärzten und Psychotherapeuten und – nicht zu vergessen – deren Praxisteams be- ruhende Versorgungsstruktur sucht internatio- nal ihresgleichen. Man denke nur an die stetig steigende Zahl der ambulanten Operationen, die schonend und ohne hohen zeitlichen Auf- wand der Patienten durchgeführt werden kön- nen. Oder man nehme die vorbildliche Versor- gung durch vorwiegend hausärztliche Bereit- schaftspraxen. In Bayern können wir voller Stolz auf unsere Vermittlungszentralen ver- weisen, durch die schon im ersten Jahr ihres Bestehens über 1,5 Millionen Arzt-Patienten- Kontakte im Bereitschaftsdienst vermittelt

wurden. Insgesamt verantworten die ambu- lant tätigen Ärztinnen und Ärzte die Versor- gung von über 90 % aller Behandlungsproble- me in Deutschland. Nirgends in Europa gibt es so viele gezielte Arzt-Patienten-Kontakte, nirgends ist die Zufriedenheit der Patienten mit der medizinischen Versorgung so groß wie hier zu Lande.

Was kann man nun tun, um trotz der ein- gangs geschilderten Eingriffe des Staates unser gut funktionierendes Gesundheitssystem wei- testgehend zu erhalten? Ich sehe zwar kein Patentrezept, doch ein Leitmotiv, das wir alle beherzigen sollten: die Fokussierung auf das Wohl der Patienten. Wenn die Entscheider in der Gesundheitspolitik weniger den „schnellen Euro“ im Blick hätten und vielmehr beachten würden, welche Folgen ihr Handeln für die Versorgung der Patienten hat, wäre bereits viel gewonnen. Statt einer Kannibalisierung der einzelnen Versorgungsebenen brauchen wir Toleranz und Verständnis dafür, dass jeder von uns, ob niedergelassen oder angestellt tä- tig, ob eher haus- oder fachärztlich orientiert, seinen Teil zu einem großen Ganzen beiträgt.

Natürlich setzt dies voraus, dass man sich vor- ab der überlappenden Korridore, in denen je- der Versorgungsbereich seine Stärken hat, be- wusst ist und diese akzeptiert. Es sollen keine Mauern aufgebaut werden zwischen beispiels- weise dem niedergelassenen Chirurgen und seinem Kollegen in der Klinik, sondern es soll eine Zusammenarbeit nach festen Spielregeln etabliert werden. Im Zweifelsfall muss, alles andere wäre in der jetzigen Situation nicht vermittelbar, immer derjenige den Vorzug er- halten, der unter wirtschaftlichen Gesichts- punkten das beste Ergebnis erbringt. Auf die- ser Basis wird es uns gelingen, möglichst viele Patienten am medizinischen Fortschritt teil- haben zu lassen. Und letztlich wird dies auch dazu führen, dass die Politiker sich bei der ab- sehbaren, nächsten Gesundheitsreform von ei- ner anderen, positiveren Sicht unserer Tätig- keit leiten lassen werden. Einer Tätigkeit, die geprägt ist von Kooperation, Qualität und Toleranz der Ärzte und Psychotherapeuten untereinander über alle Grenzen und Versor- gungsbereiche hinweg.

Zukunft durch Toleranz

Dr. Axel Munte, Vorsitzender des Vorstands der KVB

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